Alles Rose!
Über Susanne Bisovsky
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Ein Besuch im Wohnsalon der Wiener Modemacherin Susanne Bisovsky in der Beletage einer alten Seidenfabrik am Wiener Brillantengrund entführt in eine andere und doch so vertraute Welt. Gemeinsam mit ihrem Partner Joseph Gerger hütet sie hier ein Archiv vestimentärer Gepflogenheiten. Die Sammelleidenschaft der beiden geht aber weit darüber hinaus und erstreckt sich auf Hüte, Knöpfe, Borten oder Stickereien, fein säuberlich aufbewahrt in Regalen, Vitrinen, Schubladen und Kredenzen. Die Wohnküche ist eine einzige Wunderkammer mit einer die Wände füllenden Sammlung an bunten Blechdosen (vorwiegend mit Rosendekor) sowie einem Marienwinkel mit Madonnenstatuen und weiteren Devotionalien gleich neben dem Esstisch. Die Räumlichkeiten sind erfüllt von Geschichte und persönlichen Geschichten. Das Ambiente als „dritte Haut“, so nah, so intensiv und inspirierend.
Leben, Wohnen und Arbeiten erfolgt quasi auf Rosen gebettet. Rosen auf Kissen und Fauteuils, ein kunstvolles Rosenmosaik über der Spüle und natürlich trägt auch das Caféservice Rosen. Rosen wohin das Auge schweift. Im Salon breitet sich das „Gwand“, die „zweite Haut“, gegenwärtig mit der Kollektion „3Maederlhouse“, nicht denkbar ohne Rosen aus. Susanne Bisovsky setzt die Rose, das Rosenmotiv auf Tüchern, Taschen, Strümpfen, Handschuhen, Oberteilen, Röcken oder als Kopfschmuck in allen ihren Kollektionen, von der „everlasting collection“, „wiener chic“, „frida“, „mitGift“ bis zum „3Maederlhouse“, so exzessiv wie gekonnt ein.
Am 25. Oktober 2003 gab Susanne Bisovsky eine „fashion procession“ in Wien. Zehn „Wiener Mädchen“, gekleidet in Bisovsky-Entwürfen v.a. aus der „Wiener Chic“ Kollektion, machten sich auf einen längeren Spaziergang durch die Stadt, gestartet wurde vor dem Hotel Imperial, Fixpunkte der etwa zweistündigen Runde waren Besuche in einigen Modegeschäften und Lokalitäten, mit einer „Danksagung“ an Fred Adlmüller und diversen anderen Aktionen. Dieser lust-, liebe- und humorvolle, spielerische Umgang mit Brauchtum zeichnet Susanne Bisovskys und Joseph Gergers Aktionen und Präsentationen aus. Am 19. Juni 2016 gab Susanne Bisovsky im Rahmen des „Wir sind Wien-Festivals“ ein ähnliches Stelldichein, einer Landpartie im Linienbus 38A entlang der Höhenstraße mit Picknick am Cobenzl und mindestens dreißig schönen Wienerinnen in Susanne Bisovsky.
Bisovskys 3 Maederlhouse im Swarovski Kristallwelten Store auf der Kärntener Straße, Mai 2016
Was hat es nun mit dem Rosenmotiv auf sich? Ist die Rose das Medium, um Vergangenes zu vergegenwärtigen? Und wenn ja, welche Aspekte welcher Vergangenheit? Es ist das Gefühl der Verbundenheit mit einem Ort, Bisovskys Heimat, dessen Qualität und Eigenheit die Künstlerin intuitiv ertastet, pflegt und zulässt. Im Rosennetz gefangen? Gefangen wie bereits Harald Szeemann mit seinem Ausstellungsprojekt anlässlich der Tausendjahr-Feier Österreichs (1996, MAK), im Ausstellungstitel „Austria im Rosennetz“ Herzmanovsky-Orlando zitierend, bzw. adaptiert für Zürich: „Wunderkammer Österreich“?
Befragt ob der Omnipräsenz des Rosenmotivs, sind sich Bisovsky und Gerger einig. Es ist schlicht und ergreifend ein graphischer Zugang: die Schönheit der Blume ist einfach unausweichlich. Doch im Gespräch stellt sich sehr bald heraus dass hier doch noch einiges mehr mitschwingt: In erster Linie ist es für Joseph Gerger der sinnliche Aspekt der Rose: Der Duft der Rose, Ekstase, Blut, Dornen, Dornenkronen, Dornröschen, Schönheit, Schmerz, Erblühen und Vergehen.
Einen Aspekt würde ich gerne aufgreifen und etwas näher betrachten: Die Rose als marianisches Symbol und Instrumentarium zur Wahrung des Vielvölkerstaates in der Habsburgermonarchie: In Zeiten der Gegenreformation rückte die Immaculata, das Dogma der unbefleckten Empfängnis Marias, bei den Habsburgern neben dem katholischen Glaubenseifer und der Sakramentsverehrung als eines der drei Säulen, auf denen die Herrschaft Österreichs ruhte, in den Vordergrund. Die Pietas Austriaca, die österreichische Frömmigkeit (wobei hier die Casa d´Austria, das Haus Österreich gemeint ist), wurde in der Barockzeit als die wichtigste Tugend der habsburgischen Dynastie propagiert. Der Katholizismus war de facto Staatsreligion im Reich. Durch Wallfahrten und Marienkult, aber auch durch kompromisslose Härte in der Religionspolitik wurden die Grundfeste für den barocken Katholizismus gelegt, der die habsburgischen Länder für lange Zeit prägte und seine Spuren bis heute hinterlassen hat.
Aus der Religion schöpften die Habsburger das Recht auf unumschränkte Herrschaft, das Gottesgnadentum war verankert mit der Idee des Kaisertums, verstärkt durch den religiösen Nimbus um die kaiserlichen Majestät, befördert durch Riten der katholischen Kirche. Wichtige staatspolitische oder auch familiäre Ereignisse wurden von Dankgottesdiensten, Bittprozessionen, feierlichen Hochämtern oder öffentlichen Andachten begleitet. Um Prozessionen, v.a. um die Fronleichnamsprozession entwickelte sich ein reiches Brauchtum. Die Rosen streuenden Kinder finden wir zum Beispiel auch beim Einzug von Kaiser Franz I. in Wien nach dem Pariser Frieden am 16. Juni 1814 in einem Gemälde von Johann Peter Krafft.
In Bisovskys Kollektionen ist es zumeist die stark gefüllte Rose, eine Rosa centifolia (100-blättrige Rose), Ende des 16. Jahrhunderts in Holland durch Züchtung entstanden, bei den Stillleben Malern als „Rose des Peintres“ zur Lieblingsblume avanciert und v.a. als Vanitas- sowie als marianisches Symbol firmiert. Von den über 200 Zentifolien, die im 17. und 18. Jahrhundert an den europäischen Höfen kultiviert wurden, sind heute nur noch etwa 20 Sorten im Handel. Neben Rocaille, Kartusche, Muschel-Motiven und MosaÏque wird die Zentifolie in ihrer vielgestaltigen Pracht zum Inbegriff barocker Opulenz und zum ultimativen Bestandteil der Wand- und Deckendekorationen in Kirchen und Palästen.
Die Rose scheint wie keine andere Blume einen barocken Dualismus, von Lebenslust und Todesnähe, zu verkörpern. Darüber hinaus wird sie unter Kaiserin Maria Theresia zum marianischen Symbol schlechthin und fraglos zu einem identitätsstiftenden Moment habsburgischen Katholizismus. Das Wissen um dieses kulturimmanente Faktum zeigt Bisovsky im von Rosenfauteuils gerahmten Marienwinkel.
Paramente geben Aufschluss über den Prozess, wie die Rose, in allen Schichten der Bevölkerung des Vielvölkerstaates als Botschafterin der Liebe Muttergottesʼ, Fuß fasst. Im 17. Jahrhundert treten religiöse Bildmotive zugunsten einer Blumenornamentik allmählich in den Hintergrund. Die Voraussetzung für diese Entwicklung ist im aufkeimenden Naturalismus und in der Vereinzelung der Objekte als Träger inhaltlicher Botschaften im autonomen holländischen Stillleben zu finden. Damit ist eine wichtige Option eröffnet: Die Rose kann thematisch motiviert zugleich Bildgegenstand und Ornament sein.
Erwin Panofsky spricht in diesem Zusammenhang von einem „versteckten Symbolismus“, von unter der „Hülle der Erscheinungen verborgenen religiösen Tiefenstrukturen“. Der marianische Rosen-Topos wird nicht nur im Kirchenraum an Antependien und Baldachinen, sondern auch an Priesterroben in Prozessionen und Wallfahrten zur Schau getragen. Als Stifterin von Paramenten verstand es Maria Theresia vorzüglich ihre Mütterlichkeit und Volksnähe auch durch die handwerkliche Beschäftigung mit den Objekten selbst, „Ihrer Majestät Schnürlarbeit“, hervorzustreichen. Verteilt über Kirchen, Kapellen, Stifte und Klöster des gesamten Reichs fungierten die Paramente als Botschafter zur Verherrlichung Gottes und wohl auch des Hauses Habsburg-Lothringen, vereint im Glauben, als Unterpfand himmlischer Herrlichkeit.
Anlässlich des von der Unesco 2001 ausgerufenen „Welttages für kulturelle Entwicklung“ erschien im Mai 2013 eine Schwerpunktausgabe des „Standards“. Lisa Nimmervoll lotet als Koordinatorin der Ausgabe in ihrem Leitartikel „Metamorphosen der Kultur(en)“ das Spannungsfeld aus: Welche Kultur und wie viel Vielfalt wird gefeiert, wenn am 21. Mai der von der Unesco, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, proklamierte „Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung“ begangen wird?
Die Familie von Susanne Bisovsky stammt aus Polen. Eine historische Tracht aus Lowicz.
Bebildert wurde diese Schwerpunktausgabe mit Filmstills aus Bisovskys Kurzfilm MitGift (2013), durch Überblendungen der Modelle wird ein inspirierendes Überlagern und Überschreiben suggeriert.
Ein Model im Augarten-Porzellanblättchenoberteil von Bisovsky mit der „Wiener Rose“ (Die „Wiener Rose“ wurde im Jahre 1740 in der Königlichen Porzellanmanufaktur entworfen)
Es gibt keine „Originaltracht“, ist Susanne Bisovsky überzeugt. Immer hat man über Grenzen hinweg Dinge übernommen und weiter entwickelt. Eine bessere und umfassendere Versinnbildlichung zur Förderung des interkulturellen Dialogs, welcher angesichts intra- und interreligiöser Konflikte ein Schlüsselaspekt des Friedens sei, ist auch heute kaum vorstellbar.
Das Muster dieses Kleides stammt von einem Serviertablett mit russischer Lackmalerei.
Kultur trägt das Heterogene in sich. Die Rose als höchst ambivalentes Symbol – kein Licht ohne Schatten – zwischen Wollust und Tod, himmlischer und irdischer Liebe, ist hierzulande wohl vorwiegend christlich konnotiert. Andererseits vermittelt die Rose genügend nicht religiöse Inhalte und damit das Potenzial integrierend und gemeinschaftsbildend zu wirken.
Das Wiener Neobarock steht auf einer breiten Basis. 1880 propagierte der Kunsthistoriker Albert Ilg in seinem Pamphlet über die „Zukunft des Barockstils“ einen ethisch nicht eingegrenzten, supranational konnotierten Stil. Im Barock sah Ilg das fröhliche allen erdenkbaren Lustbarkeiten zugetane „österreichische Wesen“. Ilg argumentiert mit einer „natürlichen Verwachsenheit“ des Barock im Österreichtum und fordert eine heimische Kunst aus dem Geist des Barock. Der Begriff „Barock“ scheint auch heute nicht fassbar zu sein. Selbst jüngste Versuche wie jener von Markus Neuwirth in „Barock. Kunstgeschichte eines Wortes“ neigt abschließend zu „einer mehrschichtigen Ableitung, die man sich als übereinandergelagerte, diffundierende Ebenen vorstellen könnte. Die Unsicherheit in der exakten Zuordnung ist Teil des Sprachspiels und im Variationsreichtum liegt zugleich der Wert des Wortes Barock, symptomatisch für die Epoche.“
In diesem Sinn könnte man bei Bisovsky durchaus barocke Tendenzen verorten. Dies auch mit der jüngst im Swarovski Kristallwelten Flagshipstore in der Kärntner Straße gestalteten Vitrine. Ein „elektromagnetisches 3 Maederlhouse“ auf einer Bühne: Die 3 tanzenden, kopflosen Puppen schweben über kreuz- und quer übereinandergelegte moldavische Rosenteppiche mit schwarzem Grund und leuchten aus sich heraus. Chiaroscuro, die von Caravaggio so meisterhaft eingesetzte Hell-Dunkel-Malerei kommt in den Sinn. Das üppige, rosenreiche Ambiente mit den schweren, gerafften Vorhängen und dem leichten Spitzenmuster, welches direkt auf die Vitrine affichiert ist, lässt an einen schon länger zurückliegenden Deutungsversuch von Wilhelm Hausenstein (1920) denken: „Der Barocke Stil hat dies Geheimnis: seine Einheit auf die Verbindung des Auseinanderstrebenden zu begründen. Er ist die Konzentration des Exzentrischen. Er ist die Synthese des ewig Dualistischen.“
In Broschüren von Wien Tourismus rangierte Bisovsky unter den 10 besten Mitbringseln aus Wien: Susanne Bisovskys „Gwand“ gewisser Maßen auf einer Stufe mit der Imperial Torte, jedes ein Wiener Original! Mythenbildung, Kischee oder Tourismuswerbung? Wie sagt die österreichische Autorin, Filmmacherin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl in ihrem jüngst erschienen Buch: „So geht Wien! Von Arschkappelmuster bis Zwiebelparlament.“ So schön: Wien ist nicht nur die Stadt mit den meisten Klischees pro Quadratzentimeter, sie ist auch die Welthauptstadt der Geheimnisse.
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