Fitbit-Accessoires: Menschheit auf dem Laufband
Unlängst ist das Geheimnis des Erfolgs entdeckt worden. Der Schlüssel liegt in der tapferen Ignoranz von süßen Versuchungen unter Einsatz äußerster Selbstbeherrschung und eiserner Disziplin.
So oder so ähnlich liest sich die Quintessenz des kürzlich auf deutsch erschienenen Rückblicks von Walter Mischel auf einen der wohl bekanntesten, von ihm gestarteten psychologischen Langzeittests: »Der Marshmallow-Test: Willensstärke, Belohnungsaufschub und die Entwicklung der Persönlichkeit.«
Der Test, an dem in Stanford Ende der 1960er Jahre über 500 Kinder teilnahmen, startete als vermeintliche Spielanordnung. Als Gewinn lockte ein zuckrig-leckerer Marshmallow. Mehr noch, so erklärte jeweils der Spielleiter, es könnten leicht zwei daraus werden, wenn, ja wenn die Kinder geduldig warten könnten, bis er wiederkäme. Rufen sie den Spielleiter vorher zu sich, steht nicht einmal der eine Mäusespeck in Aussicht.
War es einst das Interesse, den Strategien auf die Schliche zu kommen, die sich sich die Kinder einfallen lassen, um der offensichtlichen Versuchung zu widerstehen, eröffnen die im Abstand von zehn und zwanzig Jahren durchgeführten Befragungen der Ex-Probanden ganz andere verblüffende Ergebnisse. All diejenigen, die sich damals entschieden, beharrlich die Situation zu überbrücken, um mit einer zweiten Süßigkeit belohnt zu werden, finden sich heute in stabileren beruflichen Situationen, glücklicheren Beziehungen und haben weniger mit Suchtproblemen zu kämpfen. Für Walter Mischel lässt dies nur einen Schluss zu: Weniger die Intelligenz oder die soziale Herkunft sind prägend für den Erfolg im Leben, sondern allein der Wille zu Disziplin und Geduld.
Die Erkenntnis liest sich wie die Bestätigung all derjenigen, die sich in Selbstoptimierung üben und konsumierte Kalorien, Schritte und Tastaturanschläge, kurz alle quantifizierbare Ereignisse des Alltages peinlich genau aufzeichnen. Die stetig wachsende Anhängerschaft der »Quantified-Self-Bewegung« hat sich genau dies zum Motto gemacht. Gary Wolf, einer der Mitbegründer, erklärte bereits in einem frühen TED-Talk, dass das Zeitalter, in dem quantifizierbare (biometrische) Daten lediglich für Administration und Regierung von Interesse waren, endgültig überwunden sei.
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Daten sind ein Schritt, um neue Ziele zu stecken, Ziele zu überprüfen und schließlich zu erreichen. Sie sind das Fenster zu unserem wahren Ich und quantifizierbare Meldungen rund um und aus dem Innersten des Körpers der erste und unverzichtbare Schritt für all diejenigen, die mit Disziplin und Ehrgeiz an der Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit interessiert sind.
Längst haben sich Konsumprodukte entwickelt, mit denen sich diese Überzeugung und vor allem der persönliche Wille zur Disziplin sichtbar ausweisen lassen. Ob das Nike Fuel Band, fitbit oder Jawbone, nahezu übereinstimmend haben sich die Hersteller für die Optik eines schlichten Gummiarmbands entschieden. Das geschulte Auge erkennt schnell, dass es sich bei diesen Armbändern nicht etwa um vergessene Festivalbänder oder die Eintrittskarte zu einem V.I.P. Bereich handelt, sondern um Life-Tracking-Bänder.
In den letzten Jahren ist das 2007 in San Francisco gegründete Unternehmen fitbit schnell zum Gattungsnamen für die »wearable fitness gears« avanciert. Im Juni diesen Jahres erfolgte der Börsengang, und es bleibt abzuwarten, ob sich mit diesem Schritt Erfolgsgeschichte des Unternehmens weiterschreibt.
Im Gegensatz zu Sport-Statistik-Tools (wie etwa die Pulsuhren der Firma Polar) zeichnen sich die fitbit-Bänder durch die revolutionäre Reduktion auf Funktionalität und Schlichtheit im Erscheinungsbild aus. Waren die Produkte bisher eine aufwendige Kombination aus Pulsuhr und zugehörigem Brustgurt, schrumpft das Rechenzentrum, das die persönlichen Daten aufzeichnet, auf die Größe eines Chip, der die tägliche Disziplin- und Trainingsbilanz mittels der zugehörigen Applications visualisiert.
Das Armband wird nicht mehr nur als ein Sport-Statistik-Tool verstanden, sondern als ein »Life-Band«, als ein Produkt, das zum alltäglichen Accessoire wird. Hersteller wie fitbit bedienen hierbei selbstverständlich den Wunsch nach gradueller Individualisierung, die sich vor allem in unterschiedlichen farblichen Ausführungen ausdrückt sowie je nach Preiskategorie in erweiterbaren Funktionalitäten.
Zwei weitere Aspekte scheinen im Umgang mit den Life-Bands von Bedeutung zu sein: Zum einen ist das Accessoire genau genommen lediglich eine Eintrittskarte in ein Cockpit, das sich via Bluetooth auf dem Bildschirm eröffnet. Dieses gewährt nicht nur Aufschluss über die eigene innere Psychophysik, sondern vernetzt mit anderen Mitstreitern, die zum digitalen Klatschen für Geleistetes und Anfeuern für noch zu verwirklichende Ziele eingeladen werden; eine Kompatibilität des Produktes mit den gängigen Social-Media-Plattformen und Erweiterung in den Bereich der virtuellen Welten, der unter dem Aspekt der Nachnutzung der aufgezeichneten Daten unumgänglich scheint.
Um so erstaunlicher ist dabei der zweite Aspekt. Er betrifft noch einmal das Produkt selbst. Statt an der Schuhsohle zu kleben oder unter dem verschwitzten Sport-Shirt zu verschwinden, wird es als Armband mit Zeichen- und Zeigefunktion getragen. In seiner ausgemachten schlichten Aufmachung oszilliert es in seiner Ästhetik zwischen einem einfachen »Membershipband«, das die Selbstoptimierer zusammenhält, und einem Schmuckstück, das den Träger aus der ansonsten undisziplinierten Masse hervorheben will.
Passgenau liest sich da eine Beobachtung aus René Königs modesoziologischem Klassiker »Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß« zu den Motivationen des Schmückens und des Schmucktragens. Trotz aller Unterschiede in Form und Ausführung der Schmuckobjekte – so König – »kann man annehmen, daß die Selbstverwandlung durch den Schmuck ganz spontan erfolgt, was um so wahrscheinlicher ist, als dem Schmuck eine doppelte Bedeutung eignet, als Verwandlung und Erhöhung der eigenen Person vor sich selbst und zugleich als ›Auszeichnung‹ vor den anderen […]. So steckt sich etwa der geschickte Jäger, der einen besonders schönen Vogel geschossen hat, eine Feder ins Haar. Er bestätigt damit vor sich selbst das Jagdglück und verleiht dem momentanen und einmaligen Erfolg eine gewisse Dauer; zugleich aber teilt er anderen mit, was ihm gelungen ist, und gewinnt durch diese Kommunikation eine Auszeichnung«. Übertragen auf den schrittezählenden Selbstoptimierer bedeutet dies, dass ‚das ›Jagdglück‹ nicht in Form von bloßen Daten konserviert wird, sondern durch ein Produkt an den Körper rückgebunden wird und als sichtbares Zeichen der Selbstdisziplinierung fungiert.
Schmuckstücke können bekanntlich neben den Funktionen des Schmückens und Auszeichnens noch eine dritte erfüllen: die apotropäische Wirkung. Insbesondere für die frühen Schmuckzeugnisse lässt sich diese als Grundkonstante erkennen. Etwa im griechisch-hellenistischen Schlangenarmreif des Pforzheimer Schmuckmuseum. Zwei Schlangen sind hier die formgebenden Elemente. Sie sind zu einem Heraklesknoten verschlungen, auf dem zur Zierde ein kleiner Granat thront. Herakles bezwang einst in der Wiege zwei Schlangen, die ihm Hera auf Eifersucht auf seine Mutter Alkmene geschickt wurden mit bloßer Hand. Das Schmuckstück verweist somit symbolisch auf die Kraft des Helden Herakles und soll, je näher am Körper getragen, desto stärker auf dessen Träger übergehen. Ähnlich eines schützenden Amulettes soll es jegliches Unheil abwehren und für andere sichtbar Heldenstärke ausstrahlen.
Wie steht es mit der apotropäischen Wirkung der fitbit-Bänder? Hier scheint sich die Vorstellung umzukehren. Das Schmuckstück, das Gadget wird zum Medium, das den Körper aufzeichnet und den Willen des Trägers zur Selbstoptimierung für andere sichtbar macht. Die Herakles-Stärke ist also in uns selbst angelegt und muss nur noch mitgeschrieben werden, nicht aber als externes Kraftfeld zugefügt werden. Wir tragen sie alle in uns und müssen uns lediglich hart genug im Hier und Jetzt in Effizienz beweisen.
Mittels des Armschmuckes werden wir daran erinnert, das uns allein Selbstdisziplin davor schützt, unsere noch in verborgener Zukunft liegenden Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Appell-Funktion ist in einigen Ausführungen vom Hersteller noch eine Ebene wörtlicher in das Produkt übersetzt. Kleine Lämpchen informieren, »wie weit Du Deinem persönlichen Ziel schon gekommen bist«. Die Gemeinschaft der Produktbesitzer verkündet vor allem eines: Menschheit auf dem Laufband.
Wie aber lässt sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen eine neue Form der Accessoires erklären, die die fitbit-Produktpalette erweitern sollen? Die New Yorker Designer Tory Burch entwickelte in einer Kooperation erstmals 2014 eine eigene Schmuckform, die die Fitbit-Bänder kaschieren.
Sie sind plötzlich eben nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar, sondern werden in durchbrochenen, goldig-schimmernden Kästchen und Schienen wenn nicht gänzlich verdeckt, so doch in ihrer charakteristischen Erkennungsform weitgehend negiert. Diese Entwicklung lässt mehrere Lesarten zu. Zu überlegen wäre, ob die fitbit-Bänder, anders als die Apple Watch, in der Produktkonzeption ein zu beschränktes Maß an Individualisierung vorsehen und somit einer Schmuckform zum Leben verhelfen, die dieses Bedürfnis kompensiert. Ein Accessoire für ein Accessoire, durch das sich individuelle Stilvorlieben oder Designerpräferenzen hinzuschalten lassen.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich bei diesem Phänomen um ein weiteres Objekt handelt, das vom Wunsch nach ›Disziplin-Camouflage‹ kündet. Mit einem Mal soll schamhaft verborgen werden, was einst der Anlass zum Kauf des Produktes war. Wollte der Konsument seinen Glauben an die Welt des Messbaren nach außen kehren, sieht er diesen nun konkurrierenden Entwürfen gegenübergestellt. In der ausgerufenen post-technischen Ära, der zelebrierten Analog-Kultur (vgl. ZEIT-Magazin (29) 16.07.15, S. 12), in der Craft-Beer und handgefilterter Kaffee zu Statussymbolen der Entschleunigung werden, könnten all zu offensichtliche Ich-bezogene Technik-Gadgets exkludierenden Charakter haben, ja plötzlich als anti-modern verstanden werden.
Fitbit stellt durch diese Produkterweiterung den Kundenkreis der disziplinierten Selbstoptimierer vor keine Entscheidung. Ihr Selbstoptimierungs-Drang kann für einen Moment im goldenen Schmuckkäfig verschwinden und erscheint als nicht weiter verdächtiges schmuckes Armband. Im Gegenteil, vielleicht werden so Konsumenten gewonnen, die sich bisher durch die technoide Ästhetik vom Kauf abschrecken liessen.
Ein neugierig beobachtender Blick aufs Handgelenk wird uns verraten, ob diese Schmuckform ein Accessoire des Übergangs von kurzer Halbwertszeit ist oder ob in Schmuckobjekten neben der Berücksichtigung der anthropologischen Grundkonstanten des Schützens, Schmückens und Auszeichnens zukünftig die Camouflage der Disziplin zum Erfolgsgaranten wird.
Gegenstände früherer Konsumrezensionen:
Konferenz Digital-Life-Design (Juni 2015)
Öko-Marketing/CO2-Kompensation (Mai 2015)
Apple Watch (April 2015)
Flüssig-Make-up/Spiraldesign (März 2015)
Buch (Februar 2015)
Feuerwerks-Anzeigen (Januar 2015)
Online-Marktplatz DaWanda (Dezember 2014)
Designanalysen (Gui Bonsiepe, HfG Ulm) (November 2014)
Toastbrot (Oktober 2014)
Saugroboter (September 2014)
Supermarktsortiment (August 2014)
Rasenmäher und Kinderbuggy (Juli 2014)
Discounter und Supermarktketten werben mit der WM (Juni 2014)
Tee: Pukka und Yogi (Mai 2014)
Grundsätzliche Überlegungen: Welches Vorgehen ist sinnvoll, wenn man Konsumprodukte rezensiert? (April 2014)
Zwei Schokoladenprodukte (März 2014)
Die Smartphones Lumia 1020 und Galaxy 4 (Februar 2014)
Der feministische Bechdel-Test, umformuliert fürs Marketing, ausprobiert an AXE Deodorant Bodyspray (Januar 2014)
Mr Muscle Aktiv-Kapseln Allzweck-Reiniger (Dezember 2013)
Schwarzkopfs Gliss Kur Million Gloss Kristall Öl (November 2013)