Archiv für den Monat: Oktober 2014

Am Borsigplatz

Eine der vielen schönen Seiten unseres Forschungsprojektes ist die Möglichkeit, im Verlauf der Datenerhebung die unterschiedlichsten Städte Nordrhein-Westfalens kennenzulernen. Hierbei treffen wir auf ganz verschiedene Typen und Szenen. Davon soll in diesem Blog auch die Rede sein, insbesondere wenn – wie derzeit gerade – ein längerer Text auf sich warten lässt.

In dieser Woche waren wir etwa auf Erkundungstour in der Dortmunder Nordstadt. Dabei waren wir zufälligerweise für eine Wegstrecke mit einem potentiellen Multiplikator aus dem Wohlfahrtsbereich unterwegs. Dabei entwickelte sich folgender Dialog:

Multiplikator: Und hier kommen wir nun zum berühmten Borsigplatz. Hier wurde 1909 der Ballspielverein Borussia gegründet.

Wir: Ja, das ist uns bewusst. Wir haben dafür heute auch extra schwarz-gelbe Flyer mitgebracht.

Multiplikator: Das ist mir auch schon positiv aufgefallen. Aber wir sollten dem Thema schon mit dem notwendigen Ernst begegnen.

An dieser Stelle wird mal wieder deutlich, welche Gültigkeit noch immer die Bemerkung des britischen Fußballers und -trainers Bill Shankly hat, dass es beim Fußball um weit mehr geht, als nur um Leben und Tod.

(Ob wir auch in den anderen Fußballhochburgen des Landes Flyer in der stadttypischen Farbkombination mitbringen können, wissen wir nicht. Wir werden in der Regel nur eine schwarz-weiße Standardausführung haben – um im Bild zu bleiben: die Version Wattenscheid 09 – und bitten daher die vielen hilfsbereiten und netten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren um eine farbige/ farbenfrohe Weiterempfehlung.)

 

Warum suchen wir insbesondere ehemalige Engagierte mit Migrationshintergrund?

Die letzten Beiträge haben die Erhebungsmethode, das Engagement und das Abbrechen behandelt. Nun bleibt weiterhin zu klären, warum wir schwerpunktmäßig Menschen mit Migrationshintergrund befragen wollen. Was ist hier unsere Absicht und was erwarten wir?

Zunächst sind wir uns bewusst, dass wir hier mit einer Setzung, einem Konstrukt arbeiten. Konstrukte gibt es im sozialen Alltag immer wieder, weil sie Komplexitäten handhabbar machen sollen. Der Begriff des Migrationshintergrundes ist zum Beispiel ein Begriff des statistischen Bundesamtes, der sich mittlerweile seit über 10 Jahren auch außerhalb der Statistik in der Kommunikation durchgesetzt hat. In unserem Forschungsteam verwenden wir den Begriff mit einer gewissen Skepsis. Viele Multiplikatoren melden sich bei uns zurück und fragen, ob nicht auch die Migration aus Berlin oder Bayern ins Ruhrgebiet eine Migration sei – und tatsächlich stimmt das ja auch.

Wir gehen nicht davon aus, dass es notwendigerweise eine Differenz im Handeln gibt, je nachdem, woher ein Mensch kommt. Wir denken nicht, dass die Menschen nur anhand eines Merksmals beschreibbar sind. Vielmehr gehen wir davon aus, dass diese Merkmale auch in sich wieder total divers sind. Wie gesagt, häufig sind Merkmale eben Zuschreibungen von Anderen, ohne dass sie für die Person Geltung haben, die so beschrieben wird. Aber genau an diesem Sachverhalt lohnt es sich, weiterzuforschen: Wir beforschen bürgerschaftliches Engagement als Zugang zu einer Bürgergesellschaft im Rahmen einer Migrationsgesellschaft. Nicht allen Menschen ist der Zugang zum Status des (Staats)Bürgers gleich möglich. Wer also etwas über die Migrationsgesellschaft erfahren will, der muss die unterschiedlichen Geschichten in ihr erheben und rekonstruieren, um dann anschließend auch profunde Aussagen über (möglicherweise unerwartbare) Zusammenhänge von biografischen Erfahrungen und Engagementhandeln machen zu können.

Was ist eigentlich ein Engagementabbruch und warum interessieren wir uns dafür?

Manchmal werden wir gefragt, was wir den eigentlich damit meinen, wenn wir Engagementabbrüche beforschen. Was soll ein Abbruch sein? Bisher wurden in den Interviews ganz unterschiedliche Formen und Motive genannt: Unzufriedenheit aufgrund einer fehlenden materiellen Anerkennung, Ausgrenzung (auch aufgrund von Herkunft, Glaube und Aussehen), Ende eines Engagementangebots, der Verdacht, als EngagierteR bloß Lückenbüßer zu sein sowie die Unzufriedenheit mit der professionellen Begleitung der eigenen Arbeit. Hinter diesen Erzählungen liegen sicherlich noch weitere und auch komplexere Erfahrungen – eine abschließende Definition, was ein Abbruch genau ist, haben wir also nicht. Deswegen erwarten wir in den Interviews nicht immer wieder die gleichen Geschichten. Vielmehr wollen wir in unserer Forschungsarbeit verschiedene typische Verläufe und Konstellationen des Abbrechens herausarbeiten. Und was machen wir damit?

Das Thema Engagement ist in vielerlei Hinsicht seit Jahren Gegenstand politischer und öffentlicher Behandlung. Andere Forscherinnen und Forscher interessieren sich dabei insbesondere für die Motivationen, mit denen sich Menschen für eine Sache freiwillig und unentgeltlich engagieren. Wir finden diesen Aspekt ebenfalls sehr interessant, wollen aber mit der Untersuchung von Abbrüchen auch etwas ganz anderes verstehen. Uns interessiert, wie in dem Prozess der Beendigung eines Engagements eigentlich die persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Engagierten und ihren Engagementstellen aussehen, welche Sicht die Engagierten auf ihre Aufgabe (noch) haben und durch was eine Veränderung erzielt wurde? Oftmals fokussieren sozialwissenschaftliche Studien bloß eine Motivstruktur bei den Engagierten selbst, wenn sie erklären wollen, warum es ein freiwilliges Engagement gibt. Uns ist diese Sichtweise – verkürzt gesagt – zu einfach, weil sie lediglich Einzelne und deren jeweilige Ausstattung mit verschiedenen Kompetenzen und Handlungsressourcen betrachtet.

Neben dieser theoretischen Perspektive gibt es aber auch eine ganz praktische: Wem kommt unser neu gewonnenes Wissen zugute? Wir sind sehr darum bemüht, Wissen, welches im Austausch mit Akteuren der Praxis entsteht, auch direkt wieder in die Praxis zurück zu geben. Deswegen betreiben wir diesen Blog und deswegen wollen wir auch im Verlauf des Forschungsprojektes kleinere Workshops mit Akteuren aus der Praxis veranstalten. Insgesamt geht es uns weniger darum, den Einsatz von Engagierten im Wohlfahrtsbereich zu optimieren und die durchschnittliche Dauer eines Engagements zu verlängern. Vielmehr geht es uns um eine Diskussion gegenseitiger Betrachtungen, Wertschätzungen und Ansprüche.

Nachtrag 11.12.2014: Mittlerweile wurden mehrere Interviews geführt, bei denen sich kein einheitlicher Verlauf der Beendigung eines Engagements gezeigt hat. Statt des harten Begriffs „Abbruch“ wäre es entsprechend sinnvoller, in Zukunft von Engagementbeendigung zu sprechen, auch wenn dies vielleicht den Gegenstand der Engagement-Unterbrechung nicht wirklich zu fassen vermag. Aber an diesen Überlegungen zeigt sich die Sinnhaftigkeit der hier beworbenen und reflektierten Forschung: Es gibt diverse Formen der Unterbrechung und Beendigung von Engagement, wie sie aber miteinander in Verbindung stehen und durch was sie jeweils konkret gekennzeichnet sind, das ist noch wenig reflektiert.