Das Studium bietet den Studierenden eine Vielzahl an Erkenntnissen in Theorie und Praxis. Doch wo ist man der Praxis näher als dort, wo Schülerinnen und Schüler ausgebildet werden?
Mit diesem Gedanken machte sich am Montag, den 2. November, unsere Reisegruppe auf den Weg nach Berlin, um sich vor Ort an zwei besonderen Schulen mit reformpädagogischen Schulkonzepten umzusehen.
Die Evangelische Schule Berlin Zentrum war unser erstes Ziel: eine private Oberschule, die SuS von der siebten Klasse bis zum Abitur begleitet. Dort wurden uns von den SuS in selbstgeleiteten Workshops die konzeptionellen Aspekte und Instrumente der schulpraktischen Umsetzung reformpädagogisch-methodischer Ansätze, wie das Führen eines Logbuchs, die Lehr- Lernorganisation in Lernbüros oder das Unterrichtsfach „Herausforderung“, in dem ein drei wöchiger Ausflug in Kleingruppen geplant und durchgeführt werden muss, vorgestellt.
Besonders spannend war es, zu sehen, dass sich SuS der Klassenstufen sieben bis neun in jahrgangsgemischten Klassen und offenen Lernarrangements selbstständig ihren selbstgewählten Themen widmen und sich dabei auch gegenseitig Hilfestellungen geben. Der Lehrer betreut dabei in der Rolle eines Tutors eine Gruppe von maximal 13 SuS, gibt diesen jeweils wöchentlich ein Feedback und verhält sich, anders als im klassischen Schulunterricht, sonst weitgehend passiv. Die Schüler halten ihre Lernfortschritte in persönlichen Logbüchern fest, die an der ESBZ ein Kerninstrument zur Verwirklichung des auf Selbstständigkeit der SuS hin ausgerichteten Schulkonzeptes darstellen.
Ein weiteres Kernelement ist die Kultur des Lobens und der Wertschätzung, die jeden Freitag in einem von jeweils verschiedenen Klassen organisierten Ritual mit der gesamten Schülerschaft während der Vollversammlung praktiziert wird: Wer hat sich besonders hervor getan? Auch Lehrer können von den Schülern „gelobt“ werden.
Die ersten Eindrücke dieser Studienreise waren so intensiv, dass wir noch während des gemeinsamen Abendessens in einem gemütlichen Ostberliner Lokal lange darüber diskutierten. Langsam stieg dann auch die Spannung auf den Schulbesuch des nächsten Tages, da die kommende Bildungseinrichtung im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln sowohl andere Schulformen als auch ein anderes Schülerklientel bedienen würde.
Am Dienstagmorgen brachen wir mit dem Ziel Peter-Petersen-Grundschule nach Neukölln auf. Auch hier wird in jahrgansgemischten Stammgruppen (1.-3. und 4.-6. Klasse) unterrichtet. Nur die Fächer Englisch und Mathematik werden in schulstufenspezifischen Gruppen unterrichtet. Dabei fällt an der PPS vor allem die kulturelle Vielfalt auf: ein Migrantenanteil von 60% ist für eine Schule mit besonderer pädagogischer Prägung sehr hoch. Mit fast 300 Schülern ist die PPS für Berliner Verhältnisse recht klein, da sie über keinerlei Möglichkeiten verfügt, sich räumlich zu vergrößern. Es muss sogar während der Nachmittagsbetreuung auf angemietete Räumlichkeiten ausgewichen werden, in denen einzig genug Platz vorhanden ist, um den SuS warme Malzeiten anbieten zu können.
Dass die Kinder trotz ihrer bunten kulturellen Vielfalt und den schwierigen infrastrukturellen Gegebenheiten sehr gut zusammen arbeiten, leben und spielen konnten wir während einer längeren Hospitationsphase beobachten. Kernpunkte der PPS-Pädagogik sind – frei nach dem Jenaplan- Arbeit, Gespräch, Spiel und Feier.
Zahlreiche Erzieher, Sozialpädagogen und Psychologen, die das Lehrerteam verstärken, tragen wesentlich zum Gelingen des Schulalltags bei, moderieren Elterngespräche und nehmen dabei sogar aktiv als zweite Lehrperson am Unterricht teil.
Nach einer vierstündigen Freizeit, bei der die Exkursionsteilnehmer nach Lust und Laune Berlin entdecken konnten, begaben wir uns auf die lange Rückreise nach Siegen, während der wir unsere gemeinsamen Erlebnisse noch einmal reflektierten.