Der ECHODie Indifferenz der reinen Popularitätvon Niels Penke19.4.2018

Der Name ist Programm

Die Debatte um die Verleihung des ECHOs an Farid Bang und Kollegah für ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ bestimmt die Feuilletons ebenso wie die Kommentarspalten auf Facebook. Im Zentrum steht die Trias von Kunstfreiheit, Geschmack bzw. Geschmacklosigkeit und einer Reihe von Antisemitismusvorwürfen bzw. antisemitischer Aussagen der beiden Rapper. Hier soll es aber weder darum gehen, am Beispiel von Songtexten die Freiheit der Kunst zu erörtern oder diese auf ihren antisemitischen Gehalt[1] zu überprüfen, sondern um die Rolle des Musikpreises, dessen Verleihung die Debatte erst initiiert hat.

„Der Deutsche Musikpreis ECHO“, preist der Bundesverband Musikindustrie die Preisverleihung an, „ist seit 1992 der Höhepunkt eines jeden Musikjahres.“[2] Dieser Höhepunkt ist ein Event, das veranstalterseitig den US-amerikanischen Grammys als gleichrangig angesehen wird. Alles, was Rang und Namen hat, gibt sich dort die Klinke und gegebenenfalls auch eine Trophäe in die Hand. Wer aber eine Chance auf die Trophäe bekommt, darüber entscheidet allein der Rang als das quantitativ messbar bessere Abschneiden von Musikern und Musikerinnen in Konkurrenz zu anderen ihrer Art. Denn anders als andere Kulturpreise orientiert sich der ECHO für seine Nominierungen und Auszeichnungen zunächst allein an Verkaufszahlen und Userrankings – eine Bewertung jenseits dieser rein objektiven Zahlen findet nicht statt. Auf dieser Grundlage werden in jeder Rubrik (HipHop, Rock usw.) die fünf erfolgreichsten Akteure vorausgewählt und einer Jury zur Abstimmung vorgelegt, die mit ihren Stimmen das Ergebnis zwar beeinflussen können, es jedoch gegen besonders erfolgreiche Alben oder Bands schwer haben.[3] Vielfach ausgezeichnete KünstlerInnen und Acts wie Helene Fischer, die Kastelruther Spatzen, Herbert Grönemeyer, Anna Netrebko oder Rammstein wird es nicht stören, dass sie neben guten Verkaufszahlen für genau diese auch noch mit Preisen überhäuft werden, die einen Mehrwert an symbolischem Kapital bedeuten, obwohl sie eigentlich nur Ausdruck rein ökonomischen Kapitals sind.

Fragwürdig sind jedoch weniger diejenigen, die diese Preise annehmen, als vielmehr jene, die diesen Preis ersonnen haben und sich erst mit Auftauchen von Kritik um den Beistand eines ‚Ethikrates’ bemühen, der letztlich auch zu einer Unbedenklichkeitseinschätzung gelangt.[4] Denn wer sich einem solchen Bewertungsregime unterwirft, das nur die Zahlen von verkauften Tonträgern, Downloads und Klicks registriert, hat sich bereits apriori jeder Verantwortung für Inhalte entledigt – egal ob ‚patriotische’ Heimat-Rocker im Selbstviktimierungswahn (vgl. Frei.Wild; 2010, 2013, 2014; 2016) oder eben homophobe Gewaltapolegeten, die brutal-gutaussehend mit antisemitischer Rhetorik über die jüdische Weltverschwörung aufklären wollen (2018). Argumente jenseits der Zahl kennt die der Preisverleihung zugrundeliegende Evaluation nicht.

ECHO, der Name ist Programm, auch wenn seine Initiatoren damit ursprünglich wohl einen anderen Klang im Sinn hatten. Denn anders als die mythologische Bergnymphe, die von höheren Mächten mit dem Zwang zur ewigen Wiederholung gestraft wurde, hat sich die deutsche Musikindustrie ihre Rolle selbst ausgesucht. Sie glaubt an die selbstlegitimierende Funktion des Marktes. Doch die Orientierung an nackten Zahlen, die unabhängig davon betrieben wird, was ihnen in Form und Inhalt der evaluierten Kunstwerke jeweils zugrunde liegt, ist der Eingang in die totale Unmündigkeit. Eine Unmündigkeit, die im Zweifelsfall, den sie jedoch nie als solchen erkennen kann, auch Antisemiten und Menschenfeinde aller Art für ihre Kunst auszeichnen muss. Die Musikindustrie agiert mit ihrem ECHO als nicht nur Adornos schlimmster Alptraum, als eine Variante der Kulturindustrie, die sich einerseits das Menschliche weitest möglich ausgetrieben hat, andererseits dennoch die Auslöschung Israels propagieren kann. Auf Seiten der Evaluation sind menschliche Operationen – nämlich die ästhetische wie politische Ästimation – kategorisch in den Hintergrund gestellt, die nur noch akklamierenden Charakter haben. Auf Seiten der Ausgezeichneten aber ist alles möglich.

Die Industrie jedoch interessiert dies anscheinend wenig; sie praktiziert stattdessen Selbstgenuss am Beispiel ihrer Erfolge, wenn sie die meistgeklickten und meistgekauften Songs, Alben und Acts aus der Latenz im Hintergrund erhobener Daten auf der Bühne ausstellt und somit Popularität sichtbar macht. Selbstgenuss, weil sie ja ohnehin schon weiß, wer die ‚Besten’ und ‚Erfolgsreichsten’ sind, die bei der großen Gala auftreten dürfen. Sie qualifiziert sich selbst als Wiederholerin, die durch die turnusmäßige Eventisierung und aufwendige mediale Inszenierung zusätzlich resonanzverstärkend wirkt, um all dem zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, was ohnehin schon große Popularität genießt. Wer von dieser indifferenten Ökonomie nicht reden will, kann zum Antisemitismus nur schweigen.

 

Dr. Niels Penke ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Siegen.

 

Anmerkungen

[1] Wer seine positiven physischen Merkmale über den Vergleich mit Auschwitzinsassen (vgl. den Song ‚0815’), die er damit verspottet, herausstellt, und zugleich von einer friedlichen Welt ohne Judentum träumt, das als dämonische Macht hinter allem Übel in der Welt gesehen wird (vgl. den Song ‚Apokalypse’), bedient sich mehr als nur eines Bausteins des modernen Antisemitismus. Selbst wenn, wie auf v.a. Twitter zu lesen, zwischen Mensch und Kunst-Figur zu trennen ist, dann sind es eben antisemitische Kunstfiguren, die ihre eliminatorischen Träume von einer judenfreien Welt öffentlich ausstellen.

[2] http://www.musikindustrie.de/echo/ (Stand 19.04.2018)

[3] Zum Prozedere der Entscheidungsfindung vgl. http://meedia.de/2018/04/13/chart-erfolg-plus-juroren-stimmen-so-kamen-die-umstrittenen-rapper-kollegah-und-farid-bang-zu-ihrem-echo/ (Stand 19.04.2018)

[4] Vgl. https://www.nmz.de/online/ein-armseliger-echo-beirat-und-die-frage-der-grundrechte. (Stand 19.04.2018)