Die unendliche Liste – Facebooks Kneipengespräche
Es ist heute fast ein medientheoretischer Allgemeinplatz, dass ein Brief jenseits seines Inhalts etwas anderes kommuniziert als eine SMS, fehlende Bürowände in Großraumbüros die kommunikative Atmosphäre verändern oder die Oberflächen und Interfaces digitaler Medien unseren Umgang mit ihnen beeinflussen.
Mit diesem Blick hat man eine ungemein erfolgreiche Re-Lektüre des Sozialen vorangetrieben, die nun die Wiederkehr der Dinge in den Kreis der Akteure feiert und sich den Fragen nach der Materialität der Kommunikation widmet. Gerade die soziologische Klassik hat darauf hingewiesen, dass die Praxis öffentlicher Kommunikation durch die technologische Infrastruktur ihrer Verbreitungsmedien strukturiert wird.
So baut bekanntlich Jürgen Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit auf einem medientheoretischen Argument auf, denn den Anfangspunkt dieses Strukturwandels bildet gerade ein Medienwandel. Erst über die neuen medialen Praktiken des Brief- und Tagebuchschreibens wurde eine neue Form von bürgerlicher Innerlichkeit eingeübt: „Briefe schreibend entfaltet sich das Individuum in seiner Subjektivität“ (Habermas 1990: 113).
Umgekehrt sind es gerade die privaten Lesegewohnheiten, durch die ein öffentliches an der Rationalität des Arguments orientiertes Diskutieren auf Augenhöhe erst salonfähig wird. Als kommunikative Infrastruktur entstehen im Übergang vom Modell der repräsentativen Öffentlichkeit zur bürgerlichen Öffentlichkeit kleine Lesegesellschaften in den architektonisch neuen Salons. Es ist also die Medialität der bürgerlichen Kommunikationsstruktur, die diese Praxis mitprägt. Dieses Argument findet sich heutzutage natürlich in all jenen Ansätzen, die der Materialität der Dinge einen angemessenen Platz in der Versammlung des Sozialen einräumen möchten.
Ein Beispiel für ein Medium, das unsere Alltagskommunikation zwar relativ leise, aber doch ganz entscheidend mitgestaltet, ist die Liste – sei es als einfache Auflistung (Einkaufsliste, To-Do-Liste) oder als serielle Liste (Tabelle, Ranking).
Im Zeitalter des Web 2.0 scheinen wir zunehmend mehr umgeben zu sein von listenförmigen Anordnungen von Inhalten; insbesondere zum Jahreswechsel wird dies deutlich, wenn uns Zeitungsredaktionen mit den Best-Of-Listen der zu hörenden bzw. zu lesenden Büchern versorgen.
Interessiert man sich für die kommunikative Infrastruktur der Social Network Site Facebook, so stechen auch hier ganz unterschiedliche Listen ins Auge. Fast jeder Klick auf der eigenen Facebookseite öffnet oder schließt eine listenförmig verlaufende Übersicht. Facebook konfrontiert uns mit einer Gleichzeitigkeit verschiedener Listen: Kontaktpersonen, Interessen und Vorlieben arrangiert die Benutzeroberfläche als Liste; ebenso werden die Aktivitäten der User in einer Aktivitätenliste protokolliert und damit als Chronik dokumentiert; schließlich werden auch Postings jeden Inhalts und jeder medialen Form sowie darauffolgende Kommentare listenförmig im sogenannten Newsfeed angeordnet.
Allen Listen gemeinsam ist deren spezifische mediale Logik.[1] Indem Listen Elemente untereinander anschreiben, also aufzählen, bringen sie diese Elemente in einen semantischen Raum, der sich aber gerade der Logik der Schrift wie auch der Logik der Interaktion entzieht. Listen folgen keiner diskursiven Grammatik, sondern nur dem Additionsprinzip. Auf den ersten Blick liegt genau darin das Besondere der Liste; in ihrer vermeintlichen Einfachheit besteht ihr Reiz. Über das schlichte Auflisten ermöglicht sie es, die Komplexität der Welt zu bearbeiten. Listen erzählen zunächst nichts, Listen zählen auf.
Welche Effekte haben aber nun diese Listen auf eine post-bürgerliche Netzwerkkommunikation? Treibt diese listenförmige Kommunikation gar einen Strukturwandel des Öffentlichen voran? [2]
Die unendliche Liste des Newsfeed
Während die filternden und vorselektierenden Techniken der Algorithmen, die hinter den Listen des Interfaces wirken, kontrovers diskutiert werden, wird die Medialität der Interface-Listen von der Internetsoziologie weitgehend unkommentiert hingenommen. Ein Interesse für die Effekte dieser Hyperlisten lässt sich erst in jüngerer Zeit feststellen (vgl. Bachmann 2013).
Die Eigenlogik der medialen Plattform organisiert über diese Listen bereits aber eine spezifische kommunikative Selektivität, indem sie nur bestimmte Praktiken ermöglicht – und viele andere ausschließt. Auf Facebook finden sich sowohl stabile als auch höchst dynamische Listen. Die Freundesliste sowie die Gruppen- und Interessenlisten des Facebook-Interfaces sind zunächst von eher stabilem Charakter. Sie unterliegen der Bearbeitbarkeit durch die jeweiligen Nutzer, die dort Personen kategorisieren, sich Gruppen anschließen, oder Veranstaltungen kalendarisch einordnen können.
Stabil sind diese Listen in dem Sinne, dass sie eine ordnende Arbeit an der Liste ermöglichen. Als additive Speichermedien implizieren diese Listen deshalb zunächst einen ordnenden Schließungsmodus. In der Logik der Datenbank adressiert die Plattform die User dementsprechend als Sekretäre ihrer Alltagskommunikation, die durch aktives Ordnen das Lesen, Filtern und Speichern relevanter Informationen ermöglichen (Barth/Stempfhuber 2017).
Der Newsfeed oder die Kommentarlisten unter den Beiträgen der Nutzer, um die es hier gehen soll, treten wiederum als dynamische Listen in Erscheinung. Der Newsfeed von Facebook entsteht lediglich dadurch, dass die dort gezeigten Postings, Personen oder Gruppen vom User einmal für interessant genug gehalten, also entsprechend angeklickt, gelikt oder abonniert wurden. Er errechnet sich aber auch nach einem automatischen Algorithmus, der sich nach Aktualität, Aufmerksamkeit und den eigenen Aktivitäten permanent neu bildet.
Das Besondere an diesen Listen ist, dass sie ein „Wahrnehmbarmachen von etwas Nichtwahrnehmbaren“ (Krämer 2008: 84) ermöglichen, weil sie die algorithmische Dynamik des Netzwerks zur Darstellung bringen. Es ist dieser operative Mechanismus, der die Arbeit der Liste ausmacht.
Was Newsfeeds zunächst recht deutlich von ‚klassischen‘ Listen unterscheidet, ist ihre Volatilität. Jedes neue Posting auf Facebook erzeugt eine Veränderung der als Standbild sichtbaren Liste. Diese Listen stabilisieren also einerseits Ordnung, andererseits eröffnen sie aber auch einen Raum für Unordnung und Bewegung. Die Liste speichert zwar Ereignisse dauerhaft und ordnet sie chronologisch an, sie bleibt dabei aber zugleich offen, da sie sich auf dem Bildschirm immer wieder neu darstellt, situativ ergänzt und verlängert wird. In dieser Dynamik und Unabgeschlossenheit erinnert die Ereignisliste an die unendlichen Listen postmoderner Literaturtheorie (etwa bei Eco 2009).
Einmal eingestellte Inhalte verschwinden zwar nicht, rücken aber in der Eigenzeit der Liste permanent räumlich nach unten. Der Newsfeed unterliegt dabei keiner prinzipiellen Schließung, sondern funktioniert in einer Logik des Und. Dies führt in der Praxis der Nutzung zu spezifischen Umgangsweisen mit der Startseite von Facebook. Für den im Folgenden zitierten User ergibt sich aus der Eigenzeit der Liste etwa der Imperativ, nur spezifische Inhalte auf der Startseite einzustellen:
„Ich poste, was ich grade gefunden hab, was mir gerade in den Kopf kommt, also ich würde sagen, ich benutze das ganz stark so, also das hat auch wirklich nur ne ganz kurze Halbwertszeit, also was gestern bei Facebook passiert ist, ist heute schon wieder total egal. Ich glaube diese Witze, Sprüche, Ding trifft es ganz gut, es ist pointiert, ich kann mir aber auch nichts davon kaufen, dass ich da gestern was Gutes gemacht habe. Die Taktung ist total hoch. Und alles, wofür ich mich rechtfertigen müsste, worauf ich mich festnageln lassen müsste, was morgen auch noch interessant sein könnte, ist eigentlich Nichts, was ich im Medium Facebook interessant finde.“
Der Nutzer setzt seine Erzählung vor dem Hintergrund einer eigentümlich „kurzen Halbwertszeit“ der Kommunikation auf Facebook ein. Die Taktung, mit der einzelne kommunikative Offerten in der Liste des Newsfeeds (Startseite) aufeinander folgen, erscheint ihm dabei aber extrem hoch. Diese Volatilität des Newsfeeds wird von den interviewten Facebook-Nutzern immer wieder thematisiert.
Die spezifische Eigenzeit, die der User beschreibt, erzeugt eine Form kommunikativer Gegenwärtigkeit, die insbesondere selektive Konsequenzen für Stil und Kommunizierbarkeit von Themen auf Facebook zeitigt. Was hier beobachtet wird, ist der Umstand, dass im Newsfeed nicht unbedingt wiederholbare Ansichten und Kontinuitäten erwartet werden, sondern eher ein pointiertes kommunikatives Kurzpassspiel.
Die User spielen mit den Öffnungen und Schließungen der Liste. Oder sie scrollen die unendliche Liste des Newsfeeds entlang und flanieren gewissermaßen durch die Meldungen. So meinte ein Interviewter: „Man scrollt durch die Liste – und ist dann wieder weg“. Bevorzugt werden dementsprechend Darstellungsweisen oder Themen, die sich der Taktung der volatilen Liste fügen. Der oben zitierte User beschreibt, er wolle sich auf Facebook auf „nichts festnageln lassen“. Einer weiteren Nutzerin zufolge existiert ein „üblicher gemeinsamer Stil“, der die Einträge in die Listen auf Facebook als beiläufig ausflaggen muss, um nicht den steten Fluss der Kommunikation zu stören:
„Wenn jetzt einer ‘nen Videolink schickt, wo das Video fünf Minuten lang ist, dann überlegt man sich schon vorher, ob man jetzt in das Video reinschaut überhaupt. Aber so ein vierzig-Sekunden-Ding, des guckst du dir eher mal an. Weil das ist halt so schnell nebenher. Und deshalb denke ich, wenn sich jetzt da einer stellt gegen den Commonsense oder gegen den (Pause) gegen den üblichen gemeinsamen Stil da stellt und sagt: ,Ich schreibe vollständige Sätze‘, dann löst man nur Irritationen aus.“
Eine stark frequentierte oder stilistisch abweichende Fütterung der Liste mit den Inhalten einiger weniger nimmt dem Leser die Übersichtlichkeit, „hält auf“, „stört“. Die zeitliche Logik der Liste läuft heiß. Der Kommunikation muss es gelingen, sich in die listenförmige Taktung der Beiläufigkeit einzufügen. Gerade Kommunikationspraktiken, die dieser Dynamik über ihre diskrete Beiläufigkeit Rechnung tragen, werden hiermit funktional.
Diskontinuitäten der Kommentarliste
Der Newsfeed listet immer wieder andere Kommunikationsofferten im Netzwerk auf. Ein Publikum, das nicht auf Ko-Präsenz angewiesen ist, kann diese nun jederzeit kommentieren. Facebook lässt sich in diesem Sinne als eine stete Liste von Kommentaren und Kommentaren von Kommentaren lesen.
Im Folgenden wollen wir das an dem Facebook-Post eines privaten Profils illustrieren. Ein User teilt ein Foto. Dieses Foto zeigt eine Schultafel, die dicht beschrieben eine Buchbesprechung auflistet, die in einer Deutschstunde an einem Gymnasium entstanden ist. Der dazu gehörige Post lautet: „Unterrichtsstoff Oberstufe: Was an Thomas Meineckes Roman ‚Tomboy‘ nervt.“
Der erste Leseeindruck der Kommentarliste liefert den Eindruck vergleichsweise chaotisch assoziierter Kommunikation. Die Liste listet kurze Pointen, Symbol- und Bildzeichen sowie Hypertexte nacheinander auf, die zunächst in keinem sichtbaren logischen oder linearen Verhältnis zueinander stehen. Hier springen die Bezüge zwischen Initial- und Anschlusspost hin und her und es erscheint zunächst völlig unklar, auf welche Kommunikationsofferte sich der jeweilige Anschluss bezieht:
„Haha“
„Keine Distanz zu Dingen wie Drogenmissbrauch“
„Hihihi“,
„Stilistisch anstrengend“
„Just say No to Drugs“
„Ludwigshafen nervt“,
„Früher gabs Max Frisch“,
„Gibts auch ne Liste, was nicht nervt?“
„Da könnte man jeden einzelnen Punkt hier als Kommentar posten, mit Ausrufezeichen dahinter“
Es scheint zunächst so, als stünden die einzelnen Anschlüsse alleine da, „geordnet in einer Art Addition, die einem in ihrer Schlichtheit fast als unvermeidlicher Prozess vorkommt“ (Goody 2012: 360). Dieser Befund darf nicht als die Klage über den Verlust eines emphatischen bzw. dialogischen Kommunikationsbegriffs verstanden werden. Vielmehr liegt in der kontinuierlichen Diskontinuität der Liste ihre kommunikative Anschlussfähigkeit. Anders als etwa gesprochene Sprache, die durch kontinuierliche und wechselseitige Bezugnahme geprägt ist, handelt es sich bei der Liste um eine „nicht-syntaktische Formation untereinander anschreibbarer Posten“ (Vismann 2001: 20.)
Die kontinuierlich addierende Logik der Liste beruht demnach eher auf Diskontinuität denn auf Kontinuität. Dies zeigt sich, wenn man die Logik der Liste mit der Logik der Interaktion kontrastiert – beispielsweise erscheint gegen diese multimedialen Kommentarmöglichkeiten das Foto der eigenen Kinder im Portemonnaie zur medialen Unterfütterung von Interaktionen über den Familienstand geradezu arm. Auch Interaktionssituationen, in denen wir einfach nur kurz gestanzte Satzfetzen hervorpressen, gelten der (bürgerlichen) Kinderstube nach als eher ungewöhnlich oder werden unter Kunstverdacht gestellt.
Man möchte einwenden, dass Kommentarlisten doch ganz oft auch syntaktische Sinnbögen hervorbringen. Und in der Tat finden sich immer auch wieder kurze dialogische Argumentationen, narrative Episoden, Techniken des direkten Bezugs, der Anrede, des Likens und Taggens (Personen mit Namen markieren). Gerade das Liken erzeugt immer auch wieder eine wechselseitige Aufmerksamkeitsökonomie. Nicht zuletzt hat Facebook 2013 das Feature der direkten Antwort in die Kommentarspalten hinzugefügt.
Das schwächt jedoch nicht unser Argument, sondern stärkt es vielmehr: Techniken wie diese werden im Grunde genommen erst dadurch funktional, dass sich die Logik der Liste immer wieder gegenüber zu starken Konsistenzerwartungen sperrt. Einerseits entfaltet die Kommentarliste einen Sog der Kommunikation, der sich gerade der Logik der Interaktion immer wieder auch entzieht. Andererseits werden Listenelemente auch nicht einfach listenförmig abgehakt. Die Kommentarliste erzeugt eine eigene kommunikative Ordnung, wenn sie einzelne Kommentare unabhängig von ihrer eigentlichen Bezugnahme auf den Ur-Post oder vorherige Kommentare ihrem Erscheinen nach chronologisch anordnet.
Die Diskontinuität der Liste überlistet damit die interaktionsspezifischen Prinzipien einer sequenziellen Zug-um-Zug-Abfolge. Die Kommentare der Kommentarliste sind weniger aufeinander bezogen als vielmehr lose nebeneinander gestellt (vgl. auch Bachmann 2013). In diesem Zusammenhang kommen Facebook-Nutzer immer wieder auf einen spezifischen Sound auf Facebook zu sprechen. Hierzu eine Interviewpartnerin:
„Die Flapsigkeit des Tons auf Facebook hat ja ähm auch was damit zu tun, dass man darauf nicht weiter reagiert, oder so […] Sondern der Ton, der irgendwie ironisch, cool, oberflächlich, entzughaft oder so sich selbst erhöhend für mich ist, der lässt es jetzt nicht unbedingt zu in ne Diskussion auf Augenhöhe zu kommen.“
Der Nutzer steigt vor dem Hintergrund ein, dass der flapsige Ton auf Facebook damit zu tun habe, dass man auf Kommunikationsofferten oftmals „nicht weiter reagiert“. Gerade die hohe Frequenz des Newsfeeds wird in den Erzählungen zuvor als Grund für diese kommunikative Beiläufigkeit markiert. Kommentare werden in den Kommentarlisten oftmals recht schnell additiv aufgelistet, deshalb besteht seitens der User aber nicht die Erwartung diese in eine geschlossene Narration übersetzen zu müssen.
Die Logik dieser Schreibpraktiken ist der lediglich beistellende, ‚coole‘ Kommentar, der neue Sinnbezüge herzustellen vermag, indem er den Post oder die vorhergehenden Kommentare ironisch verformt, verfremdet, distanzierend in Frage stellt – oder eben auch ohne jeden Bezug erfolgt. Postings und Kommentare können sich zwar aufeinander beziehen, aber es ist für den Fortlauf der Kommunikation eher unerheblich, ob sie es tun oder nicht. Entscheidend ist gar nicht, dass „sie auf Augenhöhe kommen“.
Dementsprechend stabilisiert sich die kommunikative Erwartungsstruktur auch nicht in der Form des bürgerlichen Dialogs oder der schriftlichen Briefwechsels. Derselbe Nutzer führt dazu dann aus, seine Praxis auf Facebook ähnele einem „Kneipengespräch“ unter Freunden, das seinen Reiz gerade daraus bezieht, „dass es vor Publikum funktioniert“.
Facebook stellt diese Form des Kneipengesprächs[3] gewissermaßen auf Dauer. Was gerade nicht erwartet wird, ist, „dass sich da ein ernstes Gespräch entspinnt“ (so eine Interviewte). Im folgenden Ausschnitt berichtet ein anderer User über seine Posting-Praktiken auf Facebook und erklärt ebenso, dass es eher unüblich ist, langwierige Streitgespräche und Diskussionen zu führen:
„Es war einfach […] nicht der Ort irgendwie dafür. […] teilweise (Pause) hatte ich da auch keinen Sinn dann drin gesehen da jetzt noch mal (lacht), also nochmal wirklich, also so argumentativ durchzuboxen irgendwie mit jemanden. Wenn doch irgendwie äh zwei Minuten später irgendwie das nächste schon zur Debatte steht […] ich könnte auch den nächsten Kommentar schon irgendwie (Pause) schon immer zum nächsten Thema schreiben, weil des nächste Thema irgendwie auf alle Fälle kommt.“
Dass sich Kommentarlisten auf Facebook allzu konsistenten Dialogzumutungen entziehen, ist für die User nicht unbedingt ein Problem. Gleichzeitig finden sich auf Facebook natürlich politische Debatten, hier wird regelrecht hitzig argumentiert und gestritten. Im Medium der dynamischen Kommentarliste wird der zwanglosen Zwang des besseren Arguments aber immer wieder durch den zwanglosen Post konterkariert.
Wirag spricht in Anlehnung an Roland Barthes vom guten Post als „haikuistisches Posting“ (Wirag 2010: 59). Das Haiku – zu Deutsch scherzhafter Vers – ist pointiert, unbestimmt, an niemanden direkt gerichtet, für sich stehend. Die Kunst des Haiku besteht also darin, es durch das „reizvolle Flirren des Signifikanten“ in der Schwebe zu halten (vgl. Barthes 1981: 94). Gerade deshalb bedarf es der Kommentierung. Dabei ist aber nicht so sehr entscheidend, was kommuniziert wird, sondern vielmehr, dass kommuniziert wird.
Listen und Narrative
Sind also die Listen Facebooks die Salons unserer Zeit? Der kommunikative Stil dieser Listen, so legen es zumindest unsere Ergebnisse nahe, entzieht sich immer wieder klassisch bürgerlichen Öffentlichkeitsmodellen. In Newsfeed und Kommentarlisten nehmen Kommunikationsofferten oftmals nicht über gute Argumente ab, sondern stetig zu, da wir in und durch diese Listen gerade eine neue Halbwertszeit unserer Kommunikation lernen.
Wir werden dabei gleichzeitig damit konfrontiert, dass sich die Kreise unserer Kommunikation dezentral ausbreiten und ein disperses Publikum sich dazu verhalten kann, weil im Umgang der User mit dieser listenförmigen Kommunikation gerade geringere Erwartungen an Kohärenz, Kontinuität und inhaltlicher Reziprozität gestellt werden. Die diskontinuierliche Logik dieser dynamischen Listen des Netzwerks lässt deshalb die permanente Revidierbarkeit und Perspektivität unserer Kommunikation erfahrbar werden.
Innerhalb der medialen Ökologie dieser Listen steigt eher die Wahrscheinlichkeit für Praktiken des Kommentierens als für Praktiken des Diskutierens. Anstelle diskursiver Praktiken des Aufeinanderbezogenseins, wird es wahrscheinlicher „Miteinander im Nebeneinander“ (Bachmann 2013: 130) zu kommunizieren. Dabei gewinnt die phatische Dimension der Kommunikation zu Gunsten der argumentativ-negierenden Dimension an Bedeutung.
So kommt es auch, dass sich die Diskontinuität unserer untersuchten Facebook-Listen der Logik des Narrativen immer wieder entzieht. Dies muss nicht heißen, dass sich nicht auch im Newsfeed oder in den unterschiedlichen Kommentarspalten Erzählungen finden lassen. Dort finden sich narrative Episoden, die in der Timeline biographische Konsistenz erzeugen, oder in den Posting-Spielen des Kommentierens die Geschichte einer Freundschaft erzählen – und auch das Interface Facebooks kennt die Anrufung des Nutzers als Erzähler.
Die Gegenüberstellung von einer Logik der Narration und einer Logik der Liste hat dabei vor allem einen heuristischen Sinn. Der Newsfeed und die Kommentarlisten erzählen aber eben nicht unbedingt eine konsistente Geschichte im klassischen Sinne, sondern sie zählen lediglich Ereignisse auf.[4]
Gerade die Digital Humanities haben betont, das digitale Zeitalter totalisiere das Additive, das Zählen und das Zählbare, aber es erzähle eben nicht (vgl. Manovich 2001). Diese Diagnose, die eine Logik der Datenbank gegen die Logik des Narrativen in Stellung bringt, hat seitdem einige Popularität erfahren. Das Digitale lasse unsere Geschichten nicht als konsistente Geschichte erfahrbar werden, man müsse deshalb die „Algorithmen wieder in Narration“ übersetzen (Schirrmacher / Kluge: 2010).
Man kann diesen großen Sätzen mit guten Gründen skeptisch gegenüberstehen. Unsere Ergebnisse zeigen hingegen im Kleinen, dass sich an diesen Listen weder der Verfall einer digitalen Öffentlichkeit noch deren telematisches Pfingstwunder ablesen lässt, sondern eher ein geradezu lässiges Einüben von Diskontinuitäten.
Anmerkungen
[1] Ein kurzer Blick in die Sozial- und Kulturwissenschaften zeigt ein zunehmendes Interesse an Listen und ihren unterschiedlichen Formaten. Für die Literaturwissenschaft hat Jack Goody (1977) eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Erfindung der Schrift im frühen Mesopotamien nicht literarischen Werken zuzurechnen ist, sondern dem Gebrauch administrativer Listen. Die Listen sind es, die Europa zunächst als eine „Kultur der Sekretäre“ hervorbringen (Siegert/Vogl 2003). Man findet sie als Aufzeichnungsformat im modernen Rechtssystem (Vismann 2001), in Archiven (Ebeling/Günzel 2009) sowie im Rahmen von Kategorisierungspraktiken (Bowker/Star 2000). In der Literaturwissenschaft lässt sich seitdem das listenförmige Aufzählen auch als poetologische Praktiken in den Blick nehmen (Mainberger 2003). Und in der Organisationssoziologie geht man davon aus, dass über die Praktiken des Bewertens und Rankens die Vermessung der Welt in der organisatorischen Lesbarkeit von Zahlen, Tabellen und Listen grundiert wird (etwa Vollmer 2013). Hier werden Listen als Technik in den Blick genommen. Gerade in Organisationen werden sie zu einer universellen Technik, der es erfolgreich gelingt, die Kontingenzen des Entscheidens zu bearbeiten. Besonders prominent wiederum adressiert die Wissenssoziologie die Liste als komplexes „epistemisches Objekt“ (Knorr-Cetina 2001). Durch die Praktiken des Aufschreibens, Visualisierens und Einschreibens in das Inskriptionsmedium der Liste wird nicht nur das Labor zum Kalkulationszentrum der modernen Wissenschaften (Latour 1987), sondern die Liste selbst zu einer Metapher des Sozialen (vgl. Stäheli 2011).
[2] Dieser Text ist eine stark gekürzte Version von: Wagner, Elke / Barth, Niklas (2016): „Die Medialität der Liste. Digitale Infrastrukturen der Kommunikation“, in: Herbert Kalthoff, Torsten Cress ,Tobias Röhl (Hrsg.): Materialität. München: Wilhelm Fink, S. 343-359.
[3] Der Historiker Philipp Felsch hat darauf aufmerksam gemacht, dass im Werk Niklas Luhmanns gerade solche Formen von „Gerede“, also „größere Parties“ und „Diskussionen in Bars“, als Beispiele ins Feld geführt werden, um die Idee einer idealen Sprechsituation zu konterkarieren. Felsch verweist darauf, dass Luhmann in diesem Zusammenhang systematisch die Arbeiten der amerikanischen Ethnologin Sherri Cavan zitiert. In Cavans Ethnographie des Nachtlebens erkannte Luhmann exemplarische Situationen, in denen zwar das Aufnehmen und Beenden von Kontakten erleichtert ist, es jedoch in keinster Weise darum ging, Wahrheitsansprüche zu diskutieren oder gar einen Konsens zu erzielen. Vielmehr lag deren sozialer Sinn gerade in der Kontaktaufnahme selbst (vgl. Felsch 2015, S.232).
[4] Die eigentlichen Erzähler, so führt Roberto Simanowski aus, säßen deshalb nicht im Front-End des Interfaces, sondern im Back-End, wo die Daten des Netzwerks miteinander gekreuzt werden und sich zum Profil eines jeden Einzelnen und zum Beziehungsnetz der Vielen verdichten (vgl. Simanowski 2014, S. 67 f.). Erst die „narrative Beziehungslosigkeit der Daten“, so Simanowksi weiter, „ist Garantie ihrer Vollzähligkeit, denn wenn es keine Geschichte zu erzählen gibt, kann es auch keine Daten geben, die aus ihr herausfallen“ (ebd., S. 68).
Literatur
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Barth, Niklas / Stempfhuber, Martin (2017): Alltagssekretäre. Der Like-Button und die Praktiken der Ordnung auf der SNS Facebook, in: Österreich Z Soziol 42, S. 45–64.
Barthes, Roland (1981): Das Reich der Zeichen. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Bowker, Geoffrey C./Star, Susan L. (2000): Sorting Things out. Classification and its Con- sequences. Cambridge, Mass.: MIT Press.
Dolezalova, Lucie (Hg.) (2009): The Charm of a List. From the Sumerians to Computeri-
Eco, Umberto (2009): Die unendliche Liste. München: Carl Hanser.
Ebeling, Knut/Günzel, Stephan (Hg.) (2009): Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten. Berlin: Kadmos.
Felsch, P. (2015). Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960–1990. München: C.H.Beck.
Goody, Jack (1977): The Domestication of the Savage Mind. Cambridge: Cambridge University Press. Goody, Jack (2012): Woraus besteht eine Liste? In: Zanetti, Sandro (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik. Berlin: Suhrkamp, S. 338–397.
Kalthoff, Herbert (2004): Finanzwirtschaftliche Praxis und Wirtschaftstheorie. Skizze einer Soziologie ökonomischen Wissens. In: Zeitschrift für Soziologie 33 (2): 154-175.
Knorr-Cetina, Karin (2001): Objectual Practice. In: Schatzki, Theodore/Knorr Cetina, Karin/Savigny, Eike von (Hg.): The Practice Turn in Contemporary Theory. New York: Routledge, S.175–188.
Krämer, Sybille (2008): Medien, Boten, Spuren. Wenig mehr als ein Literaturbericht, in: Muenker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.): Was ist ein Medium? Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 65–91.
Latour, Bruno (1987): Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers through Society. Harvard: Harvard University Press.
Manovich, Lev (2001): The Language of New Media. Cambridge: MIT Press. Nassehi, Armin (2006): Der soziologische Diskurs der Moderne. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Siegert, Berhard/Vogl, Joseph (2003): Europa. Kultur der Sekretäre. Berlin: Diaphanes.
Simanowski, Roberto. 2014. Selbsterkenntnis und Dokumentation im Zeitalter ihrer mechanischen Produktion. Facebooks Tagebuch. In: Dokument, Fälschung, Wirklichkeit. Theater der Zeit, hrsg. Boris Nikitin, Carena Schlewitt und Tobias Brenk, 60-76. Berlin: Theater der Zeit
Stäheli, Urs (2011): Das Soziale als Liste. Zur Epistemologie der ANT. In: Balke, Friedrich/Muhle, Maria/Schöning, Antonia von (Hg.): Die Wiederkehr der Dinge. Kaleidogramme Band 77. Berlin: Kadmos, S.83–103.
Vismann, Cornelia (2001): Akten. Medientechnik und Recht. Frankfurt/Main: Fischer.
Vollmer, Hendrik (2013): Fantastische Zahlen. In: Passoth, Jan-Hendrik/Wehner, Josef (Hg.): Quoten, Kurven und Profile. Zur Vermessung der sozialen Welt. Wiesbaden: Springer VS, S.27–45.
Wirag, Lino (2010): Postdemokratie. Zur Genealogie und Poetologie des Postens. In: Porombka, Stephan/Mertens, Mathias (Hg.): Statusmeldungen. Schreiben in Facebook. Salzhemmendorf: Blumenkamp, S. 50–63.
Prof. Dr. Elke Wagner und Niklas Barth arbeiten am DFG-Projekt „Öffentlichkeit und Privatheit 2.0. Die medialen Bedingungen der Praxis von Publika in Social Networking Sites“.