Welcome to SlaveryLiebe als Vampirismusvon Martina Zerovnik1.4.2014

Macht, Liebe, Vampire

Ein kriminelles Brüderpaar landet in der mexikanischen Wüste in einer Bar namens „Titty Twister“, deren Tabledance-Aktricen sich, wie die restliche Belegschaft, als vampirische Monster entpuppen. Allen voran Santanico Pandemonium (Salma Hayek), eine Dämonin in Venusgestalt, die sich mit einer Schlange schmückt, dem Symbol für Unsterblichkeit, Sünde, Sexualität und Phallus. Die Vampirin trägt sie als Verweis auf Lilith, die erste Frau Adams, die sich im Gegensatz zu ihrer Nachfolgerin Eva weder dem Mann noch Gott noch dem Teufel unterordnen ließ und nie vom Baum der Erkenntnis aß, sodass sie unsterblich blieb und in Literatur und Film zur Göttin oder Mutter der Vampire wurde.[1]

Santanico Pandemoniums erstes Opfer ist ein verhaltensgestörter Sexualverbrecher, Richard Gecko (Quentin Tarantino). Danach widmet sie sich dessen Bruder Seth (George Clooney) und leitet ihren Angriff mit einer Rede, in der sie ihm sein zukünftiges Sklaven-Dasein vor Augen führt, ein.

Santanico Pandemonium endet mit der Verheißung: „Welcome to Slavery.“ Was als Abrechnung mit dem Patriarchat gelesen werden könnte, zeigt sich in weiterer Folge als dessen Festschreibung – schließlich sprechen wir von From Dusk till Dawn (1996) von Robert Rodriguez (Regie) und Quentin Tarantino (Drehbuch). Die Szene ist zunächst als Unterwerfung des Menschen unter den Vampir, also als Versklavung der Menschenrasse durch die Vampire zu sehen. Auf einer weiteren Ebene stehen Santanico Pandemoniums Auftritt, die Vollstreckung des Sexualverbrechers und ihre Drohung in einer Genealogie mit Lilith, die sich der männlichen Herrschaft nicht allein widersetzt, sondern selbst als Herrscherin auftritt und Rache übt.

Doch es dauert nur einen Augenblick, bis mit Seth Geckos Antwort in Wort und Tat die symbolische Ordnung wiederhergestellt ist. Mit seinem „No thanks, I already had a wife“ rekurriert er nicht auf das Vampir-Sein von Santanico Pandemonium, sondern auf ein vermeintliches Frau-Sein. Er missachtet ihre Autorität und Identität, da er aus der Vampirin einen Menschen und aus Lilith, die sich gegen die Bezeichnung „wife“ sperrt, Eva macht. Der Konflikt Mensch gegen Vampir verschiebt sich auf den Kampf der Geschlechter.

 

Vampir, Tuschzeichnung von Ernst Stöhr, zuerst in Ver Sacrum, 1899, Heft 12, S. 8.

 

Was in erster Linie machistischer Humor ist (zunächst verführerischer Vamp, dann Megäre), erweist sich als die symbolische Kastration des weiblichen Vampirs, für den im Grunde genommen keine geschlechtsspezifische Rolle in Form einer bipolaren Zuschreibung von männlich-weiblich zur Geltung gebracht werden kann, weil auch die Frau durch ihr Vampir-Sein eine phallische Position einnimmt. Stereotype Geschlechtszuschreibungen wie männlich-aktiv-stark-herrschend und weiblich-passiv-schwach-gebend werden in der Vampirfigur aufgebrochen. Der Vampir beiderlei Geschlechts ist dem Menschen „von Natur aus“ überlegen und charakterisiert sich durch Aktivität, Stärke, Manipulationsvermögen, Verführungskunst und ist in der Lage, „Kinder“ zu „gebären“.[2]

Das Gesetz des Vaters

Was in der Szene bei Rodriguez/Tarantino in aller verkürzt-plakativen Form in die Unterwerfung der Frau mündet, findet sich in dem Vampirroman schlechthin, in Bram Stokers Dracula, in voller Ausführlichkeit. 1897 erschienen, handelt er zu einem guten Teil von der Verunsicherung des viktorianischen Frauen- und Familienideals und dem Sieg über die „Neue Frau“, die für größere Individualität im Lebensentwurf, Bildung, rechtliche Gleichstellung und wirtschaftliche Unabhängigkeit sowie Verfügungsmacht über den eigenen Körper, einschließlich des Rechts auf Sexualität, einstand.[3] Der Vampir/die Vampirin ist eine Chiffre für das Animalische, für Körperlichkeit, Sexualität, Leidenschaft und Triebhaftigkeit des Menschen, das durch religiöse Motive und gesellschaftliche Doppelmoral tabuisiert und dämonisiert wurde.

Das gesellschaftliche Ideal des 19./20. Jahrhunderts und insbesondere des viktorianischen England band Begehren und Sexualität (von Frauen) ausschließlich an die Aufgabe zur Arterhaltung. Lust zu empfinden und offen als Selbstzweck auszuleben, war nicht vorgesehen und wird auch bei Bram Stoker unter Strafe gestellt. Lucy Westenra, die drei Heiratsanträge an einem Tag erhält und es bedauert, nur einen annehmen zu können, die ihre Begegnung mit Dracula als „something very sweet and very bitter all around me at once“ empfand und ihren Höhepunkt in den Worten „my soul seemed to go out from my body and float about the air“[4] beschreibt, wird zur Vampirin und schließlich gerichtet.

Für das patriarchalische Werte- und Ordnungssystems sind Frauen, die sich ihrer „natürlichen“ Bestimmung zu Mutterschaft und Ehe durch Berufstätigkeit oder Homosexualität entzogen, die die Reize ihrer Geschlechtlichkeit bewusst einsetzten und ihre Sexualität auslebten, eine Bedrohung, die sich zur Projektion des Männer verschlingenden Vamps steigerte. Die aktive Liebhaberin unterwirft den Mann, macht ihn willenlos und gefügig.

Dracula selbst gilt als der große Verführer – ein Charisma, das nicht zuletzt filmische Adaptionen wie Bram Stokers Dracula von Francis Ford Coppola befördern. Der Film, der dem Werk in großen Zügen getreu folgt, nimmt eine Ergänzung vor, die dem Handeln Draculas eine völlig andere Motivation zuschreibt. Nicht Gier nach Macht lenkt seine Aufmerksamkeit auf London, sondern die Liebe. Damit vollziehen die Verfilmungen eine fortschreitende Verbindung mit einem anderen großen Werk der Vampirliteratur, der Novelle Carmilla, die 1872 von dem irischen Autor Sheridan Le Fanu verfasst wurde und in der die Liebe die grundlegende Motivation der Vampirin darstellt.

In Bram Stokers Roman kennt der dämonische Fürst allerdings keine Liebe, er setzt Sexualität – literarisch in erotische, sexuell aufgeladene Anspielungen übersetzt – als Waffe ein. Was Julia Kristeva nach Freud als männlichen Eros kennzeichnet, die „draufgängerische und verschlingende Libido“, ein „Gemisch aus Abweisungen und Aneignungen, aus Beherrschung und Sklaverei“, gilt besonders für das Konfliktfeld, das sich zwischen den Vampirjägern und Dracula eröffnet und auf dem die Frauen zwischen die Fronten geraten.[5] Dracula sinnt auf die Expansion seines Reiches, was von der In-Besitz-Nahme von Frauen (genauer: in der Aneignung der Frauen der Gegner) begleitet wird: „Your girls that you all love are mine already; and through them you and others shall yet be mine – my creatures, to do my bidding and to be my jackals when I want to feed.“ (BSD, S. 357)

In Stokers Roman siegt die symbolische Ordnung. Das Gesetz des Vaters, der in Gestalt von Abraham van Helsing auftritt, mündet in ein Bild der Heiligen Familie, und am Ende sind die ordentlichen Besitzverhältnisse der Männer an den Frauen wiederhergestellt, durchaus in doppeldeutiger Art eines „Welcome to Slavery“. Die Frau unterstellt sich dem von Männern dominierten Modell, in dem „Göttergatten“ über Frauen in Gestalt des viktorianischen „Domestic Angel“ herrschen. Mina Harker, die als Inkarnation des zweiteren fungiert, erweist sich ihrer geschlechtsspezifischen Vollendung würdig, was sich Abraham van Helsing (dem Über-Vater) bereits auf den ersten Blick erschloss: „[…] and you have given me hope – hope […] that there are good women still left to make life happy – good women, whose lives and whose truths may make good lesson for the children that are to be.“ (BSD, S. 214) Mina verkörpert ein Frauenbild, für das es sich zu kämpfen lohnt und das es zu schützen gilt, das aber auch gleich einem performativen Akt erst hergestellt werden muss. Die Natur der Frau, die für die moralische Verfehlung prädisponiert ist, muss in die kulturelle Vorstellung von Frau eingepasst werden.[6]

„Love will have its sacrifices“

Dracula beherrschte lange Zeit das Vampirbild und die Vampirrezeption. Diese Vormachtstellung scheint heute gebrochen zu sein. Beinahe alle aktuellen Vampirfilme und TV-Serien handeln weniger von dem Streben nach Macht (zumindest nicht ausschließlich) als vielmehr vom Motiv der Liebe, in dem oder neben dem die Sexualität enthalten ist. Häufig kreisen die Erzählungen um eine wie immer geartete Liebesbeziehung zwischen einem Menschen (Frau) und einem Vampir (Mann).

Die von Fans und der Kritik auf jeweils ihre Weise verschlungenen Twilight-Filme, die äußerst erfolgreichen US TV-Serien True Blood und The Vampire Diaries[7] sowie die UK/US Serie Dracula beziehen ihren Spannungsbogen ebenso aus einem Liebesthema, wie dieses bereits in vielen Vampir-Dichtungen der romantisch geprägten Schauerliteratur des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts in tragender Funktion enthalten war. Doch für keine Erzählung gilt das so sehr wie für die Novelle Carmilla des Iren Sheridan Le Fanu, die von der Vampirin Carmilla handelt, die nicht Macht, sondern Liebe sucht – und das bei einer Frau.

 

Illustration in Carmilla, Joseph Sheridan Le Fanu’s vampire story, 1872.

 

In der 1872 veröffentlichten Novelle sucht eine Vampirin die BewohnerInnen eines steirischen Schlosses heim.[8] Carmilla wird nach einem Kutschen-Unfall dort zurückgelassen. Laura, die zu dem Zeitpunkt 19-jährige Erzählerin, freut sich über die Gesellschaft und es entwickelt sich eine innige Beziehung zwischen den beiden, die durch die betonte Darstellung von Berührungen, Liebkosungen, leidenschaftlichen Gesten und Gefühlsausbrüchen eine erotische Dimension erlangt.

In Carmillas Credo „Love will have its sacrifice. No sacrifice without blood“ wird Liebe zum Vampirismus schlechthin. Was sie einfordert, drückt nicht nur die vampirische, Besitz ergreifende Form von Liebe aus, die wir bei Dracula vorfinden und die bspw. Erich Fromm in der Unterscheidung zwischen den Polen von Haben oder Sein formulierte: „Wird Liebe aber in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies, das Objekt, das man ‚liebt‘, einzuschränken, gefangenzunehmen oder zu kontrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend.“[9] Laura unterliegt in diesem Sinne zwar den Verführungskünsten der Freundin und wird mit der Zeit immer schwächer, doch ist es nicht allein die Liebe von, sondern gleichermaßen ihre Liebe zu Carmilla, die an ihren Kräften zehrt.

„Die Liebe ist eine Tötung, dank deren ich bin“, schreibt Kristeva über die Identifizierung des Subjekts mit dem Anderen. Carmilla steht für die romantische Vorstellung einer Liebe, in der die Seelen und Körper der Liebenden eins werden, für Liebe bis in den Tod: „You are mine. You shall be mine. You and I are one forever.“ (SFC, S. 264) Wer liebt, bringt Opfer, auch wenn es Selbstaufopferung bedeutet, zum einen an den fremden Organismus und zum anderen durch das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem eigenen Chemismus. Für Laura und Carmilla verändern sich Wahrnehmung und Bewusstsein der Umwelt. Voller Verliebtheit spricht Carmilla „wilden Unsinn“ und ist eine „alberne, kleine Närrin“, die Laura mit Zärtlichkeiten, Küssen und Liebkosungen überhäuft.

Laura wiederum glaubt an einer Stelle, Carmilla wäre ein verkleideter Jüngling, weil sie sich auf rätselhafte und intensive Weise zur Freundin hingezogen (in anderen Momenten aber auch von ihrem Gebaren abgestoßen) fühlt, womit Le Fanu nicht nur die tendenziöse Ausrichtung des Begehrens untermauert, sondern auch auf den Konflikt zwischen Lauras Gefühlen und den gesellschaftlichen Normen hinweist. Carmilla steht für gelebtes, Laura für unterdrücktes homosexuelles Begehren.

Die Liebe erhöht nicht nur die Leidensanfälligkeit, sondern auch die Leidensfähigkeit, denn „there is no such word as indifference in my [Carmillas] apathetic [loving] nature.“ (SFC, S. 276) Alle Emotionen, alles Begehren, alle Kraft, die ganze Existenz ist auf das eine Objekt gerichtet. Das liebende Subjekt liefert sich einer Abhängigkeit vom Liebesobjekt aus, dessen Liebesentzug als permanente Drohung im Raum steht. „Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben“,[10] formuliert Sigmund Freud.

Bella Swan, die Heldin aus Twilight, die sich in den Vampir Edward Cullen verliebt, empfindet den Liebesentzug demgemäß als körperliche Zerrüttung: „One thing I truly knew – knew it in the pit of my stomach, in the center of my bones, knew it from the crown of my head to the soles of my feet, knew it deep in my empty chest – was how love gave someone the power to break you.“[11]

Dieses „break you“ ist in zweifacher Weise interessant. Zum einen ist es die Metapher für das gebrochene Herz. Zum anderen ist Edwards Gegenwart für Bella eine Todesdrohung und sie ständig in Gefahr, unter seiner Berührung zu brechen („Du weißt nicht, wie zerbrechlich du bist.“). Hier verhält es sich gerade umgekehrt zur Typologie des klassischen Vampirs. Der zeitgenössische Vampir unterdrückt sein Begehren, steht für Willensstärke und Beherrschung der eigenen Triebe. Keine Spur von Carmillas Glut oder Draculas „child brain“, zumindest nicht bei Edward.

Bella hingegen wird von ihren Gefühlen und Leidenschaften überwältigt. Sie geht zur Gänze in dem hypnotischen Zustand des „Liebeswahns“ auf und existiert nur in ihrer Liebe zu Edward. Diese Liebe ist nicht objektbezogen, sondern eine archaische Identifizierung mit dem Geliebten, „in der das, was ich einverleibe, das ist, was ich werde.“[12] Sie ist eigentlich eine Todessehnsucht, die Liebe des Vampirs die Todesdrohung, die sie auch in dessen Abwesenheit zu erzeugen sucht, indem sie sich in Gefahr begibt. Ihre Liebe muss somit ihre größte Erfüllung nicht in der Ehe oder der Mutterschaft (die sie ganz konventionell auch vollzieht) finden, sondern in der Unsterblichkeit.

Die Reflexion des Spiegels

Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen den aktuellen Filmen und Carmilla ist das darin erfolgende Outing des Vampirs. Zum einen findet eine Verschiebung der verbotenen Liebe von der homosexuellen auf die Liebe zwischen einem heterosexuellen Menschen und einem Vampir statt. Zum anderen gibt sich der Vampir zu erkennen oder wird erkannt und als solcher angenommen. Die Vampire sind, weil sie lieben, auf die Akzeptanz der Menschen-Frau angewiesen. Es handelt sich um ein gegenseitiges Bedürfnis, denn die nicht-vampirischen Protagonistinnen der aktuellen Filme sind keine gewöhnlichen Menschen, die sich selbst aber nicht als etwas Besonderes, sondern als ‚Freaks‘ und mehr oder weniger schlecht funktionierender Teil der Gemeinschaft sehen. In beiden Positionen lassen sich masochistische Muster erkennen, in der Art: „Masochism is a search for recognition of the self by an other who alone is powerful enough to bestow that recognition.“[13] Bella ist immun gegen die Kräfte von Vampiren, Sookie (True Blood) ist eine Elfe und Elena (The Vampire Diaries) ist eine Doppelgängerin. Ihr Leben erhält erst im Lieben und Geliebt-Werden Motivation und Bedeutung, das Erkennen ihrer Selbst ist vom Blick, vor allem aber auch Biss des Vampirs abhängig.

Die Liebe ist eine Bewegung zwischen Narzissmus und Idealisierung, ein Prozess der Selbstorganisation, in der sich die/der Liebende (neu) setzt. Analog zu Jacques Lacans Spiegelstadium führt Edward die Vampirin Bella nach der Verwandlung vor einen Spiegel, um dieser ihre Vollendung zu zeigen und nimmt dabei als ihr Schöpfer die Position der Mutter ein. Der Vampir-Biss thematisiert auch das Heranwachsen, das mit Blut(-opfer) verbundene Aktivieren der Geschlechtlichkeit und eine Initiation: die Defloration. Diese wird in den Filmen gerne mit allen romantischen Versatzstücken, die sich ein Mädchenherz nur erträumen kann, inszeniert.

Im feministischen Diskurs versinnbildlicht der Vampir-Biss auch das Erwachen der Frau aus dem Dornröschenschlaf. Die aktuellen Vampir-Erzählungen scheinen es zu bestätigen: Moderne Mädchen träumen nicht von einem Märchenprinzen, sondern von einem Vampir. Was in einem patriarchalischen System als In-Besitz-Name der Frau zu verstehen ist, setzt bei den meisten aktuellen Serien einen Prozess der Vollendung, Abspaltung oder Identitätsfindung in Gang. Aus dem hässlichen Entlein Bella Swan wird ein schöner Schwan, aus der durch die Welt taumelnden Teenagerin eine Vampirin.

Während sich das Zwielicht für Bella zu einem Happy End aus Familie, Mutterschaft und Stärke klärt (oder verklärt), beginnt der Selbstorganisations-Prozess für Sookie erst mit einem traumatischen Ereignis: der Trennung vom Geliebten, zumindest von dem Einen (dem bald jedoch andere folgen). Es ist ein Emanzipationsprozess, den sie mit dem Statement: „You don’t own me“ initiiert.

Die Beschützerfunktion der Vampire stellt sich auf Seiten der Vampir-Männer als ebenso problematisch heraus wie für die Frauen, die den Schutz regelmäßig zurückweisen oder irgendwann darüber hinauswachsen. Die Frau ist in diesen Beispielen nicht, wie bei Stoker, der zu verteidigende oder zu erlangende Besitz. Sie ist auch nicht das vor sich selbst zu schützende Wesen, in ständiger Gefahr, eine Buhlschaft mit dem Bösen einzugehen.

Elena, die Protagonistin in The Vampire Diaries entscheidet sich (es ist noch nicht gesagt, ob endgültig) zwischen zwei Brüdern für den Bösen, obwohl der Gute ihre Doppelgänger-Liebe aus einem vorigen Leben und somit ihr Schicksal ist. Dass die Liebe dem moralischen Urteil entgegenläuft oder dieses entkräftet, also die Souveränität in Frage stellt, ist für sie eine ebenso schmerzliche wie lustvolle Erfahrung. Im Gegenzug dazu ist das Handeln des bösen Vampirs an das Urteil der Geliebten gebunden. Das Ich ist in der Liebe ein Anderer.[14]

Die Vampire wirken bisweilen wie auf Abruf bereite Aufziehpuppen und bemühen sich darum, einem „Ideal“ gerecht zu werden, um die Liebe der Begehrten (aufrecht) zu erhalten, oder diesem in einer sadomasochistischen Provokation zuwiderzuhandeln, was von der Geliebten mit Liebesentzug quittiert wird. Die Frau hat, indem sie die Liebe eines Vampirs erfährt (wenn auch nicht uneingeschränkte) Macht über das Böse. Die Beziehung muss sich in dem Spannungsfeld zwischen Ich und dem Anderen, Macht und Ohnmacht, zwischen dem eigenen Begehren und den Normen der Gesellschaft positionieren.

Bei aller Romantik lässt sich gegenwärtig feststellen: Das Prinzip Carmilla triumphiert über das Prinzip Dracula.

 

Anmerkungen

[1] Zur Beziehung zwischen Vampirin und Göttin vgl. Petra Flocke: Vampirinnen. „Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts“. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen: Konkursbuchverlag 1999. S. 16-21

[2] Am deutlichsten kommt der Phallus in den Zähnen/dem Beißen und in der Art und Weise der Fortpflanzung zum Ausdruck. Judith Butler formuliert den phallischen Zeugungsakt: „Anstelle einer Weiblichkeit, die einen Beitrag zur Reproduktion leistet, haben wir eine phallische Form, die immer nur weitere Versionen von sich selbst reproduziert – durch das Weibliche, aber ohne seine Hilfe.“ Ersetzt man nun „Weiblichkeit“ durch „Geschlecht“ oder „Mensch“, bezeichnet diese Beschreibung auch den Zeugungsakt durch eine/n VampirIn. In: Dies.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1997. S. 71

[3] Zu Bram Stokers „Dracula“ und der Gender-Frage siehe: Milly Williamson: Gender and the Dracula: What’s a Stake? London; New York: Wallflower Press 2005. S. 5-28. Zum Zusammenhang zwischen Frauenrechtsbewegung, Vampirin und Vamp vgl. Norbert Borrmann: Von Blutsaugerinnen, Vamps und Feministinnen, in: Ders., Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München: Diederichs 1999. S. 231-240.

[4] Bram Stoker: Dracula. London: Penguin 2012. S. 114. Im Folgenden als BSD zitiert.

[5] Julia Kristeva: Geschichten von der Liebe. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1989. S. 77

[6] Zu Lucys Verdammung und Minas Erlösung siehe auch Laurence A. Rickels: Vampirismus Vorlesung 4. In: Ders.: Vampirismus Vorlesungen. Berlin: Brinkmann & Bose 2007. S. 48-55

[7] Alle Beispiele beruhen auf Buchreihen: Stephenie Meyers Twilight-Reihe (4 Bde., 2005-2008), Charlaine Harris‘ Sookie Stackhouse-Reihe (13 Bde., 2001-2013), Lisa Jane Smiths Vampire Diaries-Reihe (13 Bde., 1991-2014). Ich beziehe mich in erster Linie auf die Adaptierungen für Film/TV.

[8] „Carmilla“ ist nach Dracula die am zweithäufigsten verfilmte Vampirerzählung. Sie beeinflusste zahlreiche AutorInnen, u.a. auch Bram Stoker, der deshalb seinen Roman ursprünglich auch in der Steiermark spielen lassen wollte. Ein Manuskript zeigt, wie er den Schauplatz „Styria“ mit „Transylvania“ überschrieb. Das GrazMuseum zeigt derzeit eine Ausstellung über Vampire, die sich aus den beiden literarischen Werken und ihrer steirischen Verbindung heraus entwickelt: „Carmilla, der Vampir und wir“, kuratiert von Annette Rainer, Christina Töpfer und Martina Zerovnik, 30.1.-31.10.2014. http://www.grazmuseum.at/programm/aktuelle-ausstellungen/carmilla-der-vampir-und-wir/

[9] Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München: dtv 1999. S. 52. Laura beschreibt ihre nächtliche Erfahrung: „My heart beat faster, my breathing rose and fell rapidly and full drawn; a sobbing, that rose into a sense of strangulation, supervened, and turned into a dreadful convulsion, in which my senses left me and I became unconscious.“ (SFC, S. 282)

[10] Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. S. 49

[11] Stephenie Meyer, New Moon, http://en.wikiquote.org/wiki/Stephenie_Meyer (6.3.2014)

[12] Julia Kristeva: Geschichten von der Liebe. S. 30

[13] Jessica Benjamin: The Bonds of Love, London: Virago 1990. zitiert nach: Anthea Taylor: „The urge towards love is an urge towards (un)death“: Romance, masochistic desire and postfeminism in the Twilight novels. International Journal of Cultural Studies 2012, 6. Oktober 2011, S. 33, http://ics.sagepub.com/content/15/1/31, (15.2.2014)

[14] vgl. Julia Kristeva: Geschichten von der Liebe. S. 9-25

 

Martina Zerovnik ist freie Kuratorin (Wien), u.a. der Grazer Ausstellung „Carmilla, der Vampir und wir“ (gemeinsam mit Annette Rainer und Christina Töpfer).