Der Wahlkampf auf Instagram (5)von Wolfgang Ullrich27.7.2017

Wer gewinnt den großen Fotowettbewerb?

Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste, in dem auch Bilder der Sozialen Medien, vor allem Bilder auf den Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten eine Rolle spielen. Statt nur Reden zu halten oder Kundgebungen zu veranstalten, machen Politikerinnen und Politiker mittlerweile also auch zunehmend selbst Bilder, um für ihre Botschaften zu werben. Bis zur Bundestagswahl wird Wolfgang Ullrich einzelne dieser Bilder in loser Folge genauer betrachten und Instagram als Medium politischer Ikonografie in der Phase seiner Entstehung begleitend kommentieren.

Teil 5 der Kooperation von Ideenfreiheit und pop-zeitschrift.de

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Nicht für alle Parteien eignet sich Instagram gleichermaßen gut als Wahlkampfmedium. Stärker als auf anderen Plattformen der Social Media geht es hier vornehmlich darum, mit Bildern aus dem eigenen Leben etwas zu demonstrieren: wie gesund man sich ernährt, wie schön man eingerichtet ist, was für coole Freunde man hat, mit wie viel Spaß man seine Freizeit verbringt, was man Tolles einkauft. Instagram ist also ein Ort, an dem Menschen zeigen, dass sie Standards guten Lebens erfolgreich erfüllen und sogar noch mehr als andere erreicht haben. Für jeden Lebensbereich haben sich eigene Bildmuster etabliert, um sichtbar zu machen, dass man fitter ist als andere oder dass man totaler als sie relaxen kann. Hashtags fordern erst recht zum Vergleich heraus, lässt sich doch direkt überprüfen, was andere zu bieten haben, die ihre Bilder ihrerseits mit #sixpack oder #feierabendbier oder #entspannungpur verschlagwortet haben. Nirgendwo sonst ist die Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft realer als auf Instagram.

Zur FDP passt Instagram daher besonders gut. Keine andere Partei hat ein so ungebrochen affirmatives Verhältnis zu Leistung und Wettbewerb, keine andere Partei versteht sich so sehr als Anwalt des starken Individuums, das sich selbstbestimmt verwirklichen will. Auf Instagram kann die FDP also ihre Werte, ihr Programm direkt umsetzen. Und wie in anderen Belangen geht ihr Vorsitzender dabei tatkräftig voran. Christian Lindner sagt nicht nur, dass ihm Instagram lieber sei als Twitter oder Facebook, sein Account belegt es auch. Mit fast jedem Bild macht er deutlich, wie intensiv und professionell er sein Leben lebt – wie sehr er jeweils das Beste zu bieten und zu erleben versucht. Er zeigt, dass er jede freie Minute zwischen seinen vielen Terminen dazu nutzt, ein (anspruchsvolles) Buch zu lesen, Sport zu machen oder einen Vortrag zu konzipieren, und stolz dokumentiert er, vor wie vielen Menschen er seine Reden hält. Aber er beweist ebenso, dass er perfekt Urlaub zu machen versteht, wenn er sich dafür mal ein paar Tage Zeit nimmt.

Während Teile Deutschlands im Dauerregen versinken, entspannt Lindner auf Mallorca. Am 26. Juli postete er von dort ein Urlaubsfoto. Zu sehen ist das Heck eines Motorboots, das gerade durch das Wasser pflügt, im Hintergrund die Küste, auf dem Boot eine Deutschlandfahne. Dazu die Hashtags #holiday #vacaymode #ocean #spain. Vor allem #vacaymode weist Lindner als Instagram-Profi aus, ist es doch Social Media-Slang, der ungefähr für das steht, was man früher als ‚Urlaubsgefühle’ bezeichnet hätte. Die Verwendung dieses Hashtags ist aber auch als Ansage zu verstehen: Mein Urlaub ist perfekt! Oder gibt es etwas Geileres, als auf einem Boot in freier Fahrt unterwegs zu sein? Andere User posten unter demselben Hashtag Bilder von Sonnenuntergängen, sinnlichen Outfits, leckerem Essen, aber so eine Spritztour im Meer (#ocean) ist nur schwer zu toppen.

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Wohlmeinende Kommentatoren äußern die Sorge, Lindner könnte mit einem solchen Foto Neidgefühle auf sich ziehen. Tatsächlich stellt sich die Frage, wie ein Hartz IV-Empfänger oder eine gestresste Alleinerziehende es wahrnehmen, dass jemand über das Geld und die Möglichkeiten verfügt, seine Bedürfnisse so kompromisslos auszuleben. Müssen sie sich nicht düpiert vorkommen? Oder sogar provoziert und verletzt fühlen? In den letzten Jahren kam es wiederholt vor, dass einzelne Gruppen gerade Bilder auf Instagram als diskriminierend empfanden. So fühlten sich etwa Frauen, die nicht in der Lage sind, ihre Babys zu stillen, von Fotos gestört, auf denen Mütter das Stillen als natürlich und schön in Szene setzen. Sie erleben sich dadurch als schlechte Mütter, ja als „Bürger zweiter Klasse“ („second class citizens“). Die Journalistin Laura Ewert löste 2015 eine größere Debatte aus, als sie in einem Artikel in der WELT behauptete, dass auf Instagram jedes Bild zu einem Imperativ werde, der dazu auffordere, ein mindestens so schönes und gutes Leben zu zeigen wie alle anderen. So führen die Bilder zu einem „Wettrüsten“ und gefährden das gesellschaftliche Klima, sie “hetzen und verhöhnen“ – zumindest aus der Perspektive der Verlierer des großen Fotowettbewerbs.

Da die FDP zum Prinzip ‚Wettbewerb’ ohne Wenn und Aber steht, muss sie sich hier keine großen Gedanken machen, doch für Parteien, die der Leistungsgesellschaft misstrauen und dafür lieber Werte wie ‚Gleichheit’ und ‚Solidarität’ stärken wollen, ist zu überlegen, ob und wie sie auf Instagram überhaupt agieren sollen. Ist diese Plattform nicht so programmiert, dass letztlich alles in den Sog der Wettbewerbslogik gerät? Wird hier nicht jede und jeder dazu gebracht, mit dem eigenen Status anzugeben, die individuellen Vorzüge in Szene zu setzen und, vor allem anderen, die eigenen Konsumgewohnheiten zu offenbaren?

Christian Lindner kann unterdessen noch seinen Urlaub genießen, um danach wieder voller Power in den Wahlkampf zurückzukehren. Die prominent ins Bild gesetzte Deutschlandfahne mag das Signal dafür sein, dass der Politiker auch fernab vom Berufsalltag seine Ziele nicht vergisst. Dabei gelingt Lindner das Bekenntnis zum eigenen Land ohne zu viel Pathos; man braucht beim Anblick seines Fotos also nicht gleich an die oft bemühte und hochtrabende Metapher vom Staatsschiff zu denken. Vielmehr erweist sich der anerkannt gute Redner auch als ein geschickter Bildrhetoriker.

Wer den Instagram-Account von Christian Lindner verfolgt, ahnt auf einmal, dass es künftig ganz selbstverständlich sein könnte, von Politikern zu erwarten, ihre Themen, ihre Agenda, ihren Lifestyle gerade auch mit möglichst starken Bildern zu veranschaulichen. Anhänger mobilisiert man nicht nur mit markigen Sprüchen, sondern mindestens so gut mit einem gekonnten Schnappschuss. Noch sind Politiker wie Christian Lindner, die selbst ihre Bilder machen, in der Minderheit, aber bald könnte es denjenigen, die keine Fotokompetenz besitzen, als Schwäche ausgelegt werden. Zumindest in einer so wettbewerbsfreudigen Partei wie der FDP.

 

Der Wahlkampf auf Instagram:

Teil 1: Mit dem Regenbogenherz ins politische Sommermärchen
Teil 2: Martin Schulz in der Schule
Teil 3: Wochenende eines protestantischen Läufers
Teil 4: Körpersprache statt Dingsymbole