Konsumrezension Maivon Antonia Wagner16.5.2014

Tee: Pukka und Yogi

Eine Freundin von mir begann vor einiger Zeit anlässlich unserer Treffen eine Packung Tee der Marke Pukka mitzubringen – ähnlich wie man abends gerne eine Flasche Wein und Blumen mitbringt, um dem Wunsch nach gemeinsamen Genuss Ausdruck zu verleihen. Pukka Tee ist eine Marke aus Großbritannien und dort bereits seit 2002 auf dem Markt. In die deutschen Regale von Bio-Supermärkten und kleinen Fachgeschäften gelangt Pukka seit 2012. Der Gründer des Tees macht Yoga, ist in der ayurvedischen Lebensphilosophie beheimatet und kennt sich mit der Heil- und Wirkkraft von Kräutern aus – soweit die Informationen auf der Website. Die Idee des Tees ist also einer von Manchen als esoterisch belächelten, von Anderen als ganzheitlich beurteilten Lebenshaltung verpflichtet.

Die Verpackung ist etwas größer als die einer handelsüblichen Teebeutel-Verpackung. Die Pappe ist matt bedruckt und kommt ohne eine durchsichtig glänzende Schutzfolie aus. Die grafische Oberfläche der Verpackung zeichnet sich durch organische Muster aus. Die Motive bilden scherenschnittartig Kräuter der jeweiligen Teesorte ab und verbinden sie mit Silhouetten menschlicher Körper, die sich ähnlich leicht wie die Pflanzen über die Packung winden. Menschen mit Menschen und Menschen mit Natur verbinden sich zu einer organischen Bewegung, die sich fließend und ohne erkennbare Unterbrechung über die ganze Packung erstreckt.

Zusätzliche Informationen wie „köstlich süß & sanft“ oder „für eine schöne Haut“  befinden sich auf hell abgesetzten Kästen, die wie kleine Papierblätter hinten, vorne und unten auf dem Muster liegen. Die textbasierten Informationen sind so stark gebündelt, dass auf den drei freien Seiten, links, rechts und oben, das Muster voll zur Geltung kommt. Das lässt darauf schließen, dass dem Muster selbst eine dem Text zumindest vergleichbare Wirk- und Informationskraft zugesprochen wird.

Im Vergleich wirkt das Design der Marke Yogi Tea didaktisch. Auf jeder Packung sehen wir eine Tasse Tee, deren aufsteigender Dampf eine weiße Fläche entstehen lässt, vor deren Hintergrund die großen Buchstaben der Teesorte, beispielsweise Klarer Geist Tee oder Lemon Mint, heraustreten. Bilder der Kräuterpflanzen finden sich hier ebenso wie auf der Pukka Verpackung, liegen jedoch wie soeben frisch gepflückt neben der Tasse auf einem durch eine farbliche Absetzung angedeuteten Tisch. Das Teeerlebnis wird als konkrete Trinkerfahrung eines Heißgetränks inszeniert. Die Verbundenheit von Mensch und Natur als Philosophie des Yogi Tea lässt sich nur im aufgedruckten Text nachlesen. Zudem findet die Konsumentin auf der Bodenseite der Packung eine konkrete Anweisung zu einer Yogaübung.

Zeigt sich bei Pukka die Verbindung von Mensch und Natur als unmittelbare, ästhetische Erfahrung (das Muster auf allen Seiten erzeugt eine größere Kontaktzone visueller und emotionaler Art), werden bei Yogi Tea die sehr konkreten Erfahrungen von Yogapraxis und Teegenuss sachlich als Handlungsanweisung (Teetrinken und Yoga praktizieren) illustriert.

Was zeichnet nun die Ästhetik der Pukka Verpackungen aus? Das Verpackungsdesign bietet als grafische Oberfläche illustrierte Informationen über die Inhalte der Teebeutel und wirkt dadurch unmittelbarer über das konkrete Erlebnis des Teetrinkens hinaus. Das Muster lässt Kräuter und Menschen in einem fließenden, grafischen Moment erscheinen, der sich als innere Haltung auf weit mehr Situationen als das Teetrinken beziehen kann. Als Geschenk dient die Verpackung ebenso wie als Schmuckstück im Küchenregal einem Lebensgefühl, das die menschliche Individualität in Verbindung mit der Natur denkt.

Die Unterscheidung zwischen dem realen Produktgenuss, hier dem Teetrinken, und den zusätzlichen, fiktiven Werten ist nicht so deutlich wie beispielsweise bei Yogi Tea. Gleichwohl werden auch nicht die Inhalte des Tees ins Kleingedruckte verbannt und allein die Wirkkraft inszeniert, wie beispielsweise bei der Reihe Wieder gut der Marke Sonnentor. Deren Sorten heißen Eine Mütze voll Schlaf oder Frosch im Hals und werden grafisch illustriert; das Augenmerk liegt in diesem Fall allein auf der Wirkung im Körper der Konsument*innen. Wen die Inhalte der Kräutermischung interessieren, muss im Kleingedruckten suchen.

Die grafische Allround-Lösung bei Pukka deutet keinen Raum an wie die Packung des Yogi Tea, sie ist nicht etwas, das auf die Packung appliziert wirkt, ist nicht Illustration wie bei Sonnentor und damit auch keine vom Gebrauchswert eindeutig zu trennende Fiktion. Der Gebrauchswert muss nicht erst durch die visuelle Gestaltung bebildert werden – durch eine Tasse Tee oder einen Frosch in einem Hals.

Die ästhetische Gestaltung der ayurvedischen und ökologischen Werte, die sich im Anblick der Verpackung Pukkas genießen lässt, ohne ausschließlich an den konkreten, realen Teegenuss denken zu müssen, erweitert den Gebrauchswerts des Tees. Denn die Verpackung als Repräsentant für einen bewussten, gesunden und ökologischen Lebensstil kann auch in anderen Situationen als dem Teetrinken wirksam werden. Damit überschreitet die Ästhetik der Pukka Packung die Grenzen der didaktisch vermittelnden Inszenierung anderer Kräutertees und lässt die Verpackung unmittelbarer als ästhetische Erfahrung erfahrbar werden.

Nun könnte man in diesem Phänomen ein Verschleiern des tatsächlichen Gebrauchswerts erkennen. An dieser Stelle ist die Sorge, die Konsument*innen würden zu emotionalen Erlebnissen verführt anstatt zu kritischem Konsum angehalten sicherlich nicht unbegründet. Allerdings stellt sich die Frage, ob letzterer durch erstere nicht auch befördert werden kann.

Die Ästhetik der Teepackung steht einer am Gebrauchswert orientierten Einstellung und deren Einseitigkeit entgegen. Sie unterstützt die Kraft einer ästhetischen Erfahrung. Diese, so könnte man argumentieren, dient nicht allein ihrem Selbstzweck. Die Konsument*innen müssen aufgrund der unmittelbaren Produktästhetik, die eine Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Fiktionswert nicht eindeutig zulässt, ihre persönliche Position hinsichtlich der dargestellten Lebenswerte vielmehr selbst finden.

Könnte dann der Konsum der Sorte klar oder kamille & vanille die kritische Reflexionsfähigkeit der Konsument*innen eher steigern als senken? Ist es nicht so, dass sich der reine Teegenuss immer wieder an einer Aufmerksamkeit für seine Inszenierung bricht? So wird vielleicht gerade durch diese vergrößerte Kontaktzone mit dem Kräuter-Mensch-Muster die gesellschaftliche Vermitteltheit der Botschaften und Lebenswerte bewusster.

Denn unsere unmittelbare Erfahrung des Teetrinkens steht in einem Spannungsverhältnis zu seiner Inszenierung. Dadurch erlangen wir zum Objekt selbst eine distanzierte Wahrnehmung und erkennen unsere eigenen Erfahrungen und unser dadurch geprägtes Urteilsvermögen als reflexive Voraussetzung des Teegenusses. Nicht selten veranlasst uns genau diese Spannung zu einem Gespräch über das entsprechende Produkt.

Die Inszenierung eines Produktes oder einer Marke lässt sich also nicht nur hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit oder schlüssigen Argumentation untersuchen. Auch lässt sie sich nicht nur in Differenz zu Vergleichsprodukten beurteilen. Denn ebenso wichtig für die Bewertung eines Produktes scheint mir das Verhältnis zwischen seiner Inszenierung und seinem Gebrauchswert zu sein. Nimmt man dieses in den Blick, muss jedoch nicht zwangsläufig deren Deckungsgleichheit als gelungen gelten, sondern vielmehr gerade ein die Reflexion der Konsument*innen anregendes Spannungsverhältnis zwischen ihnen.

Wie Thomas Heun in der Heft 4 von Pop. Kultur und Kritik ausführt, lässt sich derzeit eine „bewusste Rückbesinnung auf unmittelbar erfahrbare und nachvollziehbare Qualitäten von Produkten“ ausmachen. Heun zieht den Schluss, dass diese Haltung zu einem„alternativen Konsum von ‚lokalen‘ Originalen“ führt, da sie ein Maximum an unmittelbarer Produkterfahrung gewährleisten. Pukka ist meines Erachtens ein Beispiel dafür, dass eine gelungene Inszenierung im Sinne der unmittelbaren Produktästhetik geeignet ist, die Eigenqualitäten der Produkte und die eigenen Werthaltungen erfahrbar zu machen. Denn unser Konsumerlebnis ist immer ein gesellschaftlich vermitteltes, sei es der Einkauf eines „regionalen Originals“ oder eines Weltkonzernprodukts.

Jedoch sollte unmittelbare Produktästhetik nicht als illusorisches Versprechen für eine bessere Welt (siehe die von Henning Arnecke rezensierten Schokoladen) oder als die didaktische Vermittlung einer Yogaübung (siehe Yogi Tea) missverstanden werden. Ein Produkt halte ich vielmehr dann für besonders gelungen, wenn es Konsument*innen nicht nur die Erfahrung seiner grundsätzlichen Qualität ermöglicht (und die Erwartungen auch entsprechend erfüllt), sondern eben auch zum Austausch über dessen kulturelle, politische und persönliche Dimension anregt.

Dies funktioniert durch eine Produktästhetik, die das Objekt in einem Maße stilisiert, dass beim Konsum immer eine Distanz zu dem jeweiligen Produkt entsteht – durch die Spannung zwischen dem Gebrauchswert und seiner Inszenierung.

 

Antonia Wagner ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.