Der Metalliclook
Metallene und buntmetallene Accessoires sind seit einiger Zeit à la mod. In unseren Wohnräumen darf lang geschmähtes Gold, Silber, Kupfer oder Messing aufblitzen. Die Betonung liegt dabei auf ODER, denn in den Laden- und Hochglanzmagazinen wechseln die Dinge chamäleongleich die Farben ihrer glänzenden Oberflächen. Schnell beschleicht einen die Frage, ob das kürzlich gekaufte Zubehör, der Obstkorb, die Lampe, der Kerzenständer, die Griffe an der Küchenfront, noch up to date sind. Als wäre es nicht kompliziert genug, wird zu alledem nun auch der Modekörper vom Metalliclook befallen, wie bei Isabel Marant zu sehen:
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Während die köpernahe Hardware – Uhren, Schmuck und Smartphones – parallel zur Einrichtung längst in allen Metallarben durchdekliniert wurde, glänzt für Frühjahr und Sommer 2016 auch die textile Software. Auf den Laufstegen und Messen waren Mäntel, Jacken, Hosen, Shirts, Gürtel, Schuhe und Handschuhe, wahlweise aus Lackleder, Metallfolien, Lamés, aus Stoffen mit dichtem Paillettenbesatz, mit Spiegel-Applikationen oder folierten Prints zu sehen.
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Tom Ford hat den Metalliclook ganz besonders in Szene setzen lassen. Im von Nick Knight produzierten Video, in dem Lady Gaga mit bekannten Models Parade abhält, wird der Laufsteg zugleich zum Dance Floor und das Geschehen zum Musikvideo. Ein Lichttanzboden, stroboskopartige Lichtblitze sowie die Tanzbewegungen akzentuieren dabei die metallenen Bekleidungselemente. Es glänzt und glitzert effektvoll, umso mehr, wenn das Licht gedimmt und plötzliche Schlaglichter die bunt schillernde Abendmode aufscheinen lassen. Lady Gaga intonierte dazu den Disco Hit I want your Love der Band Chic aus dem Jahr 1979 neu. Schaut man sich das ältere Video der Combo an, wird nicht nur die Affinität der Disco-Ära zum Metalliclook offenkundig. Mit dem Blick auf die 1970er und 80er Jahre scheint sich jene Schatzkiste zu öffnen, in die auch Tom Ford zur Anregung gesehen haben muss:
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Ähnlich eklektizistisch fokussiert zeigen sich andere aktuelle Kollektionen. Sie mischen Metallisches wahlweise mit folkloristischen (Marant), mit romantisch-sportiven (Moncler) oder retro-futuristischen (Margiela) Styles ab. Auch dort sind wiederum die Metalliclook-Anleihen, bezieht man weitere Designdetails mit ein, aus nahezu allen Dekaden des 20. Jahrhunderts zu sichten. Die Spuren der Inspiration lassen sich bis in die 1920er und 30er Jahre zurückverfolgen.
Eben seit dieser Zeit ist wurde es möglich, durch neue Material- und Produktionstechnologien vergleichsweise leichte und günstige metallisch wirkende Textilien und Bekleidungen herzustellen. Die Kunstseide, auch Rayon genannt, ein per se mit besonderem Schimmer versehenes Material konnte effektvoll modifiziert werden. In den 1930er Jahren traten an die Stelle von gewalzten Pailletten und Lahndrähten sowie hauchdünn gezogenen Drähte, alles aus Echtmetall, stanz-, verspinn- und verwebbare Folien aus Polyester. Die synthetischen Produkte waren wesentlich leichter, scheuerten weniger und oxidierten nicht. Textiles Trägermaterial konnte durch glänzendes Polyurethan kaschiert, das heißt beschichtet werden. Echtleder erhielten durch neue Lacke ein hoch- oder nassglänzendes Finish. In den 1940er Jahren gelang es, Polyesterfolie mit Aluminiumstaub zu bedampfen. Die hergestellten Stoffe sahen wie Aluminiumfolie aus und wurden unter dem Markennamen Lurex bekannt.
Durch die Surrogate erhöhte sich die Verfügbarkeit metallisch aussehender Textilien. Ihre besondere Wirkung entfalteten diese Materialien vor allem in gebündeltem Licht und besonders bei Bewegung des Trägers. Je nach Biegeverhalten – von fließend bis steif – tauchten sie jeden Schwung, jeden neu entstehenden Kniff, jede Falte, jede Erhebung und Rundung in scharfe Kontraste zwischen spiegelnder Reflektion und verschatteten Zonen. Glänzende Fransenborten, Lamés und Paillettenstoffe brachten nicht nur qua Herstellung industriellen Glanz in die Mode. Sie wurden aufgrund ihrer Eigenschaften zu Partnern von künstlicher Beleuchtung und Kinetik und avancierten zu materiellen Korrespondenten für Dynamik, Fortschritt und Modernität. Der so überzogene Körper wurde schließlich selbst zum Transponder seiner urbanen und technisierten Umwelt.
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Berlin. Symphonie einer Großstadt 1927 ( 53:03-57:20)
In Verbindung mit dem Medium Film, im Schwarz-Weiß-Kino kamen die Glanzeffekte besonders zur Geltung, im Starsystem und der Fotografie wurden die neuen Materialien bereits seit den 1920er Jahren mit weiteren Assoziativen verschmolzen. Je nach Genre wurde der Glanz der Roben und Kostüme mit Glamour, Opulenz, Coolness oder Futurismus gleichgesetzt, und es entstand eine eigene Poetik des Materials:
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Christopher Strong, 1933 („Something Exquisite“)
Die Vorschläge für SS 2016 nutzen ohne Zweifel die stimulierende Dimension des metallischen Textilmaterials, das die Sinne in besonderer Weise anspricht. Für den Catwalk ist es mindestens genauso spannend wie in Film und Foto mit der kulturell aufgeladenen Materialatmosphäre zu experimentieren. Der Laufsteg verfügt schließlich über ähnliche dramatische Mittel der Inszenierung. Tom Ford hat es vorgemacht.
Im Modealltag hat dieses optische Spiel längst seinen Niederschlag gefunden. So sind zum Beispiel mehrere Birkenstockmodelle in Gold, Kupfer oder Silber zu haben. Aber was soll durch die künstliche Aura metallischer Zugaben hervorgehoben werden? Die Ensemblierung des Körpers mit schnell und billig Produziertem? Die programmierte Kurzlebigkeit der meisten anderen Materialen? Möglicherweise sollen die glänzenden Einzelteile für einen baldigen Verlust der punktuell aufgewerteten Dinge entschädigen. Schließlich ziehen die meisten Materialqualitäten und Verarbeitungsweisen der Massenproduktion den raschen Austausch der Kleidung nach sich. Auch die am Leib getragene Mode ist durch die Macht der Sichtbarkeit ohnehin in eine Richtung organisiert: Visuelles verweist auf Virtuelles. Der Verweis des Visuellen auf das Materielle scheint abgeschnitten. Die Mode macht kaum noch auf ihre Substanz, das Material, seine Begrifflichkeiten und Qualitäten aufmerksam. Das Materialwissen schwindet. Der Metalliclook erscheint in diesem Zusammenhang wie ein glitzerndes Trostpflaster.
Viola Hofmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kulturanthropologie des Textilen an der TU Dortmund.