12.03.2011

Heimat im Web 2.0 – Facebook, StudiVZ & Co (von Alexander Bönner)

Das Internet bietet die Möglichkeit Teile der Heimat in den virtuellen Bereich zu verschieben bzw. dorthin zu erweitern. Dadurch können insbesondere Menschen oder Gruppen, die aus verschiedensten Gründen von ihrer Heimat getrennt sind, selbige im Internet trotzdem ausleben. Eine ganz besondere Rolle nehmen bei diesem Prozess Social Network Sites ein, mit denen sich Menschen ohne technische Vorkenntnisse problemlos vernetzen, soziale Interaktion wahrnehmen und Gruppen erstellen können.

Um dieses Phänomen zu erklären werde ich zuerst den Heimatbegriff und seine historische Entwicklung erläutern. Danach beschreibe ich die Bedeutung des Internets für das Konzept „Heimat“ und werde schließlich die besondere Rolle der Social Network Sites wie Facebook und StudiVZ erläutern. Den Abschluss bildet eine kurze Reflexion, wie genau man das Phänomen der virtuellen Heimaten erforschen kann.

Der Heimatbegriff

In Zeiten von Globalisierung, zunehmender gesellschaftlicher Mobilität und der Verbreitung von virtuellen Räumen scheint die Verbindung zur Heimat immer unwichtiger zu werden. Entgegen dieser Erwartung geben laut einer Umfrage des SPIEGEL jedoch 56% der Deutschen an, dass der Begriff für sie „im Zeitalter der Globalisierung an Bedeutung gewonnen“ hat, lediglich 25% erklären, „dass ihnen Heimat heute weniger bedeutet als früher“[1].

Die Ursache für diesen scheinbaren Widerspruch offenbart sich schnell. So erklärt die Pädagogin Ursula Hildebrand: „Der Heimatbegriff selbst hat einen Bedeutungswandel erfahren“.[2] In seinem Ursprung bezeichnete er „das Eigentum an Grund und Boden“[3] und bezog sich damit explizit auf einen materiellen und geographischen Ort. Damit bot er jedoch nicht nur räumliche Verortung, sondern – früher viel wichtiger – Existenzsicherung. Denn, wer „Grundeigentum in einer Gemeinde hatte, kam automatisch in den Genuss des ‚Heimatrechts‘, mit dem die Erlaubnis zur Verheiratung und Niederlassung und zur Ausübung eines Gewerbes verbunden war, das im Falle der Verarmung aber auch die Versorgung durch die Gemeinde vorsah.“[4]

In den neuen bürgerlichen Heimatkonzepten zum Ende des 18. Jahrhunderts veränderte sich der Heimatbegriff zu einer entmaterialisierten Heimat. Der naheliegende Grund hierfür war laut des Kulturanthropologen Alexander von der Borch-Nitzling, dass die oben genannte Heimat – der Grundbesitz – nicht allen Bevölkerungsschichten zugängig war[5]. Heimat wurde deshalb „als Hort (nicht mehr Ort) von Erfah­rungen (…) in symbolische Erinnerungs-Räume verlagert“[6]. Beispielsweise wurde die Kindheit als Heimat von Unbeschwertheit oder die Natur als Heimat vorindustrieller Schönheit betrachtet. Es entstand erstmals eine Vorstellung von Heimat, die sich nicht auf räumliche sondern auf psychische Verortung (beispielsweise schöne Erinnerungen, Ideale) konzentriert.

Heutzutage ist Heimat zwar gemäß Definition weiterhin eine „erlebte territoriale Einheit, zu der ein Gefühl besonders enger Verbundenheit besteht“[7], zusätzlich gewinnen aber die sozialen Beziehungen immer mehr Bedeutung.  So ruft laut der SPIEGEL-Umfrage heutzutage „bei 89% der Deutschen nicht ihr Land, sondern die nähere Umgebung“[8] Heimatgefühle hervor. Zu dieser näheren Umgebung zählen auch weiterhin Geburts- und Wohnort – zusätzlich aber erstmals auch Freunde und Familie.[9] Die soziale Verortung der Heimat drängt sich also immer mehr in den Vordergrund.

Durch die Betrachtung dieser Entwicklungsstränge des Heimatbegriffs wird klar, dass er ein sehr heterogener und von Mensch zu Mensch unterschiedlicher Begriff ist. Nichtsdestotrotz gibt es auch viele Situationen, in denen Heimat „kollektiv von Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen“[10] wahrgenommen wird. Darüber hinaus zeigt die historische Entwicklung auch, dass ein Mensch keineswegs nur eine Heimat haben muss. Beispielsweise kann er Heimat sowohl geographisch in seinem Wohnort, psychisch in schönen Erinnerungen und sozial durch seinen Freundeskreis wahrnehmen. Wenn also im Folgenden von Heimat die Rede ist, muss dabei beachtet werden, dass der Begriff immer Pluralität und Heterogenität besitzt.

Kommunikation im Internet

Mit dem Internet haben sich unter anderem die Möglichkeiten zur Kommunikation elementar verändert. Die Meinungsforscherin Renate Köcher fasst eine aktuelle Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach so zusammen: „Immer mehr kommunizieren die Bevölkerung und insbesondere die junge Generation über das Netz.“[11].

Dieselbe Studie zeigt auch, dass es sich im Internet jedoch nicht wie häufig angenommen nur um oberflächliche, emotionslose Kommunikation handelt. Kommunikationsmöglichkeiten im Internet würden nämlich „vor allem benutzt, um eine bestimmte Form von Nähe herzustellen: Familie und Freunden mitzuteilen, was man gerade tut und empfindet, und gleichzeitig die, die einem wichtig sind, gleichsam kontinuierlich im (virtuellen) Blickfeld zu behalten.“[12] Dabei gehen die Möglichkeiten noch über das Erhalten von Beziehungen hinaus: Die Kultur- und Sozialanthropologin Evelina Sigl erklärt, durch das Internet werde sogar „eine Intensivierung verwandtschaftlicher Bande ermöglicht“[13]. Zusätzlich zur direkten persönlichen Kommunikation würden auch „Chatrooms, Newsgroups und Blogs (…) den Eindruck von direkter Interaktion, Bekanntheit und Vertrautheit“ erweckten und dadurch auch über große Entfernungen ein „integratives Gemeinschaftsgefühl“[14] erzeugen.

Zusammenschlüsse zu Gruppen im Internet geben außerdem die Möglichkeit, dass geographische Heimaten, die aus verschiedenen Gründen in der Realität nicht erreichbar sind, gemeinsam praktiziert werden können. Laut Sigl könne „die mühelose Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanzen (…) das Internet dazu genutzt werden, Identitäten in einem Ausmaß zu stärken und aufrecht zu erhalten, wie das früher nicht möglich gewesen wäre.“[15] Hierdurch werde die geographische Heimat ins virtuelle erweitert und es kommt „zu einer transnationalen Ausdehnung lokaler Phänomene“ [16]. Besonders auffallend ist die Bildung von virtuellen Gruppen für Menschen mit ehemals gemeinsamer Heimat, die diese jetzt nicht mehr teilen. Internet-Gruppen bieten die Möglichkeit „einer Vernetzung von Diaspora-Gemeinschaften mit den von ihnen als Heimat betrachteten Nationalstaaten und/oder mit den entsprechenden ethnischen Gruppen“. [17]

Durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die virtuelle Nähe zur Familie und Freunden und die Vernetzung zu Gruppen verändern sich also sowohl soziale als auch geographische Heimatbereiche. Sie werden teilweise in das Internet verschoben und können dort sogar erweitert werden.

Social Network Sites

Eine ganz besondere Stellung in diesen virtuellen Heimaten nehmen Soziale Netzwerke wie Facebook und StudiVZ ein. Sie ermöglichen es jedem mit Internetzugang und ohne technische Vorkenntnisse, die oben genannten Arten der Kommunikation zu nutzen – und damit Heimat virtuell zu leben. Die dafür nötigen Anwendungen wie zum Beispiel Nachrichtendienst, Chat, Gruppenfunktion, Statusupdate, Bilderupload, Kalender, Link- und Kommentarmöglichkeiten stellen die Social Network Sites zur Verfügung.

Mit der Gruppenfunktion können sich Menschen zu jedem beliebigen Thema zu einer Gruppe zusammenschließen. Innerhalb dieser Gruppen findet man Informationen über das jeweilige Thema, die Möglichkeit zur Kommunikation unter den Mitgliedern oder Weiterleitungen auf andere Seiten zum Thema. Ein besonders weit verbreiteter Gruppentyp ist dabei jener, der sich auf die geographische Heimaten bezieht – angefangen bei der Wohnung, über die Heimatstadt bis hin zu Gruppen ganzer Länder. Exemplarisch hierfür sind die Facebook-Seiten eines Studentenwohnheims in Australien, der Stadt Berlin oder des Landes Frankreichs. Zusätzlich zu diesen klassischen Heimaten gibt es auch Gruppen, die bewusst besondere Heimatsituationen, wie einen Migrationshintergrund, ansprechen. Ein Beispiel hierfür ist die  Facebook Gruppe „Türken in Deutschland“.

Eine weitere stark verbreitete Art von Gruppen ist die, in der sich Menschen einer bestimmten psychischen Heimat mit Gleichgesinnten treffen können. Die Spannweite reicht hier von Präferenzen bei Musik bis zu politischen Einstellungen. Dabei gibt er auch verschiedene Abstufungen, zum Beispiel von generellen Musikrichtungen, wie „Minimal hören, Maximal abgehen“ bis zu konkreten Musikern „Jimmy Hendrix 4ever!!!“. Auch Gruppen politischer Einstellungen reichen von Gruppen wie „Mitte links“ oder „unpolitisch“, bis hin zu Fangruppen einzelner Parteien, oder konkreten Einzelansichten wie „Nein zu Stuttgart21“ (alle Beispiele aus StudiVZ).

Als Kommunikationskanäle außerhalb der Gruppen bieten sich der meist zur Plattform gehörige Chat oder die Nachrichtenfunktion an. Für indirekte Kommunikation – die aber für den Aufbau von persönlicher Nähe nicht weniger bedeutend ist – gibt es eine Pinnwand, einen Kalender oder Fotoalben, die für alle Freunde öffentlich sind und sich kommentieren lassen. Dadurch ermöglichen Social Network Sites sowohl gleichzeitige und verzögerte als auch direkte und indirekte Kommunikation mit jedem, der auch auf der Seite angemeldet ist.

Selbst an diesen Beispielen, die nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielfältigen Möglichkeiten der Social Network Sites bieten, wird klar, dass man mit ihrer Hilfe Beziehungen aufrecht erhalten und intensivieren, sich in psychologischen Heimaten verorten, oder Gruppen, die sich auf eine geographischen Heimat beziehen beitreten kann. Es können also sehr einfach soziale, psychische und geographische Heimaten auf die Social Network Sites ausgeweitet werden.

Fazit

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich viele Möglichkeiten zur Lösung von Problemen bei Heimatlosen oder Menschen mit sehr stark variierenden Heimaten. Beispielsweise könnte der Konflikt von Migranten gelöst werden, die sich sowohl in ihrem Geburtsland, mit den zugehörigen Werten und bei ihren dort lebenden Verwandten, als auch in ihrem Migrationsland heimisch fühlen. Auch Diaspora-Gemeinschaften haben die Möglichkeit ihre ehemaligen Heimaten so virtuell zu leben.

Diese Möglichkeiten bieten sich aber auch für jeden anderen, der einen Teil seiner Heimat aus verschiedenen Gründen nicht erreichen kann. Die Gruppe der hier betroffenen fängt bei der viel beschäftigten Geschäftsfrau an, die aufgrund von Geschäftsreisen selten in ihrer geographischen Heimat ist und endet beim Schüler, der im Klassenarbeitsstress einen Teil seiner sozialen Heimat – seine Freunde – nur selten sieht.

Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Denkbar wäre zum Beispiel ein Aufbau auf dem bereits durchgeführten MyCulture-Seminar des Lehrstuhls Mediengeschichte der Universität Siegen. In dem Seminar wurden die Heimatbegriffe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund untersucht und mit deren Selbstdarstellung in Handyfilmen zum Thema Heimat verglichen. Im Bezug auf die hier entwickelte These könnte man dieses Projekt auf die Frage erweitern, wie die Jugendlichen sich auf Social Network Sites selbst präsentieren und welchen Gruppen sie angehören. So lässt sich herausfinden, wie sie eventuelle Heimatkonflikte oder den Verlust von Heimaten durch die Nutzung von Social Network Sites, kompensieren. Bei Bedarf könnten diese Ausgangsfragen noch um weitere Aspekte, wie das Geschlecht, Zugehörigkeit zu Gruppen außerhalb des virtuellen Raums oder weitere Altersgruppen ergänzt werden.


[1] http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-13536472.html vom 06.01.2011.

 

[2] Hildebrand, Ursula: „Heimat ist, wo ich mich wohlfühle.“, in Themenblätter im Unterricht, Frühjahr 2003, Nr. 25, Seite 1

[3] Ebd.

[4] http://www.transodra-online.net/de/node/1380 vom 16.02.2011.

[5] http://www.transodra-online.net/de/node/1381 vom 16.02.2011.

[6] Ebd.

[7] Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden, Band 9, B.I. Taschenbuchverlag, Mannheim 2001, Seite 244

[8] http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-13536472.html vom 06.01.2011.

[9] Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-13536472.html vom 06.01.2011.

[10] Meyers Großes Taschenlexikon, Seite 244, f.

[11] http://www.axelspringer.de/downloads/315949/Summary_Allensbach.pdf vom 12.02.2011.

[12] Ebd.

[13] Sigl, Eveline: „Feldforschung im Web 2.0? – Alles andere als „virtuell“!“, in Australian Studies in Social Anthropology Ausgabe: 1/2009, Seite 5

[14] Ebd., Seite 6

[15] Ebd., Seite 5

[16] Ebd.

[17] Ebd.

Kommentare

[…] den Originalbeitrag weiterlesen: interkultur » Heimat im Web 2.0 – Facebook, StudiVZ & Co … Medien zum Thema   Medien by […]