Der Papst sagt es jedes Jahr zur gleichen ZeitIn der Adventszeit herrscht nicht nur der ältere Brauch, am Sonntag eine Kerze anzuzünden, sondern auch die neuere Angewohnheit, sich samstags in die Einkaufszone zu begeben. Fast genauso beliebt ist die Sitte, bedenklich den Kopf über diesen Konsumrausch (und wie die Metaphern sonst lauten mögen) zu schütteln.
Der Papst höchstpersönlich lässt es sich nicht nehmen, in seinen Weihnachtsansprachen wieder und wieder die Konsum-Fixierung zu kritisieren. Letztes Jahr meldete die Deutsche Presseagentur zur päpstlichen Ansprache während der Christmette: »In seiner Predigt rief er zur Abkehr von Gewalt und Materialismus auf. ›Heute ist Weihnachten zu einem Fest der Geschäfte geworden, deren greller Glanz das Geheimnis der Demut Gottes verdeckt.‹« Kaum einer wird ihm da widersprechen wollen. Selbst die absurde Gleichsetzung von »Gewalt« und »Materialismus«, die von der routinierten Presseagenturkraft bedenkenlos vorgenommen wird, stört eigentlich niemanden.
Wieso auch? Schließlich folgt bei den wenigsten, die diese bedenklichen Worte hören und selbst manches gegen das glänzende Kauftalmi einzuwenden haben, die entsagungsvolle Besinnung auf die Werte der Askese. Nicht einmal katholische Marketingleute wollen den Schritt vom Wort zum Nichtstun wagen und vergreifen sich deshalb an der Botschaft selbst: »Den Advent in seiner ursprünglichen spirituellen Bedeutung zu erleben – das wünschen sich heute immer mehr Menschen«, annonciert vivat.de in diesen Tagen unter der Überschrift »Du bist das Licht der Welt« und hat dafür das richtige Angebot parat, den »Adventskalender Papst Benedikt XVI« für tatsächlich bescheidene 3,95 Euro: »Hinter den 24 Türchen dieses Adventskalenders verbergen sich besinnliche Impulse zum Advent von Papst Benedikt XVI. Er ermutigt uns, die Zeit des Wartens wieder neu zu erlernen. Dabei stimmt Benedikt XVI. nicht in die üblichen Klagen über den Weihnachtskonsum ein, sondern regt dazu an, echte Adventsfreude an jedem der 24 Tage zu entdecken.«
Glanz und Elend der Konsumkritik lassen sich kaum besser fassen. Zum einen ihr immenser Erfolg, ihre Durchsetzung zum Gemeinplatz (selbst katholischen Devotionalienverkäufern fällt das bereits auf). Die Konsumkritik ist nicht nur keiner politischen oder weltanschaulichen Richtung fest zuzuordnen, weil sie überall zu Hause ist – sie kann sogar im alltäglichen Gespräch ganz unpolitisch daherkommen, als selbstverständliche Meinung und unzweifelhaft richtige Haltung, die man nur erwähnt, wenn man auf ›grelle‹ Verhaltensweisen trifft. Diese kann man dann zumeist kritisieren, ohne fürchten zu müssen, auf Widerspruch zu stoßen (von vivat.de einmal abgesehen). Denn das gehört zum Erfolg dieser Form der Kulturkritik heute dazu und beschreibt ihn vielleicht am besten: Es liegen keine Standards, keine bekannten Argumente und Formulierungen der Konsumapologie bereit.
Ganz anders der Standard der Konsumkritik: Da gibt es nicht nur den selbstverständlichen Gegensatz von »Demut« und »Materialismus«, den Konservative beseelt auf den Lippen führen, bevor sie den Mercedes aus der Garage holen. Viel wichtiger in unserer unchristlichen Zeit: Jener Kontrast von Kreativität und Konsum, kommerziellen Produkten und wertvoller Kunst, wie er fast allen Mitbürgern mit Abitur zur zweiten Natur geworden ist. Diese Form der Kulturkritik bringt zwar auch schon lange keine originellen Abwandlungen mehr hervor, dies ist aber auch gar nicht nötig, wie die Häufigkeit ihrer Verwendung zeigt.
Auf der anderen Seite jedoch die ungeheure Erfolglosigkeit dieser weltlichen Form der Materialismuskritik: Die besonnenen Worte bleiben zumeist ohne jede Konsequenz. Weder besitzen sie Einfluss auf die Häufigkeit des Warenkonsums noch auf das Tempo des Verbrauchs. Konsumiert werden lediglich andere Dinge. Dafür braucht es offenkundig überhaupt keine Argumente, schon gar keine zur Widerlegung der Konsumkritik. Vivat.de hätte also besser geschwiegen.
Wir müssen allerdings noch diese Folgenlosigkeit der Konsumkritik begründen. Dazu bald mehr im zweiten Teil von »Zu Weihnachten Konsumkritik«. Bis zum Fest ist ja noch ein wenig Zeit.