Konsumrezension Novembervon Franz Billmayer30.11.2016

Da schau her! Sammlung zur Lautstärke visueller Gestaltung in Prospekten

Medien ersetzen andere. Die Vorläufer der Werbeprospekte, die bei mir am Freitag und Samstag den Briefkasten füllen, sind Marktschreier und Hausierer. Die bieten ihre Ware lautstark an und versuchen damit Kunden für ihren Stand zu gewinnen. Es gibt sie noch als Event, wenn etwa der »HAMBURGER FISCHMARKT auf Tour« geht. Die Leute gehen hin, weil sie das laute Anpreisen von Waren und das Spielen mit Sonderangeboten unterhaltsam finden.

Die Prospekte werden uns eher aufgezwungen. Viele haben Aufkleber auf den Briefkästen mit »Keine Werbung!« Als Printmedien setzen sie auf das visuelle »Schreien«. Die Marktschreier zeigen die Waren, die Prospekte bilden sie ab. Die einen nennen die Qualitäten, die anderen beschreiben sie. In beiden Fällen werden die Preise als Hauptargumente eingesetzt. Die einen sind lauter, die anderen leiser. Lautstärke erzeugt Aufmerksamkeit. Aber es gilt auch der alte Spruch »Wer schreit hat Unrecht. Wer lauter schreit hat lauter Unrecht.« zu beachten. Im Handel bedeutet das, wer laut schreit hat es nötig, weil … eventuell die Qualität nicht so gut ist, er keine guten Argumente hat …

Größe

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Abb. 1

Größe ist relativ – genau wie laut und leise. Der Preis im Prospekt des Discounters Norma ist erheblich größer als der in dem vom Hofer (Abb.1). Bei Hofer macht der Preis 5% der Fläche aus, bei Norma 31%. Norma wäre demnach sechs mal so laut. Auch bei der Darstellung des Produkts unterscheiden sich die Strategien der beiden: Hofer arbeitet mit einer Totalen, die Zahnbürsten sind vergleichsweise weit weg; Norma mit Halbnah, der Kuchen ist viel näher. Bei Norma schneidet die Fläche mit »30% billiger« zudem noch den Rahmen, der Preis springt quasi aus dem Bild. Damit gibt sich die Norma-Variante lauter (Größe) und emotionaler (Halbtotale) als die von Hofer.

 Etiketten

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Abb. 2

Gäbe es keine Preisetiketten, müssten wir wie auf dem Basar den jeweiligen Verkäufer fragen, das wäre recht aufwändig. In den meisten Prospekten werden die Preise auf Flächen geschrieben, die an solche Etiketten erinnern (Abb.2).

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Abb. 3

Bei Aldi Süd ist der Preis nie auf das beworbene Produkt »geklebt«. Das Etikett zeigt lediglich mit einer Spitze am Rand in seine Richtung. Auch Hofer, der österreichische Ableger von Aldi Süd, druckt den Preis nur selten über das Bild des Produkts. Hofer verwendet Nachbildungen von Klebeetiketten. Ein Schatten an der rechten unteren Ecke suggeriert, sie hätten sich dort leicht vom Untergrund gelöst. Auf der Seite »Gekonnt Discount« wirbt Hofer mit Produkten, die billiger geworden sind. Hier klebt der neue Preis über einem »alten« gelben Etikett. Das ist leicht schief angebracht. Ähnlich macht es auch Lidl. Die gelbe Fläche ist hier etwas größer und weicht etwas mehr von der Horizontalen ab. Norma klebt in seinem Möbelkatalog den Streifen »36 % billiger« im selben Winkel wie Lidl über das Preisschild. Hofer und Aldi Süd sind dezenter als Norma und Lidl.

Edeka orientiert sich nicht an Etiketten, sondern an Preisschildern, wie sie manchmal von den Decken von Supermärkten hängen. Ein Schatten am rechten und unteren Rand lässt sie vor der Prospektfläche stehen (Abb.3). Auch bei Roller lässt ein Schatten die altmodischen Hängeetiketten über der Fläche schweben. Bei Edeka und Roller überschneiden die Preisschilder häufig die Abbildungen der Produkte.

Rewe interpretiert den Code »rotes Schild auf gelbem Grund« anders als Lidl oder Hofer. Hier umrahmt die gelbe Fläche die rote an drei Seiten. Auch so entsteht ein räumlicher Eindruck.

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Abb. 4

Neben den rechteckigen gibt es runde Preisschilder (Abb. 4). Beim Drogeriemarkt Müller sind sie in der Fläche und wirken sie wie aufgeklebt. Bei Penny und Dänischem Bettenlager erinnern die Schilder wegen der Schatten an dünne Scheiben.

 Blitze, Sterne und andere Auszeichnungen

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Abb. 5

Mit Schreien und Gestikulieren versuchen Händler auf traditionellen Märkten, die Aufmerksamkeit der potentiellen Kunden zu wecken. Visuell erregen wir Aufmerksamkeit einmal durch Größe, aber auch durch Abweichen vom Erwarteten, durch Abweichen von der Norm. Deshalb werden manche Bilder schief an die Wand gehängt. Der Möbelhändler Roller hinterlegt seine Preis zusätzlich noch mit Explosionssymbolen, die wir aus Comics kennen. Mit ihnen kündigt er seine Knüllerpreise als Knaller an. Schatten erzeugen den Eindruck, als wenn diese Explosionen wie Schilder über der Fläche stehen. Der Lebensmittelhändler Hit nimmt einen blauen (!) Stern. Bei Norma erinnert er an ein Kreissägeblatt (Abb.5).

 Farben

Der Größe und den Auszeichnungen entsprechen bei den Farben die Kontraste. Rot, Gelb, Schwarz und Weiß kommen am häufigsten vor und bilden in den hier untersuchten Beispielen die Norm. Wer besonders laut sein will, kombiniert Gelb und Schwarz (Norma und Roller). Aldi Süd und Hofer geben sich auch hier zurückhaltend. Aldi Süd verwendet monochrome Etiketten mit einem abgetönten Farbton, der zum allgemeinen Farbsound der Seite passt. Starke Kontraste werden geradezu vermieden. Man will nicht laut, sondern eher dezent sein. Die Mitbewerber nehmen mehr oder weniger viele Farben.

Norma dagegen setzt bei der Wochenend-Spezial-Werbung das ganze Arsenal ein: großer Preis, schräger Aufkleber, gezackte Fläche gezackt und gelbe Schrift mit schwarzem Rand.

 Alle werden leiser

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Abb. 6

In den letzten sechs Jahren sind die Preise insgesamt leiser geworden. Aldi war schon 2010 vergleichsweise leise: blaue Schrift auf hellblauen Untergrund. Der schräge Balken oben ist ein Relikt aus früheren Zeiten. 2014 ist es mit der Schrägstellung vorbei. Die Form erinnert an ein (kleines) Klebeetikett, der Hintergrund passt zu den auf der Seite angebotenen Textilien. 2016 wird auch auf den Balken zwischen Preis und Menge verzichtet. (Abb.6)

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Abb. 7

Edeka lässt es 2010 noch richtig krachen: Sterne, ausfransender Pinselstriche: Rot, Gelb, Schwarz und Weiß. Das 2016er Schild gibt sich dagegen ziemlich sachlich. (Abb.7)

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Abb. 8

Hofer verzichtet bei den üblichen Preisauszeichnungen auf die hinterlegte Fläche ebenso wie auf die Schrägstellung. Lediglich in der Kategorie »billiger« kommt noch ein gelber Hintergrund zum Einsatz (Abb.8).

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Abb. 9

2016 ist Lidl wesentlich ruhiger als 2010: die Handschrift ist der Druckschrift gewichen, rund ist rechtwinklig und die ausfransenden Striche und Flächen sind verschwunden (Abb.9).

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Abb. 10

Rewe hat 2010 wenigstens fünf verschiedene Preisformen verwendet, alle schräg. 2016 ist die Schrägstellung ebesno verschwunden wie der explodierende Sensationspreis (Abb.10).

In allen Bereichen, bei Größe, Form, Farbe und Auszeichnungen tendieren die Prospekte zu einem dezenteren Preisauftritt: auch Flüstern ist ein probates Mittel, Aufmerksamkeit zu generieren … Ob dieser Trend dem Hamburger Fischmarkt Besucher kosten wird, wie sich Aldi Süd in Zukunft von seinen Mitbewerbern abhebt und wann das Pendel vom Flüstern wieder in Richtung Schreien ausschlägt, bleibt eine spannende Frage für die nächsten Jahre.

 

Franz Billmayer (*1954) ist Professor für Bildnerische Erziehung an der Universität Mozarteum in Salzburg und betreibt die Internetseite bilderlernen.at. Er hat Kunstpädagogik und Bildhauerei an der Kunstakademie München studiert, war einige Jahre Kunsterzieher an Gymnasien in Bayern, dann Professor für Kunst und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Bildhauerei an der Universität Paderborn.