Mode Oktobervon Sabina Muriale12.10.2014

Feminism what?!

Der Protestmarsch von Karl dem Großen und andere Widrigkeiten. Eine Twitter-Rückschau mit Aufregung.

In den letzten Wochen, während der Ready To Wear-Schauen in Paris, rannten die Augen heiß vom ständigen Scrollen und Suchen nach den aktuellsten Fotos der angesagtesten ModekritikerInnen auf Twitter und Co. Manche der Auserwählten, die vor Ort mit dabei sein durften, machten allerdings erbärmlich unscharfe Fotos. Vanessa Friedman („New York Times“) gewinnt dabei sicherlich den Ehrenpokal. Die Models waren wohl einfach zu schnell.

Robin Givhan von der „Washington Post“ machte zwar auch so manch unscharfes Foto, dafür waren ihre Tweets umso klarer. Sie kommentierte Karl Lagerfelds Chanel-Show mit den ironischen Worten: „What is a feminist? Whatever she is, she wears #Chanel. Says Lagerfeld.“

Karl feierte sich im Finale seiner Frühling-Sommer 2015 Show als Bewunderer und Befürworter der emanzipierten Frau, die für ihre Rechte selbstbewusst auf die Straße geht. Dafür ließ er sogar extra im Grand Palais einen Boulevard in Trompe-l’œil-Optik bauen – mitsamt Pfützen und Zebrastreifen sowie einen Gehsteig für das Volk!

Mode ist sicherlich ein bedeutendes soziokulturelles Phänomen mit beträchtlicher visueller Wirkung. Aber Karls Spektakel als das neue Bild der feministischen Frau zu feiern wäre dann doch etwas zu weit gegriffen. Dieser Model-Aufmarsch war alles andere als ein feministischer oder gar demokratischer Protestmarsch. Die von Strassendemos inspirierte Show war rein auf deren Äußerlichkeit reduziert. #Appropriation de luxe. Sauber und akurat für die Konsumentinnen aus der reichen weißen Oberschicht. Gerade mal zwölf models of colour von insgesamt 85 stolzierten auf Lagerfelds Straße. Aber dafür alle mit einem schwindend geringen BMI und in Kleidern im Wert von mehreren Tausend €.

Die auf dem Boulevard der Eitelkeiten hochgehaltenen Schilder mit den Slogans wie „Tweed is Better Than Tweet, Be Different“, „Ladies First“ oder „Make Fashion Not War“ schienen in Anbetracht der aktuellen Proteste in Hongkong wie eine Farce. Givhans Kollege Stuart Emmrich bemerkte zumindest diesen Zusammenhang in einem seiner Tweets. Leere Parolen, die keinen tieferen Sinn ergeben. Vor allem im Rückblick auf Lagerfelds fat bashing-Äußerungen erkennt man, dass sein politischer Tiefgang zum Thema Feminismus seichter als seicht ist.

Doch auch wenn man diese Show kritisch sieht, im Großen und Ganzen war sie für Chanel ein gelungener Coup. Im sicheren Hafen des Grand Palais und mit Hilfe von Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Twitter entwickelte sich dieser Luxus-Riot zu einem emotional gesteuerten Werbeträger.

An der Spitze des Spektakels und den Models voranschreitend: Karls neue Muse Cara Delevingne mit Megafon und natürlich Karl-himself, der neue König dieser streitbaren, meist weißen, jungen und sehr dünnen Frauen im Luxusgewand. Im Twitter-Himmel regnete es Lobeshymnen, aber zum Glück auch gerechtfertigte Kritik. Minh-ha T. Pham, Mitbegründerin des lesenswerten Blogs Iheartthreadbared, hatte schon vor einiger Zeit vorausgesagt, dass sich die Modeindustrie immer mehr dem social consumerism zuwenden werde – vor allem durch die Aufmerksamkeit erheischenden Modenschauen oder Werbestrecken, die sich in irgendeiner Form ‚kritisch‘ mit den Phänomenen race, gender oder class auseinandersetzen. Hier werden auf Seiten der BetrachterInnen bzw. KonsumentInnen Emotionen hervorgerufen, die sich im besten Fall positiv auf die beworbene Marke auswirken. Man soll dann diese Kleidung bewusst kaufen, weil sie den eigenen ethischen Ansprüchen, zumindest in ihrer Präsentation, entspricht. Ein klarer Fall von Imagebildung mit offensichtlichem Zweck: social consumerism generiert ganz einfach ‚kaufen, kaufen, kaufen‘.

Jean Paul Gaultiers glorreicher Abgang seiner Ready To Wear-Linie war im Unterschied dazu zumindest eine große Party. Mit dabei waren Models jeglicher Couleur, Plus-Size-Models, aber auch ältere sowie transgender Models – alle vereint in einer großen Manege. Seine Hommage an bekannte Modekritikerinnen rundete die Ode an sich selbst und an die Frauen im Allgemeinen ab.

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Dennoch würde ich auch hier nicht alles auf die politisch motivierte Waage legen. Ich gehe nicht ganz mit der Meinung des Business of Fashion-Teams einher, dass Mode eine ehrliche Plattform für Protest und politische Meinungsbildung sein kann. Mode, bzw. das Business an sich, geht mal Hü, mal Hott mit den momentanen Lifestyle-Trends und platziert diese als Heilsbotschaft in ihren Präsentationen. Und der Trend ist eben derzeit, dass Menschen und Marken sich sauber und politisch korrekt präsentieren wollen oder eben wie Chanel politischen Tiefgang suggerieren: „Ich konsumiere die Guten, also bin ich selbst gut.“ Das ist nicht mehr als ein konsumorientierter Ablasshandel. Dass aber die gute Botschaft von Freiheit und Gleichheit in der eigentlichen Praxis noch lange nicht angekommen ist, sieht man zuweilen immer noch in der Modebranche selbst.

Undercovers jüngste Modenschau Frühling/Sommer 2015 ist dabei ein trauriges Beispiel für racial exclusion.

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Obwohl Jun Takahashis Label durch und durch japanisch ist, gibt es  auf dem Pariser Laufsteg kein einziges asiatisches Model zu sehen. Ein Umstand, der keineswegs ein Einzelfall ist. Unter anderem hatte der amerikanische Frauen-Blog Jezebel schon 2013 auf die Schieflage der New York Fashion Weeks aufmerksam gemacht und aufgezeigt, wie verschwindend gering die Präsenz von asian oder black models im Gegensatz zu white models ist. Im Endeffekt handelt es sich um ein globales Problem, das sich an der Privilegierung weißer Haut festmachen lässt. Dass Jun Takahashi von KritikerInnen immer noch als Querdenker und radikaler Geist gelobt wird, sieht für mich durch die Brille einer aufgeklärten Modebeobachterin eher wie ein Irrtum aus.

 

Sabina Muriale ist Kulturanthropologin, Lehrende an der Akademie der Bildenden Künste Wien im Fachbereich Moden und Styles. Darüber hinaus ist sie Teil des kreativen Teams des Modelabels Edwina Hörl (Tokio).

Jüngste Veröffentlichung zusammen mit Elke Gaugele u.a.: Aesthetic Politics in Fashion.

Getwittert wird übrigens auch: https://twitter.com/sabinatext