Wiederversöhnung mit dem Innenleben durch Botox, Skalpell und Implantat
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 13, Herbst 2018, S. 39-45]
Die Überschrift klingt wie der Warnruf vor einer Suchterkrankung: »Selfie Surgery – der gefährliche Schönheits-OP-Trend«. Im besorgten Tonfall identifiziert ein »InStyle«-Artikel im Februar 2017 die Neigung mancher Jugendlicher, sich bloß einer Schönheitsoperation zu unterziehen, um ein »perfektes Selfie« zu schießen. Die Schuldfrage ist schnell geklärt: »Zu verdanken haben wir das Instagram-Stars wie Bella Hadid und Kylie Jenner.« Resigniert konstatiert die »InStyle«-Autorin: »Bei solchen Vorbildern ist klar, dass immer mehr Jugendliche beim Beauty-Doc landen und sich zum 16. Geburtstag vollere Lippen, eine neue Nase oder größere Brüste wünschen.«
Stehen sowohl die Körperpraxis der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie als auch die Bildpraxis der Selfie-Kultur unter dringendem Verdacht, für eine Pathologie kollektiver Oberflächlichkeit verantwortlich zu sein, so erscheint deren Zusammentreffen erst recht als Ausweis eines kulturanthropologischen Vergehens: Wesensentkernte Körper finden in wesensentkernten Bildern ihre mediale Vollendung, angeheizt durch letztlich austauschbare Prototypen, die als idealgeformte und entsprechend erstrebenswerte Superstars durch die Netzwerke geistern. Wer sich allein für das öffentliche Bild vom eigenen Körper unters Messer lege, beweise eindrücklich die komplette Umwertung aller Werte. Da helfe es auch nichts, wenn sich manche nur zu kleineren Eingriffen motiviert fühlten, z.B. die eigene Nase so umbauen ließen, dass diese mit gängigen Instagram-Filtern zur gesichtsästhetisch gesteigerten Harmonie finde. Grundsätzlich sei auch darin ein mehr als bedenklicher »Selfinissmus« zu diagnostizieren, für den wohl eher »ein Psychologe zuständig« sei – und keineswegs ein Chirurg (focus.de, 21.6.2018).
Nun gehört es unter Kulturkritikern schon lange zum guten Ton, sich wechselseitig zu versichern, über besonders feine Sensoren für scheinbar fatale Konstellationen zu verfügen. Schließlich gilt: Wenn das eine zum anderen kommt und der Niedergang durch das Zusammentreffen gleich mehrerer schädlicher Einflüsse beschleunigt wird, spätestens dann ist es höchste Zeit, Alarm zu schlagen und die Erosion des Wesentlichen aufzuhalten. Mag sich darin ein Grundmodus kulturkritischen Denkens realisieren – indem kulturelle Entwicklungen daraufhin abgetastet werden, inwiefern aus ihrer gegenseitigen Annäherung Verhängnisvolles resultieren könnte –, so bieten gerade die Plattformen der Sozialen Medien besonders attraktive Gelegenheiten, derartige Überschneidungen aufzuspüren. Unter dem Vorzeichen, die physische wie visuelle Selbstgestaltung als eine im Grunde fremdgesteuerte, weil nacheifernde Designpraxis zu klassifizieren, wird ein Verlust an Authentizität und Identität beklagt. Gesprochen wird von »irren Trends«, von einem »Druck«, den »Facebook, Instagram und Co« ausübten, von einem »unheilvollen Optimierungswahn«, ja davon, dass Instagram offenkundig »Schuld« trage; berichtet wird von »Patientinnen«, die längst »süchtig« geworden seien und eigentlich nicht mehr anders könnten, als immerzu das Bild vom eigenen Körper übertreffen zu müssen (focus.de).
So sehr diese Wertungen als voreilig und einseitig erscheinen, so klar machen sie doch auf einen Umstand aufmerksam, der insbesondere die Angebote der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie prägt. Denn in deren kommunikativer Bewerbung durch entsprechende Kliniken und Praxen ist – in Umkehrung der kulturkritischen Lesart – durchgängig von einem steten Zugewinn an Authentizität, Selbstidentifikation und sogar Natürlichkeit zu erfahren. Diese breit angelegte Geste der Naturalisierung ist insofern erstaunlich, als gar nicht abgestritten wird, dass es sich bei operativen Eingriffen in den Körper um bewusst vollzogene Designpraktiken handelt: Die Straffung dient der Ausmerzung unliebsamer Faltenbildungen, dem Entgegenwirken erschlaffter Körperpartien und einem insgesamt geglätteten Erscheinungsbild; der Einsatz der Spritze verleiht an gewünschter Stelle Volumen, gleicht möglicherweise ein bedauerliches Zuwenig aus und trägt auch damit zur erfreulichen Wirkung erhöhter Gestrafftheit bei; Körperfettverlagerungen punkten mit dem doppelten Vorzug des Wegnehmens bei gleichzeitigem Hinzufügen an je erforderlicher Stelle; und schließlich bietet der Einsatz künstlicher Transplantate den unschlagbaren Vorteil, ein körpereigenes Defizit durch das Hinzufügen eines vorab in Idealform gebrachten Zusatzteils aufzuwiegen und somit durch eine Art Design-Applikation das erhoffte Ergebnis zu befördern. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, welch bedeutsame Veränderungsmaßnahmen durch vergleichsweise grobschlächtige Methoden zu erreichen sind: Das Abfeilen des Nasenhöckers, das Kürzen oder Strecken relevanter Beinknochen, die gezielte Entnahme von Rippen und auch das die behandelnde Person noch immer körperlich fordernde Absaugen wohlstandsüberschüssiger Fettreserven sind Umbaumaßnahmen, die den Körper mitunter buchstäblich neu ausrichten.
Entscheidend ist nun, dass diese Optionen eine sehr gezielte semantische Einbettung erfahren. Kurz gesagt, sollen sie einem übergeordneten Zweck dienen, sollen also nicht um ihrer selbst willen am Körper ausgeführt werden. Stattdessen werden sie als Maßnahmen zur Wiederversöhnung mit sich selbst deklariert. Erzählt wird das klassische Muster einer Entfremdungsgeschichte: Durch Alter, Schicksal oder Lebenswandel sei der Körper in einen Zustand geraten, in dem er etwas darstelle, das mit seinem inneren Kern – dem eigentlichen Wesen der Person – nicht mehr in Übereinkunft zu bringen sei. Die Hülle, so die Suggestion, habe sich von ihrem inneren Sein entkoppelt und erscheine nun als defizitär, als nicht mehr identisch mit ihrer eigenen Bedingung.
Botox, Skalpell und Implantat seien demzufolge Instrumente, mit denen der Körper gerade nicht ›verkünstlicht‹, sondern im Gegenteil durch künstlichen Eingriff auf seine natürliche Bestimmung zurückgeführt werde. Er solle, so das Versprechen, wieder nach außen tragen und in Sichtbarkeit überführen, was ihn als inneres Erleben auszeichne. Angelegt wird ein physiognomisches Modell, in dem es darum geht, die äußere Erscheinung als unmittelbaren Ausdruck – als hermeneutisch erschließbaren Text – eines innerlich Wirkenden zu bestimmen. »Damit«, so die Soziologin Paula-Irene Villa, »ist bereits deutlich ausgesprochen, worum es geht: einerseits um die Koppelung von Selbst und Körper, andererseits und daraus folgend, um die Arbeit an diesem Körper-Selbst.«
Entsprechend zielen die operativen Maßnahmen darauf ab, ihr eigenes Zustandekommen und letztlich die Maßnahme als solche unkenntlich zu machen. Gearbeitet wird an einer Ästhetik der Natürlichkeit mittels eines entwurfs- und gestaltungspraktischen Verfahrens, an dessen Ende der Eindruck eines naturwüchsig Gewordenen stehen soll, der all das zu kaschieren weiß, was ihm als Verfahren vorausgegangen war. Die Rede vom wiedererlangten »natürlichen Aussehen«, von einem insgesamt »wieder frischen Erscheinungsbild«, von einem ungleich »selbstbewussteren Auftreten«, das geradewegs bekennerhaft anzeigt, »wofür die eigene Person steht« – dies alles sind Charakterisierungsversuche, die dazu dienen, die Ästhetisch-Plastische Chirurgie als eine Praxis der Re-Identifikation, der physischen Wiederversöhnung mit dem eigenen Selbst in Szene zu setzen.
Ähnlich der kulturkritischen Deutung wird also auch hier ein generell stabiles Inneres vorausgesetzt, von dem sich wiederum – dies dann im Unterschied zur Kulturkritik – der Körper durch Verfallsentwicklungen abspaltet. Die operative Maßnahme erscheint als Möglichkeit der Restauration, als eine ästhetisch vorteilhafte Variante der wiederherstellenden Medizin. Dies mag auch erklären, warum die Kundinnen und Kunden nahezu durchgängig als »Patientinnen und Patienten« adressiert werden. Die Pathologisierung und die stets auch angedeutete Hospitalisierung – klinisch-aseptische Virginität der Einrichtungen, sprachliche wie habituelle Hervorkehrung der ärztlichen Expertise, Betonung der Bereitschaft zur Ablehnung überzogener Forderungen aus medizinethischen Erwägungen etc. – ist kein unliebsames Beiwerk, sondern birgt einen narrativ-strategischen Vorteil: Wo es um Erkrankungen geht, kann mit der Autorität der Medizin eine Linderung des Zustands veranlasst und idealerweise auch erreicht werden. Die Eingliederung der körperdesignenden Operationen in einen therapeutischen Kontext ermöglicht mit gesteigerter Effektivität, die Maßnahmen als ebenso notwendige wie in jeglicher Hinsicht überwindende zu bestimmen. Durchlaufen wird ein Prozess der Gesundung, und heraus kommen Körper, die als ›schön‹ gelten dürfen, weil sie in sichtbarer Deckungsgleichheit mit dem jeweils eigentlichen Wesen – wie etwa dem gefühlten Alter – der Person stehen. Kürzer gesagt: Entworfen und designt wird der authentische Mensch.
Umso deutlicher wird damit auch, worin sich die verkaufsfördernde Kulturkritik der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie von der – eingangs skizzierten – intellektuell gestimmten Kulturkritik an der vorgeblichen Auswucherung der Schönheits-OPs unterscheidet: Während sich beide auf das Moment des Designeingriffs fokussieren, interpretiert ihn erstere als Möglichkeit zur Entfremdungsüberwindung, nachdem der körperliche Zerfall als auseinandertretendes Ereignis eingeordnet wurde; letztere hingegen sieht gerade in diesem Eingriff die Entfremdung manifestiert, indem der körperliche Verfall nicht als negativ-schädigend, sondern als den Bedingungen eines natürlichen Verlaufs – wie etwa des Alterns – unterlegen gedeutet wird.
Doch so semantisch widerspruchsfrei, wie sich die einschlägigen chirurgischen Praktiken öffentlich ausgeben, sind diese im Kern nicht. Und dies wohlgemerkt nicht, weil sie in ihren praktischen Ausführungen an ihren eigenen konzeptuellen Ansprüchen scheitern würden. Dass vielen nach dem Eingriff der Eingriff als solcher deutlich anzusehen ist – und dass mit der steigenden Zahl an Eingriffen diese selbst immer stärker in den Vordergrund treten –, wirft ganz andere Probleme ästhetischer Theorie auf. So etwa die Frage, auf Grundlage welcher Gewohnheiten der künstliche Eingriff überhaupt als ein solcher ins Auge sticht; und ob eine solche Wahrnehmung nicht eher etwas über bestimmte Muster der Wahrnehmung erzählt als über die Motivationen von Menschen, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen.
Widersprüche zeigen sich ungleich deutlicher auf der Ebene der kommunikativen Selbstdarstellung. Beispielsweise überrascht doch sehr, dass bei allem Authentizitätsversprechen ganz bestimmte Eingriffe hartnäckig als Maßnahmen der »Korrektur« klassifiziert werden: »In der HNO-Heilkunde kümmern wir uns in der Klinik […] um Nasenkorrekturen, Ohrenkorrekturen, Kinnkorrekturen sowie Korrekturen am Gesichtsprofil.« Von einer Wiederversöhnung mit dem inneren Erleben, von einem möglichst behutsamen Zurückführen auf das eigene Wesen ist in solchen Passagen nichts mehr zu erfahren. Im Gegenteil: Man gewinnt den Eindruck einer fabrikmäßigen Verabreichung festgelegter Produkte, die in ihrer Ausführung als generell passend angesehen werden. So wird der Anspruch auf Individualisierung durch das Mittel der Körperangleichung zugunsten einer seriellen Produktionslogik unterlaufen und implizit davon ausgegangen, dass das schöne Aussehen ein in jedem Fall korrigiertes Aussehen sein muss. Und nicht zuletzt: Wo etwas »korrigiert« werden soll, muss es jemanden geben, der entweder im Wissen oder sogar im Besitz des Korrekten ist. Weist man der Chirurgin oder dem Chirurgen diese Funktion zu, stellt sich die Frage, ob Patientinnen und Patienten bei einer solchen Klinik nicht akut Gefahr laufen, in eine kollektiviert-uniformierte Schönheitsnorm hineinoperiert zu werden. Das Körperdesign dürfte dann nicht mehr aus dem vermeintlich authentischen Personenkern herausentwickelt, sondern – umgekehrt – von einer übergeordneten, feststehenden Vorstellung des richtigen Aussehens auf den Körper herunterprojiziert werden. Die Angleichung erfolgt dann wohl weniger im Rückbezug auf ein Eigenes denn im Verweis auf ein extern Definiertes.
Doch sollte auch hierbei nicht allzu vorschnell geurteilt werden. Denn die Idee, aus einem normierten Designprinzip heraus den eigenen Körper einer ästhetischen Aufwertung zu unterziehen, erfreut sich durchaus breiter Beliebtheit. »Europas größte Klinik für Schönheitschirurgie«, eine in der Tat überaus bekannte Klinik am Bodensee, labelt eines ihrer meistverkauften Produkte mit dem Namen ihres Gründers und Chefs: »Die berühmte ›Mang-Nase‹«, so der Werbetext, »harmoniert in Form und Größe jeweils perfekt mit den Proportionen von Gesicht und Körper«. Dies erstaunt insofern, als es sich bei dieser Nase tatsächlich um eine äußerst klar definierte Form handelt, die unter anderem durch aufwendige Winkelberechnungen und geometrische Modellzeichnungen als zweidimensionaler Entwurf im Internet abgerufen, auf Flyern studiert und schließlich als Gesichtsobjekt am eigenen Körper realisiert werden kann: »Wir empfinden es beispielsweise als ästhetisch, wenn der Winkel zwischen Nase und Oberlippe bei Frauen etwa 105 bis 110 Grad beträgt, bei Männern ungefähr 90 bis 95 Grad«, so das begleitende Ästhetik-Dogma des Chefs.
Damit wird ersichtlich: Dieses offiziell als »Wunschnase« bejubelte, scheinbar teilautonome Produkt des Körpers kann durchaus in eine vorab festgelegte und entsprechend vielfach angewandte Form gebracht werden: »Durchgeführte Nasenoperationen von Prof. Dr. Mang und seinem Team: über 10.000«. Die Pointe liegt darin, dass im Grunde niemand Sorge tragen muss, mit dieser Nase dem eigenen Selbst weniger Geltung verschaffen zu können. Im Gegenteil: Die »Mang-Nase« ist als Markenprodukt offenkundig so stark, dass man sich inzwischen problemlos mit ihr identifiziert – freilich verbunden mit der nicht ganz unerheblichen Folge, dass sich »Mang-Nasen«-Träger und -Trägerinnen wahrscheinlich weniger mit sich selbst, als mit einem jeweils zur Verfügung gestellten ›Ding‹ in Übereinkunft bringen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich der Bogen schließen. Denn wenn die gestalterische Modellierung des Körpers nicht mehr bedeutet, den Körper in einen Entfremdungszustand zu zwingen, dann ist auch die Frage obsolet, ob ein solch designter Körper in seiner visuellen Repräsentation von sich selbst entfremdet wird. Die gegenläufige Argumentation scheint plausibler: So, wie die neuen Elemente des Körpers dazu dienen können, das eigene Selbst mit ihnen zu identifizieren, so mögen auch die (Instagram-)Bilder dieses Körpers die Funktion einer neuerlichen Identifikation übernehmen. Es geht also nicht um die prekär-verlustreiche Ausstellung eines feststehenden Selbst, sondern um die kontingente, situative und anlassbezogene Übereinkunft mit dem Design und dem Bild des eigenen Körpers.
Dies wiederum setzt voraus, Körper und Geist gerade nicht als unauflösbare und einmal festgezurrte Einheit zu denken. Eher wäre von einer fragmentarischen, brüchigen, zeitweise hybriden, in jedem Fall situativ stets neu definierbaren Verfasstheit auszugehen, in der sowohl die physische Gestaltung als auch deren öffentliche Sichtbarmachung keine automatischen Pathologieeffekte erzeugen. Dass diese nicht ausgeschlossen sind, liegt in der Natur der Sache und ist insofern kein Spezialfall der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Ungleich produktiver dürfte es ohnehin sein, sich zu überlegen, welche Bilder des Menschen, seiner Kultur und Sozialisation aufgerufen werden, wenn die Arbeit am Körper unter den Verdacht einer krankhaften Abspaltung vom Eigentlichen gestellt wird. Die gutmeinenden Warnrufe scheinbar kulturwahrender Geister entpuppen sich rasch als versteckte Formen der Abwertung. Als umso wichtiger dürfte sich ein souveräner, und das heißt: ein gelassen-reflektierter Umgang mit den Folgen der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie und ihren Designlösungen erweisen.