Rap-Medien
Rap ist in Deutschland im Jahr 2018 das erfolgreichste und wichtigste Genre moderner Popmusik. Neben den sog. ‚Mainstream‘-Medien, die der gesellschaftlichen Mitte mit Niklas Luhmann (1996: 6) gesprochen zur Selbstbeobachtung dienen, finden sich im Rahmen der Hip-Hop-Subkultur jedoch außerdem eine ganze Reihe eigener Medienorgane und -formate. Während die akademische Auseinandersetzung mit Hip-Hop und Rap in Deutschland sich derzeit immer weiter etabliert, ist zur Bedeutung dieser Medien aus Sicht der Sozial- und Kulturwissenschaft wenig gesagt worden. In diesem kurzen Text möchten wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Beobachtungen und Eindrücke teilen, und diese anschließend zum Anlass einiger Vorschläge für eine weitere Auseinandersetzung nehmen. Unser Standpunkt ist hierbei ungefähr der zweier Kultursoziologen, die die Frage beschäftigt, wie Medien soziale Ordnung bedingen sowie die zweier Hip-Hop-Interessierter, die sich über die häufig widersprüchlich und mangelhaft agierenden Hip-Hop-Medien ereifern.
Aus einer kultur- und ungleichheitssoziologischen Sicht sehen wir den besonderen Charakter von Hip-Hop im Allgemeinen und Rap im Besonderen in seinem politischen Wesen begründet. „Zwischen Affirmation und Empowerment“ (Seeliger 2013) dienen die Bildwelten der Hip-Hop-Kultur einerseits der Sicht- und Hörbarmachung randständiger (häufig migrantischer) Gruppen (Empowerment). Verherrlichung und Kritik einer marginalisierten Existenz unter Ausschluss von Wohlstand und Anerkennung lassen sich hierbei häufig nur schlecht trennen. In Folge der Vermittlung aggressiv-herabwürdigender Inhalte und Verhaltensmaximen (etwa in Form von antisemitischen Ressentiments, Homophobie oder Sexismus) durch die Sprecher, gewinnen die Images des Genres häufig jedoch nicht nur einen verletzenden Charakter, sondern transportieren und verstärken im Rahmen ihrer kulturindustriellen Aufbereitung und Vermarktung die Wirkungsmacht geltender Stereotype über die besagten Gruppen. In eben diesem Spannungsverhältnis, so möchten wir argumentieren, gewinnen Rap-Medien ihre ebenfalls äußert ambivalente Bedeutung.
Aber worum handelt es sich hierbei nun genau? Historisch betrachtet nimmt die subkulturell verhaftete Berichterstattung über HipHop-Kultur ihren Anfang vor allem in Szenemagazinen wie ‚Juice‘ und ‚Backspin‘ sowie in Radio- oder TV-Shows. Über Rap informierte hier ein mehr oder weniger gut ausgebildeter Kreis von Musikjournalisten einen vor allem auf Fans und Interessierte beschränkten Rezipientenkreis. Mit dem Aufkommen des Internets vollzieht sich in der Öffentlichkeit der Szene ein Strukturwandel, der diese klassische Rollenverteilung zwischen Medienproduzenten und Medienkonsumenten zunehmend in Frage stellt. Während sich zum einen – erst im Rahmen von Rap-spezifischen Diskussionsforen und später auf Web 2.0-Plattformen wie Facebook – eine Community von Fans in Form einer eigenen Teilöffentlichkeit zu formieren begann, entstanden zum anderen auch neue Formate (u.a. ‚16 Bars‘, rap.de, Backspin TV, das Splashmag, TV Straßensound oder HipHop.de), die Inhalte der Hip-Hop-Kultur in Form von Interviews und Reportagen aufbereiten.
Eine grundlegende soziologische Einsicht über Medien besagt, dass diese die Gesellschaft nicht nur leidenschaftslos beschreiben, sondern hierbei notwendigerweise immer einer inhaltlichen Tendenz folgen und damit „auch mittels moralischer Kriterien und Beobachtungsweisen die Gesellschaft (über sich selbst) alarmieren“ (Ziemann 2006: 72). Eine entsprechend tendenziöse Orientierung finden wir auch unter den VertreterInnen der Hip-Hop-Medien. Eine starke Identifikation ergibt sich hierbei zum einen aus einer weit verbreiteten Identifikation ihrer Vertreter mit Hip-Hop als ‚Subkultur‘ im originären Sinne des Begriffes. Denn, wie Klein und Friedrich (2003) herausarbeiten, reicht der Ursprungsmythos in die USA der 1970er Jahre zurück, wo Hip-Hop im Allgemeinen und Rap im Besonderen als Ausdrucksform schwarzer Unterklassen entstand. Mit der (wenn auch ansonsten häufig mehr oder weniger konsequenzlosen) Identifikation ‚nach unten‘ geht weiterhin ein (zur Schau gestellter) ‚progressiver‘ (oder auch: anti-konservativer) Impuls einher, dessen Gestus dem des berufsjugendlichen Sozialpädagogen nicht unähnlich erscheinen mag. Mit der zunehmenden Popularität von Videointerviews besteht das Kerngeschäft der wichtigen Rap-Medien im Onlinebereich vor allem in der Produktion entsprechender Formate, welche in aller Regel über die Plattform YouTube zugänglich gemacht werden. Auf den erfolgreicheren Plattformen sind Klickzahlen im Hunderttausenderbereich keine Seltenheit und auch kleinere Portale können häufig mehrere zehntausend Aufrufe für ihre Videos verzeichnen.
Aus soziologischer Perspektive liegt ein faszinierender Aspekt vieler dieser Interviews in den Ambivalenzen, die sie transportieren. Diese, so meinen wir, sind vor allem durch eine widersprüchliche Rolle der InterviewerInnen begründet. Nichts hindert den Moderator von Backspin-TV daran, sich im Gespräch mit der linksradikalen Rapperin Sookee als verständnisvoller Profeminist darzustellen, während er Wochen später mit den aggressiv-misogynen Mitgliedern der 187-Straßenbande ankumpelt. Auch die Antisemitismusvorwürfe gegen den Rapper Kollegah stehen nicht erst im Raum, seit er jüngst durch das Teilen einer verschwörungstheoretischen Karikatur (und auch vorher wiederholt durch kryptische Verweise auf seine Judenfeindlichkeit) in Erscheinung getreten ist. Wenn der Rapper Bushido im Rahmen seiner Albumpromotion in Anlehnung an die islamistischen Attentate mit einem ‚Paris‘-Pullover provoziert, und die ehemalige 16-Bars-Moderatorin Visa Vi erklärt, sie wolle jetzt beim Thema Religion nicht weiter nachfragen, weil das „Privatsache“ sei, fällt dann bei genauerem Hinsehen auf, dass hier eventuell eine Chance verpasst wurde. Und wenn der Mülheimer Rapper Manuellsen im Interview mit der Plattform HipHop.de ankündigt, dem besagten Bushido „eine Machete in den Kopf zu schlagen“, bemühen sich Vertreter der Rap-Medienlandschaft zu erklären, dies sei – ganz im Sinne der Kunst – nur metaphorisch gemeint. Rap sei eben „Straßenkultur“ und da ginge es darum, „authentische“ Ausdrucksformen zu wählen.
Nun ist Distanz zum Gegenstand keine zwangsläufige Voraussetzung kritischer Berichterstattung. Im Gegenteil, so ließe sich argumentieren, werden bestimmte Kontakte und Gespräche ja erst dadurch ermöglicht, dass beide Seiten Kompromisse hinsichtlich derjenigen Vorzeichen eingehen, unter denen man sich begegnet.[1] Von einer „Macht der Medien über die Politiker“, wie sie Meyer (2015) für das Verhältnis der deutschen Journalisten über die Interessenvertretung im Bund konstatiert, kann in der Rap-Welt auch keine Rede sein. Für die Hörigkeit (oder zumindest: Kompromissbereitschaft) der Vertreter deutschsprachiger Rap-Medien gegenüber den Vertretern des Genres erkennen wir zwei Mechanismen, welche wir im Folgenden kurz vorstellen wollen – einen habituellen und einen aufmerksamkeitsökonomischen.
Zum einen scheint es uns dem Großteil der Genrevertreter (vor allem im Bereich der Videointerviewer) sehr schwer zu fallen, zu ihren Interviewpartnern in eine kritische Distanz zu treten. Während Newcomer noch mitunter kritisch befragt oder sogar beurteilt werden, begegnet man ‚verdienten‘ (d.h. zumeist älteren, auf eine umfangreichere Diskografie zurückblickenden) Rappern in aller Regel mit an Unterwürfigkeit grenzendem Respekt.[2] Ob die Gründe nun aus einer Überidentifikation mit dem Rapper oder der Angst resultieren, gegenüber der Community als Nestbeschmutzer dazustehen – es erscheint bemerkenswert, wie sehr die Interviewer in den genannten Formaten davor zurückscheuen, ihre Gesprächspartner mit den inhärenten Widersprüchen ihrer Selbstdarstellung zu konfrontieren.[3]
Der zweite Mechanismus, um den es uns geht, ergibt sich aus einer ungleichen Verteilung sozialen Kapitals zwischen Rappern und Medien. Während die Medien gegenüber den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen aufgrund ihres Monopols bei der kommunikationstechnischen Verbreitung von Inhalten über Print, Funk und Fernsehen traditionell im Vorteil waren, ist diese Konstellation durch das Web 2.0 unterminiert worden. So decken Rapper wie Bushido mit über einer Million Facebook-Fans einen digitalen Radius ab, den die verschiedenen Plattformen selbst nicht erreichen können. Einen Gewinn hat im Falle eines Berichts also gar nicht mehr unbedingt nur der Rapper, sondern vor allem die Plattform, die das Interview durchführt. Im Ergebnis, so ließe sich anschaulich schließen, wedelt also der Rapperschwanz nicht selten mit dem Medienhund.
Aufmerksamkeitsökonomische Sachzwänge und professionelles Unvermögen, so haben wir argumentiert, behindern also einen kritischen Rapjournalismus, welcher sich in Zeiten von Boulevardformaten wie der Facebookseite ‚Rapupdate‘ darüber hinaus einem Wettlauf nach unten ausgesetzt sieht. Wahrscheinlich erscheint gleichzeitig auch, dass die Privilegierung bestimmter Nachrichteninhalte („Unter Begleitung von Hells Angels-Mitgliedern stattet Animus Fler einen Hausbesuch ab“, „DIESER RAPPER ist jetzt Bitcoin-Millionär“, usw., usf.) in der Rap-Welt eine Feedbackschleife auslöst, die deren Vertreter in der Kultivierung entsprechender Verhaltensweisen weiter bestärkt.
Unsere kritische Bestandsaufnahme wollen wir nun mit einer Relativierung sowie einigen Anregungen für weitere Forschung abschließen. Denn unter den zahlreichen Formaten im Spektrum der Rap-Medienlandschaft finden sich sicherlich auch solche, deren Output die von uns konstatierten Begrenzungen (ob gezielt oder unwissentlich) überschreitet.[4] Auch zeichnet sich – wie zuletzt im Rahmen einiger Talkrunden – auch eine gewisse Bereitschaft innerhalb der Rap-Medien ab, die eigenen Verfahrensweisen zumindest zu hinterfragen (Vgl. etwa die von splash! Mag angestoßene Diskussion). Inwiefern diese Diskussion jedoch zu einer signifikanten Änderung der Feldpraktiken führen wird, ist – um es mal positiv zu formulieren – zumindest als offen anzusehen.
Um zu verstehen, unter welchen Umständen Rap-Medien das Reflexionsvermögen der Hip-Hop-Kultur (und damit der Gesellschaft insgesamt) erhöhen können, anstatt es einzuschränken, schlagen wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – vor, in der Zukunft eine Reihe von Fragen in den Fokus einer kritischen Kultursoziologie zu rücken: Erstens ließe sich die Präsenz der beiden von uns identifizierten Mechanismen in Bezug auf die Wahrnehmung von Medienmachern empirisch überprüfen. Und wie denken die betreffenden Personen eigentlich selbst über ihre Arbeit (siehe auch Dietrich/Ruppel 2016)? Lässt sich auf der von uns konstatierte Feedbackmechanismus tatsächlich herausarbeiten? Und schließlich die Frage, was Rap-Journalismus eigentlich sein will: Ein kritischer Kulturjournalismus? Ein fairer Berichterstatter? Ein Sidekick-Ensemble des Kulturindustriespektakels? Weiterhin fragen wir uns, was die zunehmende Präsenz von Frauen in den Schlüsselpositionen der Rap-Medienwelt noch zu bedeuten haben wird. Und wie lässt sich dieser Bereich vom Blickpunkt soziologischer Theorien betrachten? Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Anmerkungen
[1] Beispielsweise bekommt man ja immer mal wieder von einer gängigen Praxis zu lesen, dass Journalisten, die die Personalpolitik des FC Bayern München kritisieren, plötzlich keine Presseakkreditierungen mehr erhalten.
[2] Im Duktus der Autoritarismusforschung spricht man hier auch von ‚Etabliertenvorrechten‘.
[3] Auf so eine Kritik ließe sich nun natürlich – und dies mit Recht – antworten, Aufgabe des Journalisten sei es nicht, zu urteilen oder zu kritisieren, sondern in erster Linie ein – im sozialwissenschaftlichen Sprech – exploratives Datenmaterial zur Verfügung zu stellen. So wichtig dieser Einwand auch ist (ganz sicher brauchen wir ein solches Material!), so sehr verkennt er auch die häufig zur Schau gestellte Haltung der Interviewer in besagten Medien. Besonders in Bezug auf die männlichen Medienvertreter regt sich beim Zuschauen immer mal wieder ein Verdacht, der eine oder andere wäre vielleicht selbst gern Rapper und/oder Straßengangster geworden (oder ist es sogar gewesen) und spiele sich jetzt mit seinem Gegenüber die rhetorischen Selbstverständlichkeitsbälle zu. Der Grat zwischen Parteilichkeit und Überidentifikation muss nicht unbedingt ein schmaler sein, damit Leute ihn überschreiten. Das Material, so ließe sich im besagten Sprech ergänzen, ist aufgrund eines Fehlers bei der Erhebung stark verzerrt.
[4] Und, so ließe sich ebenfalls anmerken, könnte man nicht auch von den besagten Genrevertretern nicht eigentlich eine ausgeprägtere Kritikfähigkeit erwarten?
Literatur
Dietrich, Marc/Ruppel, Paul-Sebastian (2016): „Stephan Szillus im Gespräch.“ In: Marc Dietrich (Hg.): Rap im 21. Jahrhundert. Bielefeld: Transcript, S. 27-54.
Friedrich, Malte/Klein, Gabriele (2003): Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1996):Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Meyer, Thomas (2015): Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren. Berlin: Suhrkamp.
Seeliger, Martin (2013): Deutscher Gangstarap. Zwischen Affirmation und Empowerment. Berlin: Posth.
Ziemann, Andreas (2006): Mediensoziologie. Bielefeld: Transcript.
Marc Dietrich ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Martin Seeliger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Soziologie der Europa-Universität Flensburg.