Grundsätzliche Überlegungen: Welches Vorgehen ist sinnvoll, wenn man Konsumprodukte rezensiert?
Eigentlich sollte an dieser Stelle eine neue Konsumrezension erscheinen. Doch bei Durchsicht der bisher verfassten Beiträge fiel mir ein verbindendes Merkmal auf: Die Suche nach dem methodischen Rahmen. Die wenigen Texte enthalten bereits etliche Reflexionen über ihr eigenes Format. Sie artikulieren damit ein Bedürfnis nach Selbstüberprüfung, und dies, wie ich meine, aus guten Gründen.
Denn was kann, was sollte eine Konsumrezension eigentlich leisten? Was sind ihre Werkzeuge, und wie sind diese einzusetzen? Nach welchen Kriterien gelangt eine Konsumrezension zu Urteilen, und worauf werden diese Urteile gestützt? Kurzum: Welche speziellen Anforderungen ergeben sich aus der Markierung ‚Rezension‘? Darüber weiter nachzudenken erschien mir reizvoll, und so muss die nächste Rezension noch einen Monat warten.
Fragen der Methodik mögen zu den sperrig-unbeliebten gehören und mit dem Ruch akademischer Trockenübungen behaftet sein. Doch ihre Geringschätzung greift zu kurz. Denn wer Methodenfragen für zweitrangig erklärt oder erst gar nicht berücksichtigt, entzieht den Formaten, auf die sie angewendet werden sollen, Möglichkeiten der Erkenntnisstiftung. Selbstbeobachtung ist Voraussetzung zur Stärkung der Überzeugungskraft.
In verschärfter Weise dürfte dies auf die Entwicklung eines neuen Formats wie diesem hier zutreffen. Sollen ihm Profil und Prägnanz verliehen werden, braucht es besonderer Anstrengung in Sachen Methodendefinition. Ähnlich einem Sportler, der sich in Krafträumen die benötigte Konditions- oder Schnellkraft erarbeitet, sind auch Konsumrezensionen auf Grundlagenübungen angewiesen. Für Sportler wie Texte gilt: Erst in Form gebracht, steigt ihre Chance auf Konkurrenzfähigkeit.
Bezieht man dies auf den Begriff ‚Rezension‘, fällt allerdings Gegenteiliges ins Auge, nämlich ihr semantisch erschlaffter, geradezu erbärmlich ausgepowerter Zustand. Die ‚Rezension‘ wurde, wie viele andere Begriffe auch, durch überaus geläufige Verwendung regelrecht aufgerieben. Allenthalben wird rezensiert, nahezu jede öffentliche Beurteilung etikettiert sich als Rezension. Rezensiert werden nicht nur Bücher, Schauspiel-, Opern- und Tanzaufführungen, Ausstellungen und Museumsprojekte, CDs und Filme, sondern ebenso Reisen und Hotels, fast alle auf Amazon erhältlichen Produkte, Bordellbesuche und Mittelaltertreffen. Und so erinnert die ‚Rezension‘ erneut an Sportler – allerdings an solche, die überspielt wirken und daher kaum mehr gewinnbringend einzusetzen sind
Wird Sportlern in solchen Situationen Abstand zum laufenden Spielbetrieb empfohlen, so ist auch dem Begriff der ‚Rezension‘ ein Augenblick des Sich-Sammelns zu gönnen. Zu nutzen ist die Pause für eine etymologische Rückbesinnung – möge sie zur Wiederaufladung der Kräfte beitragen. (Wenngleich damit weiterhin unberücksichtigt bleibt, was hier mit dem Begriff ‚Konsum‘ genau gemeint ist; und ob es sich bei den bisherigen Texten nicht eher um Produktrezensionen handelt, da Konsum doch weitaus mehr, prinzipiell die gesamte soziale, kulturelle und historische Verwendung von Dingen umfassen kann).
Dem lateinischen ‚recēnsēre‘ entlehnt, steht Rezension seinem Wortursprung nach für Musterung. Der Musterung wiederum war die Bedeutung des Durchzählens eingeschrieben – und zwar im quantitativen wie im qualitativen Sinn: Eine Musterung bezeichnete einerseits ein Abzählen, wobei dieses Abzählen als eines ‚der Reihe nach‘ gemeint war, woraus sich wiederum die uns heute geläufige, militärisch-strenge Tönung gebildet hat. Zugleich verwies Musterung auf eine Stück-für-Stück-Begutachtung, mithin auf das systematische Inspizieren aller Teile eines Ganzen. Folglich sind mit einer Rezension zwei Formen des Taxierens angesprochen: Einerseits die Prüfung einer Menge, andererseits die Wertung der Güte.
Diese Doppelfunktion ist für das Projekt einer Konsumrezension nicht unerheblich. Immerhin widmet sie sich Dingen, die nur deshalb zu mustern sind, weil sie durch die Höhe ihres Absatzes (noch) existieren. Stoischem ‚Abzählen‘ verdanken sie ihr Dasein. Zugleich aber sind diese Dinge auch Ausdruck getroffener Güteentscheidungen, lassen sich also auch qualitativ begutachten, auf ihre funktionalen Wirkungen wie ästhetischen Implikationen hin prüfen, ein Zugang, dem sich die bisher verfassten Konsumrezensionen auch bedienten.
Was aber heißt das konkret: Wie soll die Quantität eines Konsumprodukts, die Zahl seiner Verkäufe etwa, produktiv auf seine Gebrauchs- und Inszenierungsdimensionen bezogen werden? Sollen nun statistische Daten mit qualitativen Untersuchungen gekoppelt werden? Was ließe sich damit genau beurteilen?
Die Gefahr einer Kopplung von quantitativem und qualitativem Taxieren liegt im Aufstellen einer erkenntnistheoretischen Hierarchie: Ein besonders erfolgreich verkauftes Produkt wird womöglich dann nur noch darauf untersucht, welche ästhetischen Codes für seinen Erfolg verantwortlich sein könnten. Umgekehrt tendiert man dazu, absatzschwache Produkte als stilistische oder inszenatorische Fehlleistungen einzustufen. Ebenso zahlengläubig präsentieren sich dann aber auch Rezensenten, die ausschließlich konterkarierend argumentieren und nur noch darauf schielen, wo Erfolgsprodukte bisher unentdeckte Schwachstellen übertünchen und warum Nischenprodukte über bislang unentdeckte, nun aber endlich zu würdigende Qualitätsvorzüge verfügen.
Die Parallelführung von Mengendaten und Eigenschaften ist also generell problematisch, begünstigt sie doch eine Urteilskultur, in der der Urteilende entweder als Anwalt oder als Ankläger der Zahlen erscheint, er in jedem Fall also seinen Blick stark auf sie ausrichtet. Für eine Konsumrezension, die sich dem Wortursprung verpflichtet fühlt, müssten also andere Varianten der In-Beziehung-Setzung von Bezifferung und Beurteilung gefunden werden.
Eine Möglichkeit könnte darin liegen, auch die Verkaufszahl eines Produkts als Teil seiner Gestaltungsmasse zu werten. Wie inszenieren Unternehmen die quantitative Potenz ihrer Produkte? Spielt die Zahl bisher verkaufter Produkte in der Marketingkommunikation eine Rolle? Oder wird sie totgeschwiegen (Beispiel Samsung)? Können Abverkaufszahlen als Autoritätszertifikate dienen (Beispiel Microsoft)? Und in welchem Licht soll ein Produkt umgekehrt erscheinen, wenn seine Marktstellung durch limitierte Auflagen gefestigt werden soll (Beispiel manduca)?
Eine andere Variante läge darin, die quantitative Dimension eines Produkts nicht nur auf seinen Markterfolg zu beziehen, sondern (auch) zu ermitteln, wie ‚Menge‘ durch das Produkt selbst als Designelement eingesetzt wird (Beispiel dalli). So würde man wohl der ursprünglichen Begriffsbestimmung des ‚recēnsēre‘ noch näher kommen, bliebe es doch bei einer konzentrierten Musterung des gewählten Gegenstandes, ohne dabei die beiden Elemente Abzählen und Güteermittlung aufgeben zu müssen.
Eine dritte Möglichkeit hat bereits Simon Bieling eingebracht, indem er daran erinnerte, Produkte im Plural zu rezensieren. Man würde als Rezensent also selbst als Gestalter von Mengenkonstellationen einwirken, eine – durch persönliches Interesse gestützte – Auswahl treffen, um durch Kontrastierung die wesentlichen Qualitätsstärken und -schwächen ermitteln zu können (als Anregung: Rasenmäher versus Kinderwagen). Damit wäre auch wieder ein Element in die Rezension eingeführt, das für ihren derzeitigen Etikettierungsboom mitverantwortlich sein dürfte: Eine Rezension ist vom Versprechen aufgeladen, ihren Autor als Subjekt der Bewertung kenntlich zu machen und ihn damit als Regisseur einer Bewertungsinszenierung auszuweisen.
Der Rezensent als Souverän einer Urteilsfindung stünde demnach auch wieder in einer dichteren Bedeutungsnähe zur ursprünglich gemeinten ‚Musterung‘. Eine Musterung, zurückzuführen auf das lateinische ‚monstrare‘, ist semantisch verschwistert mit dem Zeigen, und, übertragen auf eine Konsumrezension, mit Aufzeigen und Kenntlichmachen. Eine so verstandene Konsumrezension trüge demnach nicht nur ein Urteil über eines oder mehrere Produkte vor, sondern zugleich auch zu einer Schule des Schauens, Beobachtens und Wahrnehmens bei. Indem der subjektiv musternde Blick des Rezensenten ein subjektives Taxieren quantitativer und qualitativer Dimensionen vorlegt, lädt er zu Zustimmung oder Widerspruch, zu Korrekturen und Einwänden, zu Ergänzungen und Erweiterungen ein.
So wäre die durchaus autoritäre Geste einer Rezension, die sich öffentlich ihr eigenes Urteil erlaubt, durch ihre individuelle Note wieder relativiert und als eingesponnen in ein Netz aus Vorannahmen und Nachbemerkungen ausgewiesen. In jedem Fall könnte eine präzisere Rückbesinnung auf den eigentlichen Sinngehalt einer Rezension zur weiteren Effektstärkung von Konsumrezensionen beitragen.
Denn auch die besten Sportler brauchen nur kurze Verschnaufpause, um in alter oder sogar noch besserer Form zurückzukehren. Sie erweisen sich damit nicht als Nostalgiker ehemals erbrachter Leistungen, sondern als besonnen genug, um über die Gewinnwirkung der eigenen Zurücknahme Bescheid zu wissen. Dass die bisherigen Konsumrezensionen erkennbar aus diesem Geist heraus entstanden sind, ist neben ihrer Methodensuche ihr weiteres verbindendes Merkmal. Beiden Charakteristika ist ein Wiederaufleben in zukünftigen Beiträgen zu wünschen.
Daniel Hornuff ist akademischer Mitarbeiter am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.