»The Big Bang Theory«Nerds und Normalitätvon Barbara Hornberger2.10.2016

Nr. 1 in der Zielgruppe

 [überarbeitete Version eines Aufsatzes, der unter dem  Titel „Verhandlungen über Nerds und Normalität in The Big Bang Theory“ zuerst erschienen ist in: Andreas Weich/Julius Othmer (Hg.): „Medien – Bildung – Dispositive. Beiträge zu einer interdisziplinären Medienbildungsforschung“.Wiesbaden: Springer VS 2015, S. 221-242.]


Am 27. September 2007 startet mit der Sitcom-Serie The Big Bang Theory eine der erfolgreichsten TV-Serien des Jahrzehnts. Die Beliebtheit ist auf den ersten Blick überraschend, denn in The Big Bang Theory (im folgenden: TBBT) geht es um Nerds – und die galten bis dahin der Inbegriff des ebenso schlauen wie sterbenslangweiligen Spießers und gerade nicht als populäre Stimmungskanonen.

Doch zum einen sind Sitcoms in der Lage, aus allem einen Witz zu machen, sind doch für das Genre,[1] wie der Name Sitcom bereits andeutet, die Komik, die in den Figuren, der Erzählung und der Spielweise liegt, essentiell, was sich in der hohen Frequenz von Wortwitz, Spielwitz, Situationskomik und Pointen deutlich zeigt. Zum anderen schafft es die Serie, den stereotypen Begriff des Nerds neu zu konfigurieren und verändert damit dessen Wahrnehmung.

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Heute steht die Bezeichnung „Nerd“ für coole, interessante, schlaute Typen mit einigen liebenswerten Macken und einem gesteigerten Interesse an medialer Popkultur. Daran hat TBBT einen nicht unerheblichen Anteil. Sitcoms teilen mit ihren Zuschauern den gesellschaftlichen Referenzrahmen und sind dadurch in besonderer Weise mit Relevanz aufgeladen. „The sitcom, which has displaced most other forms of video comedy, is supposed to ‚relate‘ to its audience. It does so in a number of ways, first by creating characters who are supposed to resemble and to represent the audience. Second, it dramatizes events or conditions (for example the conflict of female liberation with male chauvinism) which provide motivation for a plot. Third, the sitcom suggests an attitude towards things and toward ourselves.“ (Berman 1987: 6)

Im Zentrum von TBBT stehen vier junge, außerordentlich begabte Naturwissenschaftler und ihre durchschnittlich begabte, sehr hübsche und meist gut gelaunte Nachbarin.[2] Sheldon Cooper, sein Mitbewohner Leonard Hofstadter sowie Howard Wolowitz und Rajesh (genannt ‚Raj‘) Koothrappali arbeiten am California Institute of Technology in Pasadena. Sie sind eng befreundet, stehen aber auch in einer ständigen Konkurrenz zueinander.

Für die Grundkonstellation der Serie ist die Nerdness der männlichen Protagonisten essentiell. Sie werden als junge Männer geschildert, deren Leben sich um drei Bereiche dreht: ihren Beruf, den sie mit größter Leidenschaft ausüben, ausgewählte Bereiche der populären Kultur wie z. B. Comics oder Science Fiction und das Internet, insbesondere Rollenspiele. Ihr Interesse an Menschen außerhalb ihres Zirkels ist dagegen eher limitiert[3]: Sheldon ist nur an Menschen interessiert, die annähernd seinen Intellekt teilen – ihn aber nach Möglichkeit nicht übertreffen. Howard ist an Sex mit Frauen interessiert – was zunächst nicht bedeutet, dass ihn Frauen insgesamt interessieren. Raj kann mit Frauen gar nicht sprechen und Leonard hat zwar ein Interesse an anderen Menschen, aber Probleme, ein normales Gespräch zu führen. Sie sind „brilliant physicists – geniuses in the laboratory, but socially challenged everywhere else.“ (TBBT, CBS 2013)

Die Figurenkonzeption greift damit auf ein Stereotyp zurück, das bei allen Unschärfen[4] einen hohen Wiedererkennungswert hat. Unter dem Begriff Nerd wird im allgemeinen jemand verstanden, der über hohe Intelligenz verfügt und eine über das übliche Maß hinausgehende Leidenschaft für z. B. technologische Fragen hat, dem es aber andererseits an sozialen Fähigkeiten mangelt. „(…) [O]ne type, disproportionately male, is intellectuell in ways that strike people as machinelike, and socially akward in ways that strike people as machinelike.“ (Nugent 2009: 6)

Nugent macht in seinem Buch American Nerd. The Story of my people darauf aufmerksam, dass der Nerd auch das Ergebnis einer Zuschreibung ist, wenn er nämlich durch diese Bezeichnung aus der Gruppe der ‚Normalen‘ ausgeschlossen wird. „Nerds of this kind, crucially, are not acutally like machines; they just remind people of them. They get stuck with the name ’nerd‘ because their outward behavior can make them seem less than, and more than, human.“ (Nugent 2009: 7)

In beiden Fällen ist der scheinbare Mangel an sozial adäquater Emotionalität, also das ‚Maschinenhafte‘, zentral für die Figur des Nerds.[5] Der Nerd ist vor allem anders, eine Figur der Distanzierung, der Exklusion und der Normabweichung. „Die Besessenheit, mit der sich Nerds einer Aufgabe widmen, ist für die meisten Menschen das Verwirrendeste an ihnen, weil normale Maßstäbe auf sie einfach nicht anwendbar sind.“ (de Bruijn 2000: 12)

Benjamin Nugent begreift die Entwicklung des Nerds als Folge insbesondere dreier historischer Enwicklungen: Zum ersten die rasante technologische und naturwissenschaftliche Entwicklung der letzten 200 Jahre, die neue Fähigkeiten erfordert und neue Möglichkeiten schafft. Zum zweiten das, was er als „romantic reaction“ (Nugent 2009: 22, 38) auf diesen Fortschritt bescheibt: ein Trennen von Sinnlichkeit und Vernunft, das er insbesondere dem britischen Empire[6] zuschreibt. Drittens eine Fokussierung der Erziehung auf physische Fitness im englischen und amerikanischen Raum, die körperliche Kraft als Äquivalent zu und Beweis von moralischer (christlicher) Stärke und männlicher Härte ansieht.[7]

Diese Priorisierung des Physischen schlägt sich nieder in der schulischen und außerschulischen Erziehung in den USA[8] und führt zu einer Ablehnung allzugroßer intellektueller Strebsamkeit. „So the nerd – the technical expert who shies from pyhsical and emotional confrontation – was a concept fed by the resentment by people who preferred, at least aesthetically, the gentry to the technies.“ (Nugent 2009: 37) Die Konzentration auf körperliche Stärke als Nebeneffekt moralischer Erziehung führt zu einer Ausgrenzung jener, die sich selbst eher über den Intellekt definieren, physische und emotionale Konfrontationen vermeiden (ebd.: 6) und schließlich als „Nerd“ bezeichnet werden.

Als Helden gelten andere. „The heroes of American popular culture are surfers, cowboys, pioneers, gangsters, cheerleaders, and baseball players, people at home in the heat of physical exertion.“ (ebd.: 9) Der Nerd kann also konzeptionell als Gegenmodell zu der Art von amerikanischen Held begriffen werden, wie er massenmedial, z. B. als Sportler oder als Superheld, auftritt, und ebenso als Gegenmodell zum sportlichen All-American Guy.

In der Serie TBBT wird dieser Gegensatz narrativ bespielt: In der ersten Folge müssen Sheldon und Leonard gegen Pennys sportlichen Ex-Freund eine demütigende Niederlage einstecken, weil sie ohne Hosen und ohne den abzuholenden Fernseher zurückkommen. In Episode 13 hingegen feiert Howard den Gewinn des Physic Bowl zu den Klängen der Queen-Hymne We are the Champions mit dem Habitus eines Sportlers: Er sinkt auf die Knie, ballt die Fäuste, reißt sich das Hemd auf. (Staffel 1, Episode 13, ab 00.17.35)

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Der Nerd nimmt die Siegerpose des Sportlers ein – und macht sich zu dem Gewinner, der er historisch längst ist. Denn im digitalen Zeitalter werden die technologischen und intellektuellen Fähigkeiten sowohl für Individuen als auch für Staaten zunehmend zur Existenzfrage, der Nerd wird vom Verlierer potentiell zum patriotischen Helden. In TBBT wird daher ein gesellschaftlicher Trend aufgegriffen und fortgesetzt, der den Nerd vom Verlierer zum Helden des digitalen Zeitalters macht.

Die Defekte und Defizite der Nerds werden in TBBT zwar als Schwächen erkennbar, sind aber kein echter Makel. Denn die Serie geht in ihrer Erzählweise über die Kategorie der Zuschreibung im Sinne des Klischees hinaus. Zum einen erscheint die Zuschreibung auch als Selbstbeschreibung, zum anderen wird das Prinzip Normalität, aufgrund dessen der Nerd als ein ‚anderer‘ ausgeschlossen wird, selbst in Frage gestellt.

Die Figur des Nerd wird also auf drei Ebenen verhandelt: Auf der ersten Ebene wird das Stereotyp für die Erzählung einfach genutzt, auf der zweiten wird es von den Figuren aktiv angeeignet und positiv besetzt und auf der dritten wird die Zuschreibung und damit die Bestimmung von Normalität selbst verhandelt.

Der Nerd als Stereotyp

Da alle drei Ebenen vom Stereotyp[9] des Nerds ausgehen, muss die Serie zunächst ihre Hauptfiguren als Nerds etablieren. Dies leistet bereits die erste Szene:

Sheldon: „So, if a photon is directed through a plane with two slits in it and either is observed, it will not go through both. If it’s unobserved, it will. However, if it’s observed after it left the plane, before it hits it’s target, it will not have gone through both slits.“
Leonard: „Agreed! What’s Your Point?“
Sheldon: „There’s no point, I just think it’s a good idea for a T-shirt!“
(Staffel 1, Episode 1, 00.00.00 – 00.00.18)

Dieser erste Dialog ist gewöhnlich und ungewöhnlich zugleich. Er erfüllt einerseits die Regel der Sitcom, dass Situationen und Figuren schnell und präzise etabliert werden müssen: Z. B. erfahren wir, dass Sheldon Small Talk über Physik macht, gern der Wortführer ist und eine Vorliebe für bedruckte T-Shirts hat. Wir erfahren außerdem, dass Leonard zwar das Beispiel versteht, nicht aber Sheldons Gesprächsziel. Andererseits ist es ungewöhnlich, dass eine Sitcom mit einem Dialog beginnt, der sich inhaltlich kaum allen Zuschauern voll erschließen dürfte. Nur ein Teil wird ad hoc verstehen, dass es in diesem Gespräch um das für die Entwicklung der Quantenmechanik bedeutsame Doppelspaltexperiment geht.[10]

Der Gesprächsinhalt ist dennoch präzise gesetzt: Fachspezifisch genug, um die Figuren als leidenschaftliche Physiker auszuweisen, ist er zugleich potentiell verständlich für ein Publikumssegment, das dieses Experiment aus dem Schulunterricht oder dem Studium wiedererkennt und die fachliche Korrektheit goutiert.[11] Der Witz, dass es bei Gespräch gar nicht so sehr um ein fachliches Problem geht, sondern lediglich um einen T-Shirt-Print, ist in jedem Fall verständlich. Bei diesem Eingangsdialog handelt es sich aber nicht nur um ein Fachgespräch mit einer etwas merkwürdigen Pointe, sondern es zeigt bereits das Nerd-Sein der Figuren, wie es sich wenig später noch einmal bestätigt, als Sheldon beim Treppensteigen einen Kurzvortrag über geringfügige erhöhte Treppenstufen und das daraus resultierende Stolpern hält.

Sheldon: „Do you want to hear an interesting thing about stairs?“
Leonard: „Not really.“
Sheldon: „If the height of a step is off by as little as two millimeters, most people will trip.“
Leonard: „I don’t care. 2 millime–? That’s doesn’t seem right.“
Sheldon: „It’s true. I did a series of experiments when I was 12. My father broke his clavicle.“
Leonard: „Is that why they sent you to boarding school?“
Sheldon: „No. That was the result of my work with lasers.“

Sheldon, das zeigen schon die ersten Minuten der Serie, begreift das ganze Leben als eine Art Wissenschaft. Schon als Kind hat er sich das Leben über wissenschaftliche Experimente erschlossen, und auch die Art und Weise, wie er sein Sozialleben gestaltet, folgt Regeln und Gesetzen, die er aus Beobachtungen und Studien ableitet, als sei das Leben ein Labor.

Zugleich wird in der Interaktion die Variationsbreite innerhalb der Nerds deutlich. Denn anders als Sheldon scheint Leonard in seiner Nerdness weniger radikal und schwankend. Er blockt zunächst das Gespräch über die Treppenstufen genervt ab, um dann doch interessiert nachzufragen. Während Sheldon als idealtypischer Nerd gezeichnet wird, hat Leonard durchaus einen Sinn für das ’normale‘ Alltagsleben, verhält sich in diesem aber immer wieder inadäquat.

Anders als Sheldon weiß Leonard aber, dass das Soziale nicht durch Berechnungen zu bewältigen ist. Howard und Raj machen als weitere Varianten das Nerd-Quartett komplett – ihr erster Auftritt, bei dem sie aufgeregt ein Video einer Vorlesung von Stephen Hawking am MIT aus dem Jahr 1974 präsentieren, zeigt sie sofort ebenfalls als Nerds (Staffel 1, Episode 1, ab 00.13.05)

Besonders sichtbar wird die Nerdness der Figuren durch die Konfrontation mit dem Normalen. Ausgangspunkt der Serienhandlung ist der Einzug der neuen Nachbarin Penny. Sie ist die fünfte Hauptfigur und der Prototyp des ‚girl next door‘: blond, hübsch und durchschnittlich intelligent. Sie will – Klischee des weiblichen American Dream – eigentlich Schauspielerin werden. Während sie auf ihren Druchbruch wartet, arbeitet sie als Kellnerin in der ‚Cheesecake Factory‘. Penny ist Bestätigung und Verstärkung des Nerd-Status der vier Freunde, weil mit ihr eine Figur eingeführt wird, die so etwas wie Normalität repräsentiert.

Damit bedeutet sie für das Leben der vier Freunde eine fundamentale Veränderung. Sie tritt in ihr Dasein wie ein Urknall; sie ist der Big Bang, mit dem die Geschichte erst beginnt. Aus der Differenz zwischen den Nerds und Penny entstehen die erzählerische Spannung und ein großer Teil der Komik. Schon als Leonard und Sheldon ihre neue Nachbarin zum Essen einladen wollen, gerät dies zu einem kommunikativen Super-GAU: Das Bemühen Leonards um Normalität scheitert, Sheldon begreift nicht einmal den Zweck der Unternehmung.

Leonard: „I’m gonna invite her over. We’ll have a nice meal and … chat.“
Sheldon:“Chat? We don’t chat, at least not off-line.“
Leonard: „Well, it’s not difficult. You just listen to what she says, and then you say somthing appropriate in response.“ (klopft)
Sheldon: „To what end“?
(Staffel 1, Episode 1, 00.04.36 – 00.04.56)

Im nächsten Moment scheitert Leonard jedoch selbst an dieser scheinbar einfachen sozialen Aufgabe eines Gesprächs, wenn er eben nicht „appropriate“ antwortet, sondern seine Einladung mit der wohltuenden, abführenden Wirkung von Curry begründet.

Penny steht ahnungs- und fassungslos vor dem Wissenschaftsjargon und der Eigenartigkeit ihrer Nachbarn. Sie ist die narrative Kontrastfolie, vor der die Defizite der Nerds verdeutlicht – und zu Komik – werden. Die Figur Penny macht den Zuschauern ein besonderes Teilhabe-Angebot, indem sie mögliche – und sicher auch wahrscheinliche – Reaktionen stellvertretend zeigt: Ihr verständnisloses Gesicht entspricht unserem Kopfschütteln, wenn etwa die vier Physiker außer sich vor Begeisterung sind, weil es ihnen gelungen ist, das Licht ihrer Stehlampe durch ein Signal einzuschalten, das sie per Internet um den Erdball geschickt haben. Während die Physiker sich über das Gelingen dieser Versuchsanordnung freuen, empfiehlt Penny das Anschaffen einer Universalfernbedienung. Penny braucht, ganz pragmatisch, Lösungen für den Alltag und hat keinen Sinn für die Lust der Nerds am bloßen Experiment. „Penny: ‚Um, here’s a question: Why?‘ Alle: ‚Because we can.'“ (Staffel 1, Episode 9, 00.00.00 – 00.02.00)

Nerd als Kategorie von Aneignung

Was in den Augen von Penny als Defizit erscheint, nehmen die Nerds selbst nicht als Mangel wahr. Sie sind auf ihr Anderssein im Gegenteil sogar stolz, weil sie damit hohen Intellekt, wissenschaftliche Fähigkeiten und berufliche Erfolge verbinden. „That’s my work. It’s just some quantum mechanics. A little string theory doodling around the edges. That part there –- that’s just a joke. It’s a spoof of the Born-Oppenheimer approximation“, so erklärt Sheldon seine auf einem Flipchart skizzierte Arbeit, als Penny das erste Mal bei ihnen zu Besuch ist, und Leonard hat sofort das Bedürfnis, mit seinem Flipchart ebenfalls brillieren zu müssen.

Beiden ist es völlig gleichgültig, dass Penny davon zwar prinzipiell beeindruckt ist –- „This is really impressive“ –-, aber den Inhalt der beiden Poster gar nicht versteht. (Staffel 1, Episode 1, 00.06.18 – 00.04.56) Beiden Männern ist durchaus klar, dass sie anders sind als Penny. Sheldon bringt dies schon nach der ersten Begegnung mit ihr auf den Punkt. Als Leonard auf der grundsätzlichen Möglichkeit einer sexuellen Beziehung zu Penny besteht mit den Worten: „I’m a male and she’s a female“, antwortet er: „Yes, but not of the same species“.

Allerdings halten die TBBT-Nerds sich und ihre Welt für das bessere Modell. Darum ist die Bezeichnung Nerd für sie auch keine Abwertung, sondern ein Kompliment. Sie eignen sich die mit einem Ausschluss aus der Normalität verknüpfte Zuschreibung aktiv an. Anders sein heißt besser sein, das negative Stereotyp wird positiv umgedeutet. Damit machen sich die vier Freunde gleichzeitig zum Bestandteil einer anderen Gemeinschaft, die sich als naturwissenschaftliche und/oder digitale Elite empfindet und den Titel ‚Nerds‘ trägt wie eine Auszeichnung. Diese Art von Exklusivität hat Glamour. Howards Verkündung einer Absage von vier Kollegen für den Physic Superbowl als „nerd news“[12] ist ein Zeichen von Exklusivität.

Abwertung und Anerkennung können außerdem verschmelzen, wie z. B. in der Folge The Cooper-Hofstadter Polarization. Howard hat ein Video auf YouTube gestellt, das Sheldon und Leonard zeigt, wie sie sich auf einem Kongress prügeln. Am Ende der Episode sieht man zwei Chinesen – die im Outfit aussehen wie asiatische Versionen von Sheldon und Leonard – vor ihrem PV sitzen und das Video kommentieren.

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Chinese 1: „What losers.“
Chinese 2: „Yeah. Gigantic American geeks.“
(Das Licht geht ohne ihr Zutun aus und an.)
Chinese 1: „Who’s doing that?“
Chinese 2: „Someone in Pasadena, California, named ‚Wolowizard‘.“
Beide (begeistert High-Five schlagend): „Awsome!“

Sheldon und Leonard werden von den beiden Chinesen wegen ihrer aus wissenschaftlicher Eitelkeit entstandenen Prügelei als Loser und als American geeks bezeichnet. Der User namens „Wolowizard“ (Howard) dagegen wird für seine Idee gefeiert. Dass die beiden Physiker im Video und Wolowizard diesen Lichteffekt gemeinsam ersonnen haben, weiß nur der Zuschauer. Was in der Außensicht der Chinesen unterschieden wird, fällt in der Sicht des TV-Zuschauer zusammen: Die vier Freunde sind Loser und Genies zugleich.

Neben der pejorativen Bedeutung des Nerds steht die positive Aneignung. In ihrer eigenen Auffassung gehören die TBBT-Nerds zur Gruppe der Coolen. Darum lädt die Produktionsfirma ganz folgerichtig den Zuschauer ein, sich selbst ebenfalls als Teil dieser Nerd-Gemeinschaft zu betrachten: Auf dem Back-Cover der DVD wird auf das Special über Quantenmechanik aufmerksam gemacht: „Ein Blick hinter die Kulissen, warum es cool ist, ein Nerd zu sein“. (TBBT 2010)

Nerds und die Verhandlung von Normalität

Während auf der ersten Ebene das Stereotyp Nerd als negative Kategorie der Zuschreibung zur Erzeugung von Komik genutzt wird, zeigt die zweite Ebene eine positive Aneignung und Umdeutung des Begriffs durch die Freunde selbst. Indem sich die Freunde in einer exklusive Gemeinschaft der Nerds verorten bzw. selbst eine Gemeinschaft bilden, begründen sie zugleich eine eigene Normalität.

Sie nehmen sich selbst keineswegs als merkwürdig oder dysfunktional wahr, sondern gehen miteinander völlig selbstverständlich um, verstehen einander und haben gemeinsame Interessen. Es werden in der Serie also zwei Kategorien von Normalität entwickelt und miteinander konfrontiert: Die Normalität Pennys und die Normalität des Nerd-Freundeskreises. Damit stellt die Sitcom TBBT auf einer dritten Ebene die Frage nach der Kategorie ’normal‘ als solcher.

Diese drei Ebenen werden in der Sitcom immer wieder miteinander verschränkt, so auch in der letzten Folge der ersten Staffel. Leonard hat Penny endlich gefragt, ob sie mit ihm ausgehen würde und Penny hat zugestimmt. Dann kommen ihr allerdings Bedenken und sie bittet Sheldon um Rat. Sheldon kann mit ihrem Ansinnen zunächst nichts anfangen, folgt ihr aber in ihr Apartment. Als ihm Penny wie eine normale Gastgeberin einen Platz anbietet, weiß er nicht, wo er sich hinsetzen soll – eine Marotte von Sheldon, die der Zuschauer seit der ersten Episode kennt. Er weiß nicht genug über die Luftströmung und die Sonneneinstrahlung in Pennys Apartment, um „an informed choice“ zu treffen. Penny schlägt ihm daher vor, einfach einen Sitzplatz auszuprobieren: „Why don’t you just pick one at random and then if you don’t like it, you can sit somewhere else next time?“. Darauf entgegnet Sheldon: „No, no, that’s crazy“. (Staffel 1, Episode 17, 00.12.33)

Dass Sheldon Pennys Vorschlag als verrückt bezeichnet, zeigt einen Clash von zwei Normalitätsvorstellungen. Penny – wie die meisten Zuschauer –findet es normal, sich erst einmal irgendwo hinzusetzen und sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Für Sheldon dagegen ist die Vorstellung, eine nicht auf Fakten beruhende und daher irrationale Wahl zu treffen, absurd.

Was verrückt ist und was normal, wird hier als Frage der Perspektive offen gelegt. Sheldon verbringt die folgenden Minuten damit, verschiedene Sitzmöglichkeiten zu testen, während Penny ihr Problem schildert. Er hört ihr dabei durchaus zu, fokussiert sich aber auf Fakten, während Penny ihr emotionales Dilemma ausbreitet: Sie vermutet, dass Leonard in sie verliebt ist und dass er kein Typ für kurze Affären ist. Wenn das Date und die sich hiermit anbahnende Beziehung schiefgehen, fürchtet sie einen Freund zu verlieren. Als Sheldon nach umständlicher Suche „seinen“ Sitzplatz gefunden hat, ist er auch in der Lage, Penny einen Rat zu geben. Allerdings nicht in einer Form, der für sie verständlich und daher nützlich wäre. Sheldon begegnet ihrem Dilemma mit einem Verweis auf Schrödingers Katze – einem Gedankenexperiment aus der Physik, das die Unvollständigkeit der Quantentheorie mit einem Paradoxon demonstrieren soll.

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Sheldon: „Well, let’s see. We might consider Schrödinger’s Cat.“
Penny: „Schrödinger? Is that the woman in 2A?“
Sheldon: „No. That’s Mrs Grossinger. And she doesn’t have a cat, she has a Mexican hairless, annoying little animal, yip yip yip yip…“
Penny: „Sheldon!“
Sheldon: „Sorry, you diverted me. Anyway, in 1935, Erwin Schrödinger, in an attempt to explain the Copenhagen interpretation of quantum physics, he proposed an experiment where a cat is placed in a box with a sealed vial of poison that will break open at a random time. Now, since no one knows when or if the poison has been released, until the box is opened, the cat can be thought of as both alive and dead.“
Penny: „I’m sorry, I don’t get the point.“
Sheldon: „Well of course you don’t get it, I haven’t made it yet. You’d have to be psychic to get it, and there’s no such thing as psychic.“
Penny: „Sheldon, what’s the point?“
Sheldon: „Just like Schrödinger’s Cat, your potential relationship with Leonard right now can be thought of as both good and bad. It is only by opening the box that you’ll find out which it is.“
Penny: „Okay, so you’re saying I should go out with Leonard.“
Sheldon: „No, no, no, no, no, no. Let me start again. In 1935, Erwin Schrodinger…“
(Staffel 1, Episode 17, 00.14.16 – 00.15.38)

Dass Penny diese Antwort wenig hilft, ist in ihrer Mimik deutlich sichtbar – und absolut verständlich: Sheldons Antwort ist unangemessen. Sie erfordert Vertrautheit mit dem Gegenstand, Übertragungsleistung und mehr Aufmerksamkeit für das Beispiel als für das eigentlich in Rede stehende Problem. Die Kommunikation gelingt nicht, Sheldon und Penny bleiben letztlich unterschiedliche „species“. Nur wenige Minuten später gibt es eine Parallelszene, in der Leonard Sheldon in der gleichen Angelegenheit um Rat bittet.

Leonard: „Sheldon, this date is probably my one chance with Penny, what happens if I blow it?“
Sheldon: „Well, if we accept your premise, and also accept the highly improbable assumption that Penny is the only woman in the world for you then we can logically conclude that the result of blowing it would be that you end up a lonely, bitter old man with no progeny. The image of any number of evil lighthouse keepers from Scooby Doo cartoons comes to mind.“
Leonard: „You’re not helping.“
Sheldon: „Alright, what response on my part would bring this conversation to a speedy conclusion?“
Leonard: „Tell me whether or not to go through with the date.“
Sheldon: „Schrödinger’s Cat.“
Leonard: „Wow, that’s brillant.“
Sheldon: „You sound surprised.“
(Staffel 1, Episode 17, 00.16.36 – 00.17.20)

Erneut antwortet Sheldon mit dem Beispiel von Schrödingers Katze. Diesmal aber hilft er seinem Gesprächspartner. Allein die Erwähnung des Experiments reicht, Leonard versteht sofort und ist dankbar für den Rat. Was im Gespräch mit Penny inadäquat war, erweist sich gegenüber Leonard als genau richtig. Die Szene zeigt: Die Nerds sind – jedenfalls innerhalb ihrer eigenen Gruppe – zu einer gelingenden, normalen Kommunikation in der Lage. Sie teilen gewissermaßen einen eigenen Normalitätsraum.

Nun mag dies auf den ersten Blick gerade als Indiz für die Andersartigkeit der Nerds erscheinen: eine kleine Gruppe von intelligenten, aber sozial defizitären Typen, die fast zwangsläufig nur miteinander zu tun haben (können) und dabei ihre Marotten auch noch kultivieren. Allerdings stellen die Nerds in TBBT eben nicht die Minorität, sondern die Majorität. Sie sind zahlenmäßig überlegen und bestimmen allein dadurch Normalität neu. In dieser Normalität gerät Penny zur Außenseiterin, und mit ihr gewissermaßen auch der Zuschauer, soweit er sie als Stellvertreterfigur rezipiert.

Auf diese Weise fragt die Serie ganz grundsätzlich nach der Entstehung und Verfasstheit von Normalität. Denn im permanenten Clash der beiden Normalitätsräume und durch die zahlenmäßige Verteilung zugunsten der Nerds wird der scheinbar sichere Begriff des Normalen außer Kraft gesetzt und neu verhandelt. Die Gaußsche Glocke der Normalverteilung scheint sich verschoben zu haben: Hier sind die Nerds in der Mitte und Penny am Rand.

Penny: „Wow! So in your world, you’re like the cool guys.
Howard: „Recognize!“
(Staffel 1, Episode 13, 00.01.13)

Neben der Perspektive von Penny kann die Teilhabe der Zuschauer aber auch durch die Perspektive der Nerds initiiert und geprägt werden. Sheldons Bestehen auf Regeln wird narrativ und darstellerisch übertrieben und sorgt dadurch für Komik. Jenseits der Übertreibung ist aber die Erfahrung, dass das moderne Leben wie ein Labor funktioniert, dass es nach mehr oder weniger festen, geheimen oder institutionalisierten Regeln geführt wird oder wenigstens der Anspruch besteht, es so zu führen, eine auch für Nicht-Nerds identifizierbare Realität und Normalität.

Wenn man, einer Idee Jürgen Links folgend (Link 2006), Normalität in modernen Gesellschaften als ein Dispositiv auffasst, als etwas, das weder einfach vorhanden noch von oben bestimmt, sondern beständig gesellschaftlich und kulturell produziert und reproduziert wird,[13] dann sind die Massenmedien in diesem Prozess ein wichtiger Faktor. Sie werden häufig als diejenigen beschrieben, die Stereotypen fortschreiben, Klischees bedienen, das Immergleiche wiederholen.

Auch in TBBT wird mit Stereotypen gearbeitet: Frauen (besonders wenn sie jung, hübsch und blond sind) verstehen nichts von Physik, sondern wollen Schauspielerin werden und schaffen es nur bis zur Kellnerin. Jungs, die nur vor dem Computer rumhängen, Rollenspiele spielen und bei ihrer Mutter wohnen, kriegen keine Freundin. Diese Stereotypen werden aufgegriffen und sogar noch weiter zugespitzt.[14]

Allerdings geht TBBT über eine bloße affirmative Bestätigung von Stereotypen hinaus. Gerade weil sie bis zur Karikatur, bis zur Kenntlichkeit, übertrieben werden, bilden die Stereotypen in TBBT Anlass und Ausgangspunkt für die Verhandlung von Einschluss und Ausschluss, Normalität und Abweichung. In der Konfrontation der durch Penny und die Nerds repräsentierten Normalitätsfelder zeigen sich beide Seiten als sozial anpassungs- und lernfähig sowie als in ihrer jeweils eigenen Auffassung normal.

Je länger die Serie läuft, desto mehr wird außerdem die Varianz innerhalb der Nerd-Gruppe sichtbar. Die Darstellung von vier ganz unterschiedlichen Nerds mit jeweiligen Stärken und Schwächen und jeweils eigenen Geschichten zeigt sie zunehmend weniger als stereotyp, sondern als unterschiedlich und unterläuft so die Idee, der Nerd sei eine klar zu definierende Defizitfigur.

Die Sitcom „Big Bang Theory“ ist also nicht in erster Linie eine Bestätigung, sondern eine ständige Verhandlung von Normalität. Was als normal gelten könnte, wird permanent zur Disposition gestellt und neu – und dabei komisch – verhandelt.[15]

Das Komische ist dabei nicht so sehr angenehmer Nebeneffekt, sondern vielmehr Transporteur von Erkenntnis, weil es Distanz herstellt und damit einen neuen Blick ermöglicht. Normalität wird, das zeigt die Szene mit Schrödingers Katze, kontextabhängig.

Die Wiederholung erzählerischer Muster, sich ähnelnder Situationen und Vorgänge, vertieft diesen Effekt: Je länger und häufiger die Nerds ihre Art von Normalität zeigen, desto normaler erscheint diese. Die Erweiterung des Figurenensembles um weibliche Nerds ist dabei ebenso wichtig wie die zunehmende Ausdifferenzierung der Unterschiede zwischen den Nerds, die sie immer weniger als ‚gleiche‘, sondern als unterschiedliche Typen zeigt.

Dass uns die Nerds auf der einen Seite immer weniger nerdig erscheinen, je länger die Serie läuft, und auf der anderen Seite Penny dazulernt und gelegentlich sogar selbst etwas nerdig erscheint, ist also kein Widerspruch zur These. Im Gegenteil, die Auseinandersetzung mit der jeweilig anderen ‚Species‘ muss dramaturgisch Folgen haben, weil sonst die Serie statisch und die Normalitätsverhandlung redundant wird.

Dass wir als Zuschauer die Protagonisten im Verlauf der Staffeln immer weniger als Nerds empfinden, kann außerdem als Gewöhnungseffekt aufgefasst werden, der genau Abbild jener Normalitätsproduktion ist: Nerds sind inzwischen in den Bereich des Normalen integriert – wenn auch am Rand. Genau diese Position, etwas abweichend, aber nicht „draußen“ zu sein, garantiert den Coolness-Faktor, der den Nerd zu einer populären Figur der Gegenwart macht, immer noch Klugscheißer, aber nun einer, den man mag.

 

Anmerkungen

[1]       Die Sitcom ist ein Genre mit klaren formalen Konventionen: Eine Folge dauert ca. 25 Minuten. Sie spielt überwiegend in wenigen Innenräumen, die in immer gleichen Kameraperspektiven gefilmt sind; charakteristisch für die amerikanische Sitcom ist das Wohnzimmer mit der frontal angeordneten Couch. Sitcoms haben ein stabiles und überschaubares Figurenensemble, das lediglich durch Nebenfiguren ergänzt. Im Mittelpunkt stehen Familien oder familienähnliche Konstellationen wie ein fester Freundeskreis. Dramaturgisch typisch ist die Störung der „Normalsituation“ zu Beginn einer Folge, die Etablierung und Erzählung des Konflikts und seine Auflösung am Ende der Folge. Damit die Situationen und Konflikte schnell und unkompliziert etabliert werden können, sind die Figuren in der Regel stereotyp und zugespitzt. Entscheidend sind nicht eine komplexe Dramaturgie oder die psychologische Tiefe, sondern die Qualität des Dialogs, was Script, Timing und Spiel angeht. Anders als z. B. die Soap ermöglicht die Sitcom durch den Witz stets ein gewisses Maß an Distanz. Nicht das Mitgefühl mit den handelnden Figuren steht im Vordergrund, sondern das durch das Publikum[1] verstärkte Lachen, das sowohl Wiedererkennen als auch Fremdheit bedeuten kann. Dieses Lachen ist in den amerikanischen Sitcoms traditionell das Lachen eines ‚echten‘ Publikums, das entweder bei der Aufzeichnung anwesend ist oder die fertig geschnittene Folge zu sehen bekommt. (Zum „laugh track“ siehe auch Savorelli 2010: 22f. und 30ff. ) Die ‚Lachkonserven‘ der deutschen Versionen sind vermutlich vor allem den Verschiebungen der Pointen durch die Synchronisation der Texte geschuldet.

[2]       In Staffel 3 bzw. 4 kommen mit Bernadette Maryann Rostenkowski und Amy Farrah Fowler zwei weitere hochintelligente und im naturwissenschaftlichen Bereich tätige Frauenfiguren hinzu, die die bis dahin männlich dominierte Nerd-Domäne erweitern.

[3]       Leonard: „We need to widen our circle.“
Sheldon: „I have a very wide circle. I have 212 friends on MySpace.“
Leonard: „Yes, and you’ve never met one of them.“
Sheldon: „That’s the beauty of it.“
(TBBT, 1. Staffel, 1. Folge, ab 00.04.22)

[4]       Über die ‚richtige‘ Definition des Nerd und verwandte Figuren wie etwa den Geek, gibt es in den letzten Jahren reichlich Diskussionen. Die verschiedenen Erscheinungsformen und ihre Bezeichnungen werden, insbesondere über das Internet, permanent verhandelt und befinden sich dadurch und durch immer neue mediale Aufbereitungen ständig im Wandel. Es kann und soll darum an dieser Stelle nicht darum gehen, die diversen Kategorien von Nerd, Geeks und anderen erneut und wiederum zeitlich limitiert zu definieren. Erkenntnisfördernder im Zusammenhang mit TBBT ist statt dessen, das all diesen Typen zugrundeliegende Gemeinsame zu benennen.

[5]       Insbesondere von Sheldon wird dieses Maschinenhafte des Nerds idealtypisch repräsentiert. Er wirkt in Alltagssituationen oft deplaziert, fast autistisch. Zum Eindruck des ‚Maschinenhaften‘ trägt auf der Schauspielebene das ‚Stone face play‘ bei: Sheldon verzieht kaum eine Miene und gibt somit auch keine Hinweise auf seine Emotionen.

[6]       Nugent identifiziert diese romantische Reaktion mit dem „Rise oft the British Empire“ (38) – vermutlich meint er hier nicht die gesamte Geschichte des britischen Empire, sondern vor allem das imperiale 19. Jahrhundert; er verweist auf die Romantik, aber auch auf das viktorianische Zeitalter.

[7]       Nugent nennt hier als zentralen Ausgangspunkt die „Muscular Christianity“(31.ff.), eine vom vikorianischen England ausgehende pietistische Bewegung, die körperliche Stärke – und damit implizit Sport – als Bestandteil und Ausweis eines christlichen Lebens propagiert. Damit einher geht die Vorstellung eines dezidiert maskulinen Christentums.

[8]       Das amerikanische System des Sport-Stipendiums, das Studierenden Stipendien aufgrund ihrer Leistungen in einer Sportart – und nicht etwa im zu studierenden Fach – vergibt, dürfte hierin seinen Ursprung haben.

[9]       Zwischen Stereotyp und Vorurteil wird häufig nicht oder nicht trennscharf unterschieden. Am plausibelsten erscheint mir die Differenzierung, die für das Vorurteil das affektive, emotionale Moment betont und für das Stereotyp die „kognitive Dimension und de[n] Aspekt der Orientierungsfunktion“ (Reisigl 2008: 246) hervorhebt. Der in TBBT medial präsentierte Habitus eines Nerds ist ein Stereotyp, während ein Vorurteil sich beispielsweise darin äußert, dass ein brilletragender und mathematikbegabter Junge in der Schule abgelehnt und gemobbt wird. Stereotypen sind also geeignet, Vorurteile zu begründen und zu bestätigen. Die soziologische Konversationsanalyse begreift Stereotypisierung als Teil sozialer Kategorisierung, sie sieht Stereotypen als ausgehandelte Entitäten und plädiert für ein dynamisches, nicht statisches Verständnis des Stereotyps, das sie nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalfall ansieht (ebd.: 248).

[10]      Für die Korrektheit der Dialoge im Bereich Physik ist die Serie auch unter Naturwissenschaftlern berühmt. Dies wird u. a. David Saltzberg zugeschrieben, einem Physiker an der University of California, der für die Serie als Berater arbeitet. „Saltzberg likes to inject scripts with terms such as Casimir effect, molecular positronium, and giant magnetoresistance (the subject of the 2007 Nobel Prize in physics). ‚I go for stuff that sounds really fake—that you think is Hollywood science but find out not only is it real, it’s topical,‘ he says.“ (Heyman 2008: 741)

[11]      Zumindest in den deutschen Gymnasien ist das Doppelspaltexperiment Schulstoff im Fach Physik. Auch wenn sich das amerikanische Schulsytem vom deutschen sehr unterscheidet, dürfte zumindest auf vielen Colleges Quantenmechanik zum Unterrichtsstoff gehören.

[12]      „Gentlemen, switching to local nerd news, Fishmen, Chen, Chaudury and MacNair aren’t fielding a team in the University Physics Bowl this year.“ (Staffel 1, Episode 13, 00.00.58)

[13]      Vgl. Link 2006, der die Produktion von Normalität(en), u. a. durch Datenerhebungen und Statistiken, in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft als soziale und industrielle Normierung diskursgeschichtlich analysiert.

[14]      So steigert sich bei Raj die dem Nerd zugeschriebene Unbeholfenheit im Umgang mit Frauen zur Unfähigkeit, mit Frauen überhaupt zu sprechen (selektiver Mutismus) – außer wenn er betrunken ist. Dass diese Unfähigkeit in seiner Nerdiness begründet ist, wird dadurch belegt, dass selbst ein eingebildeter Rausch mit alkoholfreiem Bier zu gelingender Kommunikation führt. Bei Howard hingegen wird seine Unbeholfenheit übermäßig sichtbar gemacht. Seine Flirtversuche sind plump, direkt und meist erfolglos. Er kommunziert mit den Frauen wie mit einer Maschine: Er gibt seine Wünsche ein. Bei Sheldon äußert sich das Bedürfnis nach Regeln und eindeutiger Kommunikation in einer überregulierten Lebensführung. Für jeden Tag gibt es vorgesehenes Essen, die Sitzplätze sind festgelegt, ebenso die Bedingungen für Geschenke oder gegenseitige Hilfe. In der von ihm verfassten und in der Serie oft zitierten Mitbewohner-Vereinbarung (später auch in der Beziehungsrahmenvereinbarung) findet dieses Regulierungsbedürfnis eine immer wiederkehrende Materialisierung.

[15]      In den Begrifflichkeiten von Link könnte eine solche Aushandlung als flexibel-normalistische Strategie bezeichnet werden. (vgl. Link 2006,S 51ff.)

 

Bibliografie

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Bermes, Christian/Dierse, Ulrich/Erler Michael (Hrsg.) (2008): Archiv für Begriffsgeschichte. Bd.50. Hamburg: Felix Meiner Verlag

Bermes, Christian/Dierse, Ulrich/Erler Michael (Hrsg.) (2009): Archiv für Begriffsgeschichte. Bd.50. Hamburg: Felix Meiner Verlag

De Bruijn, Max (2000) Wie werde ich Bill Gates? Aufzucht und Lebensweise des gemeinen Nerd. Frankfurt/Main: Fischer

Heyman, Karen (2008) „Talk Nerdy to Me“. In: Science, Vol. 320 no. 5877, 9 May 2008: 740-741. Online unter: http://www.sciencemag.org/content/320/5877/740.summary.

Link, Jürgen (2006) Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Nugent, Benjamin (2009) American Nerd.The Story of My People. New York: Scribner

Reisigl, Martin (2008) „Stereotyp“. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Hg. v. Christian Bermes, Ulrich Dierse u. Michael Erler. Bd.50. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 231-251

Reisigl, Martin (2009) „Stereotyp“ (2). In: Archiv für Begriffsgeschichte. Hg. v. Christian Bermes, Ulrich Dierse u. Michael Erler. Bd.50. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 105-125

Savorelli, Antonio (2010) Beyond Sitcoms. New Directions in American Television Comedy. Jefferson, North Carolina, London: McFarland & Company

The Big Bang Theory, Staffel 1 (2010). Warner Brothers Entertainment (TV-Erstausstrahlung: 2008)

The Big Bang Theory. CBS, Official Site.

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Springer VS.

Weitere Hinweise zum Sammelband »Medien – Bildung – Dispositive. Beiträge zu einer interdiszilinären Medienbildungsforschung«, in dem der Aufsatz zuerst erschienen ist, hier.

 

Barbara Hornberger ist Professorin für Didaktik der Populären Musik an der Hochschule Osnabrück.