Sport nach dem Bild der Popkulturvon Thomas Hecken18.5.2014

Sportfotografie im Sinne von Pop

[leicht überarbeitete Version des Aufsatzes aus: „SportBilder. Fotografien der Bewegung“, hg. v. Jürgen Müller, Felicitas Rhan und Josefine Kroll in Zusammenarbeit mit Jens Bove, Leiter der Deutschen Fotothek, Dresden 2014, S. 28-35 (ein Band zur Ausstellung SportBilder in der Technischen Universität Dresden, Universitätssammlungen, Kunst und Technik, Altana Galerie, 12.5.-12.7.2014)]

In der täglichen Berichterstattung auf den überregionalen Sportseiten dominieren Bilder professioneller Athleten. Zwar sind es von Nation zu Nation oder von Kontinent zu Kontinent unterschiedliche Sportarten, die heutzutage Publizität erfahren – was dem einen der Fußball, ist dem anderen der Football –, als große Gemeinsamkeit bleibt aber: Außer Profis ist dort niemand zu sehen. Manchmal gibt es noch Fotos von Fans, die in begeisterter, trauriger oder aggressiver Pose gezeigt werden.

Von adeligen Amateuren oder Absolventen herrschaftlicher Universitäten, die sich in fairem, interesselosem Wettkampf messen, keine Spur mehr. Aber auch von Volksertüchtigung ist in den Netz- oder Zeitungsveröffentlichungen der Sportredaktionen fast nichts zu sehen, es sei denn, man zählt schon das Singen, Trinken und gelegentliche Raufen der Fangruppen dazu, die mit ihrem expressiven, aufdringlichen Gebaren unentgeltlich dankbare Fotomotive liefern.

Von der traditionellen Volkskultur scheint der Sport – und mit ihm die Sportfotografie – weit entfernt. Popkultur (oder wenn einem das Wort ‚Kultur‘ in diesem Zusammenhang missfällt: Pop) stünde dann geradezu im Gegensatz zur Volkskultur. Pop müsste man identifizieren mit professionell gemanagten Stars auf der einen und passiv zuschauenden, unsportlichen Massen auf der anderen Seite.

Doch ganz so (einfach) ist es nicht. Erstens sollte man Popkultur nicht synonym mit Massenkultur setzen. Wenn es nur um die Beschreibung ginge, dass kulturindustriell hergestellte Dinge und Events große, sogar schichtenübergreifende Publikumsmengen erreichten, bräuchte man den neueren Begriff ‚Pop‘ nicht, sondern könnte beim älteren Massendiskurs bleiben. Zweitens trifft der Aspekt der Kommerzialisierung zwar oft auf Pop-Phänomene zu. Da aber heutzutage sehr viele Kulturgegenstände in Warenform vertrieben werden, bringt die Identifizierung von Pop mit Kommerz nicht viel. Besser gesagt: Sie bringt zu viel, denn folgte man der Gleichsetzung, müsste man auch Kafka-Taschenbuchausgaben, Mahler-Einspielungen, Gemäldeauktionen etc. unter ‚Pop‘ fallen lassen. Das wäre kaum sinnvoll.

Eine Gleichsetzung von Pop- und Volkskultur verbietet sich schon aus den gerade genannten Gründen, auch wenn z.B. die Kommerzialisierung des Sports viel früher beginnt, als man gemeinhin annimmt (bereits im 18. Jahrhundert gab es in London und Umgebung für Boxen und Kricket einen beachtlichen Markt). Insgesamt stimmt aber, dass die Konstellation von zuschauendem, zahlendem Publikum und professionellen Sportlern in dieser Zeit wesentlich weniger häufig anzutreffen war als heute. Dass ganze Sippen oder Dörfer an (Rauf-)Spielen teilnehmen und dadurch ihre Gemeinschaft bekräftigen, kommt umgekehrt in der Gegenwart nur noch selten vor.

Das Bemühen, die kleineren, örtlich begrenzten, überschaubaren Gemeinschaften ins Nationale hinüberzuretten und gewaltsam zu steigern, konnte sich auf längere Sicht im liberalkapitalistischen Westen auch nicht durchsetzen. Leibesübungen als Ertüchtigung und einigendes Band der nationalen Demokratie, zur Überwindung ständischer Unterschiede, nicht aber zur Bestätigung eines kosmopolitischen Körpers – solche völkischen Anläufe, die ihren Charakter als „Kriegsübungen“ (Turnvater Jahn) gar nicht verleugnen wollen, gibt es nur noch in einigen Diktaturen.

In den westlichen Staaten hat sich die Bedeutung des Sports als Ausdrucksform und Motor des Nationalismus und Patriotismus in volksmäßig umfassender Form nur auf der Zuschauerseite erhalten. Bei ausgewählten Sportarten, in Europa in erster Linie dem Fußball, dienen Turniere zwischen Nationalmannschaften oder einzelnen Vertretern nationaler Verbände für die Zuschauer dem Zweck, im jeweiligen Team und ihren erfolgreichsten Mitgliedern die eigene Nation zu erkennen und zu feiern. Das Ziel der Übung wird heutzutage auch noch in hohem Maße erreicht, selbst wenn die Sportler in den langen Jahren zwischen solchen Wettbewerben als Individualkämpfer und Kleinunternehmer in allen möglichen internationalen Zusammenhängen ihr Geld verdienen.

Im letzten Punkt gleichen sie mittlerweile den Protagonisten der Popmusik und des Hollywoodfilms, des Pop-Lifestyles und Pop-Mode. Mit der eben beschriebenen Ausnahme der Welt- und Europameisterschaften sowie der Olympiaden, für die es in Musik, Kunst und Mode kein Äquivalent gibt, tritt die Kulturgemeinschaft im Pop-Zeitalter auch im Sportsektor in einzelne Aktive und verstreute Zuschauer- und Zuhörermengen auseinander.

U.a. wegen dieser Trennung liegt es spätestens seit der Pop-Art und der englischen Mod-Bewegung Anfang der 1960er Jahre nahe – und oft genug ist seitdem ja auch so verfahren worden –, Pop nicht kategorisch in der Volks- bzw. Populärkultur mit ihren Merkmalen wie Einfachheit, Ursprünglichkeit, Ungekünsteltheit, Gemeinsinn, Verwurzelung im Regionalen oder im Alltagsleben der kleinen Leute aufgehen zu lassen. Es wäre mehr als erstaunlich, wenn dies abseits gewisser Orte des Amateursports nicht auch für Fußball, Leichtathletik, Autorennen etc. gelten würde.

Die Pop-Bestimmung muss also mindestens um andere Gesichtspunkte erweitert werden. Besonders von Bedeutung sind die Gesichtspunkte Künstlichkeit, Äußerlichkeit, Oberflächlichkeit, Stilverbund, Konsumismus. Allgemein und ausführlich habe ich sie in meinem Aufsatz »Pop-Konzepte der Gegenwart« in der Zeitschrift »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 1, 2012, vorgestellt. Hier sollen sie in verknappter Form helfen, um für den Zusammenhang von Sport, Pop und Fotografie interessante und heute geltende Prinzipien und Details aufzuweisen.

Künstlichkeit. Im Gegensatz zur Populärkultur steht vor allem, dass Pop mit dem Natürlichen nichts anfangen kann, außer es zu elektrifizieren und zu bearbeiten. Plastik, Aufnahme- und Abspielgeräte, Schneideraum, Photoshop, Syntheziser- und Sampler-Software zählen zu den wichtigsten Instrumenten und Materialien des Pop. Die enge Verbindung von Künstlichkeit und technischen Neuerungen macht es möglich, dass der Popkonsum – selbst bei großem Bemühen um Distinktion – kein Luxuskonsum sein muss. Poster, Haarspray, synthetische Stoffe, bedruckte T-Shirts, Illustrierte, billige Fernseher und Laptops, Flatrates reichen aus, um für Glamour und modische Abwechslung zu sorgen.

Mit Blick auf die sportliche Aktivität scheint es zuerst, dass Pop hier nicht greifen könne. Der menschliche Körper, somit unsere eigene menschliche Natur, über die wir uns trotz aller Aufschwünge des Geistes nie ganz erheben können, steht im Mittelpunkt des Sports. Nach Jahrzehnten peinlichen Schweigens weiß nun aber gegenwärtig jeder, in welch hohem, flächendeckendem Maße die Profisportler (und in manchen Disziplinen sogar die Amateure) mit künstlichen Substanzen arbeiten. Die chemischen Labore der Dopinghersteller sind den Kontrollen zuverlässig um einen oder mehrere Schritte voraus, deshalb besitzen aktuelle Statistiken über die geringe Zahl überführter Doper keine Bedeutung. Die tatsächlich viel höhere Anzahl weist auch den Sportbereich als Reich des Künstlichen aus. Im Gegensatz zu Musik und Mode reichen wegen der stark vergrößerten Anstrengungen der Dopingkontrollen billige Mittel aber zumeist nicht mehr aus. Der Profisportler ist heute bei Dopingmitteln auf teure Konsumtion verwiesen.

Der Fotografie bleibt dies notwendigerweise verborgen, da sie nicht ins Innere des Körpers eindringt. Sie kann allenfalls missglücktes Doping an körperlichen Deformationen oder anderen äußerlichen Zeichen dokumentieren oder in Reportagen Sportler beim Doping zeigen. Dennoch war die Fotografie von Beginn an der Künstlichkeit des Sports auf der Spur oder trug sogar zu ihrer Forcierung bei. Es gibt schon früh nicht wenige Fotografien, die den Körper des Sportlers zerlegen, sich auf Einzelteile konzentrieren. Durch Komposition, Fokus und Ausschnitt, die alle ein Gegengewicht zur diffuseren, holistischeren optischen Wahrnehmung des menschlichen Betrachters bilden, hat die Fotografie ihren Beitrag zur Modellierung bestimmter Funktionen und Körperteile geleistet. Der ganze, natürliche Mensch dankt ab zugunsten von Muskelpartien, Rümpfen, Sehnensträngen, optimierten Torsi.

Im Rahmen des Künstlichen kann er mitunter wieder als vollständiger Leib auferstehen, wenn im Studio die gelungene Anpassung des Sportlers an die Umwelt simuliert und geprobt wird. Das Studio ist dann nicht das des Fotografen, sondern das der Sporthochschule, eines Leistungszentrums oder einer naturwissenschaftlich-technischen Einrichtung. Der Fotograf kann hier ins Bild setzen, dass es nicht auf die Lebendigkeit des Sportlers ankommt, sondern auf sein Vermögen, Teil einer Maschine oder der Anforderungen der Wettkampfstätte zu werden.

Äußerlichkeit. Pop hält sich an das sinnlich Gegebene. In den Augen erkennen Pop-Anhänger einen schönen Glanz, nicht die Seele.

Man könnte meinen, die Fotografie sei die selbstverständliche Verbündete dieses Pop-Ansatzes. Legionen an Kommentaren von Künstlern, Feuilletonisten, Rezipienten aller Art haben einen jedoch eines Besseren belehrt. Der vorzügliche Fotograf fange in seinen Porträts das Wesen des Porträtierten ein, nicht bloß sein Aussehen, er bringe auf geheimnisvolle Weise eine Tiefe hinter der Oberfläche zum Vorschein, heißt es bei ihnen unermüdlich. Die Aufdeckung dieses Geheimnisses wollen diese Kunstbetrachter nicht durch eine Inspektion ihrer eigenen psychologischen Zuschreibungen bewerkstelligen. Im Gegenteil, sie wehren jede Aufklärung ab und übersetzen sich das ‚Geheimnis‘ mit der unfassbaren Größe und Begabung des Fotografen.

Die Sportfotografie steht dem nicht nur bei ihrer gelegentlichen Dekomponierung des Athleten in seine Körperteile entgegen. Ihre gewohnheitsmäßige Ablichtung von Bewegungen und Handlungen rückt den Körper in den Blick, privilegiert nicht das Gesicht, in dem ohnehin die Spuren der Anstrengung beim Training oder im Wettbewerb zu Disproportionen führen, zu geschlossenen oder aufgerissenen Augen, verzerrten Mündern usf. Um im Modus des Porträts die Behauptung offenbarter Innerlichkeit und Tiefe auch beim Sportler zurückzugewinnen, muss er stillgestellt werden. Er muss eine Pose einnehmen, die einen Moment aus einer Bewegungsabfolge herausgreift, ohne dass die Bewegung durchgeführt würde.

Die andere Möglichkeit besteht darin, den Sportler nicht im Wettkampf oder beim Training zu fotografieren, sondern ihn aufs Bild zu bannen, ohne dass er Bewegungen ausführt oder andeutet. Zum Privatmann wird der Sportler dabei jedoch nur selten. Zu den Konventionen der Sportfotografie gehört es, ihn im Trikot zu zeigen. So ist er ganz auf seine Rolle festgelegt, das erschwert den Aufstieg zur Persönlichkeit, wenn auch nicht notwendigerweise den zum Star.

Oberflächlichkeit. Pop wendet sich gegen moderne, nüchterne Prinzipien. Die Überzeugung, dass die Form dem praktischen Zweck des Gegenstands dienen müsse, wird nicht geteilt. Eine auffällige Oberfläche, die in keinem Zusammenhang zum Nutzen von technischen Geräten, Häusern, Möbeln steht, markiert das Pop-Design. Die dekorative Verpackung von Gütern weitet das Oberflächen-Prinzip über solche Objekte entscheidend aus; die Ablösung des braunen Umschlags durch das Schallplattencover ist ein bedeutsames Beispiel dafür. Dennoch ist Pop der modernen, asketischen Auffassung ‚weniger ist mehr‘ nicht vollkommen untreu. Die Oberflächen des Pop sind vorzugsweise geschlossen, selten verläuft oder vermischt sich etwas. In der Pop-Werbung wie in der Pop-Art sind die Farben nicht nur bunt, sondern vor allem unmoduliert und weisen harte Grenzen zueinander auf.

Zumindest Letzteres hat die Sportlertrikots lange ausgezeichnet. Dem Funktionalismus stark entsagen kann die Sportmode im Profibereich selbstverständlich nicht, die notwendigen Bewegungsabläufe muss sie fördern, wenigstens darf sie sie nicht behindern. Um dennoch weitgehend poppig zu wirken, bedurfte es der Durchsetzung des Kommerzialismus. Der erfolgreiche Sportler als Werbeträger – ihn kennzeichnet im buchstäblichen Sinne der Aufdruck, das Signet, das Logo der Firma, die über ihn an seine Fans als Käufer herankommen möchte. Die Sportfotografie hat sich dem lange entziehen wollen, um nicht wider künstlerische Absichten und auch noch unentgeltlich zum Marketing beizutragen.

Über den Umweg der Modefotografie ist das Pop-Prinzip jedoch in die Bildkünste eingewandert. Nicht nur die Sportler, auch ihre Fans sind mittlerweile von auffälligen Farben und Schriftzügen überdeckt. Bis weit in die 1960er Jahre hinein waren die Zuschauer in den Stadien kaum als Anhänger eines bestimmten Vereins kenntlich. Sie machten auch durch ihren Dress klar, dass sie selber keine Sportler sind, sondern die Spieler bloß anschauen wollten.

Diese Trennung ist besonders bei Mannschaftssportarten, etwa beim Fußball und Basketball, heute weitgehend beseitigt. Die Fans sehen aus wie die Spieler, sie präsentieren dieselben Trikots, in denen unten auf dem Spielfeld auch die eigentlichen Akteure herumlaufen, dazu tragen sie diverse andere Insignien ihres Vereins. Dieser geballten Macht und Präsenz der leicht lesbaren Formen, Farben und Zeichen kann sich der Sportfotograf, selbst wenn er es aus Abneigung gegen Marketing und Kommerzialismus wollte, nur schwerlich entziehen.

Stilverbund. Ein Pop-Gegenstand kommt niemals allein. Nicht nur gehören zum Pop-Objekt der Aufdruck und die Verpackung bindend dazu, ein spezieller Gegenstand steht auch in einer Reihe mit Dingen aus anderen Bereichen. Der Musikstil ist mit einer Frisur, einer Hose, einem Auto, einer Attitüde verbunden, und das nicht auf spielerische, gar beliebige Art und Weise, sondern unter der Annahme seiner Verfechter, eines passe zum anderen, ja sei mit ihm notwendig verbunden.

Der Sport ist diesem Prinzip lange Zeit nur auf populäre Weise verpflichtet gewesen. Namen, Farben, Wappen der Vereine verdankten sich mitunter der Annahme, diese gingen bindend aus der Tradition des Landstrichs, der Städte oder Stadtteile hervor, in denen sie gegründet wurden. Modische Abwechslung ist dann nicht gefragt. Zur Pop-Mode gehört aber nicht allein die Abwechslung, sondern, wie eben gesagt, der Glaube, das momentan Durchgesetzte passe über und durch verschiedene Gattungen zusammen. Dies konnte für den Sportbereich erst Gültigkeit bekommen, als seine Zeichen aus ihm den Weg herausfanden.

Der entscheidende Moment dafür ist leicht anzugeben. Es ist der Augenblick, in dem die Sportkleidung außerhalb der Stadien und nicht nur von Fans getragen wird. Die Verbreitung der Sportkleidung über Mannschaft und Betreuer hinaus reicht also nicht aus. Erst die noch jüngere Adaption der Sportoutfits durch Musiker, Modeleute, subkulturelle Kräfte gibt hier den Ausschlag. Das beste Beispiel dafür ist die Prominenz von Sportschuhen und bestimmten Sportbekleidungsmarken im frühen Hip-Hop. Auch hier hat die Sportfotografie in Werbung und Illustrierten anfänglich bloß Hilfestellung geleistet, diese Verknüpfung nicht eigens inszeniert. Ein Problem insgesamt war das nicht, mehr als genügend Fotografen, die für Musikzeitschriften, Trendblätter, kleine Plattenfirmen und Galerien arbeiteten, standen zum Ausgleich bereit.

Konsumismus. Pop tritt dafür ein, dass nicht nur dem tätigen Leben ein hoher Rang zukommt. Sich berieseln, erregen, unterhalten lassen steht ebenso hoch im Kurs. Konsumieren, also verzehren, ist zudem ein Pop-Kennzeichen, weil es den Gegensatz dazu bildet, sich verzehren zu lassen. Bewusstseinsverlust, Aus-Sich-Selbst-Heraustreten, Rausch zählen allenfalls vorübergehend einmal zur Pop-Welt – als Samstagnachtphänomen. Die Grundhaltung von Pop ist anti-ekstatisch.

Diesem Prinzip arbeitet die Fotografie grundsätzlich zu. Mag sie im Sportbereich noch so sehr darauf aus sein, den entscheidenden Augenblick des Erfolgs sowie den Moment größten Glücks bei der spontanen Feier des Erfolgs festzuhalten, tut sie dies natürlich auf mehrfach distanzierte und distanzierende Art. Der Fotograf selber muss kühl bleiben, auf den Gebrauch seiner Apparatur fixiert. Noch wichtiger: der Betrachter, für den die Aufnahmen angefertigt werden, sieht sie mehr oder minder unbeteiligt an, zumindest in einigem Abstand zum Siegestreffer, Finallauf, zur Jubelfeier, Ehrenrunde.

Das gilt jedoch für alle Ereignisse und viele Repräsentationen, unabhängig von Sport, Pop, Fotografie, ist darum nicht besonders der Rede wert. Ein Spezifikum in dieser Konstellation kann man allerdings verzeichnen. Gemeint ist das Sammelbildchen. Die Brustbilder der Sportler dementieren bereits durch ihr kleines Format jede Aura. Expressiv oder sinnfällig stilisiert sind sie nicht, auf Tiefe zielen sie nicht einmal im Ansatz. Sie stehen an einem der Kunstfotografie am stärksten entgegengesetzten Punkte (da die Gegensätze sich bekanntlich berühren, kann die strenge, serielle Fotografie freilich von ihr wieder profitieren).

Aber auch diejenigen, die Sammelbilder kaufen, um sie in Alben zu sammeln und auf dem Weg zur Vollständigkeit mit anderen zu tauschen, befinden sich an einem Pol, der fernab der üblichen Fanpraxis liegt, die auf Nähe, Körperkontakt, Momente ausgelassener Freude, geselliges Zusammensein, alkoholischen Taumel, laute Bekundungen, Anwesenheit im Stadion, Wirkungshoffnungen (Anfeuern, Auspfeifen) ausgerichtet ist, nicht auf mediatisierte Formen und Praktiken.

Oft im Pop-Bereich sind die ekstatischen Momente so beschaffen, dass der Körper und der gemeinschaftliche Ort für sie eine große Bedeutung besitzen: Live-Konzert, Tanzen und Drogennehmen in der Diskothek, auf Partys. Kein Wunder, dass in Pop-Magazinen und auf Pop-Covern gerne Extremsportarten präsentiert werden und die Verbundenheit, die in diesen Szenen angeblich vorherrscht.

Trotzdem sorgen die ekstatischen Augenblicke im Pop-Bereich nicht für einen entscheidenden Bruch mit der übrigen Zeit. Wichtiger noch für den Pop-Bereich ist die müßig, gleichmäßig verbrachte Zeit im Kinder- und Wohnzimmer oder am mobilen Netzgerät, ist das Hören, Videoschauen zu Hause oder unterwegs, das Dekorieren, Anprobieren in den eigenen vier Wänden. Abstrakter gesagt: Der Alltag wird durch Pop nicht aufgesprengt, sondern von ihm überformt. Die Aktivitäten, die ihn prägen, sind meist keine originellen, kreativen Handlungen, sondern sekundäre Praktiken, die an den Leistungen anderer ansetzen und sich mit dem beschäftigen, was anderswo stattgefunden hat.

Für diesen Reiz des Nicht-Präsenten steht die Fotografie allgemein  – und die Sportfotografie beweist mit ihrem großen Maß an Publizität, in welch hohem Maße es interessant sein kann, das tätige und siegreiche Leben nicht selbst anzustrengen, sondern es bloß zu betrachten. Besonders die Praxis der Sportbildchen-Sammelei zeigt, dass es auch ganz ohne körperliche Anstrengung, individuell zelebrierte Erfolge und gemeinschaftliche Erlebnisse geht.