Gegenstand unserer Auswahl frei zugänglicher Netzartikel in diesem Monat: öffentliche staatliche Dokumente.
Täglich produzieren unsere Verwaltungen und Regierungsstellen Dokumente in großer Zahl. Ab und zu erreichen alte Papiere nach ihrer Freigabe dreißig Jahre oder später die Öffentlichkeit. Auf Interesse stoßen sie dort kaum noch, schließlich verkaufen sich Zeitungen und Nachrichtenkanäle über einen permanenten Wust aktueller Meldungen, nicht über gelegentliche Berichte über wichtige Ereignisse. Wenig Interesse auf sich zogen nun englische Regierungsdokumente aus dem Jahr 1983. Sie legen die Deutung nahe, dass die Sowjetunion damals in hohem Maße von Truppenbewegungen der NATO alarmiert gewesen ist, weil die kommunistischen Militärs und Politiker sich nicht sicher waren, ob es sich tatsächlich um eine militärische Übung (unter dem Namen »Able Archer«) oder um die Vorbereitung eines Kriegsschlags unter dem Deckmantel einer Übung handelte. Die Dokumente (etwa ein Memo eines Meetings Margaret Thatchers) stehen nun im Netz auf der Seite nuclearinfo. Ihr Autor bilanziert:
»Much of knowledge available to British intelligence about the Soviet response to Able Archer was derived from human intelligence operations – documents and information collected by spies, particularly Oleg Gordievsky, a former KGB colonel and London bureau chief who defected to the British in the 1970s. Gordievsky described the Soviet reaction to the war games in stark terms, writing:
›In the tense atmosphere generated by the crises and rhetoric of the past few months, the KGB concluded that American forces had been placed on alert – and might even have begun the countdown to war…. The world did not quite reach the edge of the nuclear abyss during Operation RYAN [the Soviet operation to obtain intelligence on a surprise nuclear attack]. But during ABLE ARCHER 83 it had, without realizing it, come frighteningly close – certainly closer than at any time since the Cuban missile crisis of 1962‹.« (Peter Burt: »Thirty years ago: the nuclear crisis which frightened Thatcher and Reagan into ending the Cold War«)
Wenn das nur ansatzweise stimmt, sollten viele Verächter der Friedensbewegung ihre Position einmal überdenken.
Gar nicht geheim sind die Daten des aktuellen Datenreports der Bundeszentrale für politische Bildung. Doch obwohl sie vom Bund stammen, werden die Daten höchstwahrscheinlich die herrschenden deutschen Wirtschaftspolitiker nicht daran hindern, ihr Loblied des stark verbesserten Arbeitsmarkts und der notwendigen Reformen weiter zu singen. Dennoch sind die Daten unmissverständlich:
»Noch nie seit der deutschen Vereinigung waren so viele Menschen erwerbstätig wie heute. Die Zahl der Erwerbstätigen ging nach 1991 bis zum Jahr 1997 zunächst stark zurück, stieg danach aber wieder deutlicher an. Selbst die erhebliche negative konjunkturelle Entwicklung des Krisenjahres 2009 konnte der weiteren Zunahme der Erwerbstätigen in Deutschland nur wenig anhaben. Im Jahr 2012 hatten gut 41,5 Millionen Personen eine bezahlte Arbeit – nahezu drei Millionen mehr als 1991. Dieses sogenannte ›Jobwunder‹ der letzten Jahre relativiert sich allerdings, wenn nicht die Zahl der Erwerbstätigen, sondern das durch sie geleistete Arbeitsvolumen, also die Summe der Arbeitsstunden, betrachtet wird. Dieses hat noch nicht wieder das Ausgangsniveau von 1991 erreicht. […] So kann seit der deutschen Vereinigung eine beachtenswerte Zunahme der atypischen Beschäftigung (Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung sowie Zeit- und Leiharbeit) beobachtet werden.« (Datenreport, S. 6)
Moral: Man braucht im demokratischen Kapitalismus keine Enthüllungsjournalisten und Whistleblower, keine populäre Weisheit und subkulturelle Beobachtung, genügend Wichtiges wird vom Staat selbst bereitgestellt.