Konsumrezension Septembervon Maren Lickhardt19.9.2016

Pop-Tarts

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Eine Konsumkritik zu Pop-Tarts auf pop-zeitschrift.de zu veröffentlichen, um diese am Ende als Allegorie auf die Pop-Kultur auszuweisen, ist so vorhersehbar, dass ich das doch lieber gleich an den Anfang stelle.

Lorelai Gilmore, intertextuelles Konglomerat, Serienfigur und entflohene Tochter einer WASP-Dynastie, hat einen inneren Kompass für richtig und falsch in ihrem Leben. Wann immer sie von den Erwartungen ihrer Eltern abweicht, befindet sie sich eindeutig im richtigen Bereich. Wenn sie mit den eigenen Vorstellungen bezüglich des richtigen Lebens mit ihren Eltern übereinstimmt, wird es gefährlich, denn das wirft existentielle Zweifel auf, ob die Nadel richtig justiert ist und ob sie es überhaupt je war. Was macht man, wenn man orientierungslos ist, wenn man sich seiner Werte, Haltungen und Entscheidungen vergewissern muss? Man isst Pop-Tarts, und zwar nicht einfach nur zum süßen Trost.

Lorelai: I don’t know if I like Pop-Tarts. Rory: Did you fall on your head while you were sleeping? Lorelai: I don’t know. Do I like this? Is this something I like? Rory: I see you fell on your head and now you have some kind of very specific amnesia. […] Lorelai: What if I don’t like what I like because I like it, but because my mother doesn’t like it and doesn’t want me to like it? What if I don’t actually like the music that I like or the movies or the clothes or the men? Rory: Ah, hence the Pop-Tart. Lorelai: Yes, hence. I can remember the first time I had a Pop-Tart. It was at my friend Erica Catcha’s house and she said: Do you want a Pop-Tart?” And I knew my mother would recoil at the very idea of me having a Pop-Tart. […] And so, I had one. And I opened the little silver wrapper, and I took a bite, and I thought nothing had ever tasted so good. I thought it tasted like freedom. It tasted like I was my own person. The Pop-Tart tasted like freedom and rebellion and independence. Rory: Wow. That’s some Pop-Tart. What flavor was that? Lorelai: But now I think I don’t know if I like Pop-Tarts. What if I don’t like Pop-Tarts?  (s07e03)

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Eine Packung Kellogg’s Pop-Tarts steht auf dem Tisch in dieser Szene, in der sowohl ein Hirnschaden als auch existentielle Verwirrung nur ausgeschlossen werden kann, indem man den ersten und letztgültigsten epistemologischen und axiologischen Indikator ausspielt. Mag man Pop-Tarts wirklich? Schmecken sie jenseits aller kulturellen Praktiken, Zuschreibungen und Prägungen? Stimmt der unmittelbare sinnliche Eindruck mit der subversiven Aufladung überein, kann man sicher sein, dass die eigene Lebenshaltung authentisch ist?

Pop-Tarts sind süß, meistens bunt, hin und wieder verboten, immer aber überflüssig, und obwohl es sich um ein standardisiertes Massenprodukt handelt, stehen sie für Freiheit, Rebellion und Unabhängigkeit, für Distinktion und dadurch auch für Identitätsfindung. Und ist man erst mal drin, liefern sie nicht nur reproduzierbaren Genuss, sondern dann bilden sie auch die sichtbaren Insignien von Selbststilisierung und Selbstinszenierung, die gereicht und kollektiv verzehrt werden können.[1] Wenn das mal nicht Pop ist.[2]

Und da Lorelai Gilmore poppig ist bzw. diese Figur als Pop-Collage angelegt ist, geht es bei dem Rahmen, dessen sich die Figur vergewissern muss, nicht um irgendeine Form der Lebensführung, sondern um Pop. Aber Lorelai ist in der Szene aber offenbar wirklich auf den Kopf gefallen, denn wenn nicht, wüsste sie, dass es um Authentizität nicht geht. Ein kleiner Denkfehler unterläuft der Figur bzw. der Serie, wenn sie davon ausgeht, dass es einen natürlichen Geschmack jenseits kulturell-ästhetischer Frames gibt. Wenn Pop-Tarts wirklich schmecken müssten, damit man sich der Weihen des Pop als würdig erweisen würde, wäre Pop eine sehr innerliche Kategorie.

Dass Pop aber ein Spiel auf der Oberfläche ist, zeigt gerade die Zitations- und Kompilationsmaschinerie der Gilmore Girls. Auf der anderen Seite wäre Pop nicht populär, wenn Pop nicht süß wäre, und Süß schmeckt nun mal wirklich, und zwar angeblich immer, allen Menschen. Der Test ist einerseits inkonsistent und kann andererseits auch dann nicht scheitern, wenn man im Geschmack eine innere anthropologisch konstante Kategorie sehen will.

Zu den Pop-Tarts: Laut Wikipedia wurde ein ähnliches Produkt zunächst von der Firma Post Cereals entwickelt und mit dem Namen Country Squares auf den Markt gebracht. „Die Firma Kellogg’s, als großer Konkurrent von Post Cereals, brachte nur sechs Monate nach diesem Erfolg ein eigenes Produkt auf den Markt. Der Name wurde in Anlehnung an die Pop Art von Andy Warhol gewählt, eine in der damaligen Zeit sehr populäre Kunstrichtung. Die ‚Pop-Tarts‘ (zu deutsch etwa ‚Pop-Törtchen‘) waren geboren. ‚Pop out‘ bedeutet zudem ‚Herausspringen‘, in Anspielung an das Herausspringen aus dem Toaster.“[3] Country Squares gibt es heute nicht mehr.[4] Geblieben sind die Pop-Tarts.

Und diese haben in einer selbstreferentiellen poppigen Endlosschleife als Bauch der Nyan Cat eine zweite Karriere gestartet. Über die metareflexiven Verweise der Nyan Cat ließe sich viel sagen, aber vor allem interessant ist der hohe Grad an Formalisierung. Form, Farbe und Musik in einer entnarrativierten und dekontextualisierten Anordnung, in der man unendlich viel sehen kann – oder auch nicht.

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In Deutschland werden Pop-Tarts nicht regulär vertrieben. Und dass in den 00er Jahren davon ausgegangen wurde, dass man sie hier überhaupt nicht kennt, merkt man an der Tatsache, dass sie in der Übersetzung als Toaster-Waffeln bezeichnet werden. Wobei auch dies für den deutschen Kontext befremdlich ist, ich meine die Vorstellung, irgendwelche handelsüblichen Waffeln zu kaufen und sie zu Hause in den Toaster zu stecken. Wäre der Brand Name Pop-Tarts gefallen, hätte man sich auf jeden Fall gefragt, was das ist, aber eigentlich kam man angesichts der häufigen Frequenz ihrer Erwähnung in der Serie auch darüber ins Grübeln, was eigentlich genau Toaster-Waffeln sein sollen.

Da in Bezug auf Pop-Tarts in Deutschland der Kontext ein wenig fehlt, darf man von einem Selbstversuch nicht allzu viel erwarten. Ein Erweckungserlebnis wäre als Maßstab zu hoch gehängt. Fragt man sich also, wie pop man ist, und darauf läuft es letztlich ja hinaus, wenn man von der pop-kulturellen Kompilation Gilmore Girls zum Verzehr von Toaster-Waffeln inspiriert wurde, könnte das Ergebnis verzerrt werden.

Man muss also von vornherein einplanen, zu den Pop-Tarts eine Coca-Cola zu trinken, will man ähnliche Erinnerungen wiedererleben, wie sie Lorelai Gilmore hat. Wenn man in den 70er Jahren geboren ist und die Eltern nicht gerade Hippies waren, sind Gesundheitswahn und Ökogetue noch weitgehend an einem vorbei gegangen. D.h. sooo verboten war Coca-Cola vermutlich nicht bzw. sie war zumindest nicht verboten, weil sie süß ist oder weil man sich hinsichtlich der Zusatzstoffe nicht im Klaren war, sondern man wollte Kindern kein Koffein zumuten. Oder besser gesagt, man wollte sich selbst keine aufgekratzten Kinder zumuten. Deshalb gab es Kinder-Cola.

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Raak Kindercola

Die sah etwa so aus, wobei das gezeigte Produkt heute damit beworben wird, dass es mit natürlichen Zutaten gesüßt ist, wenig Zucker enthält und keine künstlichen Süßungsmittel.[5] Das Ganze läuft dann auf Stevia hinaus und nimmt der Sache irgendwie den Spaß. Wo ist Pop geblieben, wenn Künstlichkeit per se abgewertet und Natürlichkeit beschworen wird. Poppig ist ein Produkt also nur noch so halb, wenn es mit Stevia beworben wird, aber da wir ja oberflächlich urteilen wollen, lassen wir die Aufmachung der Flasche gelten. Überhaupt schweife ich ab, denn irgendwann gab es eine Coca-Cola, die die meisten meiner Altersgenossen tatsächlich zum ersten Mal heimlich bei Freunden oder Nachbarn probiert haben. Aber sowohl als verbotene als auch als erlaubte Frucht schmeckte sie nun mal. Im ersten Fall dürfte sie der Lorelai’schen Pop-Tarts Initiation gleichkommen; im zweiten Fall zieht eben der natürliche Hang zum Zucker.

Coca-Cola mag der Wein einer quasi-religiösen Zeremonie gewesen sein, aber die Hostien hatten wir in Deutschland, sieht man einmal von Esspapier ab, nicht. Daher also die Übersetzung als Toaster-Waffel bei den Gilmore Girls und die unsererseits alltagspraktisch noch nicht besetzte Haltung zu dem Produkt. Im Übrigen: In der neueren Serie Life in Pieces – die nicht zu empfehlen ist, wenn man nicht multitasking ist und nebenbei noch was Sinnvolles machen kann, oder die nur zu empfehlen ist, wenn man Marie aus Breaking Bad in einer weniger zickigen Rolle wieder sehen will – wird in der deutschen Fassung das Wort ‚Pop-Tart‘ verwendet. Man setzt bei der Übersetzungspraxis heute offenbar auf eine größere interkulturelle Kompetenz der Rezipienten als in den 00ern oder das Produkt zieht so langsam selbst ein.

Bei der Recherche, wie man nun hierzulande an Pop-Tarts herankommen kann, stellte sich heraus, dass ich bei Weitem nicht die Erste bin, die diese Frage umtreibt, und laut diverser Foreneinträge führen einige Ketten in großstädtischen Zweigstellen mittlerweile diese Toaster-Waffeln. Um es mir einfach zu machen, habe ich mit schlechtem Gewissen, denn immerhin so viel ökologisches Bewusstsein muss sein, eine Packung Kellogg’s Pop-Tarts im Internet bestellt.

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Der Selbsttest ist für mich als Deutsche in epistemologischer und axiologischer Hinsicht nicht sehr gefährlich, denn die Frage, ob ich pop bin, wird sich allein an einem Pop-Tart nicht bemessen lassen. Die größere Gefahr ist: Kann ich den Selbstversuch als Allergikerin überleben? Zum Glück hört der Öko-Hippie-Kram bei mir, und auch meinem Körper bei dem schlechten Gewissen angesichts der Bestellung auf, denn allergisch reagiere ich nur auf natürliche Produkte, also Mandeln, und nicht auf künstliche Aromen wie Benzaldehyd. Wenn das mal kein Pop-Indikator ist!

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Wenn ich die Packungsbeilage richtig verstehe, werde ich mit einem einzigen Pop-Tart 200 Kalorien zu mir nehmen, nicht gerade bezeichnenderweise 0% Vitamin C – vielleicht muss das ja hinzugefügt werden, wenn auf der Packung von „real fruit“ die Rede ist – und „natural“ und „artificial flavors“.

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Zu Pop gehört dann noch, dass man mit ein paar Comics versorgt wird, bevor man mit der Zubereitung zur Tat schreiten kann.

6-comicMan öffnet, wie einst Lorelai Gilmore, das Silberpapier,

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zieht den Pop-Tart aus dem Schlafrock und kann ihn nun entweder etwas labberig kalt

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oder knusprig warm genießen.

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Um die sinnliche Erfahrung auf den Punkt zu bringen: Die Zuckerkrümelchen auf den Raspberry Pop-Tarts sind in Wirklichkeit genauso rosa wie auf dem Bauch der Nyan Cat.

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Sie riechen süß, und sie schmecken süß, und auch ein bisschen fruchtig.

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Wenn man sich längst für etwas entschieden hat, in dem es „kein wahres Leben“ gibt, kann die nächste existentiell-ästhetische Entscheidung nur noch folgendermaßen lauten: „to toast or not to toast.“

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Mit Kellogg‘s wird das Leben plötzlich so richtig leicht. Nicht weil die letzte Entscheidung schon so klar umrissen bzw. eingeschränkt ist, sich die Möglichkeiten so schlicht zwischen to toast or not to toast bewegen, sondern weil die Antwort so einfach ist. Getoastet! Sie schmecken getoastet einfach besser, aber vor allem: Nur dann poppt es aus dem Toaster und beim Reinbeißen, und darauf kommt es schließlich an.

Ich fühle mich um eine echte Erfahrung reicher, weil ich es Lorelai Gilmore gleich getan habe, weil ein bislang ausschließlich in der Welt der Fiktion verankertes Produkt nun leibhaftig auf meinem Küchentisch steht. Sonst funktioniert Pop ja umgekehrt, wird das Produkt als hyperreales Versatzstück, als kulturelles Paradigma mit allen bereits vorcodierten Konnotationen in die Welt der Fiktion eingebracht, um in metonymischen Verfahren Distinktionen zu reproduzieren und kommunizieren, die die Fiktion auszumessen verhelfen.[6] Wäre ich Amerikanerin, wäre das auch hier so, bin ich aber zum Glück nicht. Ich konnte nun den umgekehrten Vorgang vollziehen, nämlich die Welt der Fiktion und die dort evozierten Träume ganz neu meinem Alltag hinzufügen.

Auf jeden Fall macht das Schreiben des Artikels eins bewusst, nämlich, dass man Entscheidungen trifft, damit Unterscheidungen macht, Differenzen und Distinktionen erzeugt, bevor unmittelbare, sinnliche, vermeintlich authentische Erfahrung greift. So hatte ich von vorneherein aus popkulturellen Gründen ganz einfach beschlossen, Pop-Tarts zu mögen, und das tue ich nun auch, ganz einfach, weil ich wütend werde, wenn mir jemand wurmige Bio-Himbeeren „ganz frisch vom Markt“ anbietet und mir Vorträge über die nun zu erwartende Vitaminzufuhr hält. Da lob ich mir doch Kellogg‘s Verweis auf garantiert wurmfreie 0 % Vitamin C. Ganz abgesehen davon, dass mein Bedarf an Vitamin A und diversen B-Vitaminen mit ein paar Pop-Tarts gedeckt sein dürfte. Ich schlage also vor, dass wir Pop-Tarts mögen, ganz unabhängig davon, was unser Gaumen sagt, weil wir die Gilmores mögen und weil wir gerne in einer Welt leben, die schon längst zwischen Fakt und Fiktion unentschieden oder ununterschieden ist, so differenziert man sich auch gerade in dieser Sphäre zwischen Konsumpraktiken entscheiden kann.

Wenn ich allerdings eine Hierarchie der Konsumvergnügungen der letzten Wochen aufstellen sollte, werden die Pop-Tarts von einem asiatischen Produkt getoppt, das mit jenem nur eins gemeinsam hat, die rosa Farbe oder auch: das Pink.

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Damit sind die Parallelen auch schon erschöpft, denn ich spreche nun von einem japanischen Mundschutz, der mir von einer Freundin geschenkt wurde, die damit den diesjährigen Spitzenplatz an Superüberraschungen einnimmt und damit wertemäßiges Einverständnis bezeugt hat – Danke!! Gerade wenn im Zug mal wieder alle rotzen und husten, wünscht man sich, ein asiatischer Trend mehr neben Mangas und Cos Play möge zu uns rüberschwappen, und man könne einen solchen Mundschutz tragen, ohne für verrückt gehalten zu werden. Falls das jemand testen möchte, bitte ich um einen Bericht.

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Nun werden da einige am Ende sicher einen ganz anderen roten Faden in der Konsumrezension sehen, als ich ihn vordergründig abgerollt habe: Künstliche Aromastoffe, Mundschutz, Allergien…. Ich weiß ja, ich weiß. Das Narrativ könnte auch anders lauten, aber ich bleibe dabei: Wir sollten Pop-Tarts mögen, egal ob sie und schmecken oder nicht.

 

Anmerkungen

[1] Siehe dazu auch einen Artikel zu einer weiteren Pop-Tart-Szene: What Does The Apple Mean On ‚Gilmore Girls‘? The Pop-Tart Appetizer Is Back. In: https://www.romper.com/p/what-does-the-apple-mean-on-gilmore-girls-the-pop-tart-appetizer-is-back-15583.

[2] Venus, Jochen: Die Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenologie. In: Marcus S. Kleiner, Thomas Wilke (Hrsg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 49-74, hier S. 54-57; Hecken, Thomas: Pop-Konzepte der Gegenwart. in: www.uni-münster.de/Ejournals/index.php.pop/article/view/755/720, S. 96-99.

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Pop-Tart

[4] http://postfoods.com/

[5] http://raak.nl/de/kinderlimo/kindercola

[6] Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002, S. 101-102.

 

Maren Lickhardt ist Juniorprofessorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Greifswald.