Wie kann man gegenwärtig über die Bohème sprechen, und was ist ihr Stellenwert in der Gegenwart?
[zuerst abgedruckt in: Walburga Hülk/Gregor Schuhen (Hg.), Haussmann und die Folgen.
Vom Boulevard zur Boulevardisierung, Tübingen: Narr 2012 (= edition lendemains, Bd. 25), 137–149.]
Wie kann man gegenwärtig über die Bohème sprechen, und was ist ihr Stellenwert in der Gegenwart? Unlängst haben zum Beispiel Christian Boltanski und Ève Chiapello die Absorption der Achtundsechziger- und Nachachtundsechziger-Bohème in die zeitgenössische kapitalistische Kultur behauptet, und Bruno Latour hat sich ihnen angeschlossen.[1] In der deutschen Forschung bietet ein besonders sinnfälliges Beispiel für die Ausrufung eines Endes der Bohème der im übrigen kunsthistorisch instruktive „Boheme“-Artikel, der im Jahr 2000 im Handwörterbuch Ästhetische Grundbegriffe erschienen ist. Wurden doch darin der Bohème ihre gegenwärtige Existenz und ihre Zukunft überhaupt abgestritten.[2] Das schloss an Thesen an wie die, dass traditionelle Bohème-Formationen inzwischen in eine Art Massenbohème aufgegangen seien, die sich im Zusammenhang der Jugend- und Pop-Kulturen seit den 1960er Jahren entwickelt habe.[3] Selten dürfte sich eine steile Gegenwartsdiagnose so postwendend erledigt haben. Wurde sie doch ganz rasch von der Ausrufung einer sogenannten ‚digitalen Bohème‘ gefolgt, die seither in den bundesrepublikanischen Feuilletons von sich reden macht.
Die These, mit etwas gehe oder sei es zu Ende, ist allerdings im literatur- und kulturwissenschaftlichen Diskurs umso verführerischer, als dieser damit konventionell jener Abgeschlossenheit habhaft zu werden glaubt, die einem Gegenstand vorzüglich seine Erforschbarkeit sichert. Statt sich über die zitierte These vom Ende der Bohème zu mokieren, wäre daher vorzuschlagen, das Scheitern dieser These im Zusammenhang mit einem prinzipiellen Problem der Erkennbarkeit zu sehen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Problem aller Gegenwartsforschung, wie es Erwin Panofsky prägnant auf den Punkt gebracht hat: „Es gibt nichts, was weniger wirklich wäre als die Gegenwart.“[4] Vielmehr scheint dieses Problem für die Bohème insonderheit gegeben. „Kapitalismus ermöglicht Boheme immer wieder da aufs Neue, wo er den Reichtum und die Armut, die er produziert, nicht auseinanderhalten kann“, hat es Diedrich Diederichsen formuliert[5] und damit den uneindeutigen, irrlichternden Charakter des Phänomens bezeichnet. Insofern sollte man auch umgekehrt vorsichtig sein und nicht etwa die vor einigen Jahren von der Zentralen Intelligenz-Agentur (ZIA) um Kathrin Passig und andere ins Leben gerufene „digitale Bohème“[6] schlicht beim Wort und für bare Münze nehmen. Wenn man sie einfach als ein variierendes Segment des berlin-touristischen Zoos auffasste, verpasste man die mit dem Begriff vorgesehene Pointe. Denn immerhin würde man eine solche Bohème – eben als in starkem Sinn ‚digitale‘ – nicht mehr so umstandslos verorten können, wie es bis dato für Bohèmekulturen als städtische oder in der Folge auch stadtflüchtig-ländliche Versammlung von alternativen Lebenszusammenhängen typisch war.[7] Und wäre die digitale dann noch eine Bohème, entspräche sie noch ihrem Begriff, oder müsste man von einer Metapher sprechen?
Dies muss dahingestellt bleiben, weder die Behauptung der Abgeschlossenheit einer ‚Epoche der Bohème‘ noch eine neue Definition stehen auf der Agenda. Zugrundezulegen ist weiterhin die Definition von Helmut Kreuzer, dessen 1968er Buch für die deutschsprachige Bohèmeforschung initial gewirkt hat: „Gegenbürgerliche Subkultur des künstlerisch-intellektuellen Lebens.“[8] Es sollte sich verstehen, dass es sich dabei um eine Art Funktionsgleichung handelt; die einzusetzenden Größen wollen genau – und das heißt nicht zuletzt historisch spezifisch – bedacht sein. Eine gewisse Unsicherheit, mit welchen Größen hier gegenwärtig zu rechnen ist, ist einfach anzuerkennen und mitzureflektieren.
Zu überdenken wäre aber das Verhältnis der beiden Seiten, die Kreuzer nennt, wenn er die künstlerische oder intellektuelle Bohème einer Bürgerlichkeit entgegensetzt. Er vollzieht hiermit gewiss nach, was sich an Bohèmekulturen rekurrent beobachten lässt: ihre identitätsstiftende Abgrenzung von einer ‚bourgeoisen‘ oder ‚philiströsen‘ Kultur. [9] Das Verhältnis zwischen den opponierenden Relata bedürfte genauerer Reflexion – und zwar als Interaktionsverhältnis. Denn die Unterscheidung wird keineswegs naiv gesetzt und getroffen. Mögen solche naiven Motive auch in sie eingehen und unaufgebbar sein, so nimmt die Unterscheidung doch sehr rasch den Charakter einer ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ an, und zwar auf beiden Seiten. Man kennt das Spiel, wenn man in es eintritt, kennt auch seine historischen Varianten, insofern gibt es auf beiden Seiten reflexive, nämlich Erwartungserwartungen. Die Affronts der Bohème selber philiströs zu nennen, dürfte insofern zu kurz greifen,[10] denn ein solcher Zug gehört selbst zum genannten Spiel. Es handelt sich immer schon um einen Interaktionszusammenhang, und es gilt, seinen Charakter genauer zu bestimmen. Insbesondere die Kreuzers Studie dankbar folgende große Arbeit von Jerrold Seigel, Bohemian Paris, legt es methodisch nah, die oppositionell-abweichende Bohèmekultur in ihren Rückbezügen zur normativ-herrschenden Kultur differenziert zu erforschen.[11]
Hierzu aus literaturwissenschaftlicher Perspektive beizutragen, könnte eine Engführung von Boulevard- und Bohèmeforschung geeignet sein. Im Ansatz findet sie sich als kritische Diagnose zur Pariser Bohème des 19. Jahrhunderts – „Aufkommen der Boulevardpresse“, „Assimilierung der Literaten an die Gesellschaft […] auf dem Boulevard“ – bereits bei Walter Benjamin.[12] Dies ist ein strukturelles Argument, dessen Bedeutung sich keineswegs auf die bei Benjamin gegebenen raumzeitlichen Koordinaten beschränkt, sondern seither – und bis in die Gegenwart – behauptet werden kann. Die genauere Beobachtung der Bohème auf und gegenüber dem Boulevard erscheint auch deshalb attraktiv, weil sie es erlaubt, einige heikle, nicht zuletzt methodische Probleme zu beantworten, wie sie für eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete literaturwissenschaftliche Erforschung der Bohème gegeben sind. Um nur stichwortweise einige der in der Bohèmeforschung der letzten Jahrzehnte oft zu beobachtenden problematischen Züge zu nennen: Ausrichtung auf pittoreske, nicht selten heroisch eingefärbte Biographismen, ‚inhaltistische‘ Paraphrasen- und Anekdotenorientierung – oder, um es mit einem Wort zu sagen: Textferne.
Zur Sache, zum ‚Text‘, einem kleinen Epitext. Um nämlich die Probe aufs Exempel zu machen, soll als Ausgangspunkt ein Bild dienen, das sich auf Flickr im Netz findet (Fig. 1: Holger Schulze: „Rainald Goetz, Klage feiert Abschied. Textaktion [21. Juni 2008, 23 Uhr] – Bild I“). Es ist ein Schnappschuss aus dem Sommer 2008, eine Party in Berlin am 21. Juni, ihre Eröffnung. Eine Szene ‚aus dem Leben der Bohème‘? Man sollte vorsichtig sein, lassen wir es offen. Ganz bestimmt handelt es sich um eine salopp wirkende, mit diesem Schnappschuss wohl unvorteilhaft ausgeleuchtete, aber doch zugleich um eine sorgfältig inszenierte Szene, eine Inszenierung à la bohème. Ort ist das Atelier einer Malerin, links sieht man Farbe und Pinsel, darüber einen Albert Oehlen-Katalog. Dies für die Veranstaltung einer Jugendkultur zu halten, wäre ein Missverständnis. Der auf dem von jungen Frauen umringten Tisch steht, ist ein Mann von fünfzig Jahren, ein Autor, der auf eine fünfundzwanzigjährige Erfolgskarriere zurückblicken kann, als Suhrkamp-Autor. Zelebriert wird hier ein bestimmter Moment in dieser Karriere.
Im Sommer 2008 hat Rainald Goetz ein Experiment abgeschlossen, das darin bestanden hat, anderthalb Jahre zur Zeitschrift Vanity Fair einen kolumnenartigen Blog beizusteuern. Ein immerhin etwas ungewöhnlicher literarischer Publikationsort, ein People-Magazin, das man dem Boulevard zurechnen kann, wohl als dessen ‚gehobene‘ Variante. Die Arbeit am Blog ist eingestellt, die Party, zu der über den Blog eingeladen wurde, markiert dies als Abschlussparty. Gleich wird getanzt werden. Vorher aber steigt der Autor auf den Tisch, um einige rhapsodische Bemerkungen loszuwerden. Insofern gehört Text zu diesem Bild. Ihn zu zitieren ist einfacher, als man vermuten könnte. Denn in allen großen Feuilletons der Republik wird am übernächsten Tag darüber berichtet und aus diesem Text zitiert werden. Am besten, am raffiniertesten und schönsten in einem Zeitungsartikel von Detlef Kuhlbrodt.
Kuhlbrodt nämlich hat die Goetz’sche Rede selbst gar nicht mitbekommen; er gibt den Text daher in indirekter Rede wieder: „Das Fest im Atelier der Künstlerin Anne Neukamp hatte begonnen, während das EM-Spiel zwischen Russland und den Niederlanden noch lief. So war die kurze Textaktion schon zu Ende, als ich das Atelier im vierten Stock eines Gebäudes in der Oranienstraße betrat.“ – „Alles war supervoll und schwül in dem Raum, so dass man gleich anfing zu schwitzen. Alles sei völlig chaotisch und großartig gewesen, berichtete C. Rainald Goetz hätte nach einleitenden Sätzen, in denen er das Internet gefeiert habe, Positionen klargemacht. Er hätte sich gegen Benjamin von Stuckrad-Barre, den ehemaligen taz-Autor und jetzigen BZ-Schreiber, gewandt, der neulich in Cicero über die taz hergezogen war und den Goetz früher sehr mochte.“ (Der hier verwendete Konjunktiv II gibt dem Bericht den touch einer gewissen Unwahrscheinlichkeit; ‚man möchte es kaum glauben…‘) – „Dann sei es um einen Satz von Frank Schirrmacher gegangen, in dem der Dichter all das versammelt gefunden hatte, wogegen sich sein ganzes Schreiben und Sein richte. Eine furchtbare Feistheit des Denkens.“ – „Die Musik war sehr schön und aus unterschiedlichen Zeiten. Die Stimmung war superangenehm. […] Wir tanzten zu David Bowies ‚Lets Dance‘“.[13] Zum raffiniert Reflektierten an Kuhlbrodts Beschreibung gehört, dass sie sich schon von ihrer Form her als dem Ereignis dieser „Textaktion“ eigene Dimension herausstellt: dass sie sich selber darbietet als fürs Hörensagen bestimmt, als weiterzuerzählende Anekdote. In diesem Bericht funktioniert sie eben bereits ganz akut entsprechend, schon ist sie Moment der Partykonversation geworden.
Was wird aber in dieser Form kommuniziert, was hat Goetz gesagt, welche „Positionen klargemacht“? Was die Aussage über den „ehemaligen taz-Autor und jetzigen BZ-Schreiber“ v. Stuckrad-Barre angeht, der hier ad personam bezogen auf eine seiner damals letzten Publikationen coram publico verurteilt wird, so wird sie in der Süddeutschen Zeitung wörtlich zitiert: Goetz „springt wieder vom Tisch, seufzt etwas verloren ‚jo‘, greift zu einer Ausgabe des Magazins Cicero, in der wohl ein Interview mit Benjamin von Stuckrad-Barre stehen muss, und als er wieder oben steht, sagt er: ‚Der alte Stuckrad-Barre hätte sich früher mit mir hier über dies Interview lustig gemacht.‘“[14] Das Genre ist Absage, gegenüber einem Autor der jüngeren Generation, hier wird einem Freund die Freundschaft gekündigt,[15] das ist die Geste. Um sie besser zu verstehen, muss man aber eigentlich das Interview, das v. Stuckrad-Barre der Zeitschrift Cicero gegeben hat, schon kennen. ‚B.Z.-Schreiber‘ heißt ja Autor im Springerverlag, und das Interview ist eine Apologie dieses Verlags, unter anderem mit dem Argument: „Ich habe einige Jahre für die taz geschrieben und erleben dürfen, wie die in der Redaktion miteinander umgehen, wie selbstgewiss die denken und schreiben, wie schlecht sie Zeitung machen, sich dabei über den Boulevard erheben, das ist widerlicher als alles, was in Bild und Bunte steht.“[16] In der ausführlichen Online-Version des Interviews geht er noch etwas weiter: „Ich profitiere gern davon, wie der Boulevard das macht: Übertreibung, Zuspitzung, Drastik. So arbeitet jedes Feuilleton, zumindest probieren sie es. Bei der B.Z. ist es einfach die unverheuchelte Variante.“ Dies als Antwort auf die Frage: „Kann man in einer Boulevard-Zeitung gut schreiben, als Dichter?“[17] Hier liegt der unmittelbare Anlass für die Goetz’sche Einlassung im Party-Übergang vom Klage-Blog zum Klage-Buch.
In diesem Buch, Klage, erfährt man mehr. Besonders v. Stuckrad-Barres Inszenierung seiner Kokainsuchtkrankheit – vor der Prominentenkamera von Herlinde Koelbl[18] – wird sarkastisch kommentiert und schließlich der Autor in seiner tristesse-royale-‚popliterarischen‘ Modebewusstheit etwas abfällig als „von seiner Weste selbst so überzeugte[r] Westenträger“[19] bezeichnet. Nickeligkeiten, die den Kern der Sache vielleicht eher streifen, obwohl sie ihn durchaus auch betreffen. Von ferne erinnert man sich an eine Art boulevardkritisches Libretto v. Stuckrad-Barres in dessen Buch Blackbox, in dem Goetz als „Yellowpress-Submarine“-Fotograf figurierte: „Der Rainald! N komischer Typ, aber ich mag ihn, und er hats auch wirklich drauf, im richten Moment auf den Auslöser zu drücken, nämlich dauernd.“[20] Aber dieser scherzhafte Ton ist weit entfernt von der Härte des in Klage Vorgetragenen, ganz zu schweigen von der zitierten öffentlichen Absage.
Sehr wohl deutlich wird in Klage aber Goetz’ Haltung zum Boulevard selber, den er in der Springerpresse und insbesondere in BILD repräsentiert sieht. Wenn man von dem anderen hier einschlägigen Gegenwartsautor, Max Goldt,[21] absieht, findet man weit und breit kaum eine schärfere Ablehnung und Kritik. BILD, Kai Diekmann, Franz Josef Wagner, Mathias Döpfner, Friede Springer selbst sind in Klage schlicht Agenten des Bösen, des Gemeinen, mithin legitime Gegenstände der Schimpfe: „Pornographie von oben. […] Die Stinkenden, die Mächtigen, DIE KAPUTTEN.“[22] Der in Kuhlbrodts Zitat erwähnte Frank Schirrmacher und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung oder der zeitweise Leiter des Spiegel-Kulturressorts Matthias Matussek werden als Komplementärerscheinungen zum verachteten Springer’schen Boulevard einrangiert. Zum Heiklen dieses ganzen Sprechakts – wenn man denn Goetz’ Beobachtungen und Argumente zu diesem einzigen zusammenfassen kann – gehört, dass der eigene Erstpublikationsort Vanity Fair in diesem Zusammenhang nicht diskutiert wird, vielmehr als kluge Wahl eines gewissermaßen extraterrestrischen Milieus erscheint, in dem sensible Intellektuelle um Ulf Poschardt Wert auf exquisite Texte und Einzelhefte legen.[23] Dies wirkt zunächst durchaus rätselhaft.
Das aus Goetz’ Produktionen für Vanity Fair entstandene Buch Klage ist Teil einer Serie, von Goetz mit peritextuellem Reihentitel als „Buch 6“ gerechnet und getauft mit: „und müsste ich gehen in dunkler Schlucht“. Ein leicht zu erkennendes Bibelzitat, Psalm 23, „Der Herr ist mein Hirte“, ebenjenes Bibelwort, das US-Präsident Bush jr. als Motto über die auf 9/11 folgenden Jahre gestellt hatte.[24] Man geht nicht zu weit, wenn man ‚dunkle Schlucht‘ in Goetz’ Adaption nicht nur mit „Betrieb“,[25] sondern einfach mit Boulevard übersetzt. Denn dieser steht – nach Punk und Rave – nunmehr im Focus der Goetz’schen Gegenwarts-„Grundlagenforschung“.[26] Ihm konfrontiert er sich sowohl in Klage als auch im Folgeband von und müsste ich gehen in dunkler Schlucht: loslabern von 2009. Wieder und wieder begegnet er dem entsprechenden Personal, erforscht es in moralistischem Stil geradezu bis hinein in seine Körpersprache. Die Genannten kommen alle in Person vor; besonders zu erwähnen ist die ebenso komische wie aufschlussreiche Konfrontation mit Frank Schirrmacher auf einem Berliner FAZ-Empfang 2008 in loslabern.[27]
Goetz sucht die Auseinandersetzung mit dem Boulevard. Und Auseinandersetzung ist nicht schlicht mit Ablehnung zu übersetzen. Einfach eingekapselt in eine verjährte Bildungssprache dagegen zu sein, ist keine diskutable Reaktion.[28] Daher wohl auch die Option für Vanity Fair. Es bedarf bis zu einem gewissen Grad durchaus einer Nähe, Affirmation, Vertrautheit, Erfahrung mit dem kritisierten Gegenstand, einer Erfahrung sowohl mit den zugehörigen Praktiken als auch, hiervon kaum zu trennen, mit den beteiligten Personen.[29] Wer sich das nicht zumutet, hat leicht reden. Es ist vermutlich diese Hintergrundvoraussetzung, die v. Stuckrad-Barre für Goetz überhaupt zum Gegenstand von Interesse werden lässt. Denn wenn einer sich den Praktiken und Diskursen von populärem Journalismus, Boulevardfernsehen und Yellowpress ausgesetzt hat, so der Autor von Soloalbum sqq., dessen literarische Karriere sich geradezu als Gang durch die einschlägigen Medien und zugleich Auseinandersetzung mit ihnen beschreiben lässt.[30] Die laxe Komplettaffirmation der Boulevardmedien aber, die sich im inkriminierten Cicero-Interview findet, wirkt demgegenüber als Sündenfall. Für Goetz scheint hingegen zu gelten: der Gang durch die Schlucht ist ein schwerer, fast nicht zu schaffen – nur mit Glück und Gottvertrauen –, vom Scheitern bedroht, und das muss so sein. Die leichtfertige Rede v. Stuckrad-Barres streicht eine Differenz, auf der zu bestehen ist, und diese Streichung ist sein Scheitern. Es ist sträflich und es wird bestraft. Vor einem Publikum, über das in der Presse zu lesen war: „Die Zentrale Intelligenz Agentur ist fast in kompletter Mannschaftsstärke angetreten, und aus den versammelten Journalisten könnte man locker ein ausgewachsenes Feuilleton rekrutieren.“[31] Die Bestrafung findet insofern vor der Produzentenöffentlichkeit statt.
Allerdings ist das Problem damit nicht erledigt, es taucht ein Jahr später in loslabern neu auf, und wiederum in Person von v. Stuckrad-Barre, am Eingang zur genannten FAZ-Party: „[I]ch kam mit dem Rad und sah […] Dietl, Kroetz und Stuckrad-Barre, dahinter Vanity-Fair-People-Chefin Inga Grömminger, CRAZY, das gibt’s doch nicht“.[32] Diese Kombination der Figuren hätte etwas von einem Symptom, sollte sie nicht mit Bedacht so gestaltet sein. Und die Figur des v. Stuckrad-Barre erscheint nun – anstatt als ein für allemal Verurteilter – zweideutig. Einerseits heißt es: „Seit Stuckrad-Barre exklusiv bei Springer arbeitete, kaufte ich mir […] regelmäßig alle paar Tage die BZ, wenn ich dachte, irgendein Berliner Großereignis könnte den Berlin-Reporter Stuckrad-Barre zu einer Reportage veranlasst haben“ – „weil mein Interesse an Stuckrad-Barre größer war als mein Ekel vor Springer. Im Kern machte Benjamin von Stuckrad-Barre genau das, was ich auch immer hatte machen wollen, mitarbeiten bei der Presse, um dabei die Welt, wie sie wirklich war, zu erkunden“. Zu einem Porträt des Politikers Guido Westerwelle in der Welt am Sonntag will er Stuckrad-Barre geradezu gratulieren…[33] Das ist die eine Seite. Die andere ist die abschätzige Diagnose „Boulevarddreck“,[34] die angewiderte Beobachtung, wie der Springer-Vorstandsvorsitzende Döpfner seine Autoren Stuckrad-Barre und Poschardt wie untergebene Offiziere jovial-autoritär duzend vereinnahmt – Angehörige des verachtenswerten „System[s] Springer“.[35] Es ist diese Ambivalenz, die an v. Stuckrad-Barre weiter fasziniert.[36]
These: Was hier am Autor v. Stuckrad-Barre versuchsweise verhandelt oder doch wenigstens bezeichnet wird, das sind Probleme des Schreibens auf dem und für den Boulevard, über den Boulevard, in Kontakt mit ihm. Literaturhistorisch handelt es sich bei dieser Figur des v. Stuckrad-Barre um nichts anderes als um eine typologische Wiederkehr des Helden Lucien de Rubempré aus Honoré de Balzacs Illusions perdues, neuer Herkules an der Weggabelung von guter Literatur und erfolgreichem Journalismus. Nicht zufällig ist dieser homo viator in bivio einer, dessen Abenteuer in Milieus der Bohème vorfallen. Die Pariser Begebnisse des Lucien de Rubempré spielen sich als Option zwischen zwei Freundeskreisen ab, die beide Bohème-Struktur aufweisen, obwohl nur der eine dieser Kreise, die verderbliche Journalisten-Clique, auch so genannt wird.
Zunächst vertraut sich Lucien der „jungen Elite“ an,[37] einem stabilen Freundeskreis, der sich um Daniel d’Arthez gruppiert und in dem man sich ernsthaften Studien widmet, sich wechselseitig aufrichtig kritisiert. Die Beteiligten sind arm, ihre Gruppe ist so elitär wie sie sich einerseits selektiv verhält und andererseits treu: „Die Strenge, die sie übten, wenn sie einen neuen Bewohner in ihre Sphäre aufnahmen, war verständlich. Sie waren sich ihrer Größe und ihres Glücks zu sehr bewußt, um es durch neue, unbekannte Elemente zu gefährden.“ – „Dieser Bund der Gefühle und Interessen währte, frei von Erschütterungen und getrogenen Hoffnungen, zwanzig Jahre.“[38] Die Beteiligten versuchen Lucien vor dem Journalismus als seinem Unglück zu bewahren, dies ist die andere Seite: „Zu wiederholten Malen sprach Lucien davon, sich auf die Zeitungen zu werfen, und stets sagten ihm seine Freunde: Hüten sie sich davor.“ – „Wer alles sagen kann, wird am Ende alles tun!“[39] – „Der Journalismus ist die Hölle, ein Abgrund der Ungerechtigkeiten, der Lügen und des Verrats; nur wer wie Dante vom göttlichen Lorbeer Vergils beschützt ist, kann rein daraus hervorgehen.“ (‚In dunkler Schlucht…‘) Eben dies, ‚rein daraus hervorzugehen‘, ist der illusorische Vorsatz des Lucien, aus dessen Innenleben der Balzac’sche Erzähler berichtet: „Konnte er nicht mit Anstand tun, was die Journalisten ohne Gewissen und Würde taten?“[40] Das ist sein Irrtum, er führt ihn auf die nur zu abschüssige Bahn, er wird abhängig, käuflich und so fort.
Diese Bohème-und-Boulevard-Erzählung bietet offenbar ein erfolgreiches Modell. Das hat man Balzac zunächst überhaupt nicht gedankt, mochte er selbst sich von journalistischer „Seiltänzerei“ distanzieren und übrigens noch so sehr an seinen Texten feilen.[41] Ironischerweise hat vielmehr die Balzac-Rezeption die journalismuskritische Tendenz gegen ihn selbst gewendet, seinen Stil als zeitungsnah verurteilt. (Ein Rezeptionsschicksal, das er, objektiv ironisch, mit Heinrich Heine teilen musste, dem er die Erzählung Un Prince de la Bohème gewidmet hat.) Balzac hat mit seiner Darstellung ein stabiles Schema gestiftet, das literarisch seit dem 19. Jahrhundert erstaunlich kontinuierlich funktioniert,[42] auch über die nationalliterarischen Grenzen hinweg, nicht zuletzt aus deutscher Perspektive. In der Fackel vom 26. Juni 1909 wird Karl Kraus als Aufsatz unter dem Titel „Der Journalismus“ – und unter dem Autornamen Balzac – nicht mehr und nicht weniger als eine ausführliche Collage jener Partien aus den Illusions perdues bringen, die Luciens Initiation in die Welt der Zeitung beschreiben, eine Welt der moralischen und damit in eins intellektuellen Korruption.[43] Und wenn dieser Text in der Fackel erscheint, so zugleich an jenem Ort, an dem auch Erich Mühsams Eloge auf die „Bohème“ gedruckt[44] und die ‚Königin der Bohème‘ Else Lasker-Schüler publiziert wird, bevor Kraus sich dann für seine Allein-Autorschaft entschied. Die Varianten und Stationen der Bohème-Boulevard-Konstellation sind bis in die Gegenwart zahlreich und verdienen Analyse.
Hier soll nur eine Variante angeführt sein, in der Karl Kraus selbst eine Rolle spielt. Wieder handelt es sich um eine Situation in Berlin, wieder auf dem Boulevard und wieder im Milieu der auf dem Boulevard agierenden Bohème. 1928, zur Zeit der Entstehung der Dreigroschenoper, kommt es zu einer denkwürdigen Begegnung von Elias Canetti mit Bertolt Brecht, gegen dessen Person er sogleich eine von ihm selbst als ‚hochmoralisch‘ bezeichnete Ablehnung empfindet: „[I]ch kam mit hohen Tönen aus Wien, der Reinheit und Strenge von Karl Kraus verschrieben […] [I]ch sah Brecht kein einziges Mal, ohne meine Verachtung für Geld zu äußern. Ich mußte meine Fahne hochziehen und Farbe bekennen: man schrieb nicht für Zeitungen, man schrieb nicht für Geld, für jedes Wort, das man schrieb, stand man mit der ganzen Person ein. Das irritierte Brecht aus mehr als einem Grund: ich hatte nichts veröffentlicht, er hatte nie etwas von mir gehört, hinter meinen Worten steckte für ihn, der viel auf Realitäten gab, nichts. Da mir niemand etwas angeboten hatte, hatte ich nichts refüsiert. Keine Zeitung hatte mir vorgeschlagen, für sie zu schreiben, also hatte ich auch keiner widerstanden. ‚Ich schreibe nur für Geld‘, sagte er trocken und gehässig. ‚Ich habe ein Gedicht über Steyr-Autos geschrieben und dafür ein Steyr-Auto bekommen.‘“[45] Das ist die Situation, wiederum das bekannte Schema. Das Faszinierende ist aber hier, dass es damit nicht sein Bewenden hat, dass vielmehr Canetti unmittelbar darauf eine irritierende Lektion zu lernen hat. Das Schema ist gar nicht schematisch anwendbar; seine Applikation muss immer neu ausgehandelt werden: „Aber meine Situation wurde noch komplizierter, als man nach dem Bisherigen denken könnte, denn der Mann, der mir Glaube und Gesinnung war, den ich unter allen Menschen auf der Welt am höchsten verehrte, ohne dessen Zorn und Eifer ich nicht hätte leben mögen, dem mich zu nähern ich nie gewagt hätte […] – Karl Kraus also war zu dieser Zeit in Berlin und war mit Brecht befreundet, den er häufig sah, und durch Brecht lernte ich ihn, einige Wochen vor der Premiere der ‚Dreigroschenoper‘ kennen.“ – Man trifft sich in einer Kneipe… – „Ich war erdrückt von der Vorstellung, am Tische eines Gottes zu sitzen.“ – „Ich erwartete Ungeheures von ihm, und es kamen Artigkeiten. Jeden am Tische behandelte er mit Zartgefühl, aber mit Liebe, als wäre es sein Sohn, behandelte er Brecht, das junge Genie – sein erwählter Sohn.“ – „Das Gespräch ging um die ‚Dreigroschenoper‘, die noch nicht so hieß, ihr Name wurde in diesem Kreis beraten.“[46] In aller Kürze wäre zu interpretieren: Prostitution ist offenbar nicht einfach gleich Prostitution. Was in den Verhandlungen der Bohème über den Boulevard ausgetragen wird, sind Fragen des Kaufens und Verkaufens und Sich-Verkaufens, der Käuflichkeit und Verkäuflichkeit. Aber sie sind keineswegs schematisch entscheidbar, sondern immer erneut zu stellen und von Fall zu Fall zu entscheiden.
Wenn man mir bis hierhin folgen will, also die These einer durchgängigen Struktur teilt, wäre zu fragen, welche Mittel wir haben, um diese Verhältnisse plausibel zu theoretisieren. Wie gesagt, dürfte ein Forschungsdesiderat darin liegen, die Opposition, die in Kreuzers Definition bemüht wird – Bohème versus Bürgerlichkeit oder versus kulturelle Norm –, als Interaktion zu begreifen. Hierzu hat Seigel 1986 mit seinem Buch Bohemian Paris. Culture, Politics, and the Boundaries of Bourgeois Life, das übrigens erklärtermaßen Helmut Kreuzer viel verdankt,[47] einen hilfreichen Vorschlag gemacht. Nimmt man es genau, knüpft dieser Vorschlag seinerseits an eine Vorgabe wiederum Balzacs an, der in Un Prince de la Bohème die Bohème als „Mikrokosmos“ gefasst hat,[48] in dem Innovations- und Ausbildungsprozesse von großer sozioökonomischer Relevanz stattfinden.[49]
Die Bohème wäre Seigel zufolge, der darin Balzac weiterzudenken versucht, nicht nur als antibürgerliche Inkubationsphase oder Passage von Karrieren zu verstehen, sondern insbesondere als eine Art Test-, als Härtetest-Raum zu begreifen. Experimentiert wird nicht zuletzt mit von Haus aus ‚bürgerlichen‘ Normen und Werten. Allerdings in einem Milieu und auf eine Weise, die es Bürgerlichen oder entsprechend ‚Normierten‘ weitgehend unmöglich macht, diese Normen und Werte als bürgerliche wiederzuerkennen. Um es am zuletzt angeführten Fall auszuführen: wenn man genau hinhört, was Canetti in seiner Auseinandersetzung mit dem scheinbar frivolen Bertolt Brecht hauptsächlich anführt – kraus-gestützt: ‚man schreibt nicht für Geld, für jedes Wort, das man schreibt, steht man mit der ganzen Person ein…‘ –, so erkennt man hier unschwer einen Grundtext des deutschen Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts wieder, nämlich Artur Schopenhauers Parerga und Paralipomena; genauer gesagt, die darin enthaltenen Paragraphen „Ueber Schriftstellerei und Stil“. Sie beginnen nämlich mit der normativ grundsätzlichen Unterscheidung von Schreiben für Geld versus Schreiben der Sache halber: „Zuvörderst giebt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt, oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mittheilenswerth scheinen; Diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld.“[50] Aus dieser Unterscheidung leiten sich alle weiteren Bestimmungen dessen ab, was guter Stil ist. Die Operation der Bohème scheint nun einer komplexen moralischen Ökonomie zu folgen, welche darauf ausgeht, diese Norm dort in Abschlag zu bringen, wo sie von Haus aus nicht hingehört und wo es ganz unwahrscheinlich ist, dass sie sich bewähren und zu Resultaten führen könnte, innerhalb des neuen Dispositivs der Massenmedien nämlich. Das Bestehen des Autors auf dem Boulevard und in Konfrontation mit ihm ist eine Frage des Stils. Und diese ist – ganz so wie in den Illusions perdues – eine Frage der Moral. Hier ist das Canetti-Kraus’sche Wort ganz ernstzunehmen: ‚für jedes Wort, das man schreibt, steht man mit der ganzen Person ein.‘ Der moralische Code unterscheidet nach Achtung und Missachtung. Diese beziehen sich auf die ganze Person.[51] Die deshalb zur Verhandlung steht, in ihrem diskreten oder indiskreten Habitus – bis hin zur Frage der Exhibition von Kokainabhängigkeit oder Westen-Marotte. Ob und wie diese Frage in der digitalen Ära aktuell bleibt oder aktualisiert wird?
Anmerkungen
[1] Luc Boltanski/Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, transl. Michael Tillmann, Konstanz, UVK, 2003, 143sq.; Luc Boltanski: „Leben als Projekt. Prekarität in der schönen neuen Netzwerkwelt“, transl. Robin Celikates, in: Polar 2, Frühjahr 2007, 7–13, 7; Bruno Latour: Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang, transl. Heinz Jatho, Zürich–Berlin, diaphanes, 2007, 19sq.; cf. Michael Rutschky: „Die Erfindung des Ich. Vermischte Nachrichten“, in: Merkur 65,9/10: Sag die Wahrheit! Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind, September/Oktober 2011, 959–969, 961.
[2] Alexis Joachimides: Art. „Boheme“, in: Karlheinz Barck et al. (ed.): Ästhetische Grundbegriffe, vol. 1, Stuttgart–Weimar, Metzler, 2000, 728–750, 729, 748sq.
[3] Tobia Bezzola: „Massenboheme. Das Lächeln der Beatles und das Schweigen von Marcel Duchamp“, in: Kunstforum International, 134, 1996, 177–182.
[4] Erwin Panofsky: „Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin [The History of Art as a Humanistic Discipline]“, in: ders.: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst (Meaning in the Visual Arts), Köln, DuMont Schauberg, 1975, 7–35, 26.
[5] Diedrich Diederichsen: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1999, 233.
[6] Holm Friebe/Sascha Lobo: Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, München, Heyne, 2006; rückblickend: Holm Friebe: „Digitale Boheme revisited“, in: Literatur Konkret, 24.9.2010 (eingeheftet in: Konkret, 10/2010), 9–11.
[7] Cf. Jerrold Seigel: „Putting Bohemia on the Map“, in: Pascal Brisette/Anthony Glinoer (ed.): Bohème sans frontière, Rennes, Presses Universitaires de Rennes, 2010, 39–53. Zur Unmöglichkeit einer auf telefonische Interaktion restringierten Bohème cf.: Simone de Beauvoir: Amerika Tag und Nacht. Reisetagebuch 1947, transl. Heinrich Wallfisch, Reinbek b.H., Rowohlt Taschenbuch, 1988, 26.
[8] Helmut Kreuzer: Art. „Boheme“, in: Klaus Weimar et al. (ed.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, vol. 1, Berlin–New York, de Gruyter, 1997, 241–245, 241.
[9] Cf. Remigius Bunia/Till Dembeck/Georg Stanitzek: Elemente einer Literatur- und Kulturgeschichte des Philisters. Einleitung“, in: R.B./T.D./G.S. (ed.): Philister. Problemgeschichte einer Sozialfigur der neueren deutschen Literatur, Berlin, Akademie, 2011, 13–51, 37sqq.
[10] Cf. gegenüber der historischen Bohème etwa Christian Demand: Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte, 2. ed., Springe: zu Klampen! 2007, 100; Harun Farocki: „Im Kino“, in: Filmkritik, 25,8, August 1981, 385–386, 386. – Gegenüber der sogenannten digitalen Bohème: Werner Bartens: „Lass mal gut sein. Kathrin Passig und Sascha Lobo loben das Aufschieben“ [Rez.: Kathrin Passig/Sascha Lobo: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin, Berlin, Rowohlt Berlin, 2008], in: Süddeutsche Zeitung, 28.10.2008, Nº 251, 16; Peter Richter: „Die Neophilister“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.12.2009, Nº 50, 31.
[11] Jerrold Seigel: Bohemian Paris. Culture, Politics, and the Boundaries of Bourgeois Life, 1830–1930, New York, Penguin, 1987.
[12] Walter Benjamin: „Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus“, in: ders.: Gesammelte Schriften, ed. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, vol. I,2, Frankfurt/M., Suhrkamp, 1974, 509–690, 530sq.
[13] Detlef Kuhlbrodt: „Die Stimmung war superangenehm. Rainald Goetz ‚klagt‘ nicht mehr“, in: die tageszeitung, 23.6.2008, Nº 8612 , 14.
[14] Ijoma Mangold: „Ende aller Klagen. Rainald Goetz feiert den Abschluss seines ‚Vanity Fair‘-Blogs“, in: Süddeutsche Zeitung, 23.6.2008, Nº 144, 11.
[15] Zur früheren Nähe und Zusammenarbeit der Autoren cf. Rainald Goetz: Dekonspiratione, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2000.
[16] Hajo Schumacher: „Berlin ist Deutsches Theater. Ein Gespräch mit Benjamin von Stuckrad-Barre“, in: Cicero. Magazin für politische Kultur, Juli 2008, 128–130, 130.
[17] Http://www.cicero.de/stuckrad-barre.php [22.4.2011].
[18] Herlinde Koelbl: Rausch und Ruhm – Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre (ARD 2003); cf. Rainald Goetz: Klage, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2008, 171–173, 181sq.
[19] Goetz: Klage, op. cit., 419.
[20] Benjamin v. Stuckrad-Barre: „speichern unter: krankenakte dankeanke“, in: ders.: Blackbox. Unerwarteter Systemfehler, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2000, 75–169, 118.
[21] Max Goldt: „Die Verachtung“, in: ders., Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens. Prosa und Szenen 2002–2004, Reinbek b.H., Rowohlt, 2005, 104–115, 112sq.
[22] Goetz: Klage, op. cit., 67.
[23] Goetz: Klage, op. cit., 394, 416sq.,
[24] „I also wanted the speech to convey my sense of moral outrage.“ – „I closed with Psalm 23: ‚Even though I walk through the valley of the shadow of death, I will fear no evil, for You are with me.‘“ (George W. Bush: Decision Points, New York, Crown, 2010, 137sq.)
[25] Cord Riechelmann: „Irre und Lücken. [Ü]ber ‚Loslabern‘ von Rainald Goetz, in: Jungle World, 29.10.2009, Nº 44, 6–9, 6.
[26] Eckhard Schumacher: „‚Jetzt, ja, noch mal. Jetzt.‘ Rainald Goetz’ Geschichte der Gegenwart“, in: ders.: Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2003, 111–154, Zitat: 13.
[27] Rainald Goetz: loslabern. Bericht. Herbst 2008, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2009, 118sqq.
[28] Goetz: loslabern, op. cit., 124sq.
[29] Cf. zu Vanity Fair in dieser Hinsicht auch Goetz: loslabern, op. cit., 81.
[30] Cf. Joachim Lottmann: „Mein Leben mit Stuckrad-Barre. Alle mal herhören. Letzte Durchsage: Joachim Lottmann erklärt die Popliteratur“, in: Jungle World, 16./23.7.2003, Nº 30/31, 25. Zu v. Stuckrad-Barres BILD-Boulevardanalysen cf. insbesondere Benjamin v. Stuckrad-Barre: „Truppenbetreuung“ und „Boulevardjournalismus“, in: ders.: Deutsches Theater, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2001, 32–37 und 122–127.
[31] Mangold: „Ende aller Klagen“, l. c.
[32] Goetz: loslabern, op. cit., 75.
[33] Goetz: loslabern, op. cit., 86. Um dies nachzuvollziehen, bedarf es allerdings einer Portion Ironie, wie man sie eher in Lottmann- als in Goetz-Lektüren zu investieren gewohnt ist; cf. Benjamin v. Stuckrad-Barre: „Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf“, in: ders.: Auch Deutsche unter den Opfern, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2010, 226–233.
[34] Goetz: loslabern, op. cit., 170.
[35] Goetz: loslabern, op. cit., 171.
[36] Siehe im Unterschied dazu die vergleichsweise Entschiedenheit von Rembert Hüser: „Klavierbegleitung“, in: Carla A. Damiano/Jörg Drews/Doris Plöschberger (ed.): „Was das nun wieder soll?“ Von „Im Block“ bis „Letzte Grüße“; zu Werk und Leben Walter Kempowskis, Göttingen, Wallstein, 2005, 221–246.
[37] Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen. Roman, transl. Udo Wolf, 2. ed., Berlin–Weimar, Aufbau, 1983 (= Die menschliche Komödie. Szenen aus dem Provinzleben, vol. 9), 256.
[38] Balzac: Verlorene Illusionen, op. cit., 258.
[39] Balzac: Verlorene Illusionen, op. cit., 266.
[40] Balzac: Verlorene Illusionen, op. cit., 267.
[41] Ernst Robert Curtius: Balzac, Bonn, Friedrich Cohen, 1923, 369sq. sowie 429sqq.
[42] Stefan Ripplinger: „Journalisten, nicht nur nach Balzac“ („Was kümmert mich der Dax“), in: Jungle World, 4.3.2010, Nº 9, 17, mit gewisser Skepsis gegenüber dem sozialhistorischen Gehalt: „die tugendhafte Bohème, die er rühmt, hat es wohl nie gegeben.“ – In dieser Hinsicht wäre mit Seigel die doppelte Topographie der Bohème zu bedenken: Sie hat eine empirische und eine imaginäre Adresse (Seigel: „Putting Bohemia on the Map“, op. cit., 39sq.).
[43] Honoré de Balzac: „Der Journalismus“, in: Die Fackel, 11. Jahr, Nº 283/284, 26.6.1909, 1–18.
[44] Erich Mühsam: „Bohême“, in: Die Fackel, 8. Jahr, Nº 202, 30.4.1906, 4–10.
[45] Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921–1931, 21. ed., Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch, 2000, 259.
[46] Canetti: Die Fackel im Ohr, op. cit., 260.
[47] Siehe den ausführlich würdigenden Hinweis bei Seigel: Bohemian Paris, op. cit., 401 auf Helmut Kreuzer: Die Boheme. Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart, Metzler, 2000.
[48] Honoré de Balzac: „Ein Fürst der Bohème/Un Prince de la Boheme“, in: ders., Die menschliche Komödie. Gesamtausgabe mit Anmerkungen und biographischen Notizen über die Romangestalten, ed. Ernst Sander: Szenen aus dem Pariser Leben, München, Goldmann, o.J., 27–64.
[49] Cf. Georg Stanitzek: „Die Bohème als Bildungsmilieu: Zur Struktur eines Soziotopos“, in: Soziale Systeme, 16, 2: Die Wirklichkeit der Universität. Rudolf Stichweh zum 60. Geburtstag, ed. Jürgen Kaube/Johannes F.K. Schmidt (2010), 404–418.
[50] Arthur Schopenhauer: „Ueber Schriftstellerei und Stil“, in: ders.: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, vol. 2, in: ders.: Werke in fünf Bänden, ed. Ludger Lütkehaus, Zürich, Haffmans, 1991, vol. 5, 445–479, 445 (§ 272).
[51] Niklas Luhmann: „Soziologie der Moral“, in: ders.: Die Moral der Gesellschaft, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2008, 56–162, 111f.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Narr Francke Attempto Verlags. Weitere Hinweise zum Buch hier
Georg Stanitzek ist Professor für Germanistik an der Universität Siegen.