Der Klang eines Planeten Rezension zu Douglas Kahn, »Earth Sound Earth Signal«von Dominik Irtenkauf10.5.2015

Technische Romantik

Pfeift es im Ohr, kann das mehrere Ursachen besitzen: das Ohr kann zu lange einer erhöhten Lautstärke (etwa bei einem Konzert oder Discobesuch) ausgesetzt gewesen sein. Eine andere Möglichkeit wäre ein durch Stress ausgelöster Tinnitus, der zu irreparablen Hörschäden führen kann. Die Menge an Menschen, die Stimmen im Kopf hört und dies als Pfeifen wahrnimmt, läßt sich angesichts des begrenzten Platzes im Kontext einer Rezension vernachlässigen.

Möglich wäre zudem noch eine sagen wir: globalere Variante: Auch wenn sich keine Siedlung in unmittelbarer Nähe befindet, kein Discman oder i-Pod ans Ohr angeschlossen wird, könnte das Summen der Erde gehört werden. Henry David Thoreau stand nahe der Telegrafenmasten und hörte Sphärenmusik. Beim ersten Telefonapparat tauchten – ja, was eigentlich? – waren es Störgeräusche, Begleittöne, Unterklang? – auf, die zum Beispiel Thomas Watson hörte. Douglas Kahn zeichnet in seinem neuen Buch »Earth Sound Earth Signal. Energies and Earth Magnitude in the Arts« eine medienhistorische Konstante in den Künsten nach: eben die ›Hörbachmachung‹ des erdeigenen Sounds. Doch worin besteht dieser und unter welchen Umständen tritt er auf?

Ein Beispiel wäre die (unbeabsichtigte) Übertragung von Musik durch das Telegraphensystem, das nicht nur am Zielort empfangen und gehört wird, sondern auch Sound an die Umgebung ›abgibt‹. Kahns beeindruckende Kompetenz als Erzähler spannt ein medienhistorisches Panorama auf, das die ›Hörbachmachung‹ als eine spannende Geschichte der Technologie, aber auch der künstlerischen Interessen erzählt.

So wird zum Beispiel auch Henry David Thoreau in seiner Walden-Abgeschiedenheit mehrfach angeführt. Er bewundert die sphärische Musik, wie er sie nennt, trotz seines bewussten Rückzugs aus jeder Zivilisation. Diese Frage nach der Trennschärfe zwischen Natur und Technik durchzieht Kahns gesamtes Buch.

Das wäre jedoch deutlich vereinfacht, denn Douglas Kahn interessiert sich vor allem für übertragene akustische Signale in natürlicher Umgebung oder sagen wir besser: außerhalb des Maschinen-Zirkels. Die verschiedenen Erklärungsversuche von Ingenieuren, aber auch Schriftstellern zeichnet Kahn in kurzweiligen Kapiteln nach. So tauchen »auroras« (S. 66ff.) oder auch »lightnings and thunderstorms« (S. 67) genauso wie alle möglichen akustischen Phänomene auf.

Der Zugang erinnert an die Positionen romantischer Literatur, die die gesamte Natur von einem Fluidum durchwirkt denkt. E.T.A. Hoffmann führt in seinen Erzählungen häufig das Schwingen der Natur an, auf das ein entsprechend sensitiver Charakter reagiert und dann in seiner Handlungsweise von diesen Resonanzen geleitet wird.

Interessanterweise nennt Kahn die »aeolian sounds«. Derselbe Begriff taucht auch bei den romantischen Autoren auf. Kahn zielt jedoch auf andere sonische Phänomene: auf die uneigentlich medial transportierten Sounds, wie die frühe Telegraphie »earth currents« hörbar machte, aber auch Musikprogramme übertrug, die sie scheinbar in der Luft aufschnappte.

Nicht nur die Ingenieure erliegen der Faszination der mitgehörten Klänge, die scheinbar ohne menschliches Zutun in der Natur entstehen. Sound Studies fragen nach der hörökologischen Sensibilität der Hörer, wenn sie sich in fremder Umgebung bewegen. Es zeigt sich, dass diese oberflächlich betrachtet rein technologischen Phänomene früh schon eine künstlerische Dimension erhalten.

Es sind Sätze wie diese, die Kahns Buch nicht nur als Informationsquelle, sondern auch als Lesegenuss empfehlen: »Hinterding had met a person who had gone throughout the city to listen to stairwells and fire escape in order to hear whether or not they were receiving radio; it made her wonder whether ›Repent! Repent!‹ might also be pulsating just outside the window, resonating sympathetically in the conductive mass of the fire escape, and it made her wonder where else the call to repent might be in that big rat’s nest of vibrating metal called a city.« (S. 244)-

Douglas Kahn gelingt es scheinbar leicht, wissenschaftsgeschichtliche Einlassungen mit spannenden ästhetischen Fragen zu verknüpfen. Die Hörbachmachung des Eigensounds der Erde taucht auch immer wieder in experimentellen Projekten der elektronischen Musik auf – es wäre spannend, Kahns Analyse als Ausgangspunkt für eine popkulturelle Untersuchung entsprechender Interpreten und ihrer ›Erdsounds‹ zu nehmen.

 

Bibliografischer Hinweis:
Douglas Kahn
Earth Sound Earth Signal. Energies and Earth Magnitude in the Arts
Berkeley, Los Angeles und London 2013
University of California Press
ISBN 978-0-520-25755-9
330 Seiten

 

Dominik Irtenkauf M.A. ist freischaffender Journalist und Autor (u.a. fürs Legacy-Magazin, Telepolis und Read), zudem arbeitet er an einer Dissertation in den Sound Studies zur Soundscape der Schwärze.