Die Erziehung von Pharrell Williams
New Yorker Galerien setzen auf Ausstellungsräume in Übergröße. Als Jay-Z in der Galerie Pace sechs Stunden lang seinen Song »Picasso Baby« vor geladenen VIPs performte, sah der White Cube später im Musikvideo nach Museum aus. In Paris (wie Berlin) demonstrieren sie Bigness über Zweigstellen. Die Galerie Emmanuel Perrotin, feste Größe im Pariser Kunstestablishment, hat sich kürzlich vergrößert und in derselben Straße, der Rue de Turenne im Marais, einen neuen Ort aufgemacht. Dabei handelt es sich um alles andere als geschichtslose Räume, nämlich den Salle de Bal, den ehemaligen Ballsaal des Hôtel du Grand Veneur aus der Zeit des Ancien Régime.
Umso lustiger ist es, dass in diesem Sommer der King of Hip-Hop, Pharrell Williams, dort die Gruppenausstellung »GIRL« kuratierte – »GIRL«, wie sein neues Album, das er als »open letter to women« konzipiert hat.
Am Eröffnungsabend gab Pharrell im Innenhof dieser Immobilie (Quadratmeterpreis 13.000 Euro) ein Konzert vor den wohlhabenden Gästen. Angepasst an Ort und Leute, zitierte er selbst den guten Hip- Hop-Ton und rief in die Menge: Wer hat die beste Galerie in Paris? Das Publikum parierte: Per-ro-tin! Wer macht das beste Programm in Paris? Wieder: Per-ro-tin. Zwei Imperien trafen zusammen, das Galerie-Imperium von Perrotin und das Musikindustrie-Empire von Pharrell.
Allein hat Pharrell die Ausstellung nicht zusammengestellt. Ashok Adicéam, senior adviser der Galerie, muss, die Vermutung liegt nahe, den weit größeren Teil ins Spiel gebracht haben. Werke von insgesamt 45 Künstlern und Künstlerinnen zum Stichwort ›girl‹ zählt die Ausstellung, ungefähr die Hälfte der Künstler gehören zum festen Galerieprogramm. Zu diesen gehören lauter Bekannte wie Sophie Calle, Gelitin, Gregor Hildebrandt, KAWS, Mr., Takashi Murakami, Laurent Grasso, JR, Cindy Sherman, Taryn Simon, Jean-Michel Othoniel, Aya Takano, Xavier Veilhan. Pharrell weiß das auf charmante Art in Understatement zu verpacken. Anstatt ›kuratiert von Pharrell Williams‹, sollte es heißen »the education of Pharell Williams«, denn er lerne ja nur.
Die Auswahl ist sehr eklektisch und reicht von der feministischen Künstlerinnengruppe Guerrilla Girls über die Konzeptkünstlerinnen Sophie Calle und Taryn Simon bis zu umstrittenen Sexisten wie dem Modefotografen Terry Richardson, der unlängst von einer Reihe Models verklagt wurde, nachdem sich eine an die Öffentlichkeit getraut hatte. Zusammenhänge werden nicht ausformuliert. Zero Diskurs.
Teils hangelt sich die Auswahl entlang seines Albums. Dem Song »Marilyn Monroe« werden Andy Warhols Marilyn und Gregor Hildebrandts Marilyn-Antwort an die Seite gestellt und Laurent Grassos »Studies into the past (Single Cover of ›Lost Queen‹)«, das er eigens für die Ausstellung gemalt hat, zeigt Pharrell als Napoleon zu Pferde vor einer enormen Statue der ägyptischen Königin. Auf der Homepage der Galerie wird Pharrell als Künstler geführt – dabei ist sein Stuhl (Perspective Chair) wenig mehr als ein Designobjekt – die Stuhlbeine imitieren ein Paar Frauen- und Männerbeine.
Ob es sich um eine gegenderte Version von diesem sexistischen Allen-Jones-Pop-Art-Stuhl handeln soll, wo ein Frauen-Pin-up ein gepolstertes Lederkissen balanciert? Eine Version mit einem afroamerikanischen Model vom notorischen Bjarne Melgaard ging im Januar durch die Presse, weil die russische Kunstsammlerin, Freundin von Abramović und Betreiberin der Moskauer Galerie Garage, Dasha Zhukova, sich auf genau diesem Stuhl hatte porträtieren lassen.
Mit Murakami hat Pharrell bereits kollaboriert. Die quietschbunte übergroße Muschelplastik »The simple things«, in der mit Diamanten beklebte Alltagsobjekte wie eine Babylotion, ein Turnschuh in Schuhgröße 20, ein Cupcake und eine Dose Pepsi ausgestellt wurden, war bei der Art Basel 2009 zu sehen. In Pharrells Privatsammlung tummeln sich Kugelskulpturen aus Stofftier von Murakami, genauso wie KAWS »Untitled (Kawsbob and Sandy)«, mit dem er in seiner YouTube-Talkshow »Artst Tlk« Konversation führte. Und man kann sich gut vorstellen, dass ein paar der anderen Kunstwerke nach Ausstellungsende zu ihm nach Miami fliegen.
Warum lässt sich keine Aussage mehr formulieren? Obwohl Pharrell an alles gedacht hat: Starkult, Teenage Fandom, Begehren, Fashion, Pop, Beauty-Kritik, kunsthistorische Fußnoten, wie sie die Arbeiten von Marina Abramović, Yoko Ono und Warhol darstellen. Abramović, die seit Monaten bei keinem Mega-Pop-Act in New York City zu fehlen scheint – denn Lady Gaga hat sie quasi zu ihrer Lieblingspatin erklärt und Jay-Z führte mit ihr ein Tête-à-tête in besagtem Video auf. Es ist ein Geben und Nehmen. Lady Gaga singt in »Applause«, »Pop culture was in art, now art is in pop culture, art and me.« Doch Bigness und genericism entleeren die Zeichen, Gesten verlieren an Bedeutung oder heben sich gegenseitig auf. Das gleiche Prinzip wendet Pharrell als Musiker an. Ikonen müssen es sein, kleiner geht es nicht.
Auf seinem neuen Album »GIRL« besingt Pharrell Marilyn Monroe. Ist die Kunst-Pop-Verschmelzung in eine Sackgasse geraten, hat sie in der Preisklasse nichts mehr zu sagen? Für Pharrell ist die Sache ziemlich einfach. »Just like my album [G I R L], what I tried to do is offer many different facets of my appreciation for women… I love women everywhere. I make no apologies for the wide spectrum of affinity for women.« Im Pressetext zur Ausstellung heißt es, »celebrate women who are above all free, liberated by artists and their boundless, unfettered imagination«. Da spricht doch ein ziemlich altmodisches Bild von Frauen. Feiern wollten sie im vergangenen Jahrhundert schon ziemlich viele.
Doch ganz so eindeutig ist es auch wieder nicht. In dem Musikvideo »Dear Girl« sind zwar eingangs Ballerinas zu sehen, doch dann hat auch eine Riot-Grrrl-Gang einen tollen Auftritt. Die comichafte Cyberpunk-Gang-Anführerin mit lila Haaren spricht: »In honor of the groove, to all who surrender to it. We say thank you. And we take it back.« Dass Pharrell ein wenig retro tickt und seine Referenzen großteils aus vergangenen Zeiten fischt, das hat schon das Astronautenmotiv verraten, das er sich als Logo für sein Fashion-Label Billionaire Boys Club ausgesucht hat. Sich selbst hat Pharrell mal als »kidult« bezeichnet, als jemanden, »who has an ageless mentality; aiming to learn every moment of the day«.
Wie lässt sich also dieser Repräsentationshumor kritisieren? In der bereits erwähnten YouTube-Talkshow schenkt zwischendurch ein nacktes Model den Gästen Wasser nach. Im Video ist die Frau an bestimmten Stellen verpixelt. Doch der Auftritt wirkt entsexualisiert. Für wen ist die Nacktheit dann Provokation? Sexismus lässt sich daran schwer diskutieren. Es passiert so beiläufig und ungesehen. Williams schaut sie gar nicht an, seine Gäste sind fast unangenehm berührt, betreten. Ein frühes Video in seiner Karriere, »Lapdance«, ein Song der Neptunes, spielte noch eindeutig im Puff-Milieu. Frauen kann man kaufen. An »Artst Tlk« hingegen prallt die Kritik ab, denn für die Objektwerdung der Frau im männlichen Blick fehlt dieser Blick.
Vielleicht ist Pharrell auch ein bisschen ein Girl? Oder kokettiert mit seinem androgynen Stil?
Auf seiner neuen Platte singt er »Dear Diary, itʼs happening again«, ein Satz, der typischerweise Mädchen in den Mund gelegt würde. Girls schreiben aufgeregt in ihre Tagebücher. Minimales Genderbending – so wie es der Mainstream eben verträgt – betrieb er auch an seinem 41sten Geburtstag, als er im Billionaire$-Girls-Club-Sweater – den auch seine Kolleginnen Rihanna und Miley Cyrus schon öffentlich getragen haben – in einer Fernsehshow auftrat. Um die Selbstironie weiter auf die Spitze zu treiben, damit sie wirklich alle mitbekommen, trägt er seit den Grammy-Awards einen übergroßen Hut von Vivienne Westwood. Jedenfalls weiß Pharrell sein Image immer wieder zu twisten und tritt nicht als der Testosteron-getriebene Super-Rapper auf.
Zurück zur Ausstellung. Spaß macht sie in ihrer Stumpfsinnigkeit trotzdem, diese old-school-hafte Begeisterung für Frauen, vielleicht fühlt sich Pharrell half girl, er ist jedenfalls als einziger boy (neben Ulay in dem Ulay-Abramović-Performancefilm) mehrfach in den künstlerischen Arbeiten zu sehen. Cameo in der Ausstellung? Das hat es bislang in dieser Unübersehbarkeit vermutlich unter Kuratoren nicht gegeben. Rob Pruitt hat ein banales weißes Ikea-Sofa im Fan-Modus mit knallbunten Pharrell-Kritzeleien überzogen. Ein Teenager hätte »Studio Loveseat« nicht schöner gestalten können. Daniel Arsham hat einen Abdruck von Pharrell genommen und ihn in Lebensgröße reproduziert, allerdings nicht als Wachsfigur, sondern aus glitzernden Glasscherben verklebt mit Harz – so erst verdient die glitzernde Skulptur ihren Titel »Future Pharrell«.
Was allerdings diese Hommage merkwürdig macht, ist, dass sie in der Ausstellung von zwei Mistresses gesäumt wird, zwei deutlich kleineren, in bunt traditionellen Gewändern gekleideten Geisha-ähnlichen Musikerinnenpuppen der japanischen Künstlerin Chiho Aoshima (»Kokemono (L and R)«) die links und rechts von der Popstar-Figur aufgestellt wurden, so als würden sie einen wertvollen Schrein bewachen. Mr. malte ein Bild von Pharrell, in dem ebenfalls das Wort »Girls« vorkommen. Diese Fan-Ehrerbietung unterbricht also immer mal wieder die thematische Klammer der Gruppenausstellung.
Vor allem ist »GIRLS« eines: Eine Ausstellung, in der die Kunstwerke mehr darüber aussagen, wie Kuratoren und Galeristen voneinander profitieren, als dass es um die Kunst an sich und ihre Aussagen ginge. Hier geht es um eine Win-Win-Situation der beiden Hauptakteure: Pharrell und Perrotin. Der eine gewinnt durch den weltberühmten Musiker und Produzenten neue Kundschaft, die vielleicht bis dahin keine Kunst gesammelt hat, der andere gewinnt kulturelles Kapital, denn im Vorfeld entstanden neue Arbeiten, die ihn ›verewigen‹, wie es so schön heißt- Zudem wertet er seine Privatsammlung auf, in der sich Arbeiten von Takashi Murakami und KAWS befinden. Vermutlich wird sein Honorar in Kunst ausgezahlt.
Beide Partner, die Galerie und der Weltstar, können also auf ihr Aufmerksamkeits- und ihr Geldkonto einen großen Betrag verbuchen. Exklusivität gegen Reichweite. Shine, value und attention sind daher – wenig verwunderlich, denn allen zeigen, was man hat, gehört zur Hip Hop Culture – die Vokabeln, die Pharrell in Interviews am Häufigsten gebraucht.
Besonders deutlich machte er es anhand der aufgeblasenen Plastikschatulle, die er zusammen mit Murakami ausgeheckt hat. Die alltäglichen Dinge seien mit Diamanten übersät, »to help illustrate the metaphor of value and what it means to us personally«. Die Aufwertung des Banalen, ein geläufiger Move in der Kunst, unter anderen von Ai Weiwei immer wieder angewandt. Doch mit den Diamanten treiben sie das Spiel mit Statussymbolen zum Exzess. Pharrell brachte es auf den Punkt, »there is no significance beyond the shine and the value«.
Vera Tollmann ist Kulturwissenschaftlerin und lebt als freie Autorin in Berlin.