Der Wahlkampf auf Instagram (2)von Wolfgang Ullrich2.7.2017

Martin Schulz in der Schule

Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste, in dem auch Bilder der Sozialen Medien, vor allem Bilder auf den Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten eine Rolle spielen. Statt nur Reden zu halten oder Kundgebungen zu veranstalten, machen Politikerinnen und Politiker mittlerweile also auch zunehmend selbst Bilder, um für ihre Botschaften zu werben. Bis zur Bundestagswahl wird Wolfgang Ullrich einzelne dieser Bilder in loser Folge genauer betrachten und Instagram als Medium politischer Ikonografie in der Phase seiner Entstehung begleitend kommentieren.

Teil 2 der Kooperation von Ideenfreiheit und pop-zeitschrift.de

Bildschirmfoto 2017-07-02 um 12.48.13

Als Instagram im Jahr 2010 gegründet wurde, verdankte die App ihre ersten Erfolge Filtern, die jedem Foto per Klick eine andere Tönung und Atmosphäre verleihen. Millionen von Usern machte es Spaß, Bildern einen Gelbstich zu geben, so als seien sie schon Jahrzehnte alt, oder man veredelte sie durch einen Sepiaton oder mit einem künstlerischen Schwarz-Weiß, so als wären es Vintage-Prints aus einer Galerie. Am beliebtesten aber waren Filter mit Polaroid-Ästhetik, an die Instagram auch mit dem quadratischen Format der Fotos anknüpfte. Das sollte eine Hommage an jene Bildkultur sein, in der Fotos erstmals nicht nur schnell zu produzieren, sondern auch schnell sichtbar zu machen waren. Zugleich assoziiert man mit Polaroids die Freude, die es bedeutete, gemeinsam mit anderen zu schauen, wie sich ein Foto entwickelte. Beides – das Tempo und die sozial-kommunikative Dimension von Bildern – hat sich durch die digitalen Möglichkeiten nochmals erheblich gesteigert.

Instagram ist aber längst weit mehr als ein Nachfolger von Polaroid, was sich auch daran zeigt, dass die Filter nicht mehr oft genutzt werden. Aber manchmal kommen sie doch noch zum Einsatz. So etwa bei einem Foto, das am 29. Juni 2017 auf dem Instagram-Account von Martin Schulz hochgeladen wurde. Man sieht den SPD-Kanzlerkandidaten hier in einem Klassenzimmer einer Berliner Oberschule, und der begleitende Text informiert, dass er eine „Vertretungsstunde im Fach Politik“ hielt, also in die Rolle eines Lehrers schlüpfte, was Hashtags wie #lehrer und #lehrerleben noch unterstreichen. Abgesehen davon, dass es entweder zu profan oder zu kokett, in jedem Fall aber nicht angemessen anmutet, wenn der Mann, der sich um das mächtigste Amt der Republik bewirbt, so tut, als springe er als Aushilfe für ausfallenden Unterricht ein, ist erst recht unpassend, wie das Foto mit einem Filter bearbeitet wurde.

Es handelt sich um den Filter ‚Nashville‘, der die Farben wärmer erscheinen lässt und Kontraste mildert. Empfohlen wird er, wenn man einem Bild einen nostalgischen Retro-Look verpassen will. Sollte es hier um ein Feuerzangenbowlengefühl gehen, und Martin Schulz wollte noch einmal nacherleben, wie es in seiner eigenen Schulzeit war? Aber was bringt eine solche Verklärung? Statt die Gegenwart sentimental in die Vergangenheit zurückzuversetzen, müsste ein Kanzlerkandidat doch Bilder einer besseren Zukunft heraufbeschwören, die er realisieren will. Oder er müsste zumindest sichtbar machen, wo aktuelle Defizite liegen, müsste zuspitzen und skandalisieren. Was also soll der Hashtag #gerechtigkeit, das Leitthema des SPD-Wahlkampfs, in Verbindung mit einem Foto, das durch den Filter so harmlos und rückwärtsgewandt geworden ist, dass es garantiert niemanden zu irgendeinem Handeln, ja gar zu mehr Engagement und Kampfeswillen motiviert? Die User von ‚Nashville‘ „don’t try too hard in life“, heißt es vielmehr auf einem Marketing-Blog, auf dem verschiedene Instagram-Filter charakterisiert werden.

Der Account von Martin Schulz wurde im März 2014 angelegt, als er Spitzenkandidat der Europäischen Sozialisten für die Europawahl war. Nach der Wahl im Mai 2014 wurde er nicht mehr weiter gepflegt, erst im Februar 2017, als Schulz das Amt des Kanzlerkandidaten übernahm, wurde man wieder aktiv. Der Account ist also, anders als bei etlichen anderen Politikern, ein eindeutiges Wahlkampfinstrument. Umso merkwürdiger, wie unentschieden alles auf diesem Account wirkt: Die Abstände, in denen Bilder gepostet werden, sind höchst unterschiedlich, die Bildsprachen divergieren, es gibt weder wirklich interessantes Backstage-Material noch attraktive, effektorientierte Inszenierungen eines Spitzenpolitikers, schließlich mangelt es auch an einer klaren – witzigen oder programmatischen – Hashtagpolitik. Dem Chef einer Werbeagentur kann man also nur zustimmen, der kürzlich meinte, gerade die SPD habe bisher „verpennt“, welche Möglichkeiten die Sozialen Medien für den Wahlkampf bieten. Also: ab in die Schule und nachsitzen!

 

Der Wahlkampf auf Instagram:
Teil 1: Mit dem Regenbogenherz ins politische Sommermärchen