Hipster-Bestimmungen
Gibt es auch Hipster ohne Käppis? Findet man sie in Hollywood oder Williamsburg? Bestimmen die Hipster, was hip ist? Zählen sie zu den Nonkonformisten oder befinden sich in der Mehrzahl? Ist es gut, hip zu sein (oder besser, ein mitfühlendes Gespräch im Nationalpark nahe Tujunga zu führen)? Was hat die Popkultur damit zu tun? Sind Hipster immer ironisch? Oder schon tot? Ohne es vielleicht bemerkt zu haben?
Das waren die Fragen, die sich am Ende des ersten Teils unseres Hipness-Reviews stellten. Wenigstens die Eingangsfrage lässt sich leicht beantworten. Jeder flüchtige Blick in die Hipstergeschichte beweist es, ja, es gibt auch welche ohne Kappen. Umso erstaunlicher ist, dass die neueren Bücher und Blogs zum Hipster sich weitgehend auf den Typus mit Kappe konzentrieren.
Genauer gesagt: auf »the foam-front trucker hat«. Ihn stellt die »New York Times« der Weltöffentlichkeit 2003 als wichtiges optisches Merkmal des »hipsterdom 2003« heraus, anzutreffen in der »postcollegiate society in the Silver Lake district of Los Angeles, in Brooklyn and on the Lower East Side of Manhattan«. Ein Mitarbeiter des »Rolling Stone«, der von der »New York Times« befragt wird, führt weiter aus: »›If you have a bohemian neighborhood full of people drinking bad beer and wearing ugly T-shirts and trucker hats and dressing the exact same way as Justin Timberlake, it’s real and it’s ironic, and it’s cool and it’s uncool at the same time.‹« Die Berichterstatterin der »New York Times« hält das für verwirrend: »confusion between authenticity and pose – between earnestness and irony«. Der Autor des »Hipster Handbook«, Robert Lanham, ebenfalls von der »New York Times« befragt, ist allerdings gar nicht konfus. Er verfügt über eine eindeutige Meinung: Nicht nur er selbst, sondern auch viele andere Leute würden nun erkennen, dass »›hipsters are just upper-middle-class kids in trucker hats and mesh T-shirts.‹« (Grigoriadis 2003)
Alle drei sagen dasselbe: Das Hipstertum ist 2003 erkennbar am Tragen von Trucker-Käppis. Um Hipster handele es sich allerdings nur, wenn die Schirmmützen nicht auf den Köpfen von Truckern sitzen, sondern auf denen von jungen Mittelschichtlern, die in Weltmetropolen leben. Der Unterschied der drei Kommentatoren liegt in der Bewertung. Lanham meint, wenn man einmal erkannt habe, dass es nur »upper-middle-class kids« seien, mache das Hipstertum nicht mehr viel her, die Anerkennung der »people« verfliege. Für »Rolling Stone« und »New York Times« folgt hingegen aus der Tatsache, dass es College-Absolventen sind, die ein Accessoire tragen, das zuvor ungebildeten und mäßig verdienenden LKW-Fahrern und danach biederen Vorstadtvätern vorbehalten war, Hipness im respektablen Sinne. Sie versuchen sich einen Reim darauf zu machen, weshalb die jüngeren, gebildeten Großstädter aus den Künstlervierteln sich Güter fremder (Berufs-)Klassen annehmen, z.B. die Biersorte Pabst Blue Ribbon (PBR). Ihre Erklärung dafür lautet: hauptsächlich Ironie. Um Liebe, Proletkult, Romantik der Landstraße, homosexuellen Fernfahrer-Butch-Kult geht es ihrer Erkenntnis nach kaum, sondern um einen Aneignungsakt, der häufig nicht aus allzu ernsten Gründen und heftigem Begehren erfolgt.
Ganz unironischen Motiven entspringt die Hinwendung zu den Anti-Nerd-Haltungen allerdings, wenn es um die Abgrenzung von politisch alternativ gesinnten Studenten geht, das stellt der »New York Times«-Artikel am Beispiel des »Vice«-Magazins deutlich heraus. Aber obwohl »Vice« bereits zu diesem Zeitpunkt sehr viel dafür getan hat, die Trucker-Mode mit politischen Gründen aufzuladen – die Tabubrecher-Attitüde, gerichtet nicht gegen reaktionäre Ansprüche, sondern vor allem gegen feministische und antirassistische Sprachregelungen –, scheint das nach Auskunft der verfügbaren frühen Quellen nicht der Hauptzug der amerikanischen Neo-Hipster gewesen zu sein.
Offenkundig dominiert die Haltung der Coolness, nicht die des nach Aufmerksamkeit heischenden aggressiven Machismo. Den Hipster-Gegner Brian Bernbaum, der sich im Blog hipstersareannoying.com unter dem Pseudonym Aimee Plumley darüber beklagte, dass in Williamsburg kein normales Gespräch möglich sei, weil einem Leute dort lediglich »their resume of cool« im Zuge eines »one-upmanship of pop culture encyclopedias« böten, habe ich bereits im ersten Teil dieser Artikelserie zitiert (Chensfold 2005). Trucker sind aber weder cool noch Pop-Kenner.
Die »New York Times« vergisst denn auch nicht, trotz all der Hinweise auf PBR etc. einen Artikel aus Bernbaums Blog zu zitieren, der eine indirekte Beschreibung der Brooklyner Szene liefert: »I don’t hang giant pictures of paint-by-number art on the fresh Sheetrock walls of the Williamsburg loft (that I don’t have) that my parents (don’t) rent for me«, lobt sich Bernbaum selbst, »I don’t go to art school«. Das tun auch Trucker nicht, allerdings schreiben sie ebenfalls keine Blogs über Williamsburger Hipster, das Ganze bleibt eine Sache unter Journalisten, Studenten, (angehenden) Künstlern, Leuten in ›Kreativ‹-Berufen (und natürlich auch unter Kunsthochschülern).
Besonders stört sich Bernbaum an der ironischen Haltung der Hipster. Er sieht darin bloß einen unangenehm smarten, arroganten Gestus und zugleich einen konsumistischen Akt: »Hipster-ism (pardon the expression) as I think of it is based on consumption, based on becoming the ultimate savvy consumer, so savvy that you can buy things that everybody else thinks are stupid and old, but you, the maven hipster, see them a different way, in an IRONIC way« (Plumley 2002).
Die Hinwendung zur Trucker-Mütze kann für Bernbaum deshalb nichts anderes sein als ein weiterer Versuch, die eigene Überlegenheit dadurch zu demonstrieren, dass man sich weitgehend entwerteter Gegenstände annimmt – nicht aus Begeisterung oder dem Eingeständnis lang verdrängten Begehrens heraus, sondern als Beweis, selbst mit den in den Mittelschichten gemeinhin als hässlich oder billig abqualifizierten Objekten durchzukommen. Der Beweis dafür ist einfach erbracht: Wenn sich andere finden, die diese Aneignung des eigentlich Diskreditierten als gelungene Handlung anerkennen und den Geschmack der Aneigner als avanciert empfinden. Eine Grenze freilich scheint es zu geben: Die Anerkennung geht nicht so weit, dass man den Hipstern zuschreibt, sie hätten etwas erkannt, was man selbst vorher verkannt habe: Die Klasse des zuvor (fälschlich) Abgewerteten. Nein, man nimmt an, das könne nicht ganz ernst gemeint sein, es handele sich mindestens teilweise um eine ironische Geste. Die Anerkennung der Trucker-Käppis durch Nicht-Hipster ist folglich nicht so groß wie ihre Anerkennung der Überlegenheit der Hipster, die selbst solche Sachen tragen können, ohne sich zu blamieren, sondern dadurch im Gegenteil ihre Souveränität und Coolness zeigen.
Woher diese Anerkennung kommt, ist damit noch nicht geklärt. Bernbaum verweigert sie ja, Lanham meint, sie sei durch die Erkenntnis, dass Hipster bloß Mittelschichtskinder seien, hinfällig, und die New York Times stellt sie lediglich fest. Greifen wir deshalb nach weiteren Artikeln und Büchern, die sieben bis zehn Jahre nach den bislang zitierten Beiträgen erschienen sind. Sie versprechen selbst Überblick und theoretisch groß angelegte Reflexion, man darf sich einiges erhoffen.
Ein Büchlein des New Yorker literarisch-essayistischen Magazins »n+1« heißt gleich im Untertitel »A Sociological Investigation« und erscheint in der Reihe »Research Branch«. Zunächst muss man jedoch feststellen, dass die Autoren des Bandes »What Was The Hipster?« (Greif/Ross/Tortorici 2010) in ihren allesamt recht kurzen Aufsätzen zur Beschreibung des Hipsters nicht viel Neues beitragen (trucker hats, PBR, »Vice«, Unterhemden, Anti-PC, Polaroid- und Pastiche-Ästhetik, Johnny Cash/Rick Rubin, The Strokes, The White Stripes, »›ironic‹ t-shirts, printed with mottos from community pig roasts« etc.).
Auch ihre Kritik am Hipstertum konnte man bereits bei Bernbaum und in Zeitungsartikeln 2003 nachlesen. Die Hipster seien konsumistisch eingestellt, keine Künstler, keine Avantgarde, keine Bohemiens, keine Vertreter einer dissidenten Subkultur, sondern Poseure, anmaßende Weiße, abgesicherte Mittelschichtler, Sexisten, hohle, unkritische Ironiker, Vorreiter des dominanten Mainstream.
Zur Avantgarde zähle der Hipster nur in einer Hinsicht: Er sei den anderen voraus bei der Wahl der Konsumgegenstände. Sein Distinktionsmerkmal (auf das er großen Wert lege), bestehe darin, für den Konsumgüterbereich Trends zu setzen. 2009 sei Hipster die Bezeichnung für einen »hip consumer« (Greif 2010a: 12). In genau dieselbe Richtung weist auch Jake Kinzeys Hipster-Essaybändchen »The Sacred and the Profane« (2012). Die Hipster seien »ironic postmodern kitsch-zombies […] finding comfort in the apathy and over-consumption of late-capitalism.« An den Ausführungen von »n+1« stört ihn nur der Titel »What Was the Hipster?«. Für Kinney lebt der Hipster (leider) – als konsumistische Mittelfigur innerhalb eines »mainstream«, der mittlerweile »more ›de-centred‹« sei als in der Vergangenheit (2012: 1 u. 58).
In traditionellerem Vokabular gefasst bei »n+1«: Der Hipster schaffe keine wirkliche, wahrhaftige Kunst (»real art«), eigentlich bringt er überhaupt nichts hervor, sondern trifft unter bereits existierenden Gütern eine Auswahl, die sich in konsumistischem Sinne als »richtig« erweise (Greif 2010a: 12f.). Die Auswahl werde nicht nur von ihm selbst, sondern mit gewissem zeitlichen Abstand auch von anderen als »cool« (Greif 2010b: 152) anerkannt. In dem Moment, wo die anderen sich der gleichen Dinge bedienen und desselben Geschmacks befleißigen, muss der Hipster selbstverständlich bereits andere Vorlieben ausloben, sonst verlöre er ja den Vorsprung, der ihn erst zum hippen Konsumenten macht.
Leicht möglich ist ihm dieser Wechsel, weil er nicht konservativ an den Dingen hängt. Sein Möglichkeitenraum vergrößert sich noch einmal beträchtlich dadurch, dass er auch nicht unbedingt an den Fortschritt glaubt. Der gegenwärtige Hipster sei postmodern, gerne widme er sich einer »reconstruction of past aesthetics and techniques more perfect than the originals« (Greif 2010a: 11). Die Historie steht dem Hipster offen zur Auswahl, keine Bedenken, zeitgemäß könne nur sein, was unbedingt modern und neu ist, hindern ihn daran.
Nicht behindert wird er ebenfalls von sozialen Grenzen. Ihren Reiz gewinnen die Trucker-Schirmmützen im besonderen Fall, wenn (und weil) sie weder von Fernfahrern noch von Vorstadt-Spießern getragen werden, sondern von großstädtischen (Ex-)Studenten, Medienleuten etc. Gerade der Mut, diese soziale Geschmacksgrenze zu übertreten, zeichnet den Hipster aus.
Wichtig ist dabei, dass der Aneignungsakt mehr als einen reinen Klamauk, einen kurzfristigen karnevalistischen Akt darstellt. Er muss das Leben und das Styling des Hipsters alltäglicher prägen. Andererseits läuft der Aneignungsakt nicht auf die Übernahme eines ›whole way of life‹ hinaus. Mit dem Käppi wird nicht der damit zuvor in Zusammenhang stehende Arbeitsplatz, der Wohnort und auch nicht zwangsläufig die politische Ausrichtung der früheren Träger übernommen.
Für die »n+1«-Kritiker der Käppi-Hipster geht die Käppi-Reprise allerdings über ein spielerisch-ironisches Zitat entschieden hinaus. Sie sehen darin ein wie bewusst auch immer geartetes separatistisches Bekenntnis zur »white ethnicity« (Greif 2010b: 152). Ein wenig verwunderlich ist die Kritik jedoch, weil sie die anderen Kritikpunkte – wechselfreudiger Konsumismus, ironisches Pastiche – momentan wieder ausblendet. Verwunderlich ist sie auch, weil Greif selbst meint, diese Hipster-Ausprägung sei bereits um 2003 allmählich wieder verschwunden (ebd.: 159). So ernst oder bedeutsam kann sie dann nun wirklich nicht (gemeint) gewesen sein.
An ihre Stelle sei die Hipster-Vorliebe für enge Jeans, für Bands wie Grizzly Bear und Animal Collective (ebd.: 163f.), für »repetition and childhood, primitivism and plush animal masks« getreten (Greif 2010c: xvii). Irgendein stofflicher Zusammenhang mit den »Vice«-Hipstern ist nicht ersichtlich. Dennoch kann Greif seine beiden Hauptkritikpunkte auch den neuen Hipstern (bzw. ihren Erkennungszeichen und ihren Verfahrensweisen) gegenüber aufrechterhalten (am Chauvinismus und Anti-PC-Standpunkt hängt sie also nicht).
Erstens brandmarkt er ihre Abgrenzungslogik und ihre Mitleidlosigkeit: »The hipster represents what can happen to middle class whites, particularly, and to all elites generally, when they focus on the struggles for their own pleasures and luxuries – seeing these as daring and confrontational – rather than asking what makes their sort of people entitled to them, who else suffers for their pleasures, and where their ›rebellion‹ adjoins social struggles that should obligate anybody who hates authority.« (Ebd.: xvif.)
Zweitens verurteilt er ihren Differenz-Konsumismus und ihre Kunstferne: Der Hipster als »middle-class young« gehöre der neoliberalen Kultur an, »abandoning the claims of counterculture – whether punk, anti-capitalist, anarchist, nerdy, or ’60s – while retaining the coolness of subculture. It risks turning future avant-gardes into communities of early adopters.« (Ebd.: xvii)
Kurz gesagt: Der Hipster ist kein Sozialrevolutionär (nicht einmal ein Sozialdemokrat), weder in politischer noch bohemistisch-künstlerischer Hinsicht. Das findet die »n+1«-Redaktion schlecht, deshalb steht sie der Aussage, »n+1« selbst sei ein »hipster journal«, fassungslos gegenüber (ebd.: xvi). Sie kann diese Haltung guten Gewissens einnehmen; wahrscheinlich trägt sie keine Kappen oder enge Jeans oder huldigt dem »animal primitivism«. Wenn man von solchen vorübergehenden Ausprägungen des Hipster-Geschmacks aber absieht und sich auf den Hipster-Modus der »early adopters« konzentriert, wie das »n+1« selbst vorschlägt, sieht die Sache schon wieder anders aus. Dann müsste man darüber nachdenken, inwieweit man selber sich dieses Gestus – hip zu sein, sich offensiv durch Ausweis eines avancierten Geschmacks von fast allen anderen abzugrenzen – bedient. Dies unterlässt das »n+1«-Büchlein.
Interessanterweise hat der Verzicht, die abstrakte Betrachtung durchzuhalten, sie oft zugunsten der Beschreibung zeitspezifischer Hip-Ausprägungen in den Hintergrund zu schieben, aber aufs Ganze gesehen Erfolg gehabt. Nicht in dem Sinne, dass ein größeres Publikum jetzt zu sozial engagierten Gegenkulturen überliefe – sondern in dem Sinne, dass Besonderheiten dieser Hipster der Nullerjahre nun in größerem Ausmaß an Hipness-Vorstellungen kleben – und das offenkundig nicht zu ihrem Vorteil. In den USA ist heutzutage häufig von »hipster racism« und »hipster sexism« zu lesen. In Deutschland bleibt diese Dimension ausgespart, hier konzentriert sich die Abneigung auf modische Attribute und Coolness-Prätentionen.
Im Zuge der überaus zahlreichen Rezensionen zur deutschen Teilübersetzung des »n+1«-Sammelbandes konnte man etwa in »taz« und »Jungle World« erfahren, dass der Hipster in Berlin zur Landplage geworden sei oder dort (wie der »Tourist«) als solche gelte. Ähnliche Einstufungen werden auch außerhalb der Hauptstadt vorgenommen. Ich habe Jessica Haag, eine Siegener Studentin, die ihre Bachelor-Arbeit über den Hipster geschrieben hat, gebeten, die Sicht ihres studentischen Umfeldes zu schildern. Sie schreibt mir per e-mail: »Niemand würde behaupten, selbst ein Hipster zu sein, das wäre nämlich ziemlich ›uncool‹. Die meisten, denen ich erklärt habe, dass ich das Phänomen Hipster in meiner Bachelorarbeit untersuche, belächelten mein Vorhaben, denn die Thematik scheint für viele zu banal und deshalb nicht diskussions- und untersuchungswürdig. Man macht sich über Hipster lustig, weil sie präsent sind, irgendwie anders aussehen und doch keine Ideologie hinter all den Handlungen vermutet wird: Hauptsache, das Outfit stimmt, welches auf einer Party in einem dunklen Bunker bei elektronischer Musik präsentiert wird. Das ist auch die Meinung vieler Gleichaltriger über den Hipster. Festzuhalten ist, dass fast jeder in meinem Alter den Begriff ›Hipster‹ kennt. Entweder können sie nur modische Accessoires mit ihm assoziieren oder halten ihn für eine lächerliche und peinliche Figur.«
Die Festlegung auf bestimmte Kleidungsstücke und Accessoires ist der Ankerpunkt für all diejenigen, die dem Hipster kritisch gegenüberstehen. Reduziert auf ein Erscheinungsbild, bleibt der Figur nicht mehr allzu große Dignität. Vorgemacht hat das bereits Robert Lanham im »Hipster Handbook« (2003), seine Beschreibung unterscheidet sich bemerkenswerterweise kaum von der heutigen deutschen Typologie. Noch einmal Jessica Haag:
»Hipster tragen einen Schnur- oder einen Vollbart. Oft schmückt eine übergroße ›Nerd-Brille‹ das Gesicht, wobei dieses Accessoire von den ›vordersten‹ Hipstern nicht mehr genutzt wird. Neben der schon immer getragenen Truckerkappe werden auch Mützen (eine Art Fischermütze) getragen; eine beliebte Marke ist Carhartt. Diese werden unabhängig vom Geschlecht als modisches Element beansprucht. Hemden in jeglicher Form und Tragweise, ob offen getragen oder zu, ob kariert, in Jeansstoff oder schlicht, sind Bestandteile der Hipsterkleidung. Ein neuer Hipster-Trend: Die Oberteile, ob Hemden der Männer oder Oversized-Blusen der Frauen, werden bis obenhin zugeknöpft. Die enge Jeans als Hipster-Accessoire bleibt nach wie vor bestehen. Oft werden sie ein bis zweimal umgeschlagen, damit die bunten oder Tennissocken gesehen werden können. Auffällig bei der Schuhwahl ist, dass die einst trendigen Chucks schon länger nicht mehr an den Mittzwanzigern zu finden sind, sondern oft durch Vans ersetzt werden. Natürlich werden neben diesen Elementen auch andere Dinge getragen, zum Beispiel Desert Boots oder ein T-Shirt mit einem Werwolf als Aufdruck. Der Jutebeutel und das Fixie-Fahrrad sind weitere Erkennungsmerkmale. Hipster vervollständigen ihren Retro-Vintage-Style mit Secondhand- und Strickkleidung. Oft erinnern sie an coole Nerds (ziemlich paradox, aber wahr). Nicht nur Muster und Schnitte von früher werden wieder zu einem Trend, auch Polaroidfotos, Flohmärkte und Plattenspieler sind interessant für die Hipster. Der Retrotrend wird jedoch durch moderne Elemente gebrochen: Wenn Hipster durch die angesagten Viertel schlendern, haben sie meist ein iPhone in der einen Hand, einen Mac unter dem Arm und den Kaffee Latte mit Sojamilch oder eine Club Mate (auf keinen Fall aber das Mainstream-Getränk Cola) in der anderen Hand. Denn was sie nicht wollen, ist kommerziell zu wirken, wobei ihnen das (fast) nicht gelingt, denn die Hipster-Accessoires werden überall vertrieben.«
Mit dieser Typologie wäre der Hipster tatsächlich am Ende. Auch kritisieren müsste man ihn nicht mehr, er erledigte sich selbst als wandelndes Klischee. Selbst im deutschen Sprachgebrauch zeigen sich aber deutliche Spuren, dass die Sache doch noch nicht abgeschlossen ist. Ein letztes Mal Jessica Haag: »Es ist schwierig, zwischen Leuten zu unterscheiden, die Hipstern nacheifern oder wirkliche Hipster sind. Ob es da überhaupt eine Unterscheidung gibt, ist fraglich. Entweder machen sich Hipster über sich selbst lustig oder sie werden als Maßstab für etwas Trendiges angesehen und deshalb imitiert, wobei vor anderen eine negative Einstellung zum Hipster vorgegeben wird. Der Hipster ist in jedem Fall ein Trendsetter, weil sein Stil überall vorzufinden ist, denn jeder Club, jedes Modelabel und viele Individuen versuchen, die Coolsten zu sein, und dabei sehe ich den Hipster als Vorreiter, der im Moment vorgibt, was neu und modern ist. – Ich habe bewusst die Worte ›cool‹ oder ›trendig‹ benutzt, da der Begriff ›hip‹ in meinem Bekanntenkreis nicht mit dem Phänomen Hipster assoziiert oder verwendet wird. Eher wird gesagt ›total hipster-mäßig‹, als dass man ›total hip‹ sagen würde.«
Mit diesen Aussagen versteht man zwar nicht, weshalb den Belächelten zugestanden wird, cool zu sein, man erkennt aber leicht, dass die ostentative Abwertung von einem gewissen Unterlegenheitsgefühl getragen sein muss. Der Spalt zwischen dem Hipster mit seinem nach Maßgabe vieler Sprachteilnehmer fest umrissenen Bild und dem Attribut ›hip‹ macht es möglich, in den zuvor spöttisch Porträtierten mitunter immerhin die Trendigen und Vorreiter zu sehen. Vielleicht kommt es bald auch wieder dahin, dass Hipster hip sind. Um eine begründete Prognose zu wagen, hilft hoffentlich ein Blick in die Hipness-Geschichte. Mit einigen weiteren Büchern und Aufsätzen im Gepäck wende ich mich dieser Geschichte in einigen Wochen im dritten Teil der Sammelrezension zu.
Literatur
Christian F. Chensfold, If It’s Hip and Trendy, They’re Not Interested, in: Los Angeles Times, 20.7.2005 [http://articles.latimes.com/2005/jul/20/entertainment/et-antihip20 und http://articles.latimes.com/2005/jul/20/entertainment/et-antihip20/2].
Mark Greif, Positions, in: ders./Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010a, S. 4-13.
Mark Greif, Epitaph for the White Hipster, in: ders./Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010b, S. 136-167.
Mark Greif, Preface, in: ders./Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010c, S. vii-xvii.
Mark Greif/Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010.
Vanessa Grigoriadis, The Edge of Hip: Vice, the Brand, in: »New York Times«, 28.9.2003 [https://www.nytimes.com/2003/09/28/style/the-edge-of-hip-vice-the-brand.html?pagewanted=all&src=pm].
Jake Kinney, The Sacred and the Profane. An Investigation of Hipsters, Alresford 2012.
Robert Lanham, The Hipster Handbook, New York 2003.
Aimee Plumley [= Brian Bernbaum], E-Mail an Matt Norwood v. 15.10.2002 [http://xenia.media.mit.edu/~rowan/memepark/2004/05/hipster-hating-and-its-discontents.html].