Gender and Fetishism in Japanese Otaku Culturevon Miyuki Hashimoto9.12.2019

Mittelklasseautos

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 15, Herbst 2019, S. 10-15]

In Sachen Mobilität verändert sich derzeit vieles, es gibt eine wahre Angebotsflut an E-Bikes, E-Rollern, Fahrrad-Abos, Taxi-Apps, Car- und Ridesharings. Die neuen Fortbewegungsmöglichkeiten bieten nicht nur ein hohes Maß an Flexibilität, sie haben auch gemein, dass sie infolge des Öko-Trends den Autoverkehr in den Städten entlasten sollen. Begleitet wird der neue Pluralismus im urbanen Verkehr von einer anhaltenden Aufrüstung im PKW-Bereich, angeführt vom stets polarisierenden, aber sich weiterhin großer Beliebtheit erfreuenden Sports Utility Vehicle.

›Aufrüstung‹ kann hier als angemessener Begriff gelten, weil diejenigen Autos, die sich momentan besonders gut verkaufen (jeder dritte Neuwagen ist ein SUV), nicht nur den Appeal eines Geländewagens, sondern auch eine militärische und ›gepanzerte‹ Anmutung haben. Dazu muss noch nicht einmal der Zivilpanzer von Hummer bemüht werden, es reicht ein Blick auf die G-Klasse von Mercedes, die als »Wolf«-Variante tatsächlich von der Bundeswehr genutzt wird. Für Sicherheitsfreaks brachte Volvo kürzlich eine gepanzerte und mit Fluchttür versehene Version des SUV-Modells XC90 auf den Markt. Der XC90 Armoured bringt 4,5 Tonnen auf die Waage und ist mit seiner Ausstattung gegen Maschinengewehrangriffe und Explosionen geschützt. Niemand wird überrascht sein, dass auch die 2018er-Version von Donald Trumps Dienstwagen Cadillac One (»The Beast«) ein SUV-Design bekommen hat. Aber auch kleinere Autos nehmen die Form der gepanzerten SUVs an, wie etwa die neueren Smart-Modelle oder der Mini Cooper Countryman. Der Countryman-Wagen sieht aus, als hätte sich jemand in der Design-Abteilung einen Scherz erlaubt – es kommt einem manifest gewordenen First-World-Problem derer gleich, die sich nicht zwischen luxuriösem Kleinwagen und SUV entscheiden können.

Seit jeher ist Autokauf eine höchst irrationale Angelegenheit. Gunnar Schmidt sprach in der Marketing-Kolumne im vorherigen Heft von Autowerbung als Artikulationsform »weit verbreiteter affektiver und libidinöser Befindlichkeiten innerhalb einer Kultur«. Nicht nur Schmidt führt die Beliebtheit der SUVs auf eine tiefe Verunsicherung der Mittelschicht zurück, die sich nach außen und nach unten abgrenzen muss. Dies war auf Ebene der Produkte bisher im eher aristokratischen Stil möglich (Land Rover, BMW X5, Mercedes GLE), mit der Zeit kamen mit dem VW Tiguan, Škoda Kodiaq und Dacia Duster aber auch ›kleinbürgerlichere‹ Modelle auf den Markt, sodass der Abgrenzungsgestus mittlerweile auf allen Ebenen der Gesellschaft vollzogen werden kann. Natürlich ließen neue Distinktionsmöglichkeiten nicht lange auf sich warten. So wurde die aktuelle Version des BMW X5 um 4 cm länger und um 7 cm breiter gemacht. Selbst im »manager magazin« (Juni 2019), dessen Leserschaft, so darf unterstellt werden, tendenziell große Luxusautos goutiert, wurden erste Bedenken hinsichtlich der PKW-Aufrüstung angemeldet. Der Testbericht kritisiert, dass der X5 mit einer Breite von 2,22 m und einer Länge von 4,92 m schlicht zu groß sei, wobei es sich noch nicht einmal um die größte Version eines SUV von BMW handle (das wäre der X7). Eine herkömmliche Parkhauslücke sei keine Option für den neuen X5.

Angeblich soll der Schriftsteller Botho Strauß SUVs einmal als »Kampfhunde« des Straßenverkehrs bezeichnet haben. Durch die ›Panzerung‹, die erhöhte Sitzposition und den Raum, den es im Straßenverkehr einnimmt, tritt das SUV auftrumpfend, angeberisch und asozial in Erscheinung. Andererseits steht es für einen nüchternen Realismus, der die utopischen Ansprüche, die einst vom Automobil ausgingen, in den Hintergrund rücken lässt. »Wir werden selber bestimmen, ob wir schnell oder langsam fahren, wo wir anhalten, wo wir ohne Aufenthalt durchfahren wollen«, jubilierte Otto Julius Bierbaum noch in einem Auto-Reisebericht von 1903. Von dieser Begeisterung bleibt der abgeklärte Reisende in seiner SUV-Abschirmung unaffiziert. Im Spielfilm »Finsterworld« aus dem Jahr 2013 (Regie: Frauke Finsterwalder) tauscht sich ein reiches Münchner Ehepaar Mitte 50 über die Vorzüge des mit Lufthansa-Meilen gemieteten SUVs aus (es handelt sich um einen riesigen Cadillac, weil die Marken Audi, BMW, Mercedes und Porsche als »Nazi-Autos« für sie nicht in Frage kommen). Georg Sandberg (Bernhard Schütz) bemerkt: »Man sitzt in der Blase und hört nichts außer diesem angenehmen Schnurren«. Inga Sandberg (Corinna Harfouch) entgegnet: »Wunderschön. Beruhigend. Alles Störende bleibt draußen«. So gesehen, steht das SUV weniger für Draufgängertum, Abenteuer und einen Aufbruch ins Unbekannte, sondern verspricht seinen Insassen, in Ruhe gelassen zu werden und ohne Illusionen zu sein – hier unterscheidet es sich deutlich von den traditionellen ›phallischen‹ Autos (Porsche 911, Corvette, neuerdings auch: Tesla). Bei der Fortbewegung in der sterilen Sphäre wird der SUV-Fahrer freilich schnell mit der Konkretheit des Autos konfrontiert, wenn zwei SUVs in enger Straße aufeinandertreffen. Dann lässt sich nicht leugnen, dass das SUV trotz angenehmen Schnurrens und hoher Sitzposition einer wuchtigen, auftrumpfenden Masse gleichkommt.

Den Verlust des Utopischen bemerkt auch Gunnar Schmidt, der zeigt, dass in der SUV-Werbung derzeitig vor allem über bestimmte pragmatische Unique Selling Propositions gesprochen wird. Wer, so Schmidt, einen großen Kofferraum, eine Komfortfederung, eine elektronische Parkplatzsuchhilfe oder eine Einparkhilfe »als Glücksversprechen akzeptiert, erwartet vom Leben nicht viel«. Wo das SUV für das Prinzip des pragmatischen Realismus steht, kommt ihm neben der Utopie, so scheint es, auch jeglicher Humor abhanden. Punktuell gab es jedoch Versuche, das SUV-Konzept ironisch zu fassen und so dessen Symbolkraft der Macht und Dominanz ins Lächerliche zu ziehen. Ein eigenwilliges Modell stellte der Škoda Yeti dar und lieferte mit seinem gelungenen Design ein humorvolles Statement zum SUV-Hype. Die Mischung aus SUV und Kastenwagen fand ihre Fans, war jedoch auf Dauer nicht mainstreamtauglich, und so wurde der Yeti vom Markt genommen. Die aktuellen SUV-Modelle von Škoda (Kodiaq und Karoq) sehen nun wie alle anderen SUVs aus. Auch der seit 1976 existierende Lada Niva kann in seiner aktuellen Version als ironisches SUV gelten, da die Form des Geländewagens im Stil des Land Rover Defender bedient wird, das Auto aber mit 83 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 137 km/h so gar nicht ›potent‹ auftritt. Entgegen dem Trend ist das Modell besonders eckig, eher klapprig denn gepanzert und besitzt eine spärliche Inneneinrichtung. Die prominente Aufschrift »Made in Russia« spricht von Selbstironie, gilt dies doch in Bezug auf Autos als eher zweifelhaftes Etikett. Kurios ist zudem, dass Lada mit der »California«-Edition eine Art ›Travelling Concept‹ auf Rädern lanciert hat. Falls es zu diesem Modell jemals eine TV-Werbung geben sollte, wäre es naheliegend, sie mit dem Beatles-Song »Back in the U.S.S.R.« zu unterlegen.

Solche ironischen SUVs bleiben die Ausnahme, wenn auf breiter Front große und schwere Autos die Straßen und Parkplatzzonen dominieren, die ihrerseits den Kauf von noch größeren und schwereren Autos nach sich ziehen, um dem gesteigerten Sicherheits- und Distinktionsbedürfnis beizukommen. Zugespitzt ließe sich formulieren, Innovation im PKW-Bereich bedeute, dass die Fahrzeuge – inklusive der Kleinwagen – immer monströser werden. Eine Trendwende wäre nicht nur wegen der fehlenden Parklätze für die Riesenautos, sondern auch aus ökologischen, nicht zuletzt aus ästhetischen Gründen äußerst wünschenswert. Schon vor vier Jahren stellte der »SZ«-Autor Jan Stremmel anlässlich der Internationalen Automobilausstellung fest, dass der Hass auf SUVs selbst schon zum Klischee geworden sei, gleichwohl äußerte er sein Unverständnis über die Tatsache, dass »immer noch jeder die Dinger haben will«. Dieser Hass, oder sagen wir vielleicht besser: dieses Unbehagen, bleibt virulent. Die Krise des Krisenphänomens SUV erscheint überfällig, doch die Verkaufszahlen sprechen bekanntlich eine andere Sprache. Es wäre zu fragen, wie eine PKW-Landschaft jenseits des SUV-Paradigmas aussehen könnte, wann mit der Abrüstung begonnen wird und wann endlich die dezenten, eleganten, anonymen Autos zurückkommen.

Lange vor dem Siegeszug des SUVs ließ Christof Stählin seine Dandy-Figur Meier äußern: »Zu meiner Fortbewegung bediene ich mich eines unauffälligen Autos der unteren Mittelklasse, meistens auf der rechten Spur der Autobahn, um meinen Gedanken besser nachhängen zu können«. Meier wird in der 1986 erschienenen Erzählung »Der Dandy« als Held dessen inszeniert, was Mitte der 2010er Jahre vermehrt unter dem Begriff »Normcore« diskutiert wurde. In einer Bestimmung des Begriffs durch die Kreativ-Agentur K-Hole heißt es: »Normcore seeks the freedom that comes with non-exclusivity. It finds liberation in being nothing special«. Nun ließe sich entgegnen, dass auch SUVs bei einem Marktanteil von über 30% nicht mehr exklusiv sind und möglicherweise gerade als Normcore-fähiges Gefährt in Frage kommen. Normcore zeichnet sich aber laut K-Hole zusätzlich dadurch aus, »post-aspirational« zu sein, mit dem Kauf eines SUVs hingegen ist immer ein gewisses Streben – nach Sicherheit, Dominanz, Abgrenzung – verknüpft. Thomas Hecken sprach in dieser Zeitschrift von Normcore als »Mittelmaß-Revival«. Ein solches Revival steht im Automarkt noch aus, könnte sich aber möglicherweise als heilsam in Bezug auf den chronifizierten SUV-Trend erweisen.

Ein »unauffälliges Auto der unteren Mittelklasse« – hier bietet die VW-Gruppe mit dem Golf, dem Škoda Octavia oder dem Seat Leon ein reichhaltiges Angebot. Für Familien-Normcore sind Touran und Seat Alhambra mit ihrer Mini-Van-Anmutung prädestiniert, ja, auch die B-Klasse von Mercedes (die häufig als Taxi zum Einsatz kommt) sowie der 2er BMW wären hier zuzurechnen. Letzteres Modell trägt aber schon zu sehr das Signum des Auftrumpfenden, um als Normcore durchzugehen. In diversen englischsprachigen Auto-Blogs wird bereits eifrig über mögliche Normcore-Autos diskutiert, hier rangiert die Marke Toyota ganz oben: »Normcore cars can be great for a few reasons. They’ll never draw unwanted attention to themselves. No one will try to race you at a stop light if you drive a Corolla. They can also serve as a blank canvas to do whatever when it comes to performance or aesthetics«, heißt es auf der Website jalopnik.com in einem Thread mit dem Titel »Show Us Your Most ›Normal‹ Car«. Auch der Honda Civic wird als Normcore-Auto gehandelt, der ja schon im Namen das Zivile betont und sich gegenüber dem Militärischen der SUV-Flotten abgrenzt.

Hierzulande meldete sich jüngst der Schriftsteller Eckhart Nickel als Fürsprecher einer neuen Normalisierung im PKW-Bereich zu Wort. Nickel, gleichermaßen ein Umweltschützer wie auch ein radikaler Ästhet (und durchaus kein Autogegner), sprach sich als Gast des »FAZ«-Podcasts »Am Tresen« gegen riesige SUVs aus, für die es in Frankfurt keine Parkplätze gebe und die er insgesamt für unansehnlich halte. Eine Ausnahme sei die in jede Parklücke passende ältere Version des Suzuki Jimny, die Nickel aufgrund des an einen Einkaufswagen angelehnten Designs sehr schätze. Im Interview gab sich Nickel weiterhin als begeisterter Besitzer eines silbernen VW Polo zu erkennen. Eine Stärke dieses Autos, »in dem man sehr gut untertauchen kann«, sei die »völlige Abwesenheit von Bedeutung«.

Wie Stählins Figur Meier gehört Nickel zu denjenigen, die Distinktion anders als über ein auftrumpfendes Auto erlangen möchten und die insofern einen Beitrag zur Überwindung der anhaltenden SUV-Krise leisten können. Das Fahren in einem hübschen, dezenten, normal proportionierten Auto ist übrigens nicht per se mit einem Downsizing gleichzusetzen. Auch ein Smart ist in gewisser Hinsicht ein auftrumpfendes Auto, das seinen Fahrer eben als smart ausweist und frech eine eigentlich illegitime Parklücke für sich in Anspruch nimmt. Der Smart polarisiert somit durchaus und wird tagtäglich zum Gegenstand von Anfeindungen durch die Fahrer von ›echten‹ Autos, die ihn als ›Keksdose‹ diffamieren. Letztlich ist der Smart nicht Normcore-fähig, da das Auto als Statement begriffen wird, es zu viel Angriffsfläche bietet und den Fahrer zu stark als Autofahrer definiert.

Ähnlich verhielt es sich bis vor kurzem wohl auch mit Elektroautos. »Wer im Straßenverkehr ein Punk sein will«, bemerkte Jan Stremmel 2015, »muss wahrscheinlich ein Elektroauto fahren.« Vier Jahre später ist immer noch unklar, ob die E-Autos wirklich umweltfreundlich sind, ihre auftrumpfenden Eigenschaften haben sie aber inzwischen, mit Ausnahme des Tesla, weitgehend abgelegt. Die Elektroautos gleichen sich immer mehr den normalen Modellen an – es gibt den E-Golf, den Passat GTE, hier reiht sich auch der Hybrid-Erfolgswagen Toyota Prius ein. Erkennbar am angenehm futuristischen Surren, ziehen diese Autos zwar noch Aufmerksamkeit auf sich, doch ein elegantes Verschwinden im Verkehr der Zukunft liegt schon in der Luft. Bisher ist das Elektroauto trotz staatlicher Zuschüsse allerdings ein Produkt für Besserverdienende; versteht man das Normcore-Auto der Zukunft konsequent als Gleichheitsversprechen (›non-exclusive‹), wäre hier noch Normalisierungsarbeit zu leisten.