Mode JuniJan C. Watzlawik21.6.2015

Zur Sache: Das Einglas oder Momente monokularer Moden

»The Monocle Returns as a Fashion Accessory«, konstatiert Allen Salkin vor gut einem Jahr in der »New York Times« und führt weiter aus: »The one-lensed eyepiece, an item favored by 19th-century military men, robber barons and Mr. Peanut, is finding itself wedged anew into the ocular sockets of would-be gentlemen seeking to emulate the stern countenances of their stuffy forebears.« Als Gewährsmann für diese Entdeckung wird der »trend forecaster« Martin Raymond herangezogen, welcher als Träger des Augenglases »the new gents« ausgemacht haben will, »a hipster subspecies who have been adding monocles to their bespoke tweed and distressed-boot outfits.« Nicht zuletzt diese Aussage führt dazu, dass der Autor für seinen Artikel zahlreiche Verrisse in diversen On- sowie Offlinemedien kassiert. Denn fast niemand will weder gentrifizierte Hipster als Monokeltrendsetter noch die Existenz des Monokeltrends selbst kennen, erkennen oder anerkennen.

Dabei kann für diese Art der nicht-selbsterfüllenden Prophezeiung eine gewisse Tradition festgestellt werden. So behauptet beispielsweise der »Daily Express« 2009, dass »Monocles are back in fashion« seien und Salkin selbst merkt später in seinem Blog an, dass sich die »New York Times« bereits 1902, 1941 sowie 1970 diesem Thema widmete. Auch Wolfram Siebeck schreibt im letztgenannten Jahr in der »Zeit« über das Phänomen und lässt sich zu der apodiktischen Aussage verleiten: »Das Monokel von morgen wird anders sein.« Nun ist ja bekanntlich nichts so alt, wie die Zeitung von gestern – außer vielleicht ein Modetrend von gestern. Und doch verleitet der Diskurs dazu, fern eines Modejournalismus im Zeichen der Trendsuche, dieser Andersartigkeit monokularer Moden in schlaglichtartigen Momentaufnahmen nachzugehen.

Als Erstes darf festgestellt werden, dass sich das Einglas anscheinend anhaltenden Interesses erfreut. So sammelt unlängst Zachary Weiner über die Crowdfunding-Plattform kickstarter über 127.000 $ von rund 5.000 Personen zur Produktion seines »world‘s first Disposable Single-Use Unlubricated Monocle for the On-the-Go Gentleman (or Lady)«. Für den Erfolg kann nicht zuletzt der Kurzfilm verantwortlich gemacht werden, der dieses Projekt bewirbt. Darin kann sich der Protagonist Count Fritz von Schnitzel, dank seiner »Teutonic preparedness« mit einem Einweg-Monokel ausgestattet, gegen den unbeglasten Baron Hartman durchsetzen und aufgrund dessen mit der Duchess Priscilla den Abend verbringen.

Das hier bediente Bild des monokeltragenden, adeligen, zumeist preußischen Offiziers kommt um 1900 auf und kann sich – wie im vorliegenden Fall – unter anderem durch dessen wiederholte, popkulturelle Thematisierung ikonisch setzen sowie erhalten. In dieser Figur kommt das »Monokel als Erzieher« (Franz Wolfgang Koebner) von Mimik, Körper und innerer Einstellung zur vollen Entfaltung. Doch Weiners »Single-Use Monocle« schafft durch seine optisch unnützen, stärkelosen Einmal-Eingläser in kondomtypischer Verpackung zugleich einen ironischen Kommentar zur vermeintlichen Standhaftigkeit vermeintlicher Eliten. Der Spaßartikel macht dabei Ironie und Hinterfragung männlicher sowie mächtiger Stereotype massenhaft tragbar. Hier wird – vergleichbar der Sicht von Eduard Thöny 1896 und George Grosz 1926 auf die einsichtigen »Stützen der Gesellschaft« – deutlich, dass Haltung oftmals auch mit Schaden einhergeht.

Bildschirmfoto 2015-06-21 um 13.00.52

127.156 $ für das Einmal-Einglas: »The Gentleman‘s Single-Use Monocle«, 2015

Einen solchen Erfolg können monokulare Sehhilfen auf dem Laufsteg nicht verzeichnen. Ihr letzter, größerer Auftritt ist schon ein paar Jahre her. Es ist Yohji Yamamoto, der getönten und klarsichtigen Modellen in seiner Pariser Präsentation der Damenkollektion für Frühjahr/Sommer 2007 einen prominenten Platz einräumt. Genau genommen handelt es sich hierbei nicht um klassische Monokel, weisen sie doch neben dem Monokelband in den meisten Fällen auch Stege auf, die von binokularen Brillen her bekannt sind.

Der Designer bedient sich gekonnt zahlreicher historischer Verweise, wobei das Einglas – in Kombination mit den Schnitten, den Materialien und dem modisch-modifizierten, bezopften Bob – deutlichen Bezug auf die 1920er Jahre nimmt. Obwohl das Monokel nach Oskar Franz Scheuer männlich konnotiert ist, weist er 1926 auf einen Wandel hin: »Das Schönheitsideal tendiert bei der Frau nach der knabenhaften Figur hin. Der Busen verschwand; die Bubenkopffrisur trat in Erscheinung. Das schrie nach einem Monokel.« Dieser modische und zugleich gesellschaftliche Wandel lässt sich auch im Porträt der Sylvia von Harden erkennen, das Otto Dix im selben Jahr anfertigt. Hier wird das monokulare Männlichkeitsbild hinter sich gelassen und zu einem modernen Frauenbild transformiert, sodass das Einglas – vergleichbar der Entwürfe Yamamotos – zu einem exklusiven Ausstattungsstück fern jedweder geschlechtlicher Zuordnung avancieren kann.

[youtube id=“RQQu7QITIk4″ align=“center“ mode=“normal“ autoplay=“no“]

Modetrend (?) von gestern (?). Monokel bei Yohji Yamamoto, F/S 2007

Neben der Benennung von optischen Geräten findet sich der englischsprachige Terminus »Monocle« auch für anderes. Es gibt beispielsweise ein so benanntes Medienunternehmen mit dazugehörigem Magazin, welches 2007 von Tyler Brûlé, dem Begründer sowie jahrelangen Chefredakteur der Zeitschrift »Wallpaper*«, ins Leben gerufen wurde und sich dem »briefing on global affairs, business, culture & design« für eine global-kulturelle Generation widmet. Oder auch »The Monocle Order«, einem Shop und »online members club for sunglass lovers«, der seinen Mitgliedern neben den aktuellen Brillenmodellen auch Zugang zu angesagten Partys bieten will.

An diesen Beispielen fällt auf, dass das Einglas als realer Gegenstand keine Rolle mehr spielt. So findet sich bei »The Monocle Order« keines im Sortiment. Und auch als Logo wird lieber auf eine der typischen Hornbrillen gesetzt, die seit geraumer Zeit als »Nerd-Brillen« bezeichnet werden und sich anhaltender Beliebtheit erfreuen, wobei nur eine Hälfte der Brille hervorgehoben, die andere skizzenhaft angedeutet wird. Bei aller Ferne zum Einglas, kann für beide Fälle festgestellt werden, dass für sie charakteristisch ist, was auch das Einglas ausmacht: Sie setzten auf die Sichtbarkeit durch ein monokulares Blickregime, das weniger zum Sehen denn zum Gesehen-Werden animiert. In beiden Fällen wird somit eher auf die elitären und exklusiven Zuordnungen des Monokels verwiesen sowie versucht, diese auf die jeweiligen Marken zu übertragen.

[youtube id=“XorMkg-wyHM“ align=“center“ mode=“normal“ autoplay=“no“]

(Non) Monocle-Order-Party (Members only!), 2013

Die Idee eines Monokels wider Willen, das aus einer ursprünglich zweiglasigen Brille entsteht, findet sich nicht nur grafisch, sondern auch gegenständlich. So bietet etwa der »Bookmarc«-Shop von Marc Jacobs seit diesem Jahr das »Magnifying Eye Glass« an, eine Lupe in Gestalt einer zerbrochenen Hornbrille. Hier besteht Ähnlichkeit zur »La Lunette loupe« der Maison [Martin] Margiela, die vermutlich seit 2010 über »L‘Atelier d‘exercices« auf den Markt gebracht wird. Bei der halben, kaputt erscheinenden Lorgnette handelt es sich ebenfalls um ein Vergrößerungsglas. Diese Produkte setzen auf ästhetische Zerstörung und vielleicht auch Überwindung der seit Jahren ebenso etablierten wie immer wieder beschworenen Retro(brillen)mode.

Doch rekurrieren die beiden Designer damit – wohl unbewusst – auf ein historisches Vorbild, das ebenfalls einen Wandel markiert: Die dickrandige Brille ist auch ikonisches Attribut des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, der – mit theoretischer Hilfe des Monokelträgers Karl Marx und praktischer Unterstützung des Monokelträgers Fidel Castro – 1970 die erste marxistische Regierung der Welt bildet, die demokratisch legitimiert ist. Diese findet am 11. September 1973 ein jähes Ende: »Das Erdbeben in Chili« in Form eines Putsches führt Allende in den Suizid, lässt seine Brille zerbrechen und den sonnenbebrillten General Augusto Pinochet an die Macht kommen. Nach dem Ende der Militärdiktatur wurde die Brille Allendes zum starken politischen Symbol. Die verbliebene Hälfte wird in die Dauerausstellung des Museo Histórico Nacional in Santiago de Chile aufgenommen, Carlos Altamirano errichtet ihr und damit auch ihrem Träger ein auf 6 Meter vergrößertes, mobiles Monument und Manuel García besingt mit seiner Band Mecánica Popular diese »Lentes de Allende«. Hier changiert das Einglas zwischen nostalgischer Erinnerung und hoffnungsvoller Zukunftsgestaltung.

20120101_063942#1

»La Lounette loupe« der Maison [Martin] Margiela, vermutlich seit 2010

Als ein letztes Moment monokularer Moden wird ein Phänomen angeführt, das sich ebenfalls zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft bewegt: In den retro-futuristischen Industriewelten des Steampunk spielen Goggles, also Schutzbrillen, eine besondere Rolle. Maschinenästhetisch modifiziert sind sie eines der augenfälligsten Accessoires. Neben den binokularen Modellen gibt es hier auch Eingläser. Nicht selten sind diese in Verbindung mit diversen Waffen zu sehen. Selbiges gilt auch für den Dieselpunk, einer Spielart, die sich nicht am Zeitalter der Dampfmaschine, sondern dem des Dieselmotors orientiert. Diesbezüglich liefert der Youtube-User Dan Wahl ein ebenso erschreckendes wie auch interessantes Beispiel: Eine Uniform aus der ehemaligen DDR, eine Armbinde in entlehnter NS-Ästhetik, ein zweiläufiges, selbstgebautes Repetiergeschütz sowie ein mechanisiertes Mono-Goggle werden hier zur Ausstattung eines futuristischen Kämpfers kompiliert.

Dieses Kostüm zeigt einerseits den problematischen Hang von Steam- und Dieselpunk zu Uniformierung sowie Militarisierung. Andererseits verdeutlicht es aber auch popkulturelle Kreativität und spielerischen Umgang mit Realität. Oder sagen wir lieber: erweiterter Realität. Denn das hier verwendete Einglas ist nicht nur als Verweis auf die historische Offizierskultur zu lesen, sondern auch als Hinweis auf die zukunftsträchtige Technologie monokularer Kriegsführung. So wird von einer Vielzahl an Firmen, wie etwa »Six 15 Technologies« und »Raytheon Company«, daran gearbeitet, die zivil genutzte Technik der »augmented reality«, wie sie etwa vom vorerst gescheiterten »Google Glass« bekannt ist, für militärische Zwecke weiterzuentwickeln. Dadurch wird der Kampf zum Computerspiel und der Soldat als Cyborg zur einäugigen »Sehmaschine« (Paul Virilio) im Zeichen einer kyklopischen Kultur des Krieges.

[youtube id=“6zbOxcTZlIg“ align=“center“ mode=“normal“ autoplay=“no“]

Kyklopische Popkultur: Die erweiterte Realität des »Dan Wahl«, 2010

Angesichts dieser skizzierten Momente monokularer Moden soll dem Monokel als singulärem Modetrend widersprochen und vielmehr die Andersartigkeit der diversen sowie divergenten Erscheinungsformen betont werden. Sie wirklich zu durchblicken braucht es aber wohl die Sehstärke eines George Grosz, »der mit Monokel, Mikroskop und zwei gesunden Augen neu, neu und noch einmal neu sieht« (Kurt Tucholsky).

 

Jan C. Watzlawik ist Kulturanthropologe und Kunstwissenschaftler. Er forscht zur Analyse materieller sowie visueller Kultur an den Schnittstellen von Mode-, Konsum- und Protestkulturen.