Konsumrezension Februarvon Christiane Bernhardt18.2.2015

Büchermarketing

Das gedruckte Buch führt ein Doppelleben. Einerseits geistiges Gut von hohem kulturellem Wert – auch wenn die Bestimmung kulturellen Wertes opak bleibt –, der gesetzlich durch Preisbindung und verringerte Mehrwertsteuer geschützt und gefördert wird. Andererseits ist das Buch materieller Gegenstand und, zumindest meistens, als Konsumartikel für den Markt konzipiert.

Es ist eben diese Dichotomie, die eine folgenschwere Wertung nach sich zieht: Ein Buch, das den Maßstäben des Kulturguts entspricht, ist nicht zugleich Konsumartikel. Ein Buch, das als Konsumartikel deklariert wurde, kann nicht zugleich Kulturgut sein.

Diese Formulierung ist zwar überspitzt, liest man jedoch die Feuilletons großer Tages- und Wochenzeitungen und reflektiert darüber, welche Bücher von welchen Autoren und Verlagen dort besprochen werden und welche gar nicht erst auftauchen, zeigt sich, wie sehr dieser Wertemaßstab gültig ist und beständig performativ bestätigt wird. Seitdem die digitale Revolution salon- und wissenschaftsfähige Thematik geworden ist, haben sich viele Stimmen zur Zukunft des Buches zu Wort gemeldet. Auch in diesen Debatten ist, wenngleich nicht immer explizit, derselbe Wertemaßstab am Werk.

Der seelenlose Algorithmus vom Internethändler Amazon wird dem »Mind Doctor«, dem Buchhändler der kleinen Stadtteilbuchhandlung gegenübergestellt. Es wird gefragt, ob jemand, der seine Bücher im Self-Publishing herausbringt, einem vertraglich an einen Verlag gebundenen Autor ebenbürtig sein kann? Und immer wieder wird die Aura des gedruckten Buches – die Haptik, der Geruch, das Geräusch beim Umblättern – der auratischen Verarmung seines unheimlichen, fremdartigen Zwillings – dem E-Book – gegenübergestellt.

Die (Be-)Wertung, nach der ein Buch Kulturgut ist oder den dafür notwendigen Maßgaben nicht entspricht, wirkt sich auf alle Sphären aus, die ein Buch umgeben. Bettina Dunckers Feststellung »[…] die Wahrnehmung eines Produkts ist immer auch geprägt durch den Kontext, in dem es sich befindet« scheint nicht zuletzt auch für Bücher zu gelten. Je nach Kontext werden sie unterschiedlich inszeniert.

In der Institutsbibliothek ist es warm, die Luft ist ein wenig abgestanden. Über Bücher, Notizen, Notebooks und Smartphones gebeugt sitzen Studierende und machen einen konzentrierten Eindruck. Ab und zu wird geflüstert, laut geatmet, die Startmelodie eines MacBooks durchschneidet die Stille. In Regalen sind Tausende Bücher einsortiert. Der Signatur, die er sucht, folgend schleicht der junge Philosophiestudent durch die Gänge. Im hintersten Regal am Fenster wird er fündig: die kritische Gesamtausgabe Walter Benjamins, die seit 2008 im Suhrkamp Verlag veröffentlicht wird. Die Halbleinenbände sind in schlichtem Grau gehalten, der Leinenrücken in einem dunkleren Farbton, die matte Pappe der Buchdecke davon etwas heller abgesetzt. Die Typografie des Covers ist serifenlos, grafisch, nüchtern. Die Bücher Benjamins sind eingeordnet in eine lange Reihe von Buchrücken, beinahe alle in gedeckten Farben. An seinem Platz blättert er kurz durch die verschiedenen Versionen des berühmten Kunstwerkaufsatzes und vertieft sich dann in eine einsame, kontemplative Lektüre, bis sein Magen knurrt.

In der Filialbuchhandlung ist viel los, Passanten aus der Fußgängerzone drängen in den Eingangsbereich und suchen am Wegweiser Orientierung. An der Treppe in der ersten Etage ist ein großer Pappaufsteller, der erste Eindruck: ziemlich Pink. Darauf befindet sich der erste Band einer neuen Buchserie aus der Kategorie Frauenunterhaltung: »Holly«. Bei »Holly« handelt es sich um eine fiktive Modezeitschrift, mit Redaktionssitz in Berlin, wo, so die Inhaltsbeschreibung auf der Homepage des Goldmann Verlags, sich Journalisten befehden, Freundschaften geknüpft werden und verbotene Affären jeden Moment ans Licht kommen könnten. Innerhalb von sechs Monaten erscheinen sechs Bände zum schlanken Preis von fünf Euro pro Buch.

Die schmalen Taschenbücher sind in durchsichtigen Plastiktüten eingeschweißt. An deren Oberseite, die auch in Pink gehalten ist, steht in weißer schnörkeliger Schrift »Die neue Kultserie« sowie »Smart. Sexy. Holly«. Im Buchinneren liegt eine Postkarte – knallpink – mit der Aufforderung »Holly mit!«. Möglich ist dies sowohl auf der eigens für die Buchserie gefertigten Mikroseite holly-magazin.de als auch auf der Facebook-Fanpage. Auf der Kartenrückseite sind außerdem Kooperationspartner der Serie angegeben, wie eine große Schuhhandelskette und eine Kosmetikmarke, darüber hinaus existiert eine Kooperation mit einer realen Frauenzeitschrift.

Das eindeutige Farbschema und die lässigen Superlativ-Schlagworte, wie »Kultserie« oder »Must-have« fallen sofort auf, aber es ist vor allem die Welt im Internet, die um die Bücher gesponnen wird, die genannten Crossmarketing-Kooperationspartner sowie die intermedialen Anleihen, welche die Produktinszenierung von »Holly« interessant machen.

Der Plot, der von den alltäglichen Dramen in der Modemagazin-Redaktion handelt, wird auch in der Produktinszenierung weitererzählt. Die Bücher sind wie Zeitschriften aufgemacht – das Cover und die Plastikfolien, in die »Holly« eingeschweißt ist, könnten so auch in den Regalen unter den Modezeitschriften eines Kiosks ausliegen. Der selbstbewusste Vergleich mit den U.S. Erfolgsserien »Sex and the City« und »Mad Men« auf der Internetseite stellt die Bücher darüber hinaus in die Tradition des seriellen Erzählens und auf eine Ebene mit Serien, die inzwischen als Qualitätsfernsehen kanonisiert sind.

Die Kürze der Texte kommt dem Lesen kleiner Formate, als Unterhaltung für unterwegs – gerade auch auf E-Readern oder Smartphones – entgegen. So schreibt eine Bloggerin Literatwo am 19. Januar dieses Jahres in ihrer Rezension über »Holly«: »Besonders interessant war es für mich in der Bahn zu holly´n. Zwischen Menschen in einem flippigen Magazin – kleinem kurzweiligen Büchlein – lesen macht einfach viel mehr Laune als daheim auf dem Sofa.«

Das kleine Format der Texte ist auf der Internetpräsenz in eine große Welt eingebettet: Bloggerinnen rezensieren, Facebook-Nutzerinnen kommentieren, der Verlag stellt Buchtrailer, Soundtrack und Klingelton, Karrieretipps für Frauen in Form von Buchempfehlungen, Berlin-Tipps einer bekannten Bloggerin und ein Gewinnspiel bei dem man – nicht sonderlich überraschend – Produkte der Kooperationspartner gewinnen kann, bereit.

Die geschlossene Welt der Institutsbibliothek und die Produktinszenierung von Werkausgaben sind einfach nachvollziehbar, historisch über einen langen Zeitraum gewachsen. Die Bibliothek ist in einem Dispositiv verankert, das die Auffassungen von Lesen, Kanon, Bildung, aber auch der Inszenierung von Büchern hervorbringt und bestätigt. Von Wissenschaft und Kritik als kulturell hochwertig abgenickt, bedürfen diese Bücher nur einer minimalen Inszenierung. Schlicht und hochwertig stehen sie eingereiht und werden von den Kennern gefunden.

Anders verhält es sich mit einer Buchserie wie »Holly«. Beim Goldmann Verlag unter dem Konzerndach von Random House verlegt, wird dieser schon aufgrund des Publikationsrahmens der kulturelle Wert nicht selbstverständlich zugeschrieben. Hier kehrt sich die Wegstrecke um: Es sind nicht die Rezipienten, die den Weg zum Buch finden, sondern die Marketingkampagne führt die Rezipienten zum Produkt.

Mit Gérard Genette gesprochen leitet der verlegerische Epitext – die ausufernde »Holly«-Welt der Links und Produktverweise – sowohl die Rezeption als auch den Konsum der Bücher sowie potenziell den der Partnerprodukte. Was aber passiert mit Büchern, wenn sie im Zuge ihrer Inszenierung mit anderen Medien (Zeitschrift, TV), Textformen (Artikel, Rezensionen), Autoren (Bloggern, Facebook-Nutzern) und Produkten (Schuhe, Kosmetik) in Berührung gebracht werden? Ist diese Kontextualisierung gleichbedeutend mit einem Wertverlust?

Die materielle Inszenierung als hochwertiger Halbleinenband oder knalliges Hochglanzformat ist nicht neu, die Einbettung von Büchern in den narrativen Nexus digitaler Werbe- und Warenwelten hingegen noch relativ jung. Zwei weitere Verlage bedienen sich ebenfalls dieser Inszenierungsstrategie und erweitern das Konsumprodukt Buch auf vielfältige Weise durch andere Medien. Auf der einen Seite ist das die Online-Publikation der Tagebücher Erich Mühsams, die zusätzlich zur Printausgabe von den Herausgebern Chris Hirte und Conrad Plens und dem Verbrecher Verlag publiziert wird. Andererseits das Online-Portal »die zukunft«, von Heyne, ebenfalls ein Random-House-Verlag, betrieben. Während die Edition der Mühsam-Tagebücher unter den Gesichtspunkten der Kanonisierung eher in der Nähe zur Werkausgabe Benjamins steht, bedient »die zukunft« ein populärkulturelles Genre, die Science Fiction. Die Mühsam-Homepage ist dabei eher in sich geschlossen. Sie ist ausschließlich den Tagebüchern gewidmet und schafft eine Mühsam-Welt.

»Die Zukunft« hingegen konzentriert sich nicht auf einen Autor, sondern auf ein Genre. Unter Rubriken wie »Buch«, »Comic« oder »Film« ist ein ganzer Kosmos unterschiedlicher Themen und Produkte entstanden. Die Webpräsenzen bieten den Rezipienten einerseits einen informativen, unterhaltsamen und kommunikativen Nutzen. Sie sind gleichzeitig aber auch Marketinginstrumente, vom Verlag zur potenziellen Umsatzsteigerung entwickelt. Der Klick vom Essay über Philip K. Dicks Romane zum virtuellen Einkaufswagen ist nicht weit.

Die Internetseiten deswegen als bloße Verführungsstrategien zum Konsum abzustempeln wird ihnen allerdings nicht gerecht. Interessanter ist es in diesem Kontext danach zu fragen, ob und inwiefern sich die Wahrnehmung des Kulturguts Buch vor dem Hintergrund seiner virtuellen Inszenierung verändert. Als ein Medium von vielen, als frei zugänglicher Text, als vernetzter Gegenstand, der offen ist für Kommentare, Kritik und Verbesserungsvorschläge. Im Gegensatz zu den bereits etablierten und semantisch kodierten Räumen wie der Bibliothek werden Bücher hier in neue Kontexte gestellt. Kontexte, welche – zumindest potenziell – reglementierte und fixierte Zugangsmöglichkeiten sowie Wertemaßstäbe lockern können.

 

Christiane Bernhardt studiert Buchwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

 

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