Sophistication als ästhetische Strategie im Popdiskurs Rezension zu Nadja Geer, »Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose«von André Menke21.12.2012

Distinktion im Quadrat

Seit Längerem schon kann ein gewisses Unbehagen gegenüber bestimmten Schreib- und Denkformen des Popdiskurses festgestellt werden. Dieses Unbehagen resultiert aus der widerstreitenden Wahrnehmung, dass Pop einerseits der Gedanke eines Angriffs auf den traditionellen Bildungskanon zugrunde liegt und deshalb auf den ersten Blick einer dehierarchisierenden, emanzipatorischen Geste verpflichtet scheint, sich jedoch andererseits im gleichen Moment nicht weniger exklusive Grenzziehungen auch dort etablieren, wo die programmatische Aufhebung dieser Grenzen suggeriert wurde.Das geflügelte Wort von ›cross the border, close the gap‹, das seit nunmehr über vier Jahrzehnten durch Pop- und Postmodernediskussionen schwirrt, wird angesichts dieser gegenläufigen Tendenzen fraglich: Keineswegs kann davon die Rede sein, dass der intellektuelle Popdiskurs notwendigerweise eine solche Wirkung ausübt, so sehr auch das noch zur Mythen- und Rezeptionsgeschichte dieses Diskurses gehört.

Die im Sommer 2012 erschienene Dissertation von Nadja Geer räumt nun mit diesen Vorstellungen auf und gibt dem Unbehagen einen klingenden Namen: ›Sophistication‹. Geer, Journalistin, Literaturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin der Zeitschrift »Pop. Kultur und Kritik«, übernimmt den Begriff der ›sophistication‹ von dem amerikanischen Literaturwissenschaftler Joseph Litvak, der ihn 1997 zur Kennzeichnung einer Haltung des »unending, invidious, high-stakes game of middle-class self positioning and selfpromotion« einführte.[1]

Litvaks Ansatz überträgt Geer in seinen wesentlichen Zügen auf den deutschen Popdiskurs und fasst unter der Bezeichnung ›sophistication‹ die »Verfeinerung des Geschmacks und der Kritik […], die in den 1980er-Jahren in einer neuartigen Popmusikkultur sichtbar wurde« (S. 10) und in deren Folge sich ein »neuer Denkstil« (ebd.) herausbildete. Orientierungsgröße dieses Denkstils ist nicht länger ein ausschließlich bildungsbürgerlicher Kanon, sondern ebenso sehr die populäre Kultur. Signifikant sei dabei jedoch für den deutschsprachigen Raum, wie die Autorin einleitend zu bedenken gibt, dass sich – anders als in den USA und Großbritannien – der »Diskurs über Pop nie völlig [verselbstständigte], sondern […] an den hochkulturellen und kulturkritischen Diskurs gekoppelt [blieb]. Der Konnex kam nicht über die Inhalte zustande, die verhandelt wurden, sondern über die Form, in der über die Inhalte gesprochen und geschrieben wurde.« (S. 11)

Analog zu Bourdieus Überlegungen zur »Fähigkeit des richtigen Sehens« (ebd.) im Rahmen der bürgerlichen Kunstbetrachtung lasse sich feststellen, dass die Popintelligenz einen »alternativen Bildungskanon« (ebd.) etabliert, dem seinerseits bestimmte Zugangsvoraussetzungen wie »bildungsorientiertes Spezialwissen« (S. 14) zugrunde liegen. Die damit ins Bild gesetzte Exklusivität des Popdiskurses und die zur Erreichung und Aufrechterhaltung dieser Exklusivität eingesetzten Verfahren und Strategien sind es, denen das Hauptinteresse von Geers Arbeit gilt und die sie anhand werkbiografischer Studien zu Rainald Goetz, Max Goldt, Thomas Meinecke, Christian Kracht und Diedrich Diederichsen herausarbeitet.

Geers starke These ist, dass ›sophistication‹ eine »ästhetische Taktik [ist], die von ihrem Wesen her undemokratisch ist, da sie nicht kommunizieren, sondern sich primär darstellen will« (S. 16). Im Zentrum von Geers Studie stehen dementsprechend nicht die Artefakte der Popkultur, sondern die »Popkommunikation« (S. 25) selbst als eine »ästhetische Strategie im Kontext eines Diskurses« (S. 30), als dessen signifikantestes performatives Merkmal Geer den Stil der ›sophistication‹ bestimmt.

In methodischer Hinsicht gibt Geer an, in einer Kombination der litvakschen und bourdieuschen Ansätze ihrem Problem aus einem »soziologischen und aus einem psychosexuellen Blickwinkel« (S. 15) nachgehen zu wollen. Letzterer Perspektive liegt die Prämisse zugrunde, dass »die Darstellung des schönen Geistes als lustbesetzt angesehen wird« (ebd.), womit im Anschluss an Litvak der »Gedanke eines inneren Zusammenhangs zwischen Gender, Sexualität, Schreibstil und Geschmack« (ebd.) etabliert wird. Eine weitere Dimension von Geers Analyse bildet außerdem der Begriff des Performativen bzw. der Performanz, über den ›sophistication‹ als »inszeniertes Wissen« (S. 30) abermals an eine Machtebene anzudocken trachte: »Rhetorisch, autopoetisch und anti-teleologisch ausgerichtet, führt die ›Sophistication‹ den intellektuellen Selbstentwurf Pop auf« (ebd.), lautet die von Geer deutlich geäuβerte Einschätzung zu den Mitteln, mit denen die Vertreter der ›sophistication‹ »Diskursmacht« (ebd.) anstrebten.

Die Problemlage, die Geer auf diese Weise einleitend darstellt, wirkt nachvollziehbar und verständlich, und auch die theoretischen Elemente, die sie zur Bearbeitung dieser Problemlage versammelt, wirken stimmig. Dennoch kann bei Lektüre der ersten dreißig Seiten mitunter etwas Verwirrung aufkommen, gerät doch die Einführung unterschiedlicher Begriffe, Einflüsse und Blickwinkel, die den Komplex ›sophistication‹ erhellen sollen, etwas verstreut. ›Sophistication‹ erscheint bei Geer zwar als eine hochinteressante, aber auch recht disparate Ansammlung unterschiedlicher Momente.[2] Gerade die Übernahme des ›sophistication‹-Begriffs von Litvak hätte hier – wenn der Begriff denn als Fachterminus gebraucht wird – noch einmal eine eingehendere Diskussion und Kontextuierung verdient (wenngleich seine Leistungsfähigkeit bei der Anwendung auf den deutschen Popdiskurs außer Frage steht).

Angesichts des ansonsten sehr klaren Aufbaus der Arbeit – grundlegende Begriffe, Konzepte und Thesen werden in einem einleitenden Kapitel bzw. in überleitenden Exkursen und Präzisierungen funktionsgeschichtlich vorstellt, ehe die dort etablierten Konzepte schließlich in stärker textanalytisch orientierten Kapiteln auf die Untersuchung von literarischen Habitus übertragen werden – hätte man sich als Leser zum Ende des einleitenden Theoriekapitels noch einmal eine konzentrierte Aufstellung gewünscht, die genau benennt, was unter ›sophistication‹ verstanden wird und welche Einflussgrößen als relevant betrachtet werden.

1. Ältere Kultiviertheit und neuere Pop-Strategien

Deutlicher erscheint die historische Linie, die Geer zieht und die das Buch grob in zwei große Abschnitte unterteilt. Ehe Geer nämlich ausführlicher auf die konkreten Formen der ›sophistication‹ selbst zu sprechen kommt, stellt sie in einem Rückgriff das Konzept der »Kultiviertheit« als einen historischen Vorläufer der ›sophistication‹ vor. Das Konzept der Kultiviertheit erfasst Geer maßgeblich als eine Reaktion auf die Verunsicherungen der Moderne und der sich daraus ableitenden »Kulturkrise«, die die Ausbildung eines speziellen Typus des bürgerlichen Individuums, des ›kultivierten‹ (und zumeist konservativen) Menschen, begünstigte. Zum Selbstverständnis der ›Kultivierten‹ gehörte dabei das Sich-Absondern von der Masse ebenso wie der Gedanke einer Schönheit der geschlossenen Form, die den kultivierten Menschen wiederum von denjenigen abhebe, die zu dieser Form der Verfeinerung nicht fähig scheinen.

Für diese sich in verschiedener Weise Ausdruck verschaffende Haltung der Kultiviertheit werden von Geer exemplarisch die Autoren Rudolf Borchardt (1877-1945), Friedrich Reck-Malleczewen (1884-1945) und Friedrich Sieburg (1893-1964) herangezogen. Ähnlich wie diese – hier sieht Geer den übergreifenden Verbindungspunkt in den Haltungen – seien auch die neueren Popautoren in »Abwehrschlachten« gegen (historisch variabel bestimmbare) »Barbaren« (S. 46) begriffen, nur hätte sich im Falle der heutigen ›sophistication‹-Anhänger die Ausgangslage noch einmal verkompliziert: Ihre Abgrenzungsspiele richteten sich gemäβ der zu Anfang vorgestellten Positionierungsabwägungen sowohl gegen den »Kulturbegriff des Bürgertums« als auch gegen die »Vulgarität der Popkultur« (S. 17).

Ein solches »Vabanquespiel« (ebd.) erfordert entsprechend angepasste Mittel. Zu den häufig wiederkehrenden Techniken jener »Semiotik der Distinktion« (S. 16, 17, 132) als literarischer Seite der ›sophistication‹ lassen sich in diesem Sinne nicht nur eine »Referenzinflation« (S. 20) bei gezielter Nicht-Nennung der Quellen und eine sich darüber etablierende Insiderkommunikation zählen, wie Geer einleitend treffend an einer Musikkritik Diedrich Diederichsens demonstriert, sondern auch das rhetorische Mittel der ›desophistication‹, durch das das Wissen der gegnerischen Partei desavouiert werden soll.

Die im Einklang mit Litvak geäußerte Feststellung, dass es sich bei der ›sophistication‹ um eine »außengesteuerte[ ] Haltung« handelt, die sich »letztendlich nur im Verhältnis zu etwas definieren lässt« (S. 24), kann in diesem Sinne auch eine Erklärung für das kämpferische Vokabular geben, das im Kontext der vorgestellten Debatten immer wieder aufscheint, arbeitet Geer doch deutlich heraus, wie sehr der »junge Popdiskurs […] sich von Feinden umzingelt« und deshalb gezwungen sah, sich »beständig neu [zu] positionieren« (S. 138).

An prominenter Stelle stößt man in den Debatten im Umfeld der 1980er Jahre auf den Begriff der »Strategie«, der, als flexible »Kommunikationsstrategie« (S. 27) gewendet, wesentlich zur Verkomplizierung des in Frage stehenden Diskurses beitrug – eine Verkomplizierung, die sich mit jedem Anziehen der »Sophistikationsschraube« (ein Ausdruck von Rainald Goetz) fortsetzte. Die Identifikation der sich so herausbildenden »Gegengegenkultur«[3] und ihres Denkstils »jenseits von orthodoxer Protest- und Mainstreamkultur« (Dirk Frank) ist zwar mittlerweile kein Novum mehr, als neu darf allerdings die Deutlichkeit gelten, mit der Geer die so vorgestellten Haltungen der »Pop-Intellektuellen«[4] nun erstmals ausführlich unter einem gemeinsamen Begriff in den Blick nimmt und auf ihre jeweilige Funktion und Performanz in den literarischen Manifestationen hin befragt – als mehr oder minder direkte Transformation der »Kulturtechnik des Posing von der Tanzfläche in die Magazine und Bücher«:

»Sophistication‹ ist auch im Text relational, genau wie als ästhetische Taktik der Selbstinszenierung. Bildung, Haltung, Geschmack, Luxus, Idiosynkrasie, Unproduktivität, das Theatralische, das Abwerten der anderen bei gleichzeitigem Aufwerten der eigenen Position: All das können nicht nur Strategien der Selbstpositionierung im alltäglichen Pop sein, sondern auch literarische Strategien.« (S. 141)

2. Thomas Meinecke

Die Illustration dieser Thesen an einzelnen Beispielen gelingt Geer in den anschließenden Analysekapiteln auf beeindruckende Weise. Hier zeigt sich schließlich genauer, welche Elemente die ›sophistication‹ als »(literarisches) Programm« bzw. als »Text« (vgl. S. 131ff. bzw. 141ff.) konstituieren und wie die untersuchten Autoren ihre jeweilige Form von ›sophistication‹ ausbilden, weisen doch die fünf herangezogenen Autoren durchaus Unterschiede in ihren Verfeinerungs- und Abgrenzungstechniken auf.

So deutet Geer den bei Thomas Meinecke zentralen Begriff der Lektüre vorrangig als eine »Beobachtung der Beobachtung« (S. 163), in deren Verlängerung die für die »Pop-Persona« Meinecke zentrale Frage laute: »Wie darf ich sein, wenn die Anderen so sind?« (S. 164) Das schon erwähnte Mittel der ›desophistication‹ spiele bei Meinecke eine herausgehobene Rolle, indem er deutlich markiere, dass nicht mitreden kann, wer nicht über das entsprechende Wissen verfügt. Sehr konkret wird Geer schließlich, wenn es um einzelne rhetorische Strategien geht, mit denen der Autor seine eigene Position herstellt. Dazu zähle etwa die Übernahme von Begriffen aus anderen Theorien und ihre Anwendung auf Pop-Phänomene, um eigentliche Trivialitäten mit einer besonderen »Sexyness« auszustatten (vgl. S. 170), ebenso wie die »(sprachliche) Pose«, der Hang zum »Sloganismus« (ebd.) und »metonymisches Denken« als das »Verknüpfen von weit auseinanderliegenden Lebens- und Theoriebereichen« (S. 177).

Einen Unterschied sieht Geer allerdings zwischen Meineckes »strategischen und narzisstischen Kommentare[n] zu Pop« (S. 173) und seinen Romanen, die für sie stellenweise durchaus »gesellschaftskritisch« (ebd.) gelesen werden können, so etwa im Hinblick auf Meineckes Engführung des Subversionsgedankens der Pop-Theorie mit dem der Queer-Theory (als Unterwanderung einer »normativen Sexualität und stabiler Identitätskonzepte« hier wie als »Unterwanderung eines hegemonialen Kunst- und Kulturbegriffs« dort, vgl. S. 174). Gleichzeitig aber lasse Meinecke auch hier nicht von der Selbstpositionierung qua Wissensvorsprung, worin Geer noch einmal eine bedeutende Parallele zu früheren Formen der Distinktion und eine Bestätigung ihrer Grundthese sieht:

»Die ›sophistication‹ hebt die Bildungsschranke nicht auf, sie verschiebt sie nur […]. Die ›Kennerschaft‹, einstmals Zeichen eines bürgerlichen Wissensvorsprungs, ist auch für die ›sophistication‹ vonnöten. Da die ›sophistication‹ umfangreiches Spezialwissen voraussetzt, arbeitet sie genauso gegen eine offene Gesellschaft an wie die traditionellere Kultiviertheit. ›Sophistication‹ tritt mit einem avantgardistischen Gestus die Türen des Bildungsbürgertums ein, verteidigt dabei aber mit großer Raffinesse und sehr undemokratisch die eigene ›harte Tür‹.« (S. 174f.)

Die »harte Tür« des Pop, von der Meinecke an anderer Stelle spricht, bliebe also auch und gerade dort bestehen, wo die Agenda scheinbar eine andere ist. Diese Lesart muss gewiss nicht erzwungen werden, zugleich setzt sie sich aber deutlich ab gegen eine verbreitete Rezeptionsweise, die gerade das subversive, identitäts- und gesellschaftskritische Moment bei Meinecke betont. Für eine gewisse Irritation, so mag bereits an dieser Stelle angedeutet sein, sorgen allerdings Geers beharrliche Hinweise auf die »offene Gesellschaft« und den undemokratischen Charakter der ›sophistication‹ – so sehr man ihr intuitiv zustimmen will, vermisst man als Leser doch die Hinführung auf diese Kategorie und eine Präzisierung dessen, was denn im Gegensatz dazu ›demokratischere‹ Schreibformen wären, so denn dieser Kontrast stets bemüht wird.[5] Auf diesen Einwand wird später zurückzukommen sein.

3. Max Goldt

 Nicht weniger, wenngleich auf andere Weise distinguiert erscheint Geer die Prosa Max Goldts, dessen ›sophistication‹ aus einer »pseudo-naiven Weltwahrnehmung und einem unverwechselbar leichten und verhaltenen Sprachstil« (S. 179) resultiere. Auch seine Texte seien gekennzeichnet durch eine »raffinierte Intertextualität«, allerdings komme bei ihm eine »luxuriöse, überpointierte Selbstbezüglichkeit« (ebd.) ins Spiel. So gelinge es Goldt auf einmalig ›sophisticatete‹ Weise, »sich einerseits über popkulturelle Bildung zu mokieren und sich gleichzeitig selbst darin zu positionieren« (S. 182), unter anderem wiederum durch die demonstrierte Fähigkeit, »alles in einen popmusikalischen Kontext stellen zu können, so er denn will« (ebd.) – selbst wenn er inhaltlich im selben Atemzug dagegen wettert. Auch die Zusammenführung unterschiedlicher Wissensgebiete wird bei Goldt ausführlich praktiziert, und auch hier gelte: »Je abstruser dann die Montage […] in der Literatur ausfällt, umso dezidierter ›sophisticated‹ ist diese.« (S. 184)

Ähnlich wie bei Meinecke gesteht Geer auch hier zu, dass »Popliteraten, die ›sophisticated‹ sind, […] gesellschaftskritisch [agieren] und zwar auf mehreren Ebenen: Einerseits durch ihre Kon- und Paratexte, anderseits durch die Art, wie sie ihr heterogenes Wissen platzieren. Die Gesellschaftskritik ist es, die den Humus für die ›sophistication‹ und den Witz bildet. Über das Einbringen eines neuen, alternativen Wissens soll der hegemoniale Bildungsbürgerdiskurs subvertiert und kritisiert werden.« (S. 185f.) Was Goldt dabei allerdings als zusätzliche Ebene in seine Form der ›sophistication‹ einflicht und was ihn letztlich von Autoren wie Rainald Goetz oder Thomas Meinecke unterscheide, sei das Bewusstsein um und die gleichzeitige Kritik an der »undemokratischen Struktur des Popdiskurses« (S. 186). Dadurch aber, und auch durch den von Goldt vertretenen Blickwinkel der Homosexualität und einer ›queeren sophistication‹, vollziehe sich die Konstitution des Autorensubjekts Goldt im Text selbst: »Sexualität und Stil kommen in der Pose zusammen.« (S. 190)

4. Christian Kracht

Noch einmal verschieden davon stellt Geer die Text- und Inszenierungsstrategien von Christian Kracht dar, der sich in besonderer Weise fasziniert zeige von »Techniken des Sich-Entziehens« und »Semiotiken des Uneindeutigen« (S. 199), was in der Rezeption nicht selten für Verwirrung sorge und Gefühle des Vorbehalts erzeuge. Diese Vorbehalte seien jedoch gleichsam Effekt markant gesetzter Verschiebungen sowohl auf Ebene der Texte als auch der Selbstdarstellung des Autors, die Kracht zu seiner Variante der ›sophistication‹ ausbilde (und die Geer unter Berufung auf Moritz Baßler am Beispiel von Krachts Herausgebertätigkeit für das Magazin »Der Freund« illustriert): »Insofern Kracht […] den Vorbehalt nicht nur als Autor und Herausgeber kultiviert, sondern eigentlich immer und in jeder Form und darüber hinaus auch mehr oder minder leichte Vorbehalte bei anderen bewirkt, könnte man die Behauptung aufstellen, dass es sich bei diesem ›Herausgeber-Camp‹ um eine spezifische Darstellung von ›sophistication‹ handelt.« (S. 198f.)

Ähnlich wie Rainald Goetz arbeite zwar auch Kracht mit allerlei rhetorischen Mitteln, um verschiedene Wissensgebiete in einen Topf zu werfen – sinnfällig bei beiden schon durch ihre »aus der Hochkultur gefischte[n]« (S. 199) Überschriften von Reportagen oder Szenen, im Falle Krachts etwa: »Et in Arcadia Ego – Ein Besuch in Djibouti 2003« –, allerdings bleibe Kracht weit mehr im Uneindeutigen stehen als Goetz: »Subtile Kritik durch ein ganzes Labyrinth von Verweisen in der Überschrift und danach kein offen kritischer Satz mehr: Das ist die Form der spitzfindigen ›sophistication‹, die Kracht vorführt« (ebd.). Die »Sophistikationsschraube« kommt hier abermals zum Einsatz.

Kracht zeige sich insgesamt stark beeinflusst von der »provozierende[n] Haltung der Hip-Intellektuellen der 1980er Jahre« (S. 207) und der Technik des »Re-Modeling«, über die »Nicht-Identische[s] als Identisches« (ebd.) erscheine und die er auf die Inszenierung des Selbst übertrage (und damit nicht selten den angestrebten Täuschungseffekt bei der Kritik erzielt). In den späteren literarischen Texten Krachts drücke sich dieses Re-Modeling u.a. in hochästhetisierten Pastiches aus – am Beispiel von »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« etwa: »Übernahme einer Atmosphäre […], Übernahme eines Tons, Übernahme bestimmter Wörter, die einen literarischen Vintagelook erzeugen sollen: ›[D]as aufflatternde Rebhuhn hätte ich schießen sollen, allein, ich sah es zu spät‹« (S. 211) –, so dass Geer Kracht abschließend »eindeutig in der subversiven Tradition des Pop und des Camp« (S. 214) verortet

5. Poptheorie und Demokratie

Der Weg zur ästhetischen Haltung der jeweiligen Autoren ist zugegebenermaßen nicht immer leicht. Zeichnen sich bereits Meinecke, Goldt und Kracht durch eine je eigene Kompliziertheit aus, zeigt sich an den Kapiteln zu Rainald Goetz und Diedrich Diederichsen, die die Reihe der Textanalysen eröffnen bzw. beschließen, noch einmal besonders deutlich, welcher Dechiffrierungsaufwand mitunter vonnöten ist, den Argumentationsmustern der Genannten folgen zu können. Das mag hier tatsächlich bisweilen auch am Ton des Ausgangsmaterials liegen, den Geer im Falle Diederichsens als eine »Mischung aus flamboyanter Kompliziertheit, ›sophistication‹ und echtem Sophismus« (S. 217) bestimmt und in dessen Vollzug sich eine Form von sophistication etabliert, die »in ihrer Eminenz agonal« (S. 218) sei,[6] so dass die Kapitel in ihrem Verständlichkeitsgrad trotz aller Bemühungen der Autorin, Klarheit walten zu lassen, zuletzt etwas variieren. Auch aber mag die zunehmende Verkomplizierung der Tatsache geschuldet sein, dass Geers Diskussion gegen Ende hin stark auf das politische Moment der Poptheorie abzielt, das gerade bei Diederichsen eine wichtige Stellung einnimmt, deren Entfaltung für den Leser aber wiederum nicht immer leicht zu nachzuvollziehen ist.

Ganz diesem politischen Punkt verpflichtet liest sich auch Geers zehnseitiges Fazit, in dem sie zwar noch einmal ihre wichtigsten Punkte verdichtet in Erscheinung treten lässt, der Diskussion um die politischen Gehalte der ›sophistication‹ im Anschluss an das Diederichsen-Kapitel aber klar den Vorzug gibt. So bestimmt Geer abschließend das »Changieren zwischen Stil und Pose« als dasjenige Merkmal, das pars pro toto stehe für den »Zwiespalt, der die Popintellektuellen in Deutschland generell auszeichnet: Übersteigerter Individualismus – und damit ein [sic] traditionell eher dem Konservatismus zugerechnete Haltung – auf der einen Seite, linkes Denken auf der anderen« (S. 237). Die Folge sei, »dass bestimmte Denkstile […] an die Stelle politischen Handelns treten« (S. 241), was in einem »Selbstwiderspruch« resultiere, aus dessen Aporie sich »weder die konservativen Revolutionäre noch die Pop-Linken der 1990er-Jahre befreien konnten«, wie Geer zusammenfasst:

»Obgleich in ›hohem Maß der Angriff gegen jenen Hautgoût der alten Bildungskultur von egalitären, ja revolutionären Antrieben gespeist‹ ist, hat die ›sophistication‹ eine neue Form der popaffinen Intelligenz eingeführt, deren Botschaft nicht das Medium, sondern der Stil ist und die jetzt, wegen dieser Grundlosigkeit des eigenen Schreibens, die allergrößten Probleme hat, sich im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik zu verorten.« (S. 241f.)

Jene ›egalitären, ja revolutionären Antriebe‹, auf die Geer hier mit Thomas Hecken verweist,[7] bilden zwar einen der Grundbausteine in der Geschichte der Popkultur, gerade deshalb jedoch sollte ihnen argumentativ mehr Raum zugestanden werden und hätte man diesen Punkt auch vorher bereits stärker entwickeln müssen. Dies lässt zugleich auch den deutlichsten Kritikpunkt hervortreten, den man gegen Geers Arbeit richten kann: Dreh- und Angelpunkt ihrer Kritik ist, dass die ›sophistication‹ »keinerlei aufklärerischen Ansatz« vertrete und »vom Wesen her undemokratisch« (S. 28) sei, wie Geer über die Länge des Buches mehrfach betont und auch in ihrem Fazit konsequent herausstellt. Nicht zuletzt aus dem Vorangegangenen ist zwar sofort begreiflich, was damit gemeint ist und kritisiert wird – die Diskrepanz zwischen der von den Texten bzw. ihren Verfassern ausgestellten Agenda der Dehierarchisierung bzw. der nach wie vor als emanzipatorisch verstandenen Subversionspolitik auf der einen Seite und ihrer letztlichen Performanz in sowohl politischer wie semiotischer Hinsicht auf der anderen Seite –, allerdings wirkt der Vorwurf des »Undemokratischen« (vgl. z.B. auch S. 207) in diesem Zusammenhang in der Tat etwas in der Luft schwebend.

Dies liegt weniger an seinem Gehalt als an der Art und Weise, wie er in den Text integriert ist, wird doch der literarische Gegenbegriff (oder mögliche Gegenbegriffe) zur ›sophistication‹ nur implizit erörtert und treten darum die das Fazit dominierenden Groß-Begriffe in eine gewisse Unschärfe gegenüber den jeweils klaren Einzelargumenten. So erscheinen Geers Angriffe auf die ›sophistication‹ – wie bereits angedeutet – zwar nicht überraschend, aber doch mit einer nur sporadischen Etablierung der Position der Kritik, wie sich dementsprechend auch noch einmal in der stark die politischen Implikationen hervorhebenden Zusammenführung am Schluss zeigt:

»Sieht man sowohl die Kultiviertheit als auch die ›sophistication‹ – sofern sie sich im öffentlichen Raum manifestieren – als eine Form der Kulturpolitik an, dann muss man konstatieren, dass sie nicht als kulturelle Grundlagen von Integration taugen, sondern neue Bildungsmauern aufbauen, während sie die alten einreißen.« (S. 244)

Dass »Dehierarchisierung in der Kultur […] nicht zwangsläufig zu einer demokratischeren Kultur [führt]« (ebd.) und dass Pop und ›sophistication dementsprechend »nicht per se intellektuelle Mittel zur demokratischen Veränderung der Gesellschaft« (S. 245) sind, sieht Geer daher vollkommen korrekt, allein die Hinführung zu dieser Feststellung und zu dem in der Arbeit eingenommenen kritischen Standpunkt – den Geer in positiver Weise ganz zum Schluss zumindest indirekt dahingehend andeutet, dass man »[a]us einer traditionell aufklärerisch-humanistischen Perspektive betrachtet« sagen könne, »dass es sich bei der ontologisierten Pose um die optimale Scheinhaltung des Popdiskurses handelt« (S. 245) – hätte zu Anfang deutlicher und ausführlicher ausfallen können. Implizit sind natürlich all diese Punkte in Geers Argumentation aufgehoben – und schließlich auch mit entsprechenden Referenzen versehen[8] –, aus Sicht des Lesers aber hätte eine ausführlichere Diskussion angesichts der Zentralstellung dieser Hintergründe für die Argumentation einen Gewinn bedeutet.

Es sind dabei nicht einmal weitergehende Spekulationen gefordert, allein einige deutlicher aufklärende Abschnitte würden das Bild erhellen, wo eine »offene Gesellschaft« gleich an mehreren Stellen den zentralen Kontrast bildet (welche Literatur wäre es etwa, die als ›kulturelle Grundlage von Integration‹ eher taugt anstatt ihr entgegenzustehen? Was müsste dann noch verworfen werden?). Klar ist, dass Geer hier die Vertreter der ›sophistication‹ an ihrem eigenen Anspruch bemisst und an ihrem »implizite[n] Politikbegriff«, der »in seiner Exklusivität politikuntauglich« sei (vgl. S. 242) – die Frage ist aber auch, inwieweit dieser Punkt überhaupt für alle diskutierten Positionen gleich relevant ist.

Auch wirkt es angesichts der in Frage stehenden Textgesten zwar äußerst erfrischend und direkt, wenn Geer der »agitatorischen Dampfplauderei« des frühen Thomas Meinecke vorhält, dass sie »nur so lange funktioniert, bis jemand mal wirklich nachfragt, was der Unsinn denn eigentlich bedeuten soll« (S. 141), um damit einer manchmal vielleicht etwas vorschnellen Apologetik einen Riegel vorzuschieben und auf die Machart des Textes zu verweisen, allerdings verleiht die Bestimmtheit, mit der diese und ähnliche Äußerungen im Text auftauchen, der Studie streckenweise einen zu kategorischen Charakter. Hier hätte dem Eindruck nach eine etwas stärker relativierende oder induktive Herangehensweise dem Text ein ausgewogeneres Gesicht verliehen (deutlich wird allerdings, dass Geer keine Gesamtinterpretation der behandelten Texte leisten will – dafür wäre ihre Lesart in der Tat zu selektiv).

Auf der anderen Seite erstaunt es dann umso mehr, wenn bisweilen etwas unerwartet Umschwünge hin zur Wertschätzung gesellschaftskritischer Züge auftreten oder (im Diederichsen-Kapitel) davon die Rede ist, dass Diederichsens Denken in der Appropriation des Begriffs der Pose »wieder seine ganze Überzeugungskraft« (S. 230) entfalte. Und nicht zuletzt hat Geer vor kurzem auf dieser Website noch einmal deutlicher hervorgehoben, dass die ›sophistication‹ des deutschsprachigen Popdiskurses diesem ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verleihe und ihm darüber auch eine nicht zu leugnende Anziehungskraft eigne – warum diese also »desophistizieren« wollen, so Geers Frage dort.[9]

Dies mögen haarspalterische Details sein, die der intrikaten Janusköpfigkeit des Konzepts ›sophistication‹ bzw. den konstatierten Aporien im Zusammenhang mit seiner Anwendung ebenso geschuldet sein können wie auch schlicht und einfach Missverständnissen der Lektüre des Rezensenten, die aber eventuell in einer etwas deutlicheren Zusammenführung oder Unterscheidung der unterschiedlichen Momente und Potenziale von ›sophistication‹ hätten ausgeräumt werden können. Hier kommt noch einmal der bereits zu Anfang erwähnte Kritikpunkt zum Tragen: So überzeugend und nachvollziehbar Geers Lektüren sind, muss man die einzelnen Elemente, die ›sophistication‹ schließlich als Begriff qualifizieren sollen, doch genau herauslesen und zusammensetzen, um zu einem abschließenden Gesamtbild zu kommen. Hier hätte – siehe oben – eine nochmals präzisierende Aufstellung und abwägende Zusammenführung (anstelle der gegen Ende stark sich wiederholenden Position von der Wiedereinsetzung der Kulturhegemonie über den Pop-Geschmack), die auch die literarischen Positionen der anderen diskutierten Autoren miteinbezogen hätte, klärende Wirkung gehabt.[10]

6. Fazit

Insgesamt ist Nadja Geer mit »Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose« eine durchweg informative, gut lesbare Studie gelungen, die die mittlerweile etablierte akademische Begleitung des Popdiskurses um eine wichtige und kritische Perspektive erweitert und deren Stärke vor allem in einer überzeugenden Ausgangsthese und in konzentriert durchgeführten Einzelanalysen liegt, die von einem gemeinsamen Begriffsvorschlag zusammengehalten werden. Die Analysen können allesamt überzeugen, auch und gerade in der Deutlichkeit, mit der die Texte bisweilen ihres sprachlichen Ballasts entledigt werden und mit der eine Vielzahl von Details der Haltung, die ansonsten funktionslos bleiben würden, in die Interpretation miteinbezogen werden.

Gewünscht hätte man sich einzig und allein, manchmal etwas ausführlicher bei bestimmten Einzeltexten zu bleiben – so gerät der werkbiografische Durchgang mitunter recht zügig und weisen die Unterkapitel, die diesen Durchgang strukturieren, einen bereits deutlich auf das eingeführte Deutungsmuster hinlenkenden Zug auf. Ein etwas induktiveres Vorgehen und eine etwas kleinschrittigere Entwicklung der Schlussfolgerungen aus dem Material heraus hätte hier noch etwas mehr Lesegewinn bringen können. Gerade in dieser Bestimmtheit zeigt Geer sich jedoch als profunde Kennerin der Materie, die sich ihrem Material textsensitiv und auf anspruchsvolle Weise nähert.

Geers Nachzeichnung der Genese der ›sophistication‹ aus verschiedenen ästhetischen Haltungen des 20. Jahrhunderts – von der Kultiviertheit über den Dandyismus bis hin zu ›camp‹ und deutschem Pop – bietet noch einmal einen so gelungenen wie kurzweiligen Durchgang durch die Entstehungszusammenhänge des deutschsprachigen Popdiskurses, dessen mitunter eloquent verschraubte Wendungen Geer in nachvollziehbarer Weise darlegt. Materialnähe und Schlüssigkeit der sich daran anschließenden Einzelanalysen zu den Pop-Autoren lassen dabei leicht über die Tatsache hinwegsehen, dass in den Abschnitten zur Kultiviertheit und ihren Vertretern streckenweise ein stark narrativer Gestus eingenommen wird und die Haltungen der dort vorgestellten Autoren stark über Kommentare aus der Sekundärliteratur erschlossen werden. Die Idee, ›sophistication‹ in eine Traditionslinie zur Kultiviertheit zu stellen, erscheint dennoch bemerkenswert, weil gerade so unvermutete Berührungspunkte aufscheinen.

Diese Annäherung hätte abschließend auch noch einmal einen interessanten Vergleichspunkt aus aktueller Sicht bilden können, zumal im Abschnitt zu den ›kultivierten‹ Autoren beispielsweise mit Botho Strauß bereits ein prominenter zeitgenössischer Kommentator herangezogen wird, dessen Gestus schon einmal in die Nähe eines der diskutierten ›Popliteraten‹ gerückt wurde.[11] Wenngleich beide Parteien sich gegen eine solche Engführung wohl vehement verwahren würden (zumindest im Falle des Einen findet sich die Aversion gegen den Anderen bereits verbrieft),[12] könnten hier doch weitere interessante Lektüren warten.

Was den engeren Bereich der modernen Pop-Autoren angeht, wäre es darüber hinaus interessant, mögliche weitere Formen der ›sophistication‹ im Umkreis des Popdiskurses zumindest anzudeuten und zu fragen, ob es sich bei der ›sophistication notwendigerweise um eine ja/nein-Logik handelt. Zwar macht Geer klar, dass sie in der ›sophistication‹ per se ein undemokratisches Moment sieht, doch wie schon ihre vorgelegten Analysen zeigen, variieren die jeweiligen Ausgestaltungen bei ähnlichem Grundimpetus von Autor zu Autor, womit auch unterschiedliche Abstufungen denkbar werden. Interessant und lohnenswert wäre es darum zu fragen, wie weitere Ausgestaltungen dieser Haltungen im aktuellen Umfeld des Popdiskurses aussehen und welche Färbungen der ›sophistication‹-Begriff dabei annimmt. Möglicherweise finden sich in Nachfolge der (oder parallel zu den) diskutierten, wohl bereits ›kanonischen‹ Autoren des Popdiskurses Fortschreibungen, die sich – ähnlich wie das bereits auch für die ›Marke‹ Popliteratur als solche gelten mag – nicht mehr in der reinen Haltungs-Exerzise ergehen müssen, sondern die sophistication in ›milderen‹ Formen in ihren Text integrieren und/oder reflektieren.

Ebenso könnte man noch einmal nach der Rolle von Frauen und weiblichen Positionen im Pop fragen. So werden im Text zwar Erzählungen von Karen Duve und Silvia Szymanski als Kontrast zum ›männlichen Dagegensein‹ herangezogen und finden entsprechende kritische Einlassungen der Journalistin Heike Blümner zu den »Penisfechterei[en]« (Blümner) im Popdiskurs ebenso Erwähnung, allerdings finden sich kaum positiv formulierte Positionen. Diese Abwesenheit mag aber zugleich schon Kommentar genug sein zu der implizierten Diskursdominanz der Autoren, deren zusätzliche Idiosynkrasie in Verlängerung dieser Dominanz ihren Teil dazu beigetragen haben mag, »dass aus Pop in Deutschland bisher keine Kultur wurde und schon gar keine populäre« (S. 26), wie Geer schneidend in einem früheren Zusammenhang formuliert.

Zu guter Letzt sei die besondere Erklärungsleistung von Geers Band auch noch einmal aus der Perspektive des Auslandsgermanisten thematisiert, die der Autor dieser Zeilen zeitweilig einnimmt. Diese Leistung wäre dahingehend zu bestimmen, dass Geer die Hintergründe des deutschen Popdiskurses in einer Weise beleuchtet, die das durchaus Eigentümliche auch in denjenigen Rezeptionszusammenhängen begreiflich macht, denen der deutsche Popdiskurs beinahe notwendig fremd erscheinen muss. Zumindest im skandinavischen Kontext scheint es denn auch eher die Regel als die Ausnahme zu sein, bei der Erwähnung entsprechender Diskursbezeichnungen (oder auch -etikettierungen) immer sogleich erklären zu müssen, dass ›Popliteratur‹ in ihrem speziellen deutschen Zuschnitt nicht automatisch mit ›populärer Literatur‹ gleichzusetzen ist.[13] Ob die verbreiteteren Verständnisalternativen, nach denen Pop in erster Linie entweder mit (im quantitativen Sinne) ›populär‹ oder (qualitativ wertend) mit ›trivial‹ assoziiert wird, die besseren sind, sei dahingestellt, allerdings zeigt sich in diesem Kontrast noch einmal deutlich die Eigenheit des hier vorgestellten Diskurses.

Noch etwas ist an Geers Beschäftigung mit diesem Diskurs markant: Während vor einigen Jahren zeitweilig der Eindruck entstehen konnte, als habe der Popdiskurs seinen Zenit überschritten und ein gewisser Überdruss insbesondere an Bezeichnungen wie ›Popliteratur‹ spürbar war, kommt diese Vokabel bei Geer auf mittlerweile selbstverständliche Weise vor, tritt jedoch insgesamt zurück gegenüber einer stärker konzeptuell ausgerichteten Bezeichnung von Pop, deren Manifestationen sich folglich nicht notwendigerweise in einem bestimmten Genre erschöpfen, sondern als Teil eines umfassenderen (und anhaltenden) Diskurses betrachtet werden müssen. Können die Ursprünge dieses Diskurses zwar klar in den 1980er Jahren verortet werden, sind seine Weiterführungen trotz bisweilen anderslautender Kommentare und wiederholter ›Todesanzeigen‹[14] jedoch längst nicht darauf beschränkt – das zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass die jeweils aktuellsten literarischen Beispiele in Geers Text allesamt aus den letzten Jahren stammen.

Der andernorts hervorgehobenen Archivfunktion oder der Tendenz zur lebensnahen Repräsentation von Alltag und Popsozialisation als Charakteristika einer Popliteratur ließe sich so Geers These zur Seite stellen, dass »[e]in Merkmal reflektierter Popliteratur in Deutschland« dann ebenso die »literarische Repräsentation eines alternativ erworbenen symbolischen Kapitals inklusive der dazugehörigen ästhetisch-politischen Haltung« (S. 144) wäre – mit anderen Worten: ›sophistication‹ im Text. Diese Idee ist bei Geer nicht nur überzeugend dargelegt, sondern es gelingt ihr auch zu zeigen, dass anhand konkreter Analysen von Haltungen und Schreibweisen dem eine Zeit lang geschmähten Popdiskurs auch und gerade dann noch in einzelnen thematischen Studien nachgegangen werden kann, wenn sich die größte Aufregung um bestimmte Reizvokabeln gelegt hat – und dass eine informierte Lektüre Elemente des Pop-Denkens auch dort identifizieren kann, wo mancher den in Frage stehenden Autoren etwas vorschnell eine Abkehr von Pop-Denkweisen attestiert hatte.

Geers Band, der gleichzeitig den Auftakt der neuen Reihe »Westwärts. Studien zur Popkultur« bildet, gibt so (zusammen mit einigen anderen Publikationen der letzten Jahre) zuletzt auch noch einmal einen deutlichen Beleg für die Verankerung eines Forschungsfeldes und die Etablierung eines Zugriffs, der den Popdiskurs als Zweig der zeitgenössischen Kultur und als Analyseobjekt kritisch wahr- und ernstnimmt, ohne ihm unbedingt das Wort reden zu wollen.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. Joseph Litvak, Strange Gourmets: Sophistication, Theory, and the Novel, Durham/London 1997, S. 16.

[2] Deutlich wird dies insbesondere auch noch einmal dann, wenn ›sophistication‹ im weiteren Verlauf u.a. auch als verfeinerte Sensibilität im Sinne von camp bestimmt wird oder Theoreme Giorgio Agambens oder später Erving Goffmans in Zusammenhang mit dem ›sophistication‹-Begriff gebracht werden.

[3] Vgl. Dirk Frank, Die Nachfahren der »Gegengegenkultur«. Die Geburt der »Tristesse Royale« aus dem Geiste der achtziger Jahre, in: Heinz Ludwig Arnold & Jörgen Schäfer (Hrsg.), Pop-Literatur (= text+kritik Sonderband X), München 2003, S. 218-233.

[4] Eine eher skizzenhafte Miniatur dieses Begriffs entwarf auch schon einmal Carsten Rohde, Die Pop-Intellektuellen. Eine kleine Phänomenologie, in: Ästhetik & Kommunikation, 35. Jg. H. 126 (2004), S. 71-74.

[5] So führt Geer zwar in Anlehnung an ähnlich gestimmte Überlegungen zu avantgardistischen Kunstformen schon früh den Gedanken ein, dass »bestimmte ästhetische Taktiken per se undemokratisch sein können« (S. 16), allerdings bleibt es zunächst bei dieser punktuellen Nennung. Für Geers Referenz an dieser Stelle vgl. Anna Schober, Ironie, Montage, Verfremdung. Ästhetische Taktiken und die politische Gestalt der Demokratie, München 2009. Geer nimmt diesen Punkt erst am Ende ihrer Argumentation (dann allerdings in einer überzeugenden Analogiebildung) wieder auf, vgl. S. 243f.

[6] Die Wendung von der ›agonalen Eminenz‹ formuliert Geer in Anlehnung an Karl Heinz Bohrer, Kein Wille zur Macht, in: Ders. & Kurt Scheel (Hrsg.), Merkur, 61. Jg. H. 8/9 (2007), Kein Wille zur Macht – Dekadenz, S. 659-668.

[7] Vgl. Thomas Hecken (Hrsg.), Der Reiz des Trivialen. Künstler, Intellektuelle und die Popkultur, Opladen 1997.

[8] Im Hinblick auf das Argument des nicht automatischen Zusammenhangs von Dehierarchisierung bzw. Demokratisierung der Kultur und einer demokratischeren Kultur verweist Geer beispielsweise auf Winfried Fluck, Emergence or Collapse of Cultural Hierarchy? American Culture Seen From Abroad, in: Peter Freese (Hrsg.): Popular Culture in the United States, Essen 1994, S. 49-74.

[9] Nadja Geer, Pop-Denken: Gegenwartsfetischismus oder Rückkoppelungseffekt?, in: pop-zeitschrift.de, Oktober 2012.

[10] Verwiesen sei hier allerdings noch einmal auf die erhellende Parallele zwischen den Strategien der ›sophistication‹ und anderer avantgardistischer Ästhetiken, wie Geer sie unter Verweis auf die bereits genannte Untersuchung Schobers aufzeigt und die schließlich auch Geers Wortgebrauch einer ›Semiotik der Distinktion‹ qualifiziert: »Die Ursache für die innere Gespaltenheit des Pop-Subjekts liegt in der Semiotik der Distinktion, die sich die Zeichenwelt des Kunstsystems und damit deren Unvorhersehbarkeit aneignet. In ihrer Analyse der ästhetischen Taktiken der Avantgarde und Neo-Avantgarde beschreibt Anna Schober, wie neo-avantgardistische Gruppierungen ›in den von ihnen verbreiteten Erzählungen‹ die ›Möglichkeit des ästhetischen Eingriffs in eine Gewissheit‹ verwandeln und somit die ›Unkontrollierbarkeit der eigenen Verfahren und Handlungen‹ überspielen. Die ›sophistication‹ als ästhetische Taktik des Popdiskurs [sic] funktioniert ebenfalls so: In die Rolle von Neo-Avantgardisten schlüpfend, verwandeln die Popintellektuellen in den von ihnen verbreiteten Erzählungen die Möglichkeit des ästhetischen Eingriffs in eine Gewissheit, nicht ohne dabei die von ihnen entwickelte ästhetische Taktik der ›sophistication‹ für die eigene Gruppenkommunikation zu nutzen – ausschließlich für die interne Kommunikation. Damit polarisiert die ›sophistication‹ und widersetzt sich einer offenen politischen Diskussion.« (S. 243f.)

[11] Jörg Magenau, Vom Nachtwind zugewehte Türen. Der Schriftsteller als Mönch und Melancholiker: Zur neuen Ähnlichkeit der Schreibansätze von Botho Strauß und Rainald Goetz, in: taz, 23.11.2009.

[12] Vgl. http://www.umblaetterer.de/2011/08/29/30-jahre-feuilleton-rainald-goetz/#comment-5332 (17.12.2012)

[13] Zumindest für Schweden scheint es kein direktes Pendant zu geben. Für das Beispiel Norwegens vgl. auch Stefan Krankenhagen, Warum gibt es keine norwegische Popliteratur?, in: Ingrid Simmonnæs, Martina Schmode & John Ole Askedal (Hrsg.), 20 Jahre Deutsch-Norwegisches Studienzentrum in Kiel, Kiel 2007, S. 73-84.

[14] Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Feuilletondiskurs und Popliteratur vgl. Eckhard Schumacher, Das Ende der Popliteratur. Eine Fortsetzungsgeschichte (Teil 2), in: Olaf Grabienski, Till Huber & Jan-Noël Thon (Hrsg.), Poetik der Oberfläche. Die deutsch-sprachige Popliteratur der 1990er Jahre, Berlin u.a. 2011, S. 53-67.

 

Bibliografischer Nachweis:

Nadja Geer
Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose
Göttingen: V & R unipress 2012
[= Westwärts. Studien zur Popkultur, Bd. 1]
ISBN 978-3-89971-976-5
267 Seiten

 

André Menke ist Doktorand am Institut für Sprachen und Literaturen der Universität Göteborg