American Rock Journalismvon Ulf Schulenberg und Marcel Hartwig5.2.2014

Grundsätzliche Überlegungen sowie Programmhinweise zu einer Internationalen Konferenz.

Die Idee der Krise hat das Schreiben über Rockmusik seit seinen Anfängen in den USA begleitet. Unzweifelhaft hat dies sehr viel damit zu tun, dass das Schreiben über Rockmusik idealiter ein freies ist. Sein Anspruch besteht darin, sich dem Formelhaften und Starren anderer Arten des Journalismus zu verschließen. Stattdessen soll dem von den jeweiligen Idiosynkrasien des Stils getragenen Begehren ein Spielraum belassen werden. Textformen, die für Leserinnen und Leser unverständlich sind, wenn sie nicht gar als skandalös erscheinen, sind nicht selten die Folge.

Die ersten Rockjournalisten in den USA waren im strengen Sinne Autoren. Dies gilt für den ersten wirklichen Star unter den Rockjournalisten, Lester Bangs, der wie niemand vor ihm einen unverwechselbaren Schreibstil entwickelte. Sein frühes Ende wurde dadurch herbeigeführt, dass er der tragischen Annahme erlag, ein Rockjournalist müsse das Leben eines Rockmusikers führen. Im Vorwort einer  Sammlung von Texten Bangs’ schreibt der Rockjournalisten und Herausgeber  Greil Marcus über seinen Freund und Kollegen: „Perhaps what this book demands from a reader is a willingness to accept that the best writer in America could write almost nothing but record reviews“ (2003: x).

Das Besondere des Stils, das Herausarbeiten der jeweils eigenen Form sowie die Konturierung der ästhetiktheoretischen und kulturpolitischen Positionen lassen sich auch bei den anderen Vertretern des frühen amerikanischen Musikjournalismus finden, so z.B. bei Greil Marcus selbst, weiterhin bei Richard Meltzer, Richard Goldstein und, etwas später, Ellen Willis.

Diese Autoren nutzen Rockmusik auf sehr unterschiedliche Art und Weise, um zu einem tieferen Verständnis ihres Heimatlandes zu gelangen. „What is America?” – diese Frage hat für die meisten der frühen amerikanischen Musikjournalisten eine zentrale Bedeutung. Sie nutzen das stets prekäre Zusammenfinden von Sprache und Musik, um sich der Komplexität der USA anzunähern. Die vielschichtigen Mythologien der USA werden in diesen Texten nicht nur dekonstruiert und radikal kritisiert, sondern auch affirmativ weitergeschrieben und kreativ umgeformt. Es ist diese Doppelbewegung des Begriffs, die nicht in traditionell linker Kulturkritik sich ergeht, die u.a. den Reiz dieser musikjournalistischen Texte ausmacht.

Heute ist die Krise des Musikjournalismus in westlichen Medien evident. Die dieser Branche zugrundeliegenden Textsorten gelten als Hort leerer Worthülsen und der Phrasendrescherei, als Selbstprojektionsfläche untalentierter Autoren und als kritikfreier weil der PR-Industrie naher Monolog (vgl. Ruckli). Unter diesem Aspekt ist die Form zugleich ein teils persiflierter Topos in der gegenwärtigen amerikanischen Literatur (z.B. in Bret Easton Ellis’ American Psycho (1991) oder Jennifer Egans A Visit from the Goon Squad (2010)), des narrativen Hollywoodkinos (z.B. Almost Famous (2000)) wie auch der amerikanischen TV-Serie (z.B. Davis McAlery in Treme (2010–). In diesen Medien erscheint der oft männliche Rockjournalist, ob im Radio oder im Printmedium, als infantiler oder nostalgisch verklärter Exzentriker, dessen Worte und Taten von Zivilisationsmüdigkeit zeugen.

Neben den plurimedialen Repräsentationen des amerikanischen Rockjournalismus unter­liegt die Textform selbst Prozessen der Historisierung und Kanonisierung, wie etwa u.a. An­tho­logien wie The Rolling Stone Illustrated History of Rock and Roll (1992) und Spin: 25 Years of Heretics, Heroes, and the New Rock ’n‘ Roll (2010) belegen. Somit findet sich der ame­ri­kanische Rockjournalismus wieder in einem Spannungsfeld zwischen Unterhaltungs­kultur und ernstem Kulturdiskurs. Hierin sind Form, Ästhetik und das Medium der Text­sorte die Bedeutungsträger für eine Zuordnung zu den beiden sich gegenüberstehenden Polen.

Die Wahrnehmung der Wirkbereiche des Musikjournalismus geht einher mit dem sozialen Milieu der sich seit den frühen 1990ern aus den Zirkeln der Neo-Bohemians entwickelten Hipster-Kultur (vgl. Lloyd, vgl. Greif). Die Akteure der Subkultur handeln unter der Zuschreibung Hipster ihren Distinktionsgewinn durch einen spezifischen Geltungskonsum aus, der mittlerweile als Massenphänomen gilt. Politikverdrossenheit wie Systembestätigung sind dem Hipster ebenso inhärent wie Mittelklassendenken und Besserwisserei. Kurzum: Der Hipster spiegelt die gelebten Charakteristika der oben genannten Eigenschaften des Rockjournalismus als Textform wider. Rockjournalismus ist somit zugleich eine Lebensform und formalästhetische Praxis.

Das Ziel der Tagung (hier das Programm) ist es, auszuloten, was genau die Krise des Rockjournalismus kennzeichnet, welche Akteure und Institutionen sie vorantreiben und welche Begrifflichkeiten dabei die Form und die Idee des Rockjournalismus konturieren. Ebenso ist es Ziel der Tagung, die Begriffe des Mediums und des Autors genauer zu untersuchen und Fragen nach der Autonomie und den kulturellen Codes der Wissensträger dieses Diskurses zu klären. Zuletzt gilt es hierbei, die vorherrschenden Mythen (etwa Authentizität, Amerika etc.) in ihren Kontexten zu lesen und zugleich ihre Formen, Konzepte und Funktionen zu skizzieren.

 

Literatur

Greif, Mark, Kathleen Ross und Dayna Tortorici (Hrsg). What Was the Hipster: A Sociological Investigation. New York: n+1, 2010. Print.

Lloyd, Richard. D. Neo-Bohemia: Art and Commerce in the Postindustrial City. New York: Routledge, 2010. Print.

Marcus, Greil (Hrsg.) (2003). Psychotic Reactions and Carburetor Dung by Lester Bangs. New York: Anchor Books. Print.

Ruckli, Christoph. „Gegen ‚journalistische Masturbation‘“. MedienKritik. 10.1.2013. Web. 26.7.2013.