Rezensionsessay zu Artikeln und Büchern zum Thema ›Hipness‹ und ›Hipster‹Teil 5 und Schluss: Angesagtvon Thomas Hecken12.12.2013

Hipness: könne man nicht lernen, könne man nur anerkennen

In den ersten vier Teilen dieser Serie ging es häufig um spezielle Haltungen und Stilprägungen, die als ›hip‹ bezeichnet wurden – von den Hipstern selbst oder von anderen. In Teil 1 (»Vermischte Nachrichten und Todesanzeigen«) und 2 (»Zur Kritik der Kappenträger«) stand die Ausprägung der 1990er Jahre im Mittelpunkt: Unterhemden, Polaroid- und Pastiche-Ästhetik, Johnny Cash/Rick Rubin, ironisch getragene T-Shirts mit proletarischen Insignien. In Teil 3 (»Hep, Jive, Bebop«) der Jazz-Hipster der 1940er Jahre, in Teil 4 (»Reden, Reden«) deren Aneignung durch Beat-Schriftsteller.

Der historische Durchlauf zeigt, dass bis heute recht unterschiedliche Phänomene mit demselben Attribut ›hip‹ bedacht worden sind. Ihre erste historische Ausformung im Jazz-Bereich hat die Hipness demnach bestens überlebt. Mit der schwindenden Bedeutung von Jump und Bebop ging auf mittlere und lange Sicht keineswegs eine mangelnde Attraktivität der ›Hip‹-Rede einher. Ihre Bestandteile, ihren Umriss gilt es darum nun nachzuzeichnen.

Bevor dies geschieht, soll jedoch noch eine weitere wichtige geschichtliche Station angelaufen werden: die 1960er Jahre mit ihrem Übergang vom Hipster zum Hippie. Von den Beatniks sind die Hippies der Mitt-60er-Jahre nicht nur zu unterscheiden, weil sie die altersmäßig nächste, jüngere Generation der Verfechter einer Lebensweise der Boheme darstellen. Sie sind von ihnen substanziell zu unterscheiden, obwohl sich bereits bei einem Teil der Beatniks der 50er Jahre einige Züge finden, die ebenfalls (teilweise auch von denselben Autoren wie etwa Allen Ginsberg oder Gary Snyder vermittelt) den Hippies äußerst wichtig sind – freie Bewegung, Improvisation, Spontaneität, Betonung der (ekstatischen) Gegenwart, pseudobuddhistische Weisheit, drogeninduzierte Reisen ins Innere, Abkehr vom Materialismus und einer Welt künstlicher Konsumprodukte wie -bedürfnisse.

Den bedeutenden Unterschied macht (wenn auch vielleicht nicht für die ersten Protagonisten, LSD-Experimentatoren und Künstler der Bewegung wie etwa Ken Kesey oder Jerry Garcia, so doch für die schnell anwachsende Menge der Hippies) die veränderte Attitüde der Hipness aus. Schon die frühen Bürgerrechtler hatten sich an dem »cynical detachment« der Beatniks gestört, bei den Hippies macht sich die Wendung gegen den intellektualistischen oder sonstwie aggressiv auf Abgrenzung bedachten coolen Habitus zwar nicht in hergebrachtem politischen Engagement bemerkbar, jedoch in vielerlei auffälligen Präsentations- und Verhaltensweisen vom Kleidungsstil bis zur Form des Zusammenlebens. (Selbst-)Beschreibungen der Hippies ziehen deshalb nicht nur in altbekannter Weise als Vergleichsmaßstab die ›squares‹, die Spießer, heran, sondern zeigen bei einem Teil der wichtigsten Punkte auch die Differenz zu den Beatniks an. Tuli Kupferberg etwa zählt zur Charakterisierung der neuen Generation folgende Merkmale und Veränderungen auf:

»1) The change from hip to hippy was a change from hard to soft:

2) Tough leather towards nudity. Clothes reveal the body as a supple free instrument of beauty & joy.

3) Machine shoes to boots & sandals & to bare feet. Boots are elegant & they ARE masculine – & they can be ›tough‹. The damned up sadism exposes itself. When it works itself thru we see it again as rough love. After violence man becomes soft. The trick is to prevent the accumulation of uncontrollable deadly hate (murderous hate). The more man fucks, the less he beats, all other things being equal. Fuck however alas does not equal fuck. Some fuck with hate & not in love. Some achieve arousal & no satisfaction, no climax. Some fuck because it is expected of them. Some see is as proof of their worth &c. &c. […]

4) The music is free, dancy, inventive, moving, total, overwhelming. The hippy is not afraid to be overwhelmed. He has more mystic (total) experiences in a week, than the old man has in a lifetime.

The music, art is not separate from life. He plays and/or listens to music everywhere. He will dance anywhere. He is not ashamed of his joy. His dance is a prelude to sex, or a celebration of his existence: not a substitute for sex, or a tease, or a ritualistic (unsatisfactory) discharge of sexual energy. […]

The world is an artform. He will decorate his body as a work of art. He will bead it, paint it, clothe it in rainbows & the idiosyncratic style or mixture of styles of all times all place; there is no CORRECT way to dress, there is no correct way to fuck. Let a thousands bodies bloom! […]

6) There is a disgust with the cruel abstract, the fake, the phony, the rhetoric, the gas & lies of politicians, the neuroses of bureaucracy, the insanity of war & internal institutionalized brutality (ie the police & ›justice‹ systems).

There is a mistrust of the written word – used to mystify & to oppress with meaningless dogma. […] There is an unwillingness to ›play the game‹ when the game means disease, poverty, discrimination, boredom, murder (called ›war‹ or ›self defense‹), enslavement to property (things) or many ›ideals‹ (ofttimes meaningless abstractions like ›nation‹, ›country‹, ›flag‹, ›state‹, ›honor‹ […]).

7) There is a movement of disgust with the entire old dying society & an attempt to retreat, to drop out. There is an incredible seeking out, testing & creation of new forms of living together & and of raising children: meditation, communal living, tribalization (a restructuring of the old paranoid family whose main slogan was actually: ›us against the world‹). There are new economic forms being contemplated: a new ›primitive‹ communism. There is a movement away from the choked dying cities to the living countryside. There is a rebirth of communal work, even in the egotistic arts. […] In a world controlled by man for his own joy the difference between art & objects disappears … life becomes the work.« (Kupferberg [1967] 1968: 205ff.)

In mancher Hinsicht ist der Hinweis Kupferbergs auf den Unterschied zwischen Beatniks und Hippies überflüssig. Bereits durch die Tatsache, dass die Hippies schnell eine immens viel größere Zahl an Anhängern bilden, ist der Unterschied gegeben. Weil diese Hippies überwiegend sehr jung sind, besteht bei ihnen kein großes Bewusstsein für kulturhistorische Vorläufer. Eine Jugendbewegung ist kein Feuilletonartikel.

Dennoch ist Kupferbergs Artikel sehr wertvoll, sogar über die gute Liste der Charakteristika hinaus. Er zeigt, wie sehr Absicht und Wirklichkeit im selben Moment einander zuwiderlaufen. Das Hippie-Verlangen, nicht zu diskriminieren, offen zu sein etc., bringt durch die spezifische Art des Aussprechens und des bevorzugten Stils (sandals, rainbow, countryside usf.), nichts anderes hervor als eine neue Abgrenzung, wenn auch, paradox genug, im Namen des Weichen, Fluiden, Nicht-Ausgrenzenden.

Mit der Coolness und untergründigen Aggressivität des Bebop-Hipsters hat diese Hip-Form aber tatsächlich wenig mehr zu tun. Deshalb denkt man, zumindest in Europa, auch gar nicht mehr an den Hipster, wenn man vom Hippie spricht. Und der Stil des Williamsburger Hip-Verfechters hat wiederum wenig oder gar nichts mit diesen beiden zu tun. Die Gemeinsamkeiten, wenn es sie denn gibt, müssen darum auf einer anderen Ebene als der bestimmter Kleidungsstücke, Gesten, Phrasen, Stilhaltungen zu finden sein.

In den vorherigen Artikeln dieser Serie klang bereits bei vielen zitierten Autoren häufig an, was eine Gemeinsamkeit sein könnte: Sind die einzelnen Hip-Phänomene zwar je historisch verschieden, eint sie jedoch, dass sie ›hip‹ sind im Sinne von: avanciert, anerkannt, überlegen. Der Hipster besitzt – in der positiven Version der Darstellung – eine eigene Sprache, ein Geheimwissen, das man als Außenstehender schätzt, ohne über es selbst verfügen zu können; und hat man sich dem Wissen des Hipsters auf dem Wege der Nachahmung seiner sicht- und hörbaren Vorlieben angenähert, ist er bereits wieder woanders. Das erklärt denn auch die verschiedenen Ausprägungen der Dinge und Haltungen, die im Laufe der Jahrzehnte als ›hip‹ klassifiziert wurden. Oder – negative Version desselben Ansatzes –: Der Hipster ist anmaßend, überheblich, asozial, um unfreundliche Distinktion bemüht, unkommunikativ cool, ein Ironiker oder Anti-Expressiver, den man nicht zu fassen bekommt.

Fast alle der bisher angeführten Autoren und Positionen greifen auf dieses Bestimmungsmerkmal bei ihrer Beschreibung und Bewertung der Hipness zurück. Bezeichnend für den Stand der historischen Kenntnisse bei den meisten Essayisten und Wissenschaftlern der Popkultur ist freilich, dass eine frühe, einschlägige Studie dazu von niemandem angeführt wird. Es handelt sich um Howard S. Beckers (immerhin einer der bekanntesten amerikanischen Soziologen) Buch »Outsiders« aus dem Jahr 1963, in dem ein Kapitel dem Hip-Anspruch gewidmet ist. Becker hat einige Jahre selbst professionell Piano gespielt und war 1948/49 Teil der Chicagoer Jazzszene. Auf Notizen aus dieser Zeit beruhen hauptsächlich seine ethnologischen Einsichten.

Die Jazzmusiker seiner Zeit (keineswegs nur Bebop-Vertreter), mit denen Becker spielte oder in Bars zusammensaß, machten nach seiner Beobachtung einen starken Unterschied zwischen Musikern und Zuhörern. Genauer gesagt: zwischen sich selbst und ihren Zuhörern. Die Zuschauer, Zuhörer sind »squares«, Leute, die weder Ahnung noch Geschmack haben. Die Verachtung der hippen Musiker ist total, auch weil sie nicht glauben, dass eine Art Ausbildung die Nicht-Musiker in ihren Stand befördern könnte. Becker führt als Beleg die Aussage eines Posaunisten an: »›You can’t teach a guy to have a beat. Either he’s got one or he hasn’t. If he hasn’t got it, you can’t teach it to him.‹« (1963: 86)

Das Gefühl für den Beat (nicht für das Metrum) entspringt für die Jazzmusiker keiner lernbaren Expertise, ist kein Handwerk. Hipness (und damit das Unlernbare, Unlehrbare) ist sogar nicht rein auf die Musik beschränkt, sondern macht sich in assoziierten Bereichen ebenfalls geltend. Die (nach eigener Einschätzung) hippen Musiker steigern sich in die Verachtung der »squares« auch deshalb hinein, weil diese für sie eine Quelle der Gefahr sind. Die Zuhörer und Zuschauer sind als zahlende Gäste in den Clubs eine Bedrohung der Hipness, sie zwingen die Musiker mitunter zu bestimmten Spielweisen, die sie ablehnen. Der von den Musikern als solcher empfundene kommerzielle Druck steigert den Nimbus der Hipness, bringt sie aber auch zu Fall, wenn den Vorstellungen der »squares« aus materiellen Gründen nachgegeben werden muss. Becker zusammenfassend zu den Ansichten der Jazzmusiker:

»›Squareness‹ is felt to penetrate every aspect of the square’s behavior just as its opposite, ›hipness‹, is evident in everything the musician does. The square seems to do everything wrong and is laughable und ludicrous. […] Every item of dress, speech, and behavior which differs from that of the musician is taken as new evidence of the inherent insensitivity and ignorance of the square.« (Ebd.: 90)

Vor diesem Hintergrund versteht man leicht, weshalb die weitere Hip-Geschichte so verlaufen ist, wie sie sich hier in den vorhergehenden Abschnitten und den anderen Teilen dieser Serie mit Hilfe vieler Artikel, Blogs und Bücher ausschnittartig darstellte. In dem Moment, in dem sich der Anspruch der Hipness von der speziellen Musikerszene ablöst, wird er vielfältiger. Aus Sicht der Musiker, von denen Becker berichtet, dürfte der Begriff ›hip‹ Opfer seines Erfolgs geworden sein. Er ist rasch nicht mehr Teil einer Geheimsprache; Hipster-Lexika klären über seine Bedeutung auf. Vor allem gewinnt er langfristig Popularität; mit einigen Unterbrechungen bis in die heutige Zeit.

Verwendet wird er schnell auch und gerade von Leuten, die keine Jazzmusiker sind, von Rezensenten, Literaten, Fans (also nach Auffassung der Chicagoer überwiegend von ›squares‹). Im zweiten Schritt löst er sich ganz von der Jazzszene, verbreitet sich als Attribut für alles Mögliche von Haight Ashbury bis Williamsburg. Kontur gewinnt er zumeist nur noch dadurch, dass er einer bestimmten Gruppe zugeordnet wird. Es sind jüngere metropolitane Bohemiens und Kreative (im heutigen sehr weiten Sinne), denen gemeinhin zugestanden wird, dass sie über die Fähigkeit verfügten, zu erkennen oder vorzuleben, was hip sei. Der Bezug zur afroamerikanischen Kultur löst sich darüber weitgehend, als Charakteristikum auf der Objekt- und Werkseite bleibt häufig allenfalls noch eine vage Bindung an popkulturelle bzw. kulturindustrielle Gegenstände (vgl. dazu Zwarg 2011).

Wahrscheinlich noch interessanter als die Untersuchung, was alles im Laufe der Zeit als ›hip‹ eingestuft wurde, dürfte die Analyse sein, wer zu denjenigen gehörte und gehört, die anerkennen, dass etwas hip ist: Es braucht zwingend eine ganze Reihe an Leuten, die einräumen oder unterschwellig verspüren, selber nicht über Hipness zu verfügen, und dennoch sicher sind, bestimmte andere seien hip (egal, ob diese Anerkennung dann bewundernd, ohnmächtig, neidvoll oder kritisch erfolgt).

Natürlich muss diese einigermaßen diffuse Bilanz nicht das Ende der Hip-Geschichte darstellen. Immerhin gibt es wie gesehen heute nach wie vor Bestrebungen, Hipness an feststehende Objekteigenschaften zu binden, z.B. die Ehrenbezeichnung Hipster nur für diejenigen zu reservieren, die wirkliche, wahrhaftige Kunst (»real art«) schaffen, nicht für jene, die bloß unter bereits existierenden Gütern eine Auswahl vornehmen, die sich in konsumistischem Sinne als »richtig« und »cool« erweise (Greif 2010a: 12f.; Greif 2010b: 152). Das sind allerdings momentan wenig durchgesetzte Anschauungen. Es bedürfte schon sehr großer Anstrengungen, um sie publik zu machen und überzeugend zu verbreiten.

 

Literatur

Howard S. Becker, Outsiders. Studies in the Sociology of Deviance, New York 1963.

Mark Greif, Positions, in: ders./Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010a, S. 4-13.

Mark Greif, Epitaph for the White Hipster, in: ders./Kathleen Ross/Dayna Tortorici (Hg.), What Was the Hipster? A Sociological Investigation, New York 2010b, S. 136-167.

Tuli Kupferberg: The Hip and the Square: The Hippie Generation [1967], in: Jesse Kornbluth (Hg.), Notes from the New Underground. An Anthology, New York 1968, S. 204-208.

Robert Zwarg, Distinktion und Entgrenzung: Der Hipster als Sozialtypus [beatpunk.de, 18.9.2011: http://www.beatpunk.org/stories/distinktion-und-entgrenzung-ueber-den-hipster-als-sozialtypus/]