Der feministische Bechdel-Test, umformuliert fürs Marketing, ausprobiert an AXE Deodorant Bodyspray.
Der „kleine Unterschied“ zwischen Mann und Frau lässt sich schnell im Supermarktregal erkennen: rosa-hellblau, rund-kantig, dunkel-hell, süß-herb. Während das Ziel einer Produktrezension die kritische Untersuchung der sinnlichen Erfahrung eines Konsumproduktes im Kontext seines Gebrauchs sein sollte, möchte ich dieses Verständnis einer Konsumrezension um die Notwendigkeit ergänzen, das Produktdesign und seine (un)intendierten Gebrauchsweisen auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Reproduktion von Genderrollen zu prüfen.
Ich möchte hierfür den Versuch machen, den Bechdel-Test für die Frauenfreundlichkeit von Filmen auf die Beurteilung von Konsumprodukten anzuwenden. Der Test ist benannt nach Alison Bechdel, die in einem Comic drei Kriterien für einen frauenfreundlichen fiktionalen Film aufstellte: Dass er erstens zwei Frauen zeigt, die zweitens miteinander sprechen und drittens über etwas anderes als Männer. Es geht bei dem Test darum, das weibliche Geschlecht nicht ausschließlich in Relation zum männlichen zu betrachten, denn das andere Geschlecht macht bekanntlich nur einen Teil im Leben einer Frau aus.
Weitere Versionen des Tests wurden entwickelt, die beispielsweise dem dritten Punkt Gespräche über Familie und Kinder hinzufügen, was die Zahl der die Kriterien erfüllenden Filme noch einmal erheblich senkt. Berechtigterweise wurde das Schema jedoch auch für seine Unzulänglichkeit kritisiert, Sexismus zu benennen, da er nur die Präsenz von Frauen in fiktionalen Filmen testet und nicht sexistische Inhalte.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kritik von Sexismus in der Werbung ein zentrales feministisches Anliegen war und nach wie vor ist. Werbebotschaften, die Männer und Frauen zeigen, können in der Rollen- und Körperdarstellung und deren Machtverhältnissen sexistisch sein. Auf der designästhetischen Ebene wird der Sexismus jedoch häufiger nicht direkt, sondern indirekt als Gestaltung mit limitierenden Gebrauchsweisen evident.
Wenn die Organisation Pinkstinks beispielsweise das rosa verpackte Überraschungsei kritisiert, dann nicht weil rosa an sich als Verpackung sexistisch wäre, sondern weil überall immer wieder Rosa als Farbe der Mädchenhaftigkeit vermittelt wird. Diese eingeschränkte Vorstellung von Weiblichkeit und Mädchenhaftigkeit kann Sexismus fördern. Das rosa Ü-Ei ist in seiner Ausschließlichkeit nicht akzeptabel. Leider hat das Unternehmen nicht mit einer bunten Mädchen-und-Jungen-Überraschungsei-Version (bei der rosa nur eine Version von mehreren wäre) auf ihre Kritiker*innen geantwortet.
Bechdel-Test für Konsumprodukte
Wie lassen sich die drei Kriterien des Bechdel-Tests auf Konsumprodukte übertragen? Hier ein Vorschlag, der zur Überprüfung beitragen soll, wie frauenfreundlich Konsumprodukte sind:
1. Die Gestaltung des Produkts betont weder weiblich noch männlich konnotierte Attribute, Verhaltensweisen oder Vorzüge, indem a) Gegensätze vereint oder nicht sexuell konnotierte Gestaltungselemente genutzt werden oder b) das Produkt in mehrfachen Varianten existiert, sodass das Produkt nicht auf jeweils eine Männer- oder Frauenrolle limitiert bleibt. Ein einzelnes Frauenprodukt unter mehrfachen Männerprodukten oder andersherum stellt nämlich die binäre Opposition der Geschlechter zu stark in den Vordergrund. Es muss also für Frauen und Männer jeweils mindestens zwei Varianten eines Produkts geben.
2. Das Produkt muss einen Assoziationsraum für seinen Gebrauch bieten, der sich nicht nur auf die Zweisamkeit von Mann und Frau bezieht. Vielmehr müssen durch das Produkt Situationen nahegelegt werden, in denen auch Frauen mit Frauen (und Männer mit Männern) kommunizieren.
3. Die Kommunikation der Frauen darf sich nicht alleine auf Männer (bzw. die der Männer nicht auf Frauen) beziehen.
AXE Deodorant Bodyspray
Testen wir, ob das Deodorant Bodyspray der Marke AXE des Unternehmens Unilever die genannten Kriterien erfüllt. Deos gab es schon im alten Ägypten. Das erste Roll-Deo wurde in den 1930er Jahren auf den Markt gebracht, in Sprühdosen gibt es sie seit den 1960er Jahren. Bodysprays hingegen sind relativ neu. Das zeigen auch die Hilferufe in Konsument*innenforen: „Wo benutzt man eigentlich ein Bodyspray?“ wird dort gefragt. Die Antwort lautet: „Auf den ganzen Körper – da wo du später Schnupperer erwartest ;-)“ Am Ende der Werbespots für AXE wird gezeigt, wie das geht: Der Mann steht in Boxershorts und sprüht in einer S-förmigen Kurve das Deodorant Bodyspray über Brust, Bauch und Intimzone.
Das erste Kriterium des Tests wird nicht erfüllt: Das Bodyspray richtet sich fast ausschließlich an Männer und zeigt Varianten von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht gleichwertig nebeneinander. Auf den Verpackungen, die an eine Spraydose erinnern, sind passend zum jeweiligen Produkttitel dynamische Zeichen ferner Welten abgebildet: die leuchtenden Sterne des „Deep Space“, die Öl auf schwarzem Wasser ähnelnden Kringel einer „Dark Temptation“, „Apollo“ mit zackigen Spuren im All, „Anarchy for him/for her“ mit Straßenschablonendrucken und „Sportblast“ mit runden, eleganten und schnellen Linien eines Balls oder anderer Sportbewegungen.
Aktuell wird die „Special Edition“ AXE Mature beworben, deren tiefes Rot für die noch zu entdeckende Welt der Erotik zu stehen scheint. Dennoch überwiegt farblich Schwarz, gefolgt von Blau-, Grün- und Silbertönen. Sowohl die schwarze Haube als auch die sich verändernden Designs sind männlich konnotiert, Designs, die das Weibliche im Mann ansprechen wie bei den Varianten „Excite“ mit pinken Flammen oder das Weiß der Version „Sensitive“ haben dagegen Seltenheitswert. Für Frauen gibt es genau ein einziges AXE Produkt. Die Frau wird damit zu einer Repräsentantin von Weiblichkeit, anstatt Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit darzustellen. Es richtet sich an die Frau als Vorstellung und ist nicht für unterschiedliche Typen von Weiblichkeit gemacht.
Kriterium zwei lässt sich folglich nur noch für Männer testen, da das Bodyspray gar keine Frauenprodukte für unterschiedliche Frauentypen anbietet. Die Extremsituationen, die mit den Bodysprays verbunden werden, das All, die Arktis, lange Trinknächte, heftiger Sport, Unglücksfälle wie Erdbeben oder Autounfälle ließen zwar grundsätzlich Gespräche bzw. kommunikative Aktivität zwischen Männern zu, zeigen sie jedoch isoliert. Kriterium zwei ist ausschließlich für Männer und nicht für Frauen erfüllt, weil mit den Situationen ein dynamisches Miteinander von Männern assoziiert wird. Dennoch werden die Männer in den Spots auf ihr Handeln für „die Frau“ reduziert, was durch die Existenz des einen und einzigen AXE Bodysprays „for her“ unterstrichen wird.
Damit ist Kriterium drei auch für Männer nicht erfüllt: Immer taucht eine Frau auf, die gerettet oder erobert werden will oder um deren Applaus es geht. Männlichkeit bei AXE existiert nur als komplementärer Gegensatz zur Weiblichkeit. Der Mann genießt den guten Körpergeruch nicht als olfaktorisches Erlebnis, sondern nutzt ihn, um die Frau damit ins Bett zu bekommen. AXE Bodysprays erfüllen folglich nicht die Kriterien für „Frauen- und Männerfreundlichkeit“.
Was der Bechdel-Test bei Filmen verdeutlicht, leistet er auch für Konsumprodukte: Im Fall von AXE existieren Frauen nur aus Sicht von Männern und als einsame Repräsentation von Weiblichkeit, nicht jedoch als vielfältige, menschliche Charaktere. Gleichwohl fällt auf, dass Männern durch Konsumprodukte auch ein Stereotyp von Männlichkeit als Frauenheld auferlegt werden kann. Dies bestärkt meinen Ansatz, bei der Übertragung des Bechdel-Tests auf Konsumprodukte nicht nur Frauen-, sondern auch Männerfreundlichkeit zu untersuchen.
Fazit
Eine Konsumproduktkritik sollte meines Erachtens prüfen, wie Handlungs- und Gebrauchsweisen der Konsument*innen durch die Produktästhetik gereizt, inspiriert und angeleitet werden. Dafür sollte sie für die Geschlechtergleichwertigkeit und gegen Diskriminierung eintreten und prüfen, inwiefern sich die Fiktions- und Gebrauchsversprechen nur an ausgewählte Stereotype wenden.
Denn Produkte, die die Geschlechter in Gegensätze trennen, d.h. nur Frauen, die so, und Männer, die eben so (nicht) handeln, ansprechen, widersprechen nicht nur der gesellschaftlichen Vorstellung von Gleichstellung. Sie stehen insbesondere dem Anspruch der Konsumwelt, eine reiche, bunte und vielfältige Sinneserfahrung zu ermöglichen, die alle Bedürfnisse befriedigen kann, diametral entgegen. In diesem Sinne hat uns die Übertragung des Bechdel-Tests auf Konsumprodukte erste mögliche Qualitätsmerkmale für genderfreundliche Konsumprodukte geben können.
Antonia Wagner ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.