Pop-Archiv Märzvon Stefanie Plappert14.3.2016

Ein Beitrag zum Thema des Lichter Filmfest Frankfurt International: Grenzen

Vorübergegangen, Hängengeblieben: Filmobjekte als popkulturelle Medienrelikte

Film ist eine Zeitkunst, seine Bilder und Narrationen entfalten sich erst im zeitlichen Verlauf, und das unabhängig von seinem jeweiligen Träger, egal ob es sich um analoges Filmmaterial oder digitale Datenträger mit angeschlossenem Beamer handelt. Film zeigt sich erst durch Licht im Raum. Filmwahrnehmung ist ephemer, in diesem Sinne vielleicht am ehesten der Musik vergleichbar.

Was nach dem Film bleibt, sind nachwirkende Bilder, die Erinnerungen an eine visuell-akustische Erfahrung, an das Gefühl des sozialen Raums Kino – und Objekte, die seiner Produktion entstammen: Zeichnungen, Pläne und Skizzen, technische Geräte; Kostüme und Masken, Dokumentationsfotografien und Plakate. An ihnen lassen sich Drehabläufe, Lichteinrichtung und Entwicklungsstufen ablesen, sie illustrieren Schnittfolgen und Werbestrategien. Aber um selbst popkulturellen Wert zu entwickeln (bzw. zugeschrieben zu erhalten), benötigen sie ein „Eigenleben“. Dieses entsteht nicht mehr nur allein über das Wissen der Betrachtenden um die Funktion der Requisite im Film (also anders etwa als die Aura), sondern benötigt für seine popkulturelle Aufladung die Kapazität, auch herausgelöst aus dem filmischen Kontext und transferiert in verschiedensten Bedeutungszusammenhängen zu funktionieren.

Objekte mit Film- und Popbezug zusammenzustellen ist darum eine spannende Aufgabe: Aus den Archiven des Deutschen Filminstituts DIF e.V. in Frankfurt am Main habe ich eine Reihe interessanter und unterschiedlicher Objekte ausgesucht, die ich nach und nach vorstelle.

Goodbye Lenin: Was bleibt – Geschichte, Pop und ein Motorradhelm

Die innerdeutsche Grenze ist offen: Diese Nachricht überraschte am 9. November 1989 die Welt. In Wolfgang Beckers Komödie „Goodbye Lenin“ (DE 2003) überrascht dieselbe Nachricht die Familie von Alexander Kerner. Seine lebenspraktische Mutter Christiane, Grundschullehrerin, hatte sich als Eingaben schreibende aber systemtreue Aktivistin für die kleinen Bedürfnisse des Volkes betätigt, nachdem sein Vater Ende der 70er Jahre in den Westen geflohen war.

Im Oktober 1989 marschiert die DDR ihrem Ende zu: Parallel zu den Feiern anlässlich des 40. Jahrestags ihrer Gründung protestieren bereits die Menschen auf den Straßen, spazieren für grenzenloses Spazierengehen. Auf dem Weg zum Fest des Jahrestages erleidet Christiane einen Herzschlag und fällt ins Koma. Während um sie herum innerhalb weniger Wochen die DDR zusammenbricht, liegt sie im Krankenhaus – und als sie gegen alle Wahrscheinlichkeit acht Monate später erwacht, ist das Land ein anderes. Alex baut ihr eine Scheinwelt auf, um seiner Mutter tödliche Aufregung zu ersparen. Seine Schwester und er spielen ihr in ihrem Schlafzimmer die unveränderte DDR vor. Die kleine Familie steht nun zwischen der neuen und ihrer inszenierten Gegenwart, letztere fast ein Versuch, der Geschichte die Chance auf Korrektur ihrer Fehler zu geben: Nach Alex Drehbuch für seine Mutter geht die DDR in Würde zu Ende, drei Tage vor ihrem schließlichen Tod.

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Präsentationsvitrine im Deutschen Filmmuseum 2016: zu sehen sind der rote Motorradhelm und Videobänder der nachgedrehten „Aktuellen Kamera“. – Foto: Fleming Feß / Deutsches Filminstitut DIF e.V.

Durch die DDR, und durch ihre Nach-Inszenierung, wird Alex von seinem Moped getragen: Im Jahr 1989 22 Jahre alt, besitzt er eine gelbe Schwalbe und einen Coca-Cola-roten Motorradhelm. Dieser stammt aus dem Bestand der Produktionsfirma von „Goodbye Lenin“, der X-Filme Creative Pool GmbH, und befindet sich heute im X-Filme-Archiv des Deutschen Filminstitut DIF e.V. in Frankfurt am Main.

Das Moped und der Helm begleiten Alex in allen kritischen Situationen, fahren ihn zum vergeblichen Einkauf der schnell aus den Regalen verschwundenen Ost-Produkte, lassen ihn den betrunkenen Genossen Klapprath rechtzeitig zur inszenierten Geburtstagsfeier der Mutter bringen und schützen auch noch seinen Freund Dennis, der in fliegender Eile die aktuellsten „Nachrichtensendungen“ der „Aktuellen Kamera“, die er auf Video produziert hat, zu Christiane ins Krankenhaus transportiert.

Der Stil des Helms und auch die Schwalbe sind heute Kult und finden sich in Lifestyle-Magazinen und großstädtischen Szenevierteln wieder; In „Goodbye Lenin“ wirken sie daher eher wie eine zeitlose Verneigung vor Jugendkultur und -sehnsucht. Das Freiheitsmoment des ersten eigenen Mopeds (sinnbildlich auch in Leander Haußmanns Sonnenallee, DE 1999), der tatsächliche Grenzübertritt in den Westen, in die lange so ferne Freiheit, an der zunehmend lax kontrollierten innerberliner Grenze: sie sind erreichbar, behelmt auf der Schwalbe sitzend.

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Alex Kerner auf seinem Moped vor den neuen Segnungen des Kapitalismus. – Standbild: filmportal.de

In krassem Kontrast dazu steht im Film der künstlich herbeigeführte Stillstand einer geschichtlichen Epoche: Realität wird selbst geschaffen, und dies versinnbildlicht in Goodbye Lenin zugleich – auf einer Meta-Ebene – die welterschaffende Fähigkeit des Mediums Film. Zu all dem knattert die Schwalbe: das fast beiläufig eingeführte farbige Moped ist Transportmittel durch einen Systemwechsel, und erfährt eine kulturelle Bedeutung außerhalb des Films, lange bevor die DDR wieder Kult wurde, ehe Ostalgie zelebriert wurde.

 

Stefanie Plappert ist Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin und arbeitet als freie Kuratorin, immer wieder auch für das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main. Für das Lichter Filmfest International hat sie dieses Jahr künstlerische Arbeiten zum Jahresthema „Grenzen“ zusammengestellt.