Mode Julivon Volker Orthmann15.7.2014

Beginn unserer neuen monatlichen Mode-Kolumne. Auftakt: Richtungswechsel in der Männermode

Es geht um Männermode, speziell um das männliche Beinkleid. Der Anlass ist aktuell, denn kürzlich hat die Branche ihre Vorschläge für den Sommer nächsten Jahres unterbreitet. Während sich der globale Mainstream längst auf schlanke bis sehr schlanke Hosensilhouetten verständigt hat, wenden sich wegweisende Kollektionen und Stil-Pioniere zunehmend den weiten, entspannten Formen zu. Historisch betrachtet ist die enge, das Bein fest umschließende Hose die gängigere Variante. Man denke nur an die schmalen Beinlinge des Mittelalters oder die Kombination aus engem Strumpf und Culotte, die in Barock und Rokoko in Adelskreisen üblich war. Kein Wunder also, dass weite Hosenformen aktuell einen besonders hohen Cutting-Edge-Faktor besitzen.

Ich finde es angebracht, dem Thema ein wenig Historie voranzustellen. Ein ebenso eindrucksvolles wie kaum bekanntes Beispiel liefern die geradezu irrwitzig weit geschnittenen Oxford Bags, mit der Mitte der 1920er Jahre eine kleine Gruppe von Oxford-Studenten ihre betont extravagante,  das erwachsene Establishment provozierende Attitüde betonen wollte. Der Look wurde aufgrund seiner extremen Wirkung nie zum Mainstream, verbreitete sich aber bald als Nischenkultur innerhalb der amerikanischen Ivy League Colleges. Vielleicht liegen hier sogar die Wurzeln für die allgemein weiten Hosenformen der 1930er Jahre.

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Mark Leckeys legendäres Video „Fiorucci made me Hardcore“ ist ein hypnotisch wirkender Zusammenschnitt aus Video-Fundstücken verschiedener Tanz-, Club- und Subkulturen der 1970er bis 1990er Jahre. Die ersten Sequenzen zeigen Northern-Soul-Tänzer. Ihre betont weiten, häufig mit Soccer Shirts und Schweißbändern kombinierten Hosen sind in erster Linie dem bewegungsintensiven Tanzstil geschuldet. Raf Simons, dessen Menswear-Kollektionen sich oft als wegweisend herausstellen, zählt diese Arbeit zu seinen wichtigsten Inspirationquellen.

Auch wenn Raf Simons inzwischen ein Superstar ist, der das Traditionshaus Dior stilistisch dirigiert, liegen seine Wurzeln in der Verarbeitung jugendlicher Subkulturen. Die Sommerkollektion 2011 war eine Art Rückbesinnung auf die Kernbausteine seines Looks, in dem das Zusammenspiel von schmalen Tops, Sakkos oder Mänteln zu weiten Hosensilhouetten immer eine wichtige Rolle spielte. Erkennbar werden hier Elemente aus der Rave-Kultur oder Melbourne Shuffle zitiert.

Das schwedische Label Acne steht wie kaum ein anderes für einen cleanen, durch schmale Formen charakterisierten Stil. Gerade die Schweden werden ja gerne als Hauptinitiatoren der engen Röhrenhose angesehen, haben sich aber längst von diesem Klischee befreit. Das abgebildete Beispiel zeigt einen Look aus der aktuellen Wintersaison, in der das Label vereinzelte, dafür aber umso markantere Akzente in Richtung mehr Volumen setzt.

Zuletzt ein Blick auf die Sommersaison nächsten Jahres. Auch wenn der Begriff Paradigmenwechsel noch ein wenig übertrieben scheint, steuert die Männermode langsam in eine entspanntere Richtung, die maßgeblich durch weitere Hosenformen getragen wird. Das Label Ports 1961 präsentiert seit 2011 eine vielbeachtete Männerlinie. Während die vergangenen Saisons eher durch striktes, am Look der 60er Jahre geschultes Tailoring charakterisiert waren, beinhaltet die neueste Kollektion jede Menge locker fallende, überschnittene Formen.

Christophe Lemaire ist einer derjenigen, die seit Saisons sensibel, aber beharrlich neue Proportionen propagiert und damit den Boden für eine Neudefinition der männlichen Silhouette bereitet haben. Die Sommerkollektion 2015 wirkt aufgeräumt, fokussiert und gleichzeitig entspannt. Typisch für seinen Look sind konische, im Oberschenkelbereich weit gehaltene Hosen, die Erinnerungen an Silhouetten der 1980er Jahre wachrufen. Lemaires stetig wachsende Fangemeinde wäre ein weiterer Beleg für die sukzessive Abkehr vom inzwischen arg strapazierten Skinny-Look.

 

Volker Orthmann ist Consultant für die Mode- und Lifestylebranche und Dozent am Design Department Akademie für Mode und Kommunikation Düsseldorf.