PostpragmaticjoyZu Leif Randts »Planet Magnon«von Heinz Drügh15.1.2016

Roman der ActualSanity

Ich bin kein Science Fiction-Experte. Irgendwie bin ich zudem so wenig postpragmatic, dass ich hoffe, Ihnen nicht das Spektakel eines Mitchs zuzumuten. Was das sein soll – postpragmatic, mitch – wissen nur diejenigen, die Leif Randts Roman Planet Magnon schon gelesen haben. Den anderen erkläre ich es später.

Ich bin, wie ich sagte, kein Science Fiction-Experte. Und so denke ich, wenn es um dieses Genre geht, gar nicht mal sofort an ein Buch, sondern an einen Song von einem Album, das ich als Teenager sehr mochte und bis heute mag. Die Rede ist von Planet Claire, dem Opener des ersten Albums der B52s aus dem Jahr 1979. Dieser Song bietet sowohl musikalisch als auch textuell einiges von dem, was Science Fiction als popkulturelles Phänomen auch für den nicht eingefleischten Fan attraktiv macht:

She came from Planet Claire
I knew she came from there
She drove a Plymouth Satellite
Faster than the speed of light

Planet Claire has pink air
All the trees are red
No one ever dies there
No one has a head

Some say she’s from Mars
Or one of the seven stars
That shine after 3:30 in the morning
WELL SHE ISN’T

Schaut man sich den Text näher an – echter Literaturwissenschaftlersatz, gilt aber nicht nur für Rilke, sondern auch für die B52s –, dann finden sich gängige Ingredienzien des Spacepop: der begeisterte Bezug auf eine in retrofuturistischer Weise technisiert daherkommende Moderne in Gestalt des ab 1965 gebauten Plymouth Satellite, mit dem die Besungene, eine ‚flotte Biene‘, hätte man wohl früher gesagt, gleichsam schneller als das Licht unterwegs ist. Dann jene Beschreibung des Planet Claire, von dem die Dame herzukommen scheint: „Planet Claire has pink air, all the trees are red“. Das klingt sehr nach Discos mit Nebelmaschinen und wahlweise bunten Lichtern oder bunten Pillen. „No one ever dies there, no one has a head“.

Das ist jener rauschhafte, drogenselige Timothy Leary-Pop, dem – Turn on, Tune in, Drop out!“ – alle Lust Ewigkeit sein kann, vorausgesetzt, man knallt sich weg. Aber natürlich ist die Besungene weder vom Kriegsplaneten Mars, wie manche sagen, noch von einem jener sieben Sterne, die nach 3 Uhr 30 am Morgenhimmel leuchten. „Well she isn’t“, schreit Fred Schneider, der Sänger der B52s heraus. Wenn er etwas damit aussagen will, dann vielleicht, dass sie eben doch vom Mars ist, jene besungene Sie, oder dass sie (shines after 3:30 in the morning) eine von denjenigen ist, die bei jeder nächtlichen Schlussverlosung dabei ist. In jedem Fall aber geht es hier um eine ganz irdische überirdische Liebschaft.

Leif Randt hat, mag die Verlagsmitteilung zu Planet Magnon auch auf die Popmythen hinweisen, die darin verhandelt werden, auf jeden Fall anderes mit uns vor als die B52s. Von der Pink Air des Planet Claire bleibt im Planetensystem, in dem der Roman spielt, nur ein „Mond Pink“ (106) – der zwar auch eine Pop-Anspielung ist, aber nicht auf Spacepop irgendeiner Art, sondern auf Nick Drakes traurigen Folksong Pink Moon von 1971, der im Jahr 2000 auch nicht als Werbung für einen Wagen der Kategorie Plymouth Satellite, sondern für den VW Golf-Cabrio recycelt wurde (was schert es die Wolfsburger schon, dass ein Pink Moon eigentlich ein Vorzeichen apokalyptischen Unglücks ist).

Statt einen Planet Claire gibt es bei Leif Randt – SaniFair, hätte ich mich jetzt beinahe zu einem kalauernden Reim hinreißen lassen. Natürlich ist es nicht SaniFair, jenes, so die Selbstbeschreibung, „erfrischend andere WC“, das uns nach der Privatisierung der Autobahntoiletten für unsere Pinkelpausen erwartet, sondern, irgendwie ähnlich anmutend, ein Computersystem namens „ActualSanity“ lautet der Name jenes Computersystems, das die Geschicke in der Romanwelt steuert. Ihren Sitz hat diese depersonalisierte, postdemokratische Agentur (Zitat) „über uns in den Sternen, auf einem stationären Shuttle“. Dort passt sie, so lesen wir, „ihre Gesetzestexte auf Grundlage statistischer Auswertungen immer präziser und unmittelbarer an die sich stets erneuernden Verhältnisse an“ (27). Kurz: ein Algorithmus, der sowohl physische Fakten wie Krankheitsfälle und Verkaufszahlen berücksichtigt als auch psychologische Parameter wie Ängste, Wünsche oder Zufriedenheit (275), hat in der Romanwelt die reale Politik mit ihren „unzählige[n] Wahlen“ (27), ergebnislosen Debatten und ihrer latenten oder manifesten Agonalität und „Aggressivität“ (277) ersetzt.

Nun herrscht ActualSanity, die, wie der Erzähler meint, „magischste Errungenschaft unserer Zivilisation“ (28). Neben der Möglichkeit direkter, politischer Partizipation ist, wie man nebenbei erfährt, auch das offene Internet abgeschafft worden. Aber wenn die Partei doch, hätte man früher gesagt, sowieso immer recht hat? Bzw. in Planet Magnon ausschließlich das tut, was die Menschen nun einmal wünschen? ActualSanity kann, so liest man, gar „keine eigenmächtigen Entscheidungen treffen […], sie ist abhängig von unsren Handlungen, Diskursen und Wünschen“ (52). Also ist postdemokratisch vielleicht gar nicht der richtige Begriff, sondern ultra-basisdemokratisch? Jedenfalls sorgt ActualSanity für Wohltaten wie „perfekten Asphalt“ (168) und kostenlose Taxis (194). Minister Dobrindt, check it out, so macht man das. Eine Ausländermaut gibt’s bei den Planeten der Alphavereinigung selbstverständlich nicht. Da keine Staatengebilde mehr existieren, gibt es nicht mal mehr Ausländer. „Imagine there’s no countries, it isn’t hard to do“.

Es herrscht eine Art friedlicherinterplanetarischer Koexistenz. Aus den persönlichen Umgangsformen sind Momente von Gewalt und Aggression weitgehend getilgt. Die Gesellschaftsform ist postindustriell, von Menschen, die mit ihrer Arbeit etwas produzieren, erfährt man nichts. Über die „alte Zeit“ vor ActualSanity, die knapp 50 Jahre zurückliegt, berichtet der Erzähler Marten Eliot, der in seinen Zwanzigern sein dürfte, voller Erstaunen, dass „Besitztümer“ dort noch „Individuen zugeordnet“ gewesen seien: „Imgagine no possessions“, aber nicht mehr „I wonder if you can“, sondern im Gegenteil, wie anders soll es sein (Zitat): „Der Besitz einer Einzelperson ging weit über eine Sammlung von Schuhen oder Accessoires hinaus. Selbst banale Gebrauchsgegenstände wurden nicht“, so der Erzähler mit durch Kursivierung angezeigten Nachdruck, „geliehen und genutzt, sie wurden erworben und aufbewahrt“ (93).

Für die Vergemeinschaftung stehen sogenannte Kollektive zur Verfügung, in denen man ab dem Kindes- oder Jugendlichenalter eine „kollektive Erziehung“ genießt. Die Konstellation der klassischen Familie, in der man „bei Elternduos“ aufwächst und dadurch von „nur zwei Charakteren […] dominant geprägt“ wird, gilt als antiquiert und wenig erfolgversprechend.

Es geht also in Leif Randts Weltraumvision um eine Art Mixtur aus Hippieträumen und dem in mancher Hinsicht zugespitzten Hier und Jetzt einer Selbstoptimierungskultur. Mit Dreizehneinhalb fragt Marten Eliot seine Tante, bei der er lebt, seit er drei Jahre alt ist, und die er einen Tag später zugunsten des Kollektivs der Dolfins verlassen wird, er fragt sie eine – wie er sagt – „letzte Kinderfrage“: Ob denn nun wirklich (Zitat) „alles so gut war wie nie zuvor: Meine Tante musste nicht lange überlegen, sie sagte: ‚Nun ist wohl die beste Zeit. Für die meisten von uns’. Mit den meisten hat sie nicht sich selbst gemeint, das war offensichtlich, und vielleicht hätte sie sich von mir einige Nachfragen gewünscht. Diese Nachfragen wollte ich aber nicht stellen. Tante Sam hat nie gelernt, sich für die Angebote unserer Planetengemeinschaft zu öffnen (47).“

Diese Passage ist nicht untypisch für die gedankliche Bewegung des Romans. Es wird uns ein System geschildert, das, obwohl es, wie gesagt, vorgeblich radikal basisdemokratisch ist, seltsam totalitär wirkt, über dessen hölzerne Selbstdarstellung man während des Lesens hier und da lachen muss, dem gegenüber einen aber auch immer wieder mulmige Gefühle beschleichen. Der Erzähler jedoch, obwohl er mit seiner Kinderfrage eine gewisse Skepsis zum Ausdruck bringt, dreht sich dann doch immer wieder hin zu einer Systemaffirmation, die sich in seltsam phrasenhaften Bemerkungen Bahn bricht wie eben: „Tante Sam hat nie gelernt, sich für die Angebote unserer Planetengemeinschaft zu öffnen.“ Wir haben es mit einem Jungfunktionär zu tun, einem in der Terminologie des Romans „Spitzenfellow“. Spitzenfellows sind „populäre Vermittler und Boschafter, die von Planet zu Planet reisen, um die Dolfins der Gegenwart zu repräsentieren“. (50)

Denn – ähnlich im übrigen, ich ahne, warum ich hier bin, ähnlich wie an den Hochschulen der Gegenwart – konkurrieren die Kollektive um junge „Talente“, wie es heißt. „Sei klug, studier in Halle“ erstaunte mich auf einer Litfasssäule in meinem schnarchigen Frankfurter Wohngebiet vor einiger Zeit ein Slogan auf einem Werbeplakat, auf dem zwei junge aufgeräumte Menschen zu sehen waren, offenbar ganz aus dem Häuschen von der Spitzenidee, in der Saalestadt zu studieren.

Auch in der ActualSanity-Welt geht es um Aufmerksamkeitsökonomie. Zu Beginn des Romans erleben wir eine Fotosession, bei der Marten gemeinsam mit seiner Kollegin Emma Glendale für eine Dolfin-Werbekampagne auf dem Rücken zweier mit Beruhigungsmitteln sedierte Raptoren fotografiert wird. Raptoren sind Raubsaurier, auch so etwas gibt es in diesem Roman. Marten freilich gewahrt bei näherem Betrachten des resultierenden Fotos mit „einer Art Ergriffenheit“ eine gewisse „Verletzlichkeit“ (55). Er bleibt bei allem Glamour und bei aller Systemaffirmation ein Sensibler.

Mit Kampagnen wie dieser konkurrieren die Kollektive um Aufmerksamkeit und ganz konkret um Mitgliederzahlen, wovon die von ActualSanity gewährten „Finanzmittel“ abhängen. „Alleinstellungsmerkmal“, auch ein solches Wort aus dem Neusprech der Managementkultur findet sich im Roman, ferner ist von „Kernkompetenzen“ (221) die Rede, auch von „interkollektive[r] Kommunikation“ (222). Sogar ein Satz mit der staksigen amtsdeutschen Konstruktion, „dergestalt …, dass“, ist zu verzeichnen, i.ü. eine der literarischen Geheimwaffen des Juristen Heinrich von Kleist. Das ‚Alleinstellungsmerkmal‘ der Dolfins ist jedenfalls ihre (Zitat) „ästhetisch-kommunikative Bedeutung […] für die Planetengemeinschaft“ (35).

Was soll das nun wieder bedeuten? Im Glossar des Romans – Science-Fiction Romane brauchen so etwas, wenn sie die genregemäß fremde Welt nicht alle Naslang ausführlich erklären wollen – im Glossar wird vermerkt, dass Dolfin-Konzepte (Zitat) „oftmals als begrifflich diffus kritisiert werden“. Da ist was dran, wenn man weiter schaut, dass die ästhetisch-kommunikative Bedeutung der Dolfins in einem Konzept besteht, das der Roman post pragmatic joy nennt. Deren Ziel ist ein – so der Einfachheit gleich noch einmal mit dem Glossar –„Schwebezustand“, „in dem Rauscherfahrung und Nüchternheit, Selbst- und Fremdbeobachtung, Pflichterfüllung und Zerstreuung ihre scheinbare Widersprüchlichkeit überwinden. Damit setzen die Dolfins ihre PPJ von einer Pragmaticjoy ab, unter der sie diverse Hobby- und Freizeittechniken anderer Kollektive subsumieren“ (291f.).

Ästhetik heißt in diesem Fall wohl so etwas wie Lifestyle. Aber Leif Randt ist natürlich kein Satiriker, kein – bewahre – Kleinkünstler, der auf schlüsselreizhaft feixende Übereinstimmung lauert, wenn bestimmte Begriffe fallen. Man kann deshalb ruhig einmal statt von Lifestyle von Lebenskunst sprechen oder von Selbstsorge. Randt führt uns einen zwar immer wieder in seinem Selbstverständnis angekratzten und zweifelnden Erzähler vor, aber – und das halte ich für einen großen Vorzug seiner Prosa – er entlarvt ihn nicht, er tut nicht so, als würden wir in unseren Existenzen so gnadenlos anders leben als seine Romanhelden. „Sei klug, studier in Halle.“ Es gibt einen Satz des französischen Soziologen Bruno Latour, der lautet: „Der Kritiker ist nicht derjenige, der entlarvt, sondern der, der versammelt.“ In diesem Sinn, aber nur in diesem, nicht in einem, der darunter das Abspulen gängiger kulturkritischer Floskeln versteht, ist Leif Randt ein kritischer Autor. Ein Autor, der Welten erst einmal vorführt, sie überhaupt wahrnehmbar, in leichter, manchmal komischer, manchmal trauriger Verfremdung nachvollziehbar macht.

Die Lebenswelt, die persönlichen Einstellungen und Präferenzen der jungen Fellows in Planet Magnon werden folglich, darin ähnelt der Zugriff dem Vorgänger Schimmernder Dunst über Coby County, nicht einfach als aberwitzig weggewischt, sondern als eine Welt kenntlich gemacht, die in ihrer Grundstruktur insbesondere von jüngeren, urbanen Menschen in westlichen Gesellschaften geteilt wird. Was aber sind nun die zentralen Techniken der postpragmatic joy?

Eine wichtige Rolle spielen, wie in so manchem Science Fiction-Text, Drogen, etwa das titelgebende Magnon. Bei dieser „kupferfarbenen Flüssigkeit“ – siehe auch die schöne Covergestaltung (die sogar die Gestaltung der Hardcover-Ausgabe von Schimmernder Dunst über Coby County aufnimmt und fortführt) – handelt es sich aber nicht um den Katalysator einer seherischen oder mystischen Bewusstseinserweiterung wie z.B. im Fall des Spice Melange aus Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker Dune. Es geht auch um keinen (Zitat) „energetischen noch um einen amourösen Ausnahmezustand“ (82) wie etwa bei Timothy Leary, sondern um eine „Befreiung des Blicks“ (82), die eine – nochmal Zitat – „Mischung aus enormer Objektivität und großer Emotion“ (64) erzeugt. Ich gebe ein Beispiel: „Ich sah“, bemerkt Marten über seine Kollegin Emma, „Ich sah nur noch, dass Emma einen grauen Overall trug, der mutmaßlich zu 75% aus Baumwolle bestand und den man, je nach Situation, als schön oder angemessen, aber auch als problematisch einstufen konnte. All das war legitim und nachvollziehbar“ (63f). Na ja, das mit der großen Emotion könnte eine Autosuggestion sein.

Nun scheint mir diese indifferent wirkende Haltung aber auch nicht in Analogie zu jenem Einsatz des Soma in Aldous Huxleys Dystopie Brave New World gestaltet zu sein, wo die Droge neben ausschweifendem Sex und Konsum den Mitgliedern der Gesellschaft in kalkulierter Weise das Bedürfnis zum kritischen Denken und Hinterfragen ihrer Weltordnung nehmen soll. Ich habe einmal, erlauben sie das Selbstzitat, über Coby County geschrieben, dies sei wie Faserland auf Soma. Dass das wahrscheinlich zu platt ist, zeigt Leif Randts neuer Roman. Denn die abwartende, nicht zur Entscheidung drängende, erst einmal zulassende Art der Wahrnehmung gilt nicht nur für den Erzähler als homodiegetische Figur, d.h. als Teil der erzählten Welt, sondern auch, wie ich behaupten würde, für den Ton und die Darstellung des Romans selbst.

Die Drogenseligkeit wird in Planet Magnon freilich dennoch gebrochen dargestellt. Nicht vom Konsum der Droge ist die Rede. Vielmehr redet man euphemistisch von Drogen-„Experimenten“. Dazu kommen Außenperspektiven wie die eines Taxifahrers, der zu Marten Eliots Verdruss davon spricht, dass die Dolfins im allgemeinen und Marten im besonderen so eine „Magnonmüdigkeit um [die] Augen“ (191) hätten, oder die Bemerkung eines Bewohners des Urlaubsparadieses Cromit, in dem in Rastafari-Manier Ganja angebaut und genossen wird, hinsichtlich der Frage, wie denn der Besucher Marten das Kraut vertragen wird: (Zitat) „Der Mann ist Dolfin. Der hat manches durch“ (171).

Zentral ist, was in Planet Magnon in puncto Körpererfahrung, Liebe und Sex abläuft. Letzteren gibt es zwar, aber nur als nicht näher beschriebene Verrichtung und so gut wie nie in Kopplung mit Liebesgefühlen. Es herrscht eine Entsagung fast wie im realistischen Roman des 19. Jahrhunderts. Ist dort, man lese daraufhin nochmal Stifters Nachsommer, ob der ganzen Verdrängung im Grunde aber alles subkutan durchsext, so ist in Planet Magnon trotz allgemeiner Distanziertheit – flüchtige Berührungen am Oberarm sind quasi das äußerste an sich körperlich manifestierender Empathie –, eine wahre Körper- und Äußerlichkeitsobsession festzustellen.

Ständig gewahrt der selbst eher weiche Held bei allen anderen Männern und Frauen (auch bei den Raptoren) harte Muskeln und sehnige Körper, die man ja eigentlich, weil zuwenig postpragmatisch, nicht haben darf. Er selbst wird von Emma sogar bezichtigt, den Bauch einzuziehen. Die toughe Emma Glendale, schon beim Lesen des Romans hatte ich nicht nur wegen des Vornamens Emma Watson vor Augen und freute mich daher, als ich, vor ein paar Tagen in der Bibliothek, die Hausaufgaben für diesen Text hier machend, in Leif Randts Etüde über Post Pragmatic Joy in der Zeitschrift Bella Triste den Satz lesen durfte: „Ich habe mir ein Emma Watson-Poster an die Wand gehängt.“ Emma ist Marten Elliots Nemesis, auch wenn das natürlich in postpragmatischer Manier bestritten wird. Nun ja, er wollte schon, so räumt der Erzähler ein, (Zitat) „von Anfang an wissen, was sie wohl über mich dachte. Und ich konnte nie abschließend einschätzen, ob sie sich physisch zu mir hingezogen fühlte oder nicht. Emma und ich haben nie miteinander geschlafen. Und mittlerweile ist es ratsam, auch nicht mehr damit anzufangen“ (49).

Liebe postpragmatisch geht so (Zitat): „Wir sind füreinander da, aber nicht aneinander verloren“ (40). So wird das Verhältnis in gleichsam geschwisterlicher Weise kultiviert, so wie in Harry Potter, was ich jetzt auch nicht nur wegen Emma Watsons daherphantasiere, sondern auch, weil der Campus der Dolfin-Akademie, an der die beiden als Spitzenfellows fungieren, mit seiner rubinroten Fassade gerade so aussieht wie die einschlägige englische Backsteinseligkeit. Der dazugehörige Herbst, in welchem dem Erzähler der Campus „am besten“ gefällt, ist durch eine Baumsorte, die gleich mehrfach ihre Blätter verliert wenn nicht auf Dauer gestellt, so doch deutlich höher frequent als in der uns vertrauten Welt.

Überhaupt ist eine gewisse Kindlichkeit Programm. Getrunken werden Limonade sowie Colabier, das angesagteste Restaurant serviert „fantastische Aufläufe“ (192) sowie dem Spitzenfellow Marten „ein pompöses Dessert“ in einer Schale „mehrfarbig gefüllt, vermutlich mit Sorbet, Sahne und Früchten, und aus der Schale ragen brennende Wunderkerzen“ (200). Nach einem Clearing, d.h. einer Entgiftung, genehmigt sich Marten auf Rat des Labordolfins aus dem Süßigkeitenautomaten einen „Dreierpack mit Drageekugeln“ (218). „Von einer Kugel kann man zweimal abbeißen, und dann bleibt noch ein kleiner Rest übrig. Das ist wohl die perfekte Größe“ (219).

Trotz solcher Segnungen in der Objektwelt nagt die Sache mit Emma an Marten. Es gibt im Roman freilich auch einen Gegenspieler zur Gefühlsenthaltsamkeit der Dolfins, das Kollektiv Hank, eine Vereinigung von Menschen mit gebrochenen Herzen, die durch ihrerseits kindlich wirkende Attentate mit einer Substanz auf sich aufmerksam macht, bei deren Einsatz minzfarbener Rauch aufsteigt. Wird das Ganze also doch noch zu einer Space Opera, wenn nicht mit pink so doch mit mint air, mit einem Kampf Gut gegen Böse wie in Dune zwischen den Häusern Atreides und Harkonnen oder in Star Wars zwischen Jedi und Sith?

Dann wäre am Ende das Ganze eine Parabel, in der unsere durchverwaltete, nur scheinbar freie, doch in Wirklichkeit dauerüberwachte und verklemmte Welt durch Emotion und Liebe erlöst würde? Marten wäre ein Winston Smith, welcher, aus dem Zentrum der Macht kommend, diese überwände, „makellos zu Ende gedacht“ das Ganze, bzw. „roh und kraftvoll“ (102) dargestellt von Leif Randts Prosa? Aber ist der Bevormundungston, dessen sich ein Gründungsfellow der gebrochenen Herzen bedient, die Art, wie wir von Liebe reden wollen? (Zitat) „In jedem Herz ist Platz für zwei große Lieben. In einigen wenigen ist Platz für drei große Lieben. Wer sagt, er habe Platz für vier oder mehr, ist kein tiefer Charakter. Ein solcher Charakter eignet sich nicht für das Kollektiv Hank. Der eignet sich nicht für die Erneuerung“ (160).

Eins bin ich Ihnen noch schuldig. Was ist ein Mitch? Es ist ebenfalls eine „Postpragmaticjoy des Kollektivs Dolfin“, „eine Praxis der entrückten, aber formschönen Aussage“, des zweckfreien Sprechens, die an der Dolfin Akademie geübt wird. Bestimmt kann man das auch in Halle ganz prima studieren. Mitch komm raus, Du bist umzingelt.

 

Leicht überarbeitete Fassung des Vortrags zur Buchpremiere von „Planet Magnon“  in der Galerie ContemporaryFineArts​ (Berlin) am 5.3.2015.