Das Jahr 2015: Rap zwischen Lautsprecher- und Facebookdebattenvon Marc Dietrich24.12.2015

Rap auf allen Kanälen

– und in allen Formaten: ein Blockbuster über Gangsta Rap’s Finest („Straight outta Compton“), eindrucksvolle Dokumentationen über Nas („Time is illmatic“ und zwei Radiolegenden („Stretch & Bobbito“), HipHop im Museum („Styles – HipHop in Deutschland“) und eine buchgewordene Chronik der Kultur („35 Jahre HipHop in Deutschland“) .

Viel mehr geht nicht. Obendrauf gabʼs ein Legendencomeback, das die Weltpresse überwiegend abfeierte und ein paar wenige nicht so dolle fanden. Vielleicht war 2015 aber auch einfach das Jahr des Kendrick Lamar, dessen „To Pimp a Butterfly“ medienübergreifend als musikalisch- inhaltlicher Game Changer zelebriert wurde.

Rap in 2015 war aber nicht nur omnipräsent, sondern auch inhaltsstark – oder wahlweise inhaltlich umstritten. Gerade in Deutschland. Inhaltsstärke demonstrierten v.a. Rap-Alben, die tendenziell politisch oder sozialkritisch Position bezogen (man denke an die großartigen Veröffentlichungen von K.I.Z., Zugezogen Maskulin, Audio88 & Yassin). Inhaltlich umstritten war Rap aber in einer größeren medialen Debatte, die sich um Feuilletonüberlegungen zum Zusammenhang von IS-Terror und Rap drehte.

Ein letzter größerer Aufreger fällt in die frühen Dezembertage: „Welt“-Autor Dennis Sand stellt fest, dass deutsche HipHop-Medien schlicht kaputt sind und holt zu einem Rundumschlag aus, der (die eigene „Reichweite“ rhetorisch voll ausspielend) verschiedene HipHop-Medien streift, aber insbesondere Falk Schacht anvisiert. Der Artikel „Deutschrap, du hast ein Problem“, erschienen am 8.12. bei Welt Online, sorgte in den sozialen Medien und nicht zuletzt innerhalb der Szene für gehörig Aufruhr. Die Folge ist ein „Battle“ zwischen Sand und Deutschlands rapjournalistischer Urinstanz, das an manchen Stellen professionelle Distanz zugunsten von Kindergartenzankerei verabschiedet („Du hast schlecht recherchiert! Nein, du. Nein, du“)

Zu dieser genauso absurden wie interessanten Diskussion wurde schon (zu) viel geschrieben. Gewissermaßen lässt sich diese Kontroverse aber hinsichtlich ihrer Bestandteile fast schon symbolisch lesen für vieles, was 2015 bezeichnend war: Selbstinszenierungen, fragwürdige Facebookdebatten und mediale Lautsprecherei.

In der Einleitung ihres bereits 1998 erschienen Bandes zur „Inszenierungsgesellschaft“machen Herbert Willems und Martin Jurga durchaus kritisch darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Konstruktionen immer neuer Gesellschafts- und Zeitdiagnosen mit einschlägigen Etiketten (von der (spät-)kapitalistischen Gesellschaft über die Kommunikationsgesellschaft bis hin zur Konkurrenzgesellschaft) fragwürdig sind. Sie geben zu, dass auch ihr Bandtitel durchaus mit einer „Dramatisierungsfunktion“ versehen ist und hinterfragen die Notwendigkeit, eine Inszenierungsgesellschaft auszurufen. Beide Aspekte – der Hinweis auf eine Inszenierungsgesellschaft und der des selbstkritischen Innehaltens – sind gute Stichwortgeber. Nicht nur für (Szene-)JournalistInnen, sondern auch Kommentierende in den Social Media.

In seiner – so kann man sagen – rapkulturellen Zeitdiagnose trifft „Welt“-Redakteur Dennis Sand thematisch ein paar wichtige Aspekte. Es geht in aller Kürze um eine Krise der Medienberichterstattung im Deutschrap, eum mangelnde Bereitschaft, Gewaltandrohungen und Verbalausbrüchen von Rappern ein journalistisches Korrektiv entgegenzusetzen. Ausgehend von der (vermeintlichen) Böhmermann-Haftbefehl-Kontroverse, klingt das so: „Deutschrap“ reagiere angesichts der Böhmermannparodie mit „Bildungsbürgervorwürfen, Stadtverboten und Gewaltfantasien.“ Das sei jedoch „nicht das größte Problem der Szene“. Dies entlarvt der „Welt“-Mann sogleich: Die Szene reagiere auf Parodie oder Kritik von außen wie – in beiden Fällen handelt es sich um mehr oder weniger bekannte Rapper – ein Toony, der Separate nach einem Internet-Disstrack zu Hause besucht und „den Wirsing einschlagen will“. Dieses Bild von einem, der körperlich aggressiv wird in der Realworld, weil in der Internetwelt ein Diss(ens) ausgetragen wird, sieht Sand als Symptom (das er mit alten Flerstorys und neuen Großansagen von Toni der Assi ordentlich spektakularisiert). Hier zeige sich, dass die Grenze zwischen „Unterhaltung und ernsthafter Bedrohung“ allmählich brüchig werde.

Die Diagnose für diese pathologische Entwicklung folgt umgehend und lautstark: Schuld sind „die“ Szenemedien, sie sind aus fragwürdigen Motiven heraus zutiefst unkritisch, Szenemedien schweigen zu antisemitischen Ansagen im Rap und bieten dafür gar eine Plattform. In der „Welt“-Rhetorik: „Deutsche HipHop-Medien sind kaputt.“ BAM. Die grundsätzliche Diagnose ist Folgende: Szeneinterne unkritische Medien winken jede Fragwürdigkeit durch, szeneexterne kritische Medien erkennen und thematisieren diese Fragwürdigkeiten, werden aber als bildungsbürgerliche Invasoren gebrandmarkt. Eine ziemlich laute Ansage mit zahlreichem Kollektivsingular, der noch keiner Debatte geholfen hat. Das ist schade, weil hier eine im Kern richtige Kritik geäußert wird.

Sand spricht hinsichtlich mangelhafter kritischer Interventionen in Interviews ein tatsächliches Problem an: Wer sich durch diverse (Video-)Interviews mit Rappern klickt, wird bisweilen durchaus den Eindruck nicht los, dass dort einfach alles gesagt und getan werden kann. Auch Sands ökonomische Begründung für die mangelnde kritische Intervention ist so simpel wie schlüssig: Wer seine InterviewpartnerInnen zu stark kritisiert, mag sie verlieren und damit auch Klicks.

Die Begründung bezüglich des szeneinternen Beißreflexes in Bezug auf „bildungsbürgerliche“ und szeneexterne (Medien-)Interventionen ist da schon schwieriger: Sand folgend gibt es ein Szene-Trauma aus den 90ern, als sich Comedians über diese „neue“ Baggy-Pants-Yo-Yo-Kultur lustig machten und man glaubte, sich von Fremdkommentierungen und Vereinnahmungen abzugrenzen zu müssen. Dies sei gegenwärtig nicht mehr nötig weil Rap Popkultur sei. Deutschrap sei zu groß und anerkannt um noch verteidigt werden zu müssen. Daran kann man durchaus seine Zweifel haben. Unterscheiden muss man zwischen Musik, die erfolgreich ist, auf Abi- oder Studentenparties läuft und in die Charts gelangt, und der Kultur, die damit in Verbindung steht. Letztere ist noch längst nicht so groß und anerkannt.

Das muss sie auch nicht zwangsläufig sein. Im Gegenteil – vielleicht entfallen dann durchaus interessante Diskussionen um Akteure, die rappen sollen, Kritik üben sollten/dies nicht dürfen wie in anderen Subkulturen, die sich rein gar nicht mehr streiten, weil sie vom „Mainstream“ komplett domestiziert sind. Der Punkt ist aber, dass genau Sands These (ironischerweise) von Facebook-Kommentaren auf der „Welt“-Seite unter dem Artikel relativiert wurde. Neben ein paar klugen Anmerkungen fanden sich dort Stimmen, die genau das Gegenteil einer anerkannten und angekommenen Rapkultur bezeugen. Man ahnt es schon: Wieder einmal geht es um Rap als Asozialen- und/oder Kanackenkultur. Ein paar Auszüge (unredigiert):

„Deutschrap ist Teeniescheisse. Selbsternannte Gangster die ausser hohlen, asozialen Phrasen, nichts richtig hinkriegen, ein Spiegel ihres verpfuschten Lebens, an dem alle, ausser ihnen selbst, die Schuld tragen. Das Publikum? Ghettokids, die sich in ihrem Dreck suhlen, anstatt den allerwertesten in Bewegung zu setzen und sich zu retten. Aber ein Leben von Kriminalität, Hartz4 und Hilfsarbeiter Jobs, im selbst erschaffenen Ghetto, PlayStation spielen und abhängen, ist auch einfacher. Oder?“

„Ich versteh nur irgendwas mit „Isch“ „misch“ noch was mit mit „Opfa“ und „Gansgta“. Ach ja. Deutsch Rap. Wobei ich zugeben muss, es gibt auch ein/zwei gute aber die sind dann wohl auch nicht „swag“ und „fame“ genug oder „ownen“ irgendwen oder irgendwer.“

„(…) irgendwelche Blödiane mit geschmissener Lehre wollen einem die Welt erklären.“

„(…) hirnloses gestammel von irgendwelchern sozialversagern, in denen das „ISCH“ und kanackgelaber nicht fehlen darf.“

Hier mal kritisch bei Facebook zu moderieren, war offenbar auch ein (ökonomisch bedingtes?) Problem. Zum Inhalt dieser Kommentare gäbe es eigentlich viel zu sagen. Belassen wir es mal bei der kurzen Betonung (auch latenter) Selbstinszenierungen und Zuschreibungen: Ich: deutsch, gebildet, klug, Sozialgewinner / Deutschrap (die): Kanackending, asozial, ghettoverliebt, Sozialverlierer.

Wenn man ein Szenebild malt, das Randphänomene zum Normalzustand erklärt oder Debatten, die in ihrer Schärfe (gegen Bildungsbürger) auch ein Zeichen der Lebendigkeit einer offenbar doch noch nicht so mainstreamigen Szene sind, nur einseitig einordnet, dann befördert man bestimmte Tonlagen. Selbstinszenierung wird dann auch (zu stark) erkennbar, wenn der (Lautsprecher-)Ton das eigentliche Thema übertönt.

Die Aufklärerinszenierung hier funktioniert als undifferenziertes Lautsprechen über „die“ Szene, „die“ kaputten Rapmedien und wird unterfüttert mit Internetschnipseln und (beklagenswerten aber sehr) vereinzelten Vorfällen. So inszeniert man lautstark den Gegenwartszustand einer ganzen Szene. Einwenden kann man: So richtig kann doch niemand etwas für Facebookkommentare, „Trolle“ gibt’s überall. Das Forum für geistreiche oder eben idiotische Debatten schlechthin ist nun mal Facebook –interessanterweise finden solche lautstarken, idiotischen Debatten aber häufiger auf der Seite der „Welt“ statt.

Eines scheint 2015 jedenfalls aus der Mode gekommen zu sein: innezuhalten und (vorübergehend) zu schweigen. Im Zeitalter der Komplettansage auf allen Kanälen kann man sich vielleicht mal darauf besinnen, dass Aufmerksamkeitsentzug auch eine wirksame Waffe ist, die verhindert, dass zweifelhafte Phänomene auf die Agenda gelangen und eine Öffentlichkeit bekommen, die sie nicht verdienen. Sand trifft einen wunden Punkt in der Medienberichterstattung zu Rap – keine Frage. Die Art, wie dies passiert, ist aber charakteristisch für viele Diskurse in 2015.