Blood Orange, Yves Tumor, Amanda Lear, Jungstötter, Soap&Skin, P.A. Hülsenbeck, Scott Walker
Mein zweiter Roman erscheint im August diesen Jahres beim Hamburger Verlag Hoffmann & Campe. Während ich ihn geschrieben habe, bin ich um die Welt gereist. Der Roman hat eigentlich nichts mit Pop zu tun, zumindest nicht direkt, aber auf den Reisen bin ich natürlich auch auf Konzerte und in Plattenläden gegangen. Als meine Freundin mich in New York besuchen kam, hat sie mich auf ein Blood Orange-Konzert im Central Park eingeladen. Man konnte Dev Hynes ansehen, dass er selbst kaum glauben konnte, dort zu stehen. Das passiert nicht so oft: Jemand auf der Bühne strahlt eine Euphorie und Ergriffenheit aus, die sich aufs Publikum überträgt. Selbst mit diesen merkwürdigen New Yorkern schien das an diesem Abend möglich.
Vor Dev Hynes spielte Yves Tumor. Er hatte schlechte Laune. Das Konzert musste wegen einer Unwetterwarnung früher beginnen, weshalb die Leute gerade erst in das Park-Areal strömten, während er zu spielen beginnen musste, außerdem war er mit dem Sound nicht zufrieden. So brach er beinahe jedes Stück ab, während er einem Derwisch ähnlich über die Bühne fegte, mit Cowboyhut und wehendem Hemd. Trotz dieser widrigen Umstände und der Selbstsabotage in seiner Performance – oder gerade deshalb? – ist mir dieses Konzert stark in Erinnerung geblieben, und ich kaufte mir zurück in Deutschland seine Alben, entdeckte seinen Bezug zu Throbbing Gristle, seine Zusammenarbeit mit den dänischen Noise-Künstlerin Puce Mary und begriff, dass Yves Tumor näher an Musik wie der von Ariel Pink ist, als ich noch im Central Park vermutete. Das Stück hier ist einfach ultraheftig und ich hoffe, niemand kommt auf die Idee, es am verdammten Handy oder auf dem Laptop zu hören. Spätestens wenn der Bass einsetzt, braucht man fette Boxen.
In New York flammte auch dieses Stück wieder in mir auf. Da ist Disco richtig geil, treibend und hedonistisch, gleichzeitig sehnsüchtig und von Melancholie behaftet. Der Roman spielt hauptsächlich über einen Zeitraum von den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre (eigentlich beginnt er viel früher und ragt bis in die Zukunft, aber das wäre jetzt zu kompliziert), und für ein paar Augenblicke könnte das hier der Soundtrack sein:
Am Wochenende habe ich das erste Mal Soap&Skin live gesehen. Das Konzert eröffnete einer der begnadesten Songwriter zur Zeit, mein Freund Fabian Alt alias Jungstötter. Hier sind die beiden zusammen zu sehen, in einer wunderschönen Version des triefenden ‚Wound Wrapped In Song‘. Jeder in dieser Band ist so gut: Philipp Hülsenbeck (s.u.) an der Gitarre etwa oder der Schlagzeuger Manu Chittka, der viele Jahre auch in meiner Band Messer spielte. Von hier aus lässt sich auch eine schöne Linie zeichnen, um diese Liste weiter zu spinnen.
Nach ihm spielte Anja Plaschg, und ich habe selten ein Konzert gesehen, das allein durch die Kraft der Musik eine solche Intensität erzeugt hat. Ich bin immer noch ganz aufgekratzt. Das hat einfach richtig Bock gemacht. Der Spannungsbogen dieses Stückes zeichnet in etwa den des Konzerts nach. Auch hier gilt: bitte adäquat wiedergeben, ok?
Und hier nun erwähnter P.A. Hülsenbeck, der mit Garden Of Stone das für mich schönste Album des letzten Jahres veröffentlicht hat. Der Mitmusiker von Fabian Altstötter, der seit Jugendjahren bereits mit diesem in Sizarr gespielt hatte, zeigt hier nicht nur, was für ein feinsinniger Songwriter er ist, sondern macht im Musikvideo greifbar, das Klang auch eine Sache des Körpers ist.
Und zum Abschluss, weil alle hier genannten Künstler ihn (bestimmt bzw. sicher) sehr verehren und er ohnehin der größte ist und schmerzlich vermisst wird: Scott Walker. Ich empfehle das schreckliche Interview anzuschauen und dann lieber das Album Climate Of Hunter auf Vinyl zu kaufen, statt es hier in dieser crappy Youtube-Version zu hören. Was sich allerdings lohnt: Das Video zu Track 3, das zwischen Bergmann und Tarkovski aufzeigt, was Walker für ein Cineast war.
Hendrik Otremba ist Musiker, Autor und bildender Künstler. Sein erster Roman – „Über uns der Schaum“ – erschien 2017.