Generation (I)von Thomas Hecken28.12.2014

Wir, man und ich

Als mich 2013 jemand auf die ›Generation Y‹ ansprach, hielt ich es für einen Scherz. Aber nein, der Mann wollte ein ernsthaftes Gespräch darüber beginnen, und tatsächlich, ein Blick ins Smartphone zeigte, den Begriff gab es wirklich – nicht nur als spontane, im Kneipengespräch beiläufig eingestreute Parodie auf den älteren »Generation X«-Titel, sondern als neue Zeitgeist-Avance, die »FAZ« und andere Lifestyle-Blätter hatten bereits darüber berichtet.

2014 war dann kein Halten mehr, unterschiedliche Versuche von »Y« bis »Generation Merkel« machten die Runde. Auch waren in den Jahren zuvor einige kulturwissenschaftliche Studien zum Generationen-Konzept erschienen (die freilich in den journalistischen Feuilletons und Nachrichtenmagazingeschichten wie üblich keine Berücksichtigung fanden, dort dominierte das lexikalische Stichwort von Karl Mannheim, dazu der ein oder andere Sozialpsychologe).

All dieser Aufwand wahrscheinlich in einer Hinsicht weitgehend vergeblich: Die angesprochene Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen dürfte ihre Rubrizierung wenig kümmern. Aber dafür gibt es ja uns Ältere, die als Vermittler abstrakter Gedankengänge ihre konkrete Macht einsetzen können. So gab ich denn in einem Universitätsseminar die Aufgabe vor: Schreiben Sie einen journalistischen Artikel zu Ihrer Generationen-Bestimmung (Bedingung für die erfolgreiche Absolvierung des Bachelorstudiengangs »Literatur, Kultur, Medien«; Lohn: ein kleiner Teilnahmeschein bzw. drei »credit points«).

Einige Ergebnisse, die in Zusammenarbeit mit der studentischen Zeitschrift »mediaZINE« veröffentlicht werden (erste Artikel von Isabell Stoisser, ›Social Networking‹, und Robin Bruch, ›Digitale Identität‹, stehen bereits online auf der »mediaZINE«-Website), werde ich hier in lockerer Folge kommentieren; dazu auf die kulturwissenschaftliche Theoriebildung eingehen und einige historische wie aktuelle Generationen-Typologien ansprechen.

Im ersten Teil dieser kleinen Serie möchte ich aber die letzten Tage von 2014 nutzen, um über ›meine Generation‹ (erstmal zumindest über meinen Geburtsjahrgang) zu reden. Es ist nämlich auch ein Buch über die Babyboomer erschienen, und in den geburtenstärksten bundesdeutschen Jahrgang – 1964 – fällt mein Geburtstag. Zum 50-jährigen Jubiläum ließ es sich natürlich keine der Redaktionen/Marketingabteilungen der ›Qualitätspresse‹ nehmen, zur runden Zahl publizistische Angebote zu offerieren.

Noch authentischer: Als ich den Begriff ›1964‹ gepaart mit ›Babyboomer‹ in eine Suchmaschine eingab, befand sich unter den ersten Treffern der Link zu einer Artikelserie der »Zeit«, u.a. von ihrem Redakteur Jörg Lau – niemand anderem als meinem besten Freund während unserer gemeinsamen Uni-Tage von Ende 1983 bis Anfang der 1990er Jahre (Belege dafür gibt es auch, gemeinsam verfasste Artikel für »Spex« und »Der Alltag« ruhen im Zeitschriftenarchiv). Zwar habe ich seit gut 20 Jahren keinen Kontakt mehr zu dem heutigen seriösen Journalisten (zuständig für die Auslandsberichterstattung der »Zeit«), aber es geht in seinem Feuilleton ja auch um anderes, um »Eine Jugend im Modell Deutschland«, nicht um die Erwachsenen- und Berufszeit.

Dass ich kompetent bin, den Beitrag zu beurteilen, sagt schon der erste Absatz: »wir Vierundsechziger«. Da sich Jörg Laus »Jugend« im Artikel aber noch auf das Studium erstreckt, kann ich sogar zum ersten Mal in meinem Leben einen Beitrag in einer großen Zeitung persönlich einschätzen, nicht nur als ›wir‹, sondern als ›ich‹.

Denn um »ich« geht es auch im »Zeit«-Aufsatz. Erzählt wird vom Studium in Bochum. Jörg Lau berichtet, dass ihn gleich in der ersten Unistunde die Haltung eines »68er«-Profs gestört habe: »Ich habe darauf mit Trotz reagiert, wie viele andere aus meinem Jahrgang.« Dann geht es weiter mit der Uni-Geschichte, jetzt allerdings ist das Subjekt ein »man«: »Sie waren überhaupt eine ziemliche Enttäuschung, die linken Professoren. Sie nervten gewaltig mit ihrem ideologischen Getue. Interessierte man sich auch nur für ›unzuverlässige‹ Denker wie etwa den Soziologen Niklas Luhmann, stand man schnell unter ›Neokonservatismus‹-Verdacht.« (»Im Kuschelland«, in: »Die Zeit«, Nr. 10, 2014)

Ist das noch der Autor mit seinen eigenen (vielleicht repräsentativen) Erfahrungen? Man darf es als Leser wohl annehmen. Da aber nun einmal »man« das Wort führt, ist es nicht völlig sicher.

Jetzt kommt mein ›ich‹. Ich weiß – ich war dabei; Zeitzeuge, endlich! –, dass Jörg Lau (wie ich auch) einen Großteil seiner Scheine (auch sein Examen) im Fach Germanistik bei Gerhard Plumpe gemacht hat, einem Luhmann-Anhänger und Exponenten der systemtheoretischen Literaturwissenschaft. Auch in anderen Veranstaltungen, die wir zusammen besucht haben, äußerten Dozenten keinen »Verdacht« gegenüber Luhmann-Lektüre.

Spricht es nun gegen den Text, dass das in der persönlichen Uni-Biographie nicht ebenso erwähnt wird wie die bekundete Abneigung anderer Professoren gegenüber Luhmann-Anhängern? Für Jörg Lau offenkundig nicht. Für ihn kommt es darauf an, dass alle Fakten, auch die persönlichen, so ausgewählt und arrangiert werden, dass sie in das Bild hineinpassen, das ihm politisch genehm ist, u.a. eben, dass »wir Vierundsechziger« zum Glück die Linken mit ihrer Ideologie, die Mitte der 1980er derart doktrinär und dominant an der Uni gewesen sein soll, überwunden haben.

Das hält er selbst offensichtlich für unideologisch, pluralistisch, offen. »Unvorstellbar für meine Kinder, in einer politisch so brav nach rechts und links geordneten Welt zu leben«, heißt es im nächsten Absatz, und mit »Welt« sind noch die 1980er, nicht die heutigen Jahre gemeint, in denen es in der »Zeit« gar keine Linken mehr gibt, was für den »Zeit«-Autor offenkundig weder »brav« noch »geordnet« ist.

Fassen ›wir‹ ›unser‹ erstes Ergebnis zusammen: Eine wichtige Art und Weise der Zeitgeist-Bestimmung liegt darin, dass ›man‹ die eigene Geschichte und Erfahrung so nutzt, dass sie mit dem zusammenpasst, was ›man‹ für erzählens- und wünschenswert hält. Die Zeit wird dann zur »Zeit«.

 

Und bei den »Vierundsechzigern« handelt es sich ja bloß um Angehörige eines Jahrgangs, nicht um eine Generation. Wie mag es da erst aussehen? Weitere Folgen im nächsten Jahr.