Zusammenfassung des Forschungsprojekts B03 des SFB „Medien der Kooperation“
29. Januar 2016 von Mundo
Während sich vor der Durchsetzung der Social Media politisches Engagement auf eine überschaubare Zahl von Aktivitäten wie Wählen, Mitgliedschaft in Verbänden sowie Protestieren zu beschränken schien, hat sich die Variationsbreite politischer Aktivitäten in jüngerer Zeit deutlich vergrößert. In vielen Formen von „creative participation“ (Micheletti/McFarland 2012) entstehen außerhalb politischer Institutionen neue Formen zivilgesellschaftlicher Beteiligung bei der Verfertigung von Öffentlichkeiten. Engagementprojekte wie z.B. Community Supported Agriculture, Transition Towns oder Online-Wahlprüfstein-Kampagnen mobilisieren Bürger im Netz wie vor Ort für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und bei der Energieerzeugung. Diese neuen Engagementprojekte werden im beantragten Teilprojekt als experimentelle Formen der Medienkooperation verstanden und anhand der mit ihnen verbundenen Praktiken zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit untersucht.
Auf der empirisch-analytischen Ebene erfolgt erstmals die Erfassung, Systematisierung sowie Untersuchung der Rahmenbedingungen von Praktiken eines „Going Public“ in konfliktiv-problematisierenden sowie experimentell-problemlösenden Engagementprojekten und ihren medialen Formaten. Der Charakter dieser bisher kaum untersuchten, jedoch zunehmend wichtiger werdenden, neuartigen Engagementprojekte zeigt sich insbesondere im kontrastierenden Vergleich mit dem schon besser erforschten Bereich der Protestpolitik. Während die Politikwissenschaft bislang überwiegend davon ausgeht, dass sich Konflikt und Kooperation gegenseitig ausschließen, wird hier untersucht, wie sich Medienpraktiken des „Going Public“ je nach Kooperationsmodus (konfliktiv-problemformulierend oder experimentell-problemlösend) sowie je nach sozialer Strukturierung (Organisationen oder individualisierte Netzwerke) unterscheiden. Für einen typenbildenden Fallvergleich werden deshalb kontrastierende Fälle entlang dieser Vergleichsdimensionen ausgewählt: die Energie- und Agrarwende als zwei Issues bzw. öffentliche Anliegen von jeweils hoher Aktualität und Relevanz.
Untersucht wird mit Hilfe von Interviews, Partizipationstagebüchern und Netnografie, wie kontroverse Sachfragen zur Agrar- und Energiewende in innovativen Medienpraktiken bearbeitet werden. Im Fokus stehen zivilgesellschaftliche Change Agents, ihre Praktiken, Handlungsmotive, Erfahrungen und Lernprozesse.
Aufbauend auf den eigenen empirischen Befunden und orientiert am Konzept eines demokratischen Experimentalismus von John Dewey (1927) arbeitet das Teilprojekt im Sinne des Gesamtvorhaben des SFBs eine medien- und praxistheoretisch inspirierte konzeptuelle Neufassung aus. In Abgrenzung von Ansätzen deliberativer Demokratie und agonaler Demokratie wird der besondere Beitrag innovativer, auf experimentelle wie konfliktive Problembearbeitung ausgerichteter Engagementformen für die Generierung öffentlicher Issues und die Herausbildung kreativer Beteiligungskulturen hervorgehoben.