Social Media Oktobervon Annekathrin Kohout14.10.2016

Vulva- und Vaginabilder

Nirgends hat sich in letzter Zeit so eindrücklich gezeigt, wie tiefsitzend und populär Sexismus heute noch ist, als an dem Video, in dem Donald Trump mit sexuellen Übergriffen prahlt: „Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star they let you do it. You can do anything.“ Und weiter: „Grab them by the pussy.“

Der letzte Satz gelangte in den Medien zu besonderem Erfolg. Sicher nicht zuletzt wegen der unverfrorenen Verwendung des Wortes ‚pussy‘, welches sonst in der massenmedialen Öffentlichkeit gerne ausgespart oder umgangen wird. In der US-amerikanischen Late Night Show „Full Frontal“ zeigte Samantha Bee Ausschnitte diverser Nachrichtensendungen, in denen sich die Sprecher und Sprecherinnen sichtlich schwer tun mit dem Versuch einer Wiedergabe des „Grab them by the pussy“-Ausspruchs von Trump. So kommen Zitationen zustande wie „Grabbing women by … their private parts“, „… their kitty cat“, „… the p-word – forgive me“ und nicht zuletzt „Grab them by the … I cant’t say that on television.“ Bee reagiert daraufhin mit einer nicht enden wollenden Auflistung sämtlicher Synonyme und erlöst dadurch das Publikum vom Unausgesprochenen:

Ausschnitt aus „Full Frontal with Samantha Bee“ vom 10.10.2016

Dieselbe Beobachtung – dass Reden vom weiblichen Geschlecht mit Scham belastet ist – machte Gloria Steinem, eine Ikone des Feminismus, bereits in den 1960er Jahren. Deshalb prägte sie den Ausspruch von der „Da-unten-Generation“.[1] Statt jene Organe zu benennen, die mit weiblicher Sexualität zu tun hatten, begnügten sich Frauen mit einem verlegenen ‚da unten‘.

Dass es sich bei der ‚da unten‘-Verlegenheit – selbst im Privaten – keinesfalls um ein historisches Phänomen handelt, stellt Margarethe Stokowskis in ihrem dieses Jahr veröffentlichten Buch „Untenrum frei“ unter Beweis. Nicht zufällig ist ihr feministisches Initiationsereignis ein Sturz vom Fahrrad als Vierjährige, bei dem es ihr ‚untenrum‘ schmerzt, sie sich jedoch nicht traut, ihren Eltern davon zu berichten: „Wie denn auch? Wie soll ich sagen, dass ich mir an meiner … Dings weh getan habe?“[2]

Doch der Ausspruch ‚Da-unten-Generation‘ zielt nicht darauf ab, die Karikatur einer beschämten oder gar prüden Frau zu zeichnen. Jedes Wort und jede Sprachwendung hat vielmehr auch eine eigene und nur schwerlich abzuwendende Dimension, sei sie ihrer konkreten Herkunft oder vertrauten Assoziationen geschuldet.

‚Da unten‘ impliziert etwa eine Zeigerichtung: nämlich in die Tiefe – in das Loch –, auf das die Vagina für lange Zeit reduziert wurde, mit der Konsequenz, dass die Vulva unsichtbar geworden ist. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die (Tiefen)Psychologie eines Sigmund Freud (übrigens auch eines Jacques Lacan) mit ihrer Stärkung des Phallus als Symbol des Begehrens.

Die gängige Verwendung des Wortes ‚Vagina‘ beinhaltet die Deutung des weiblichen Geschlechts als etwas Innen-Liegendes und Nicht-Sichtbares. Die Feministin Mithu M. Sanyal untersucht in ihrem Buch „Vulva: Die Enthüllung des ‚unsichtbaren Geschlechts’“ (2009) das Ungleichgewicht der begrifflichen Verwendungen. Spricht man beim männlichen Geschlecht folgerichtig von ‚Penis‘ – anstatt beispielsweise von ‚Hoden‘ –, nimmt man den Begriff ‚Vagina‘ trotz Fehlbeschreibung – bei ihr handelt es sich eigentlich nur um die Körperöffnung – bis heute hin. Problematisch ist, dass somit die Konnotation des Lochs und der Leerstelle bestehen bleibt. Sanyal plädiert darum für die Verwendung des Begriffs „Vulva“, der die äußere Form des weiblichen Genitals – zudem die gut sichtbare und griffige – beschreibt.

Für viele Feministinnen und Feministen bedeuteten all diese Konnotationen im Umkehrschluss, dass die weibliche Sexualität insgesamt als Mangel wahrgenommen wird: „Man nehme einen Menschen – also einen Mann – entferne den Penis und erhalte so eine Frau“, heißt es etwa in dem feministischen Magazin „Emma“.

Während sich am Beispiel der Wiedergabe des „Grab them on the pussy“-Ausspruchs von Donald Trump in einem traditionellen Massenmedium wie dem Fernsehen zeigt, wie hartnäckig die „Da-unten-Generation“ weiter besteht, kann man im Internet und im Zuge der vierten Welle des Feminismus starke gegensätzliche Tendenzen wahrnehmen. War es das Ziel von Gloria Steinem und mit ihr der sogenannten zweiten Welle des Feminismus, die Vagina in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, sie aus ihrem ‚da unten‘-Schlaf zu erwecken, versuchen gegenwärtig die Feministinnen und Feministen einer vierten Welle, sie neu zu codieren.

Wegen der üblichen Codierung der Vagina als Loch ist es besonders wichtig, ihr visuell ein öffentlich wirksames Gesicht zu verleihen. Tatsächlich haben vor allem die sozialen Medien die Sichtbarkeit der Vagina – jenseits von Pornografie – in großem Umfang vorangetrieben. Ihre  Ikonografien sind vielfältig, genauso wie die damit verbundenen Aussagen. In all den Bildern zeigt sich jedoch eines ganz deutlich: die Vagina ist längst nicht mehr eine Leerstelle, sondern hat – von Vulva bis Uterus – eine ganz eigene und spezifische Form. Zehn Beispiele:

  1. Zufällige Assoziationen

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Die Form der Vulva ist so eigen und bekannt, dass man sie überall wiederentdeckt: sei es in Rosenblättern, Tischdecken oder Gebirgsrissen. Wo die Vagina sonst oft problematisiert wird – etwa als defizitärer Phallus –, nimmt ihr das Spielerische der formalen Wiederentdeckungen jeden Ernst und betont ihre formale Spezifik.

  1. Die Vagina als Frucht

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Eines der beliebtesten Motive in den sozialen Medien im Kontext des weiblichen Geschlechts ist die Frucht. Eine naheliegende Assoziation, die symbolhaft ist. Wer diese Bilder einmal zur Kenntnis genommen hat, kann kaum umhin, nicht in jeder aufgeschnittenen Orange eine Vagina zu entdecken. Gleichzeitig haben die Früchte eine gewisse Lupenwirkung, tragen vergrößert nach Außen, was manchmal hinter Schamhaar oder kleinen Vulven verborgen liegt. Denn sie betonen das Fleischige und berühren den Tastsinn.

  1. Die Menstruation

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„Am wirksamsten als Liebeszauber ist das das Beibringen von Menstrualblut in Speise oder Trank, am liebsten Kaffee“,[3] heißt es im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Schaut man sich darin die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Menstruationsblutes an, fällt auf, dass es meistens in der gleichen Logik stand wie Speichel oder Schweiß. In ihrer Wirkung wurde es oft als Steigerung gegenüber anderen Körperausflüssen wahrgenommen: So reicht das Tunken einer Semmel in Schweiß, um einen Mann zu verführen.[4] Zur Liebe bedarf es jedoch des Menstruationsblutes.

Darin mündet letztlich auch die feministische Kritik an der fehlenden öffentlichen Sichtbarkeit der weiblichen Menstruation: Ihre Wegrationalisierung diene dazu, das Bild der reinen – unbeschmutzten – Frau zu erhalten. Während der Schweiß des Mannes sogar erotisch codiert werden kann, ist der Schweiß der Frau und ihr Menstruationsblut ein Zeichen für fehlende Aufmerksamkeit bei der Hygiene. Die sogenannte „New Feminism Wave“ schafft daher Bilder, die den monatlichen Blutungen ihre Selbstverständlichkeit zurückgeben sollen.

  1. Die Madonna Mandorla

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Wer Kunst oder Kunstgeschichte studiert hat, dürfte bereits eine Menge Madonnen gesehen haben. Goldene Madonnen, Madonnen mit langen Hälsen, Madonnen mit Kind und Madonnen ohne Kind. Thronende Madonnen, stillende Madonnen, betende Madonnen und trauernde Madonnen. Madonnen in blauen Gewändern. Madonnen, die auf einer Sichel stehen. Madonnen, die ein Strahlenkranz umringt. An eine Vagina hatte wohl keine dieser Madonnen erinnert. Schon gar nicht wurde dies vermittelt. Das hat sich stark geändert. In den sozialen Medien werden plötzlich Madonnen-Bildnisse – insbesondere die Madonna Mandorla (Madonna in der Mandel) – zu Synonymen für das weibliche Geschlecht. Ursprünglich, indem man sie einfach im Kontext feministischer Blogs veröffentlichte. Nun werden zunehmend eigene Mandonna-Mandorla-Kreationen als Gifs oder Collagen angefertigt, um die Vagina-Assoziation zu stärken, etwa wenn eine Madonna vor eine geöffnete Auster gesetzt wird.

  1. Kosmische Vagina

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„Der Sündenfall unserer Spezies liegt in der Abkehr von der Tradition der Verehrung des Weiblichen“, heißt es in dem umstrittenen Buch „Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit“ von Naomi Wolf.[5] Und tatsächlich galt schon vor Jahrtausenden die Vulva als Machtsymbol – so wie heute der Phallus. Das lag vor allem am Zyklischen: Wie die Himmelskörper in regelmäßigen Abständen erscheinen und verschwinden, ist auch der weibliche Körper von sichtbaren und monatlich wiederkehrenden Erscheinungen gekennzeichnet: den Monatsblutungen. „Es gibt eine Vagina-Geist-Beziehung, die der Westen zu verschleiern suchte“, schreibt Wolf. Die gegenwärtige Bildwelt zeigt, dass diese Analogie durchaus noch oder wieder erinnert wird.

  1. Der Uterus

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Die Bilder vom Uterus sind allen voran der Faszination an den verborgenen Formen des weiblichen Geschlechts geschuldet. Gleichzeitig bildet er ein Pendant zur Dominanz der Penisform, die auch deshalb so populär ist, weil man sie sich gut einprägen kann. Der Uterus ist jedoch mindestens genauso einprägsam – dafür muss er nur noch in Erscheinung gebracht werden. Und das wird er.

  1. Die Raute

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Nicht erst seit Angela Merkel das Handzeichen ausführt, ist es als das Zeichen für Yoni bekannt. Yoni ist eine Begrüßungsgeste, bei der die Form des weiblichen Genitals nachgeformt wird, und ein Symbol für weibliche Macht.

  1. Vagina dentata

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Angeblich wurde die Vagina dentata – die bezahnte Vagina – von Männern mit Kastrationsangst erfunden. Es wird Sigmund Freud nachgesagt, anlässlich dieser Legenden den Begriff „Vagina dentata“, geprägt zu haben. Nahm die Populärkultur das Motiv lange Zeit noch relativ ernst, ist es gegenwärtig meistens ironisch konnotiert.

  1. Schaamhaar

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Einerseits ist die Vagina nackter denn je, andererseits bekleideter. Auch das Schamhaar ist Ausdruck feministischen Protestes – und seine Zurschaustellung wird ferner als solcher interpretiert. Etwa wenn ein Bild von Petra Collins auf Instagram gelöscht wird, nur weil unter ihrem Slip gekräuseltes Haar hervorlugt. Hier wird nicht dafür plädiert, die sonst verborgene Vulva sichtbar zu machen, indem man sie von der verdeckenden Haarpracht befreit. Das ist jedoch keinesfalls widersprüchlich, denn die Intimrasur hatte vor allem zur Folge, dass es auch für die Vulva ein Schönheitsideal gibt. Und sie entsprechend schönheitsoperiert wird.

  1. L’Origine du Monde

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Gustave Courbets „L’Origine du Monde“ von 1866 gilt als eines der pornografischsten Kunstwerke der Moderne, dessen Rezeption von heftigen Reaktionen gekennzeichnet ist. Fast 100 Jahre nach seiner Entstehung kaufte Jacques Lacan das Original. Es galt noch immer als derartig obszön, dass er seinen Schwager – den Künstler André Masson – beauftragte, einen verstellbaren Doppelrahmen dafür zu bauen, der auf der Vorderseite ein Landschaftsgemälde zeigte. Insofern ist das Bild ein Inbegriff für die Ablehnung pornografischer Inhalte. Gegenwärtig wird es deshalb auch gerne dafür hergenommen, sich über die Zensur der sozialen Medien lustig zu machen.

 

 Anmerkungen

[1] Siehe das Vorwort von Gloria Steinem in: Ensler, Eve: The Vagina Monologues, 2001.

[2] Stokowski, Margarete: Untenrum frei, 2016. S. 18.

[3] Lemma „Semmel“; In: „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“, hrsg. von Hoffmann-Krayer, E.; Bächtold-Stäubli, Hanns. Berlin und Leipzig 1935/36, Sp. 1644.

[4] Ebd.

[5] Wolf, Naomi: Vagina: A New Biography, 2012.

 

Annekathrin Kohout ist freie Autorin und Fotografin. Der Beitrag ist eine aktualisierte Version eines Artikels, der auf ihrem Blog zu finden ist.