Konsumrezension Februarvon Simon Bieling19.2.2014

Gegenstände diesmal: die Smartphones Lumia 1020 und Galaxy 4

„Myside bias“ – dieser nur unelegant übersetzbare Begriff erinnert an eine wenig zuträgliche Neigung: sich nur solchen Feststellungen und Beobachtungen zuzuwenden, die die eigenen Auffassungen bekräftigen. Sie spielt sicherlich auch eine gewichtige Rolle, wenn Urteile über Produkte und Marken getroffen werden. Deshalb sollte eine wesentliche Leistung von Produktrezensionen darin liegen, Alternativen gegen allzu feststehende Überzeugungen ins Gespräch zu bringen.

Wenig dazu geeignet scheinen mir Checklisten mit Kriterien zu sein, die noch jedes Produkt erfüllen sollte, wie zuletzt von Antonia Wagner vorgeschlagen. Natürlich ist es wünschenswert, dass stereotype Geschlechterbilder mehr und mehr in den Hintergrund treten, und der Hinweis auf sie verdienstvoll. Doch verzichtet man auf die sorgfältige Betrachtung einzelner Produkte, wenn man sich als Rezensent*in darauf beschränkt, lediglich Kreuzchen in Checklisten einzutragen, Produkte also gleichsam moralisch abzuhaken. Vor allem aber nimmt man sich die Gelegenheit, dem eigenen Urteil und den ihm zu Grunde liegenden Kriterien abwägend gegenüber zu treten, wenn eine Checkliste beide mechanistisch vorbestimmt.

Auch schon die Wahl des Rezensionsgegenstands kann jedoch von Annahmen bestimmt sein, denen man zu sehr vertraut. Als ich mich entschloss, ein aktuelles Smartphone zu rezensieren, erschien es mir zunächst naheliegend, ein Produkt mit hohen Verkaufszahlen in den Blick zu nehmen. Ich war mir sicher, dass allein der Markterfolg schon Relevanz garantieren könne, und beschloss, mich auf ein Gerät des derzeit marktstärksten Unternehmen zu konzentrieren: das „Samsung Galaxy 4“.

Sich so isoliert auf die „Marktsieger“ einer Produktsparte zu konzentrieren, erschwert es jedoch, das für die Konsumwelt so wesentliche Spiel der Konkurrenz ausreichend zu reflektieren. Denn Produkte werden weniger um ihrer selbst willen gestaltet als auf Differenzen zu Produkten konkurrierender Unternehmen hin.

Konsumprodukte zu rezensieren erfordert deshalb immer auch ein Urteil darüber, wie intelligent und sorgfältig Hersteller solche Differenzmerkmale auswählen und gestalten. Darum ist es vielversprechend, das genannte Smartphone mit dem Angebot eines weniger erfolgreichen Unternehmens in Kontrast zu stellen: etwa mit dem „Nokia Lumia 1020“, das neben einigen anderen Produkten dem finnischen Hersteller wieder größere Marktanteile bescheren soll.

Bild: Hersteller

Smartphones sind die aktuellste Umsetzung einer Utopie, die der Computeringenieur Alan Kay 1977 formulierte: nämlich Computer als ein „personal dynamic medium“ für jedermann zu konstruieren, das alle erdenklichen Nutzerinteressen über Software in einem Gerät integriert. Aus diesem Grund wird man Smartphones nie allein nur als gestaltete Objekte, sondern immer auch daran messen müssen, welche softwarebasierten Funktionen sie anbieten.

Im Fall der genannten beiden Smartphones drängt sich etwa besonders die Frage auf, auf welche Weise sie als Kamera in Szene gesetzt werden. Denn offensichtlich hat sich Nokia, dessen Mobilfunksparte in Kürze endgültig von Microsoft übernommen wird, vorgenommen, seine Geräte vornehmlich als Kameratelefon wieder konkurrenzfähig zu machen. „Unschlagbare Fotos und Videos“ soll man mit dem „Lumia 1020“, dessen Gehäuse sich offensichtlich stark an Applegeräte anlehnt, herstellen können. Schließlich sei nicht nur der „41-Megapixel-Sensor“ absolut einzigartig, er würde noch dazu kombiniert mit der Schärfe eines eingebauten Carl-Zeiss-Objektivs.

Noch so stark auf die unmittelbare Überzeugungskraft von Leistungszahlen und etablierten Markennamen zu hoffen, ist jedoch nicht die einzige Schwäche des Produkts. Man wird auch den Verdacht nicht los, dass man das Gerät deshalb als Fotokamera präsentiert, weil man dem grundlegenden Merkmal moderner elektronischer Computer, vielfältige Funktionen annehmen zu können, misstraut. Ein angebotenes Zubehör, ein aufsteckbarer Kameragriff, der das Smartphone in eine konventionelle Kamera verwandelt, bestätigt, dass Nokia vor allem einen „Anti-Computer“ auf den Markt hat bringen wollen, der nicht mehr so sehr multi-, sondern monofunktionale Merkmale besitzt.

Samsung forciert umgekehrt die Multifunktionalität seines Smartphones nicht nur, sondern wirbt auch offensiv mit den imaginären Gehalten, die es mit seiner Softwaretechnik verknüpft sieht. Das Unternehmen bezeichnet sein Gerät „Galaxy 4“ als „life companion“, als einen sowohl „unterhaltsamen“ wie „hilfsbereiten“ Begleiter. Offenbar ist Samsung der Meinung, dass die Merkmale von Haustieren und Butlern in dem Gerät zur Deckung gelangen können.

Seinen „mobilen Begleiter“ präsentiert Samsung jedenfalls als eine soziale Kontaktfläche. Das Gerät stellt dem Unternehmen zufolge nicht nur die Verbindung mit den „Liebsten“ her. Es „hat“ sogar „ein echtes Faible für Gemeinschaft“ und „liebt es Menschen zusammenzubringen“. Das Smartphone wird als ein Conferencier choreografiert, der unauffällig und selbstlos Familienmitglieder und Freunde, nicht jedoch Kollegen und Vorgesetzte miteinander verbindet.

So suggeriert Samsung, man könne mit seinem Smartphone das soziale Leben allein auf Privatmenschen reduzieren und auf Auftritte in öffentlichen Rollen, als public man oder woman, verzichten. Das wäre so unplausibel wie uninteressant, wenn Samsung nicht für seine Version sozialen Miteinanders eine äußerst originelle Fotografiefunktion implementiert hätte. „Dual Shot“ heißt die fest installierte Fotografiefunktion, die ermöglicht, simultan nach vorne und hinten zu fotografieren und zugleich die beiden Bilder unmittelbar miteinander zu kombinieren.

Während Nokia mit seinem Produkt lediglich Reminiszenzen an reguläre Fotoapparate aktiviert, zielt Samsung darauf ab, das apparative Vokabular der Fotografie zu erweitern. Und während der finnische Hersteller versichert, dass sein Smartphone die „perfekte Leinwand für Deine Geschichte“ sei, eine simple Projektionsfläche also, auf der die Welt nach persönlichen Geschmack geordnet wird, ermöglicht Samsung vor allem einen bislang wenig bekannten Umgang mit dem fotografischen Selbstporträt.

Bild: Elvine Madridejos

Dadurch gewinnt das Selbstporträt eine neue Rolle, nämlich andere Bilder zu personalisieren. Denn wenn das eigene Porträt als Vignette in Gruppenporträts oder Aufnahmen von Sehenswürdigkeiten erscheint, kann es dazu dienen, ein Bild, eine Perspektive oder gar ein Sujet für sich zu reklamieren. Genauso kann man diese Mehrfachfotografien aber auch dazu verwenden, sich imaginär zwischen Fotograf und Sujet zu platzieren. Auf diese Weise erlaubt das Bildformat, das Verhältnis zwischen beiden zu reflektieren und den Akt des Fotografierens selbst mit ins Bild zu setzen. Nicht zuletzt lässt sich mit der Kamerasoftware jedoch vor allem die soziale Verknüpfung, das gemeinschaftliche Verhältnis, das das Smartphone herzustellen verspricht, in einer bislang kaum bekannten Form des Doppel- oder Gruppenporträts fotografisch gestalten.

Während man bei Nokias „Lumia 1020“ schnell zu einem eher negativen Urteil gelangt, fällt es bei der Produktinszenierung des Samsung-Smartphones ambivalent aus. Das Versprechen einer technologisch induzierten idealen Gemeinschaft noch einmal vorgesetzt zu bekommen, ist nämlich einerseits kaum überzeugend. Dass Samsung aber andererseits für seine kaum plausible Idee ein so ungewöhnliches fotografisches Inszenierungsformat anbietet, macht das Gerät auch wieder interessant. Und weil es letztlich nicht an sie gebunden ist, kann man dem Produkt des südkoreanischen Konzerns insgesamt befürwortend gegenüberstehen.

Produkte, die zugleich überzeugen und enttäuschen, sind äußerst dankbare Rezensionsgegenstände, hat man bei ihnen doch kaum Gelegenheiten für den Komfort simpler Selbstbestätigung. Und so könnte man Daniel Hornuffs Frage, worin sich Konsumrezensionen von wissenschaftlichen Studien unterscheiden, auch an der jeweiligen Gegenstandswahl festmachen. Während letztere ihren Gegenstandsbereich nach den jeweiligen Erkenntnisinteressen zur Konsumkultur ausrichten, kann sie in Konsumrezensionen danach getroffen werden, wie stark an ihnen auch widersprüchliche Bewertungskriterien gegeneinander abgewogen werden können. Ob es sich bei ihnen um Ladenhüter oder Bestseller handelt, spielte dann bei der Frage, ob sie als Rezensionsgegenstand geeignet sind, keinerlei Rolle mehr.

 

Simon Bieling promoviert innerhalb des Forschungsverbunds »Konsumästhetik«.