Hauptstrom I Rezension zu Frédéric Martel, »Mainstream«von Thomas Hecken20.7.2014

Das breite Publikum

In den letzten Jahren sind nach längerer Zeit wieder einige Bücher mit dem Wort ‚Mainstream‘ im Titel erschienen. Zwei davon möchte ich vorstellen, in dieser Rezension geht es um den Titel, der selber auf ein größeres Publikum abzielt und es tatsächlich auch dank der Arbeit größerer Verlagsgruppen (u.a. Random House) geschafft hat, in mehrere Sprachen übersetzt und in großen Nachrichtenmagazinen positiv besprochen zu werden.

Die Schreib- und Vorgehensweise Martels soll auch ihren Teil zur Publizität beitragen. Er trägt schon mal dick auf – das Buch sei „eine Untersuchung über den Weltkrieg der Kulturen“ (S. 14) – und bemüht sich stets um Anschaulichkeit. Deshalb zitiert er so gut wie nie aus Schriften, sondern gewinnt alle Statements aus Interviews, die er selbst geführt hat. Das gibt ihm die Gelegenheit, auch kurz etwas über den Gesprächspartner und den Ort, an dem das Gespräch geführt wurde, zu sagen.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Gespräche werden im Reportagestil mitgeteilt („…in dem riesigen Konferenzraum … kurz darauf erscheint sie … ergreift ausführlich das Wort … sie spricht voller Selbstsicherheit …“). Ein Reportagebuch wird es dennoch nicht, die Technik dient allein dazu, die Textsorte ‚Interview‘ zu vermeiden; besonders anschaulich möchte Martel nicht werden, ihm kommt es mehr auf die Angabe von Zahlen und ein paar Informationen an – und auf die Darlegung seiner ebenfalls ausführlich zwischen die Interviewpassagen gestreuten Einschätzungen und Meinungen.

Durch die Reihung dieser über hundert Gespräche mit Führungskräften der „Kreativindustrie“ von Jack Valenti (bis 2004 Hollywood-Lobbyist) über Tina Brown (frühere Chefredakteurin des „New Yorker“) bis Mazen Hayek (Konzernsprecher von MBC, die u.a. den Sender Al Arabiya betreiben) und Li Chow (Chefin von Sony in China) nutzt sich das unterhaltende Prinzip freilich merkbar ab.

Was versteht Martel unter ‚Mainstream‘? Nichts Besonderes: „ein Medium, […] das auf breites Publikum abzielt“, „eine politische Idee, Bewegung oder Partei (die vorherrschende Strömung), die jeden ansprechen soll.“ (S. 19) Auf den zweiten Blick fällt an dieser banalen Bestimmung allerdings auf, dass sie im Modus des Potenziellen bleibt, von den Urhebern und ihren Zielen her gedacht ist. Martel sagt hier nicht: Mainstream, das ist das, was jeden anspricht, das, was das breite Publikum erreicht.

Das ist wahrscheinlich bloß eine Schludrigkeit Martels (den Widerspruch zwischen „jedem“ und „breitem Publikum“ bemerkt er ja auch nicht), zeigt aber immerhin unmissverständlich an, dass er sich Mainstream nur als etwas von Unternehmen (und besonders von ihren Führern und kreativen Köpfen) Hergestelltes vorstellen kann.

In der Summe ist Mainstream für ihn das, was sich an Büchern, Streams, Filmen, Videos, Fernsehsendungen am häufigsten verkauft bzw. was die höchsten Einschaltquoten erzielt hat. Manchmal fällt ihm selbst en passant auf, dass bei dieser Vorgehensweise zum Mainstream von ihm z.B. Filme für Jugendliche und dann wieder solche für die ‚ganze Familie‘ geschlagen werden. Daraus folgt aber für ihn: nichts. Auf die Frage, ob und wie zum Mainstream nicht wohl auch Schulen, Universitäten, Kirchen, Richter, Exekutivorgane, soziale Bewegungen beitragen, kommt er ohnehin nicht.

Ganz am Ende merkt er an, man solle nicht nur auf Verkaufszahlen schauen, um „Einfluss zu messen“, sondern auch auf die „Verbreitung von Formaten und narrativen Codes, die Wirkung auf Werte und Vorstellungen.“ (S. 475) Genau das tut er aber nicht.

Darum bleiben vom Buch bloß einige interessante Zahlenangaben und Zitate übrig. Zwei Beispiele: eine Statistik: „am riskantesten sind Filme, die womöglich nur jungen Mädchen unter 25 gefallen, denn alle Studien bestätigen, dass die Mädchen zwar mit den Jungen in die Actionfilme gehen, die Jungen die Mädchen dagegen nie in ‚Mädchenfilme‘ begleiten“ (S. 101). Ein Zitat: „Europa interessiert sich nicht ausreichend für die Popkultur, fürs Entertainment, die Kreativindustrien, für den Markt und die ethnische Vielfalt, deshalb erlebt es eine große kulturelle Stagnation“ (Steven Erlanger, Pulitzer-Preisträger, „New York Times“; S. 201).

 

Bibliografischer Nachweis:
Frédéric Martel
Mainstream. Wie funktioniert, was allen gefällt
München 2011
Knaus Verlag
ISBN: 978-3-8135-0418-7
511 Seiten