Überlegungen zu Konsum, Unterhaltung und Nachhaltigkeit
Kofferversteigerung
Die Teilnahme an einer Kofferversteigerung läuft vermutlich darauf hinaus, in fremder, sicherlich getragener und wahrscheinlich ungewaschener Wäsche zu wühlen. Die Vorstellung, mit Kneifzange, Latexhandschuhen und Mundschutz anrücken zu müssen, um das Ersteigerte in Augenschein nehmen zu können, nimmt der Angelegenheit sicherlich für nicht wenige ihren Reiz. Dennoch: Es gibt diese Praktik. An Flughäfen liegengebliebene Koffer werden, wenn die Besitzer*innen nicht ermittelt werden konnten, nach drei Monaten entweder über private Auktionshäuser oder direkt von den Flughäfen verschlossen versteigert. Man sieht zwar Marke, Größe, Gestaltung und Zustand des Koffers, aber der Rest bleibt Überraschung.
Dass hierbei Jemandes Intimbereich durchforstet wird, muss diese*n Jemand im Grunde nicht stören, denn wäre man als Vorbesitzer*in ermittelbar, befände sich der Koffer ja nicht in der Auktion. Theoretisch. Schon unter den ersten Erfahrungsberichten war zu lesen, wie sich ein Journalist im Selbstversuch erst peinlich berührt durch die getragene Unterwäsche einer Frau arbeitet, um dann auf personenbezogene Daten zu stoßen.[1] Da hätte man doch besser mal am Flughafen genauer geguckt – und kaum komme ich auf Dysfunktionalität zu sprechen, fällt mir ein, dass die Deutsche Bahn ebenfalls Versteigerungen von Fundsachen durchführt.
Verderbliche Waren, lebende Insassen, Drogen, Medikamente, Waffen und Artikel, die gegen das Artenschutzabkommen verstoßen, usw. usf. werden vor der Versteigerung aus dem Verkehr gezogen. Das grenzt die Möglichkeiten auf gesunde und legale Erwerbungen ein. Dennoch hat sich angeblich schon so mancher auf diesen Auktionen nach Öffnen des Koffers gefreut. Mal abgesehen davon, dass es möglicherweise gar nicht so gesund ist, beherzt in fremde Unterwäsche zu greifen, weil sich an dem Punkt ein zweites Roulette-Spiel einstellt – um SARS, A/H1N1, H1N2, H5N1, HSV2, HPV, aber ist ja nicht alles gleich durch Kofferdurchwühlen übertragbar.
Es zeigt sich in obigem Video, dass nicht alle den Reiz der Überraschung suchen oder eventuell den persönlichen Besitzstand aufstocken möchten, sondern dass insbesondere Elektrogegenstände gerne auf Gebrauchtwarenbörsen weiterverkauft werden. Es treffen sich ein gewisses Maß an Unterhaltungswert und ein gewisses Maß an Nachhaltigkeit, zumal die Flughäfen selbst die Erlöse oftmals spenden.
Gegenstände werden in dem Sinne weiterverwertet, dass sie den Bieter*innen Spannung und den Verkäufer*innen Geld bringen und sie zumindest für einen – mehr oder weniger langen – Zyklus noch nicht zu dem wert- und funktionslosen Müll werden, der sie eigentlich drei Monate nach Auffinden sind und der in irgendeiner Form entsorgt werden muss. Natürlich muss sich irgendwo auf der Welt jemand eine neue Garderobe kaufen, werden also neue Waren produziert und Geld ausgegeben. Aber kann ja mal passieren, dass ein Koffer abhandenkommt.
Vielleicht wäre es sinnvoller, sich Töpfchen und Deckelchen in offenen Verkaufsverfahren direkt finden zu lassen. Aber da fehlte die Überraschung, die sich vermutlich nicht lediglich auf die Gegenstände im Einzelnen bezieht, sondern auf die Zusammenstellung der Sachen, die ein anderer Mensch vielleicht am anderen Ende der Welt vielleicht für eine Geschäftsreise, vielleicht für einen Urlaub gepackt hat. Würde ich einen verwaisten Koffer ersteigern, bestünde jedenfalls für mich das größte Vergnügen in der (Re-)Konstruktion einer Person und einer Geschichte oder aber der Konstruktion einer Fiktion.
Wolfgang Ullrich führt in seiner Publikation Habenwollen u.a. aus, dass und wie Konsumgüter den eigenen Möglichkeitssinn wecken, wie sich eine Überhöhung des eigenen Lebens im Modus der Fiktion vollzieht[2] und wie sich Konsumwünsche und Selbstfiktionalisierung in Wechselwirkung immer wieder aufschieben, per se nicht enttäuscht, aber auch nicht endgültig eingelöst werden können: „Die Welt der Fiktionalität ist nämlich unbegrenzt und wird von einem markanten Image, einem ungewöhnlichen Design oder einer flotten Werbekampagne belebt.“[3] Es geht aber nicht nur um das Besitzen. Vor dem Erwerben werden durch die reine Möglichkeit des Kaufens Fantasien rund um die Potenziale des Gegenstandes und seiner Anwendung geweckt. Nach dem Erwerben werden Partygespräche darüber geführt und Geschichten erzählt, wie und wo man auf das letztlich Gekaufte gestoßen ist. [4]
Das Kofferersteigern kann insgesamt kaum mit den Konsumvarianten verglichen werden, die Ullrich behandelt, insbesondere weil die Fantasie dem Unbekannten gilt und sich die Fiktionalisierung auf den*die fremde*n Vorbesitzer*in bezieht. Auf einer Party glänzen kann man vielleicht mit dem Erwerbserlebnis, aber das YouTube-Video zeigt, dass das weniger hergibt, als man vielleicht erwarten könnte. Welche Funktionen hat also eine Konsumvariante, die nur wenig der Konstruktion seiner selbst dient – also abgesehen davon, dass es notwendigen Konsum gibt, über den ich hier gar nicht spreche?
Man kann – es mag die eine oder den anderen erstaunen – im Internet Pakete bestellen, deren Inhalt man nicht kennt. Dies stellt insofern etwas Anderes als eine netzkulturbasierte Variante des Kofferersteigerns dar, als je nach Angebotstyp wohl eher Warenproduktion und Konsumbegehrlichkeiten anheizt werden, als dass Gebrauchtes der Weiterverwendung zugeführt würde. Nun habe ich per se nichts gegen Warenproduktion und Konsumbegehren, aber die Frage stellt sich, warum man blind kauft oder kaufen möchte. Klar. Es ist interessant, irgendetwas etwas zu bekommen und sich dazu verhalten zu müssen, nicht zu selektieren, sich der Kontingenz anheim zu geben. Und das ist etwas anderes, als zu Geburtstag etwas von Freund*innen geschenkt zu bekommen, die einen kennen und ihrerseits versucht haben, passend auszuwählen. Zumeist – nicht bei der Öko-Trendbox – geht es bei den Überraschungspakten um das Spiel, aber ist es ein harmloses Spiel, ein dekadentes, ein schädliches, ein dummes, ein witziges, ein ästhetisches, ein lustvolles…?
Restposten-Überraschungspaket
Vor dem Kauf eines MIK Funshopping Überraschungspakets Restposten (30 Artikel) für 16 Euro via Amazon bleibt lediglich die Lektüre der Rezensionen, um einzuschränken, was von diesen Paketen in etwa zu erwarten ist. Theoretisch. Denn eigentlich grenzen die Rezensionen die Möglichkeiten nur dahingehend ein, dass sehr wahrscheinlich viel Ramsch dabei sein wird.
Die Rezensionen enthüllen aber auch, mit welcher Erwartungshaltung die Pakete gekauft wurden. Angesichts enttäuschter Reaktionen zeigt sich, dass Leute durchaus angenommen hatten, die erworbenen Gegenstände verwenden zu können, am Ende gar ein Schnäppchen gemacht zu haben: „Das Paket war nach zwei tagen bei mir, aber soviel altes zeug was da drinnen war ne. Viele Mützen und socken und Schlüsselanhänger mit einem Joint drauf ne danke!!“ [5]
Zumeist geht es aber nicht wirklich um den Gebrauchswert des Erworbenen. Vielmehr machen Überraschungseffekt und Auspackspaß die Attraktivität der Pakete aus, wobei Abwechslung ein wichtiges Kriterium ist, wenn man mit 30 Artikeln rechnet: „Habe das Paket mit 30 Artikeln gekauft. Von den 30 Artikeln waren 26 Handyhüllen. Das entspricht der Produktbeschreibung ‚nichts doppelt pro Set‘ überhaupt nicht.“: „Bei dieser Bestellung kommt es auf Glück an. Es können schöne, brauchbare Dinge dabei sein, jedoch kann man auch total daneben greifen. In meinem Paket waren 5 etwas brauchbarere Produkte, der Rest war völliger Müll. Allerdings war es lustig, etwas zu bestellen wo man nicht weiß was kommt und es kostet ja auch nicht die Welt.“ „Ich hatte 2-3 brauchbare Sachen dabei, der Rest hätte teilweise ausm Müll sein können. […] War teilweise witzig was da alles im Paket war. Nur bedingt weiter zu empfehlen wenn man mal geld fürn bisschen spaß raushauen will.“ „Der großteil was da drinnen war ist eigentlich müll. War aber auch zu erwarten. Es hat uns trdm spaß gemacht den blödsinn der drinnen war auszupacken. Es war u.a. ein fächer, 2 versch. salz/pfefferstreuer, fidget spinner, ein ball der leuchtet wenn man ihn wirft usw drinnen.“
Der Begriff Müll fällt in den Rezensionen nicht selten, sodass von dem Paket kaum zu erwarten ist, dass man nun aus Restposten einen Vorrat an Klebestreifen für die nächsten 20 Jahre erhalten wird. Vielmehr muss man davon ausgehen, sinnlosen Kram vorzufinden, der ohnehin schon für blödsinnigen Konsum produziert wurde, es aber noch nicht einmal zur Vollendung dieser Bestimmung geschafft hat, und der nun, statt direkt verschrottet zu werden, auf dem Weg einer Postsendung bei der*dem Überraschungspaketkäufer*in im Müll landet.
Das kann man als ökologisches Problem bezeichnen. Es werden ja nicht nur bei der Produktion Ressourcen verschwendet, sondern die Produkte scheinen auch noch mehrmals durch die Welt transportiert zu werden. Immerhin werden durch die Überraschungsaktionen vorhandene Gegenstände verwertet und keine neuen für sie angefertigt, und durch den ziellosen Einsatz werden eher keine neuen Konsumbedürfnisse geweckt. Man wird wohl kaum Schlüsselanhänger mit verschiedenen Aufdrucken haben wollen, hat man den einen mit einem Joint-Aufdruck in seinem Paket entdeckt, falls man den nicht ohnehin schon, wie obige*r Rezensent*in, scheußlich gefunden hat.
Personen vom Typus Sammler*in haben zwar große Fantasie, wenn es darum geht, was man alles sammeln kann, aber gebunden an den Weg der Überraschungspakete sehe ich kein Suchtpotenzial, weil die Angelegenheit einfach zu kontingent ist. Es sei denn, man empfindet das Spiel um die Überraschung als derart interessant, dass man sich diese Pakete regelmäßig zukommen lassen möchte. Kann ich mir kaum vorstellen, denn dabei lernt man: Manchmal ist Müll wirklich Müll und kein Trash.
Insgesamt scheint das Problem sinnloser Waren doch eher darin zu liegen, dass es diese Waren überhaupt gibt, und nicht darin, dass für sie ein letztes Mittel gefunden wurde, sie doch noch an den Mann oder die Frau zu bringen. Denn der Drang, auf konventionellem Weg Ramsch zu kaufen und zu verschenken, weil er für eine Sekunde attraktiv wirkt oder so billig ist, dass der Kauf unter keinen Umständen, selbst beim nichtigsten Gegenstand als Verlust empfunden werden kann, ist kaum auszumerzen, auch wenn klar ist, dass das Gekaufte nach einem Jahr in einer Schublade in einem Mülleimer landen wird. Ich frage mich, ob es diese Konsumpraktik gäbe, wenn es kein Kleingeld gäbe bzw. wenn es kein Bargeld gäbe, wenn man nicht Blech gegen Blech tauschen könnte, ob man eine Transaktion via Kreditkarte nicht als ernsthafteren Akt empfände, den man für einen Joint-Schlüsselanhänger nicht vollzöge.
Aber: Objekte anzusehen, sich Gebrauchsszenarien vorzustellen, eine Auswahl zu treffen, sich beim Kaufakt sozial zu koppeln, ein Objekt in die Tasche zu stecken… All das bildet für viele Anreiz genug, selbst apriori als solchen bestimmten zukünftigen Müll zu erwerben. Ullrich beschreibt in seinem Buch – neben historischen Hintergründen und diversen Marketingkonzepten – Moventia, Praktiken und Folgen des Habenwollens in vielerlei und auch in den obigen Hinsichten, jedoch beziehen sich seine Überlegungen nicht auf Quatsch-Käufe und Krimskrams-Objekte. Wie würde er seine Überlegungen auf diese beziehen?
Selbstversuch: Als Wohnpuristin hat mich der Gedanke, dass ich im Begriff bin, eine Menge Gegenstände von fragwürdigem ästhetischen oder praktischen Wert in meine Wohnung zu lassen, vor dem Eintreffen des Paketes nicht erfreut. Aber als Gegenteil einer Messie konnte ich der Angelegenheit letztlich doch versöhnt entgegen sehen, denn es war von vorne herein klar, dass nicht viel von dem Paket in meiner Wohnung verbleiben würde. Des Paketes ansichtig hatte ich dann doch diesen Moment der Spannung, den ich nicht nur, weil ich ich bin, nicht erwartet hatte, sondern auch deshalb, weil es ja um einen Selbstversuch für die Pop-Zeitschrift geht. Andererseits handelt es sich den Amazon-Rezensionen zufolge zumeist um Selbstversuche, um Reaktionstestungen angesichts überraschender Reize, wenn Leute dieses Paket bestellen.
Der erste Anblick beim Öffnen des Paketes erzeugte Verblüffung: ein qualitativ unwertiger Strickponcho in knalligen Farben. Die Farben brechen den Eindruck ein wenig, aber insgesamt passt der Poncho zu einer Reihe von Ethnokitsch-Produkten, die ich zusammen mit einigen Bekleidungstextilien sofort im Müll entsorgt habe. Aber da ich nicht erwartet hatte, einen gänzlich untragbaren schwarz-gelb-neongelb-pink-blau-fliederfarben gestreiften Poncho zu erhalten, also das Sinnloseste, was man sich so in etwa vorstellen kann, das aber doch wenigstens einen gewissen visuellen Eindruck macht, war ich dann doch sehr neugierig auf den Rest.
Wirklich überrascht war ich über die zweite Schicht unter dem Poncho. Ausgerechnet ich, die ich mich mit pop-kulturellen Phänomenen beschäftige, unter die natürlich auch die landläufig so bezeichneten subkulturellen Phänomene fallen, und die ich auch gerne spezifische Pop-Musik höre, habe eine Menge Restposten aus einem Rockabilly-Laden erhalten. Das passt zwar nicht völlig, aber ein bisschen. Warum also nicht die – natürlich minderwertige – Tasche als Schminktasche fürs Reisegepäck benutzen und das Ska-Shirt als Casual Wear für Zuhause? Denn noch verblüffender ist: Es ist ja nicht nur so, dass es gar nicht so viele Menschen gibt, die wenigsten ein bisschen was mit Rockabilly und Ska-Punk anfangen können, sondern ich habe auch keine gängige Konfektionsgröße … und die Klamotten passen mir. Natürlich habe ich ein bisschen Angst vorm Tragen, weil sie nach schlimmen Chemikalien riechen, aber nicht nur beim Kofferersteigern, sondern auch beim Erwerb eines Neuwaren-Überraschungspaketes ist eben ein wenig Mut gefragt.
Mit dabei war auch eine Wonder Woman-Tasse, die ich mir zwar nie im Leben gekauft oder gewünscht hätte, die ich aber behalten und benutzen werde. Tatsächlich gibt es zu der Tasse insofern einen – winzigen – Bezug, der über den Gebrauchswert hinaus geht, als demnächst ein Aufsatz von mir zu Jessica Jones erscheinen wird, in dem ich ganz am Rande auch auf Wonder Woman eingehe.
Allerlei Kram, den ich nun nicht im Einzelnen aufzähle, habe ich sofort weggeworfen. Während so eine Wonder Woman-Tasse neben dem Selbst-Benutzen zum – je nach Gruppenzusammensetzung – Wichteln oder Schrottwichteln taugt, weiß ich beim besten Willen nicht, welche Existenzberechtigung z.B. die Kette aus pink-lilafarbenen Plastikperlen auf dieser Welt haben sollte. Selbst als Weihnachtsbaumdekoration wäre sie eine Zumutung, und an Weihnachten sinken die ästhetischen Maßstäbe bekanntlich immer drastisch.
Insgesamt ist das Überraschungspaketprinzip ein Überfluss-Phänomen,[6] das an Dekadenz kaum zu überbieten ist. Auch wenn wir hier letztlich im Einzelfall über wenig Geld und wenige Waren sprechen, so muss doch beides deutlich über das Nötige hinaus vorhanden sein, damit dieses Konsumprinzip angeboten und angenommen werden kann. Außerdem müssen Konsument*innen an einer gewissen Langeweile, also zu viel Zeit, leiden, wenn sie sie tatsächlich damit füllen möchten, minderwertige Ware aus Plastikverpackungen zu wickeln und Kartons zu zerkleinern, also auf vielerlei Weise Müll anzuhäufen.
Ohne das Vorhaben, diesen Artikel zu schreiben, müsste ich – als Konsumhedonistin – nicht lange überlegen, um sehr viele Beschäftigungen zu finden, die spaßiger, nötiger oder sinnvoller sind als Überraschungspakete zu bestellen, auch wenn das Öffnen des Paktes ja nicht gänzlich ununterhaltsam war. Letztlich bleibt aber ein schaler Beigeschmack, tut sich trotz der Überfülle an Geld, Waren und Zeit in dem Kontext eine riesige Leere auf, ein Mangel an Umweltbewusstsein, Aufgaben, ästhetischem Empfinden und Genuss usw. usf.
Das folgende Rockabilly-Sortiment möchte ich nicht behalten, habe es aber nicht weggeworfen. Auch wenn dadurch ein weiterer Postweg nötig sein wird, würde ich es Interessierten zusenden. Aber Vorsicht: Nun ist der Überraschungsfaktor ja weg, und die Qualität der Waren ist nicht direkt überzeugend. Dennoch: Wer dieses Geschenk von mir erhalten möchte, melde sich per Mail oder Twitter-Nachricht.
Funko Mystery Box
Die Funko Mystery Box für 49, 95 Euro bestellbar bei Amazon, stellt einen Sonderfall der Überraschungspakete dar. Man weiß von vornherein, dass man eine Pop-Figur aus Vinyl aus dem Funko-Sortiment erhalten wird. Mir waren diese Figuren bis vor Kurzem unbekannt. Ich bin erstmals über einen dieser Wasserköpfe gestolpert, als ich für besagten Aufsatz ‚Jessica Jones‘ als Bildersuche gegoogelt habe.
Dass Star Trek-Figuren nicht nur ganz großartig sind, sondern unter Umständen auch wertvoll sein können, habe ich natürlich schon immer gewusst. So viel Nerd bin ich, dass ich trotz wohnlichem Purismus gerne eine Data-, Quark- oder Holo-Doc-Figur mein Eigen nennen würde. Ob die Funko-Figuren im Star Trek-Sinne kultig sind, kann ich nicht beurteilen. Ich zweifle ein bisschen daran, weil sie mir so intentional für diesen Kult gemacht zu sein scheinen, ohne eine exklusive Anbindung an ein spezifisches pop-kulturelles Artefakt aufzuweisen, und weil sie Poppiges und Populäres aller Art ganz wahllos nebeneinander stellen.
Nun will ich aber erstens keine Authentizität oder Substantialität beschwören, wo letztlich keine ist, und zweitens kann ein Kult gerade von einer Marke kommerziell angeregt werden, und wenn es klappt, klappt es, wenn sich konsumistisch ein Kult eingestellt hat, ist es ein Kult. Darüber, ob das Funko-Sammelangebot in diesem Sinne wirklich angenommen wurde und wird, habe ich aber schlicht keinen Überblick.
Die Überraschungsbox ist auf jeden Fall preisgünstiger als der Erwerb von sechs einzelnen neuen Funko-Figuren, wobei das nicht der Punkt sein kann, falls man darauf spekuliert, Figuren für die eigene Sammlung zu finden, weil es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass die passenden dabei sind. Die finanziellen Überlegungen sind aber mit Blick auf den Wiederverkaufswert interessant, denn die Box könnte ja vielleicht eine Figur erhalten, die mittlerweile im Wert gestiegen ist. Man findet im Netz schnell Plattformen für diese Figuren, auf der einige durchaus teuer gehandelt werden. Nun bleibt fraglich, wie kalkuliert die Boxen gepackt werden, ob es tatsächlich möglich ist, dass sich darin begehrte Raritäten befinden.
Das Bestellen der Box ist möglicherweise ein interessantes Spiel für Sammler, ein riskantes Spiel für Wiederverkäufer und für Leute mit allgemeiner Affinität zu Pop- und Populär-Kitsch ein Spiel, bei dem man kaum verlieren kann, aber für die auch keine spezifische Motivation vorliegt, ausgerechnet die Mystery Box zu bestellen.
Selbstversuch: Natürlich habe ich mich bei obigen Möglichkeiten erst einmal nirgends verortet. Ich sammle nicht, möchte die Figuren nicht weiterverkaufen und stehe eher auf digitale als auf materiale Pop-Kulturgüter. Ich bin nicht die richtige Konsumentin für diese Variante von Überraschungspaketen, aber im Gegensatz zur Restpostenlieferung könnte es sein, dass es für dieses Paket den*die passenden Konsument*innen gibt. Man könnte die Box z.B. gemeinsam auf einer WG-Party öffnen, die von Leonard Hofstadter ausgerichtet wird.
Vor dem Öffnen der Box habe ich mich gefragt, ob ich die Figuren erkennen würde, ob mir die Filme, Serien etc., auf die sie sich beziehen, bekannt sind, und ob ich am Ende eine Figur behalten möchte. Nach dem Öffnen der Box habe ich den Wiederverkaufswert ermittelt. Bei meinem Los stellt sich ein leichter Verlust ein, zumal man beim Wiederverkauf Porto und Verpackung einrechnen muss. Aber da ich sie ja nicht zum Weiterverkaufen erworben habe, zählen andere Faktoren bei diesem letztlich an Erlebnishaftigkeit doch eher armen Konsumerlebnis.
Zunächst einmal war ich auch bei der Mystery Box insofern positiv überrascht, als sie sich wieder als halber Treffer erwiesen hat. Zwar bin ich eindeutig Trekki und kein besonderer Star Wars-Fan, aber ich kann etwas mit Star Wars anfangen, und mit dem First Order Flametrooper, C2-B5, Baze Malbus und Jyn Erso hatte ich vier Stars Wars-Figuren aus sechs. Natürlich könnte man hier über mangelnde Abwechslung meckern, aber die vier Star Wars-Figuren sagen mir etwas, wohingegen ich mit dem Two-Face Impopster wenig und mit Disney’s Wrinkle in the Time Mrs. Who überhaupt nichts verbinde. Gut, dass es derer nicht vier gab.
Den Flametrooper, Baze Malbus und Jyn Erso habe ich Andreas Rauscher – zusätzlich zu einem richtigen Präsent – zum Geburtstag geschenkt, und das hat auf jeden Fall mehr Spaß gemacht, als das Paket allein zu öffnen. Zwar wollte ich Andreas Rauscher nicht ‚zumüllen‘, aber ich dachte, er hat vielleicht Verwendung für die Figuren angesichts des Erscheinens seines Reclam-Bandes Star Wars. 100 Seiten im September 2019, auf den ich schon gespannt warte. Ich schwöre, dass ich diesen Part nicht aus Werbegründen in den Text einbaue, sondern um zu zeigen, wie stimmig sich die Dinge rund um den Blindkauf einer Mystery Box manchmal fügen können.
Auch wenn ich es eines Tages bereuen könnte, weil die Figuren im Wert gestiegen sein können, werde ich den Two-Face Impopster und Disney’s Mrs. Who gerne an interessierte Leser*innen weitergeben, so sie mir eine Mail oder Twitter-Nachricht schreiben, zumal ich von der Wertsteigerung kaum erfahren kann, weil ich die Angelegenheit sicher nicht weiter verfolgen werde.
Kosmetik-Überraschungsbox
Bestellt man die 25x bunt gemischte Markenkosmetik Überraschungskosmetikbox von Manhattan, Catrice, Essence, Astor etc. für 13,15 Euro auf Amazon, ist das Erwartungsspektrum einerseits auf Kosmetikprodukte eingegrenzt. Andererseits gibt es derer ja eine breite Palette, und im Gegensatz zu anderen Überraschungsboxen, die spezifische Marken anbieten, ist diese Box auch in der Hinsicht gemischt. Aber tatsächlich handelt es sich bei Manhattan, Catrice, Essence, Astor etc. um Marken. Geht man davon aus, in „Marken verdichten sich die Qualitäten, die von Dingen allgemein erhofft werden“,[7] bedeutet dies, dass man durchaus gewisse Beschaffenheiten erwarten kann, was nicht bedeutet, dass man von der Qualität der Marken überzeugt sein muss.
Die Kundenrezensionen zur Überraschungsbox fallen eher positiv aus. Es wird einzig bemängelt, dass die vielen Glitzerprodukte nicht alltagstauglich seien.[8] Wenn man in seinem Leben schon mal durch einen Drogeriemarkt für günstigere Kosmetikprodukte spaziert ist, könnte man eigentlich wissen, dass gerade Kosmetikartikel in diesem Segment ziemlich viel Glitzer aufweisen, weil sie offensichtlich für sehr junge Menschen entwickelt werden.
Außerdem wird in den Rezensionen gelegentlich am Rande moniert, dass nicht jedes Produkt dem eigenen Farbspektrum entspricht. Dass die Enttäuschung leicht ist und selten vorkommt, ist verwunderlich, denn angesichts nicht enden könnender Nuancen und Variationen von Farben ist es wohl kaum wahrscheinlich, dass die passenden in einem Überraschungspaket dabei sind. Entweder sind die Rezensent*innen sehr tolerant oder sie haben großes Glück gehabt.
Es bedarf eines Exkurses: Ein Gang durch eine Drogerie, die andere als die besagten Marken verkauft, ist immer wieder aufs Neue ein sinnliches Vergnügen. Die vielen schönen Formen beinhalten gut sichtbar nicht nur eine, sondern immer weitere Farbpaletten: unendliche Rottöne der Lippenstifte; Lidschatten und Nagellacke in allen erdenklichen Farben… Nach jedem Meter beginnt eine neue Marke das Farbenspiel in einer anderen Form.
Obwohl ich weit von künstlerischen Ambitionen entfernt bin, stelle ich mir bei jedem dieser Gänge vor, dass man ein ganzes Museum damit befüllen könnte, um leicht vergrößerte Varianten dieser Behälter mit all ihren Farben zu zeigen. Aber ob vergrößert oder nicht, ich würde mir wünschen, das Kosmetiksortiment einer Drogerie in der Frankfurter Schirn zu sehen, weil ich dort verweilen könnte und nicht ständig von Verkäufer*innen angesprochen werden würde, da rein visueller Konsum in einer Drogerie nicht vorgesehen ist, weil er dort nichts kostet.
Dass die Auswahl geradezu unbegrenzt erscheint, ist so anziehend, weil sich dadurch eine schier unendliche Verfügbarkeit der Welt einstellt. Eigentlich will man doch alles haben und nicht wirklich auswählen, wenn man durch die raffiniert abgestuften Rottöne schreitet. Aber nicht nur finanzielle Begrenzungen, sondern auch der Gedanke an Nachhaltigkeit sowie die schlichte praktische Tatsache, dass es lange dauert, bis man einen dieser Gegenstände aufgebraucht hat, führen dazu, dass man sich entscheiden muss unter Abwägung zahlreicher Parameter, z.B. ästhetischer – mit Blick auf das eigene Selbst in der Anwendung –, qualitativer – hinsichtlich der Beschaffenheit des Produktes –, praktischer – beispielsweise in Bezug auf die Größe der Verpackung – und finanzieller – was den Preis betrifft.
Das führt dazu, dass man die Drogerie mit vielleicht nur einem Gegenstand verlässt, der als einzelner nie die Schönheit und den Reiz der Vielen haben kann. Schön ist dann aber noch die glatte Oberfläche des Lippenstiftes oder die leicht gepresste oder bewusst gemusterte Oberfläche von Rouge und Lidschatten. Dazu sei erneut Ullrich zitiert: „Viele Effekte in Warenästhetik und Werbung strahlen nicht nur Perfektion und Makellosigkeit aus, sondern verleihen den heutigen Dingen geradezu Virginität, eine jungfräuliche Erscheinung.“[9]
Gemäß Ullrich verheißen diese glatten Produkte Unschuld, Anfänglichkeit und Zukunftspotenzial.[10] Zunächst einmal übertrügen sich die Attribute der Produkte durch deren Anwendung auf den eigenen Körper. Aber letztlich können in dem Kontext auch Kindheit und Kapitalismus überblendet werden, da Potenzial und Wachstum ersterer inhärent sind und von letzterem gebraucht, postuliert und ewig verfolgt werden. „Der vom Kapitalismus forcierte Wunsch, die Möglichkeiten zu vermehren, führt also zur Weigerung, erwachsen zu werden.“[11] „Sofern [der Konsum] mit dem Kapitalismus verschwistert ist, gehört er immerhin zu einer Mentalität, die ihrerseits kindisch ist: Die Sehnsucht des optionssüchtigen Kapitalisten, am Anfang zu stehen, um noch möglichst viel vor sich zu haben, könnte es verhindern, daß der Fiktionswert der Produkte jemals erheblich an Qualität gewinnt.“[12] All das überzeugt.
Fragt man aber nicht, was passiert, wenn man den Gegenstand an sich anwendet, um dessen Eigenschaften auf sich zu übertragen, oder unter welchen kulturellen Bedingungen dies funktioniert, sondern bleibt man bei der Faszination am ästhetischen Objekt, muss man an den Moment erinnern, in dem man das Produkt anbricht, an die Freude, die es bereitet, den Gegenstand zum ersten Mal zu benutzen. Kosmetik ähnelt in der Hinsicht eher Nahrungsmitteln als beispielsweise Mode, weil der erste Gebrauch Spuren hinterlässt. Die glatte Oberfläche des Lippenstiftes wird aufgeraut, das Muster der Pressung von Puder verwischt. Schon nach der ersten Verwendung sind Lippenstift und Puder nie wieder dieselben.
Ich frage mich – und Herrn Ullrich –, ob man Jean-Paul Sartres Überlegungen zu einer phänomenologischen Ontologie in Das Sein und das Nichts hier als Deutungsmuster anlegen könnte. Sartre wählt als Beispiele Zigaretten rauchen und Ski fahren, die er in einem ganz existentiellen Sinn als Modi der Aneignung von Welt und der Konstitution von Selbst beschreibt. Damit bezieht er sich, ohne dies zu reflektieren, auf Konsumpraktiken. Er beschreibt aber auch das befriedigende Gefühl, beim Einatmen reiner Luft, um verunreinigte auszuhauchen, oder beim Einschneiden der Skier in Neuschnee, um Spuren zu hinterlassen. Ein fast gewaltsames Einschreiben in die Welt – die Welt der Natur – wird hier beschworen, das ich als Markierung des eigenen Daseins und als Verfügungsgewalt über die Umwelt deuten würde. Dies wäre vielleicht mehr als Selbststilisierung und Selbstfiktionalisierung als Individuum; es wäre Selbstermächtigung? Oder ist das das Gleiche?
Es lässt sich nicht ändern, dass Kosmetik in der Benutzung ihren Reiz verliert, aber angesichts sehr günstiger Produkte wäre es theoretisch möglich, immerhin dem Wunsch nach den vielen Formen und Farben und den vielen ersten Malen nachzukommen: Abgesehen davon, dass es nicht pragmatisch oder ökologisch korrekt wäre, kommt man aber üblicherweise nicht auf die Idee, sich einfach mal so zum Vergnügen am Kaufen für einen bestimmten Betrag einen ganzen Korb von Formen und Farben zusammenzustellen in dem Sinne: Alles meins. Und: Alles darf ich anbrechen – und vielleicht nur einmal benutzen. Die Überraschungsbox verspricht dieses Erlebnis. Man gibt für diese u.U. weniger Geld aus als die Summe des Warenwertes der einzelnen Produkte, dafür fügt man dem Kreislauf aber einen Transport und eine Menge Verpackungen hinzu; abgesehen davon, dass man nicht weiß, ob man die Produkte auch wirklich alle schön findet.
Selbstversuch: Ich gebe zu, dass ich ein bisschen aufgeregt war, als das kleine Paket bei mir ankam, das nach dem Öffnen zunächst einmal wirklich nur Verpackungsmüll erkennen ließ. Aber dann verhält es sich schon so: Diese vielen Farben und Formen auf einem Haufen bereiten Freude, und zwar vor allem bevor man sie sich im Einzelnen ansieht und ihren Gebrauchswert begutachtet.
Man könnte beim Anblick des Haufens kurz auf die Idee kommen, die genannten Firmen nutzten das Konzept der Überraschungsboxen, um Artikel zu promoten. Es wäre denkbar, eine Ansammlung von – vielleicht etwas größeren – Proben zu sehen, die man eben nun als Überraschungspaket gekauft hat, statt sie in der Drogerie nach dem Kauf zugesteckt bekommen zu haben. In dem Fall zielten die Überraschungsboxen darauf, neue Konsumbedürfnisse zu wecken.
Nach dem Öffnen ist klar: Es handelt sich vermutlich um Restposten und Ausschussware. An dem roten Nagellack ist erkennbar, dass er schon einmal in einem Geschäft gestanden hat und dort bereits reduziert wurde. Der graue Nagellack kostet einzeln fast so viel wie die Box, was sich aber dadurch erklärt, dass der Pinsel beschädigt ist, und Lackieren ohne Pinsel geht nun einmal nicht oder schwer. Nun ist dieser Artikel derjenige auserwählte, den ich nicht nur verwenden werde, sondern den ich vielleicht auch aktiv bewusst zur Verwendung gekauft hätte.
Auf den zweiten Blick eröffnet mir die Box ungeahnte Möglichkeiten, d.h. hier stellt sich schon eine Werbung für Produkte ein, die man andernfalls nicht beachtet hätte oder von deren Existenz man nicht wusste. Da man den ganzen Kram ja nun einmal gekauft hat, darf man wild anbrechen, benutzen und probieren.
Und da zeigt sich: Goldglänzender Lidschatten ist eigentlich ganz schick und gar nicht mal so stillos, wird aber trotzdem nicht in meine Schminkroutine aufgenommen werden. Und wer hätte gedacht: Ein Lip Gloss, der besonders glossy, also eigentlich nichts als glossy ist, eignet sich gut zum Zweckentfremden. Asiatische Schminkstile zeichnen sich aktuell oft dadurch aus, dass der Kajal- durch einen hellen Glitzerstrich unter dem Auge ersetzt wird. Niemals hätte ich mir einen silberglossigen Lip Gloss gekauft und niemals hätte ich diese Schminktechnik ausprobiert, aber nun weiß ich: das sieht erquickt und jung und gar nicht mal so billig aus. Nun habe ich diese Box ja schon gute zwei Wochen und habe den Glitzerunterstrich in mein normales Makeup integriert. Ich habe Komplimente erhalten, die zu dem Strich passen, ohne dass es den Gegenübern bewusst gewesen sein dürfte, an was sie ihre Beobachtung festmachen: frisch, strahlend, entspannt, fröhlich. Auf Dauer wird die Unterstrichprozedur aber wieder eingestellt werden. Die Leute müssen ja sehen können, mit wem sie es wirklich zu tun haben.
Die meisten der Produkte sind für mich unbrauchbar, aber auch wenn sie nicht allerbester Qualität sind, sind sie doch nicht unnütz und je nach Geschmack und Typ nicht schlecht. Was ich nicht verwenden werde – und auch nicht angebrochen oder probiert habe –, würde ich interessierten Leser*innen zusenden. Eine kleine Auswahl dessen findet sich auf folgenden Foto – vor allem Erd- oder Herbsttöne.
Trendboxen
TrendRaider hat es sich „zur Aufgabe gemacht, für mehr Bauchkribbeln im Leben zu sorgen. Jeden Monat aufs Neue überraschen wir dich mit den schönsten nachhaltigen Produkten in deiner TrendBox. Dabei möchten wir dich zu einem nachhaltigen und trendbewussten Lebensstil inspirieren. Der Inhalt unserer Lifestyle-Boxen bleibt bis zum letzten Moment ein Geheimnis – denn nur durch Überraschung steigt die Vorfreude!“[13] Das hört sich nach einem Schlachtfest für meine ironische Ader an.
Aber erwachsen und nüchtern betrachtet, ist anzuerkennen und hochzuwerten, dass die zu erwartenden Produkte möglichst ökologisch produziert und abbaubar etc. sind; man kann i.e.S. auch eine vegane Box bestellen, was ich für den Selbstversuch getan habe. Da ich ja ernsthaft für Tierschutz viel übrig habe und auch dezidierte Nicht-Hippies im Jahr 2019 nicht umhinkommen, Umweltschutz als sinnvoll oder vielmehr nötig zu erachten, habe ich mir fest vorgenommen, mit diesen Boxen Milde walten zu lassen. Schließlich geht es – und ich kann nun nicht vermeiden, dass es ironisch, weil übertrieben klingt, aber es ist nicht ironisch gemeint – um korrekte Produkte und Produkterziehung im Dienste der Weltverbesserung.
Andererseits ist das so eine Sache mit dem Mildesein. Wie kann man das sein, wenn die Latte sehr hoch hängt, wenn auf der Homepage alle Beteiligten darauf eingeschworen sind, einen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten, sowie bauchkribbelnde Freude und Aufregung beim Entdecken der als qualitativ hochwertigen angepriesenen Produkte zu empfinden? Um eins vorweg zu nehmen: Die Qualität der Produkte ist durchaus gut. Und: Es handelt sich um eine fiese und unlogische Rhetorik, Menschen oder Institutionen, die sich für Umweltschutz einsetzen, dafür zu kritisieren, dass sie auch mal eine Sünde begangen oder eine Sache nicht zu Ende gedacht haben, um Argumente und prinzipielle Ziele zu diskreditieren. Bei der Rettung der Welt will ich also nur ein klein wenig nachhaken, aber natürlich nicht einschreiten.
Aber was bei den einen Bauchkribbeln vor dem Öffnen verursacht, führt bei mir zu Fingerjucken vor dem Schreiben, weil Habitus und Ästhetik der Weltrettung doch stark verbesserungsbedürftig sind, weil ja auch Menschen, die keine Räucherstäbchen abfackeln, gerne noch in vierzig Jahren gut auf dieser Welt leben möchten. Man hat seitens der Versender*innen der Trendbox – vielleicht nicht zu Unrecht – eine stereotype Vorstellung darüber, wer sich an dem Projekt beteiligen möchte.
Auf der Homepage sind auch Feedbacks zu lesen, u.a. folgendes: „Ich liebe die Vielfalt der Produkte. Food, Wellness, Fashion, Design … und und und! Macht weiter so!“[14] Es besteht offenbar Lust an der Vielfalt, und das „und und und“ kann als ‚mehr, mehr, mehr‘ gelesen werden, als Lust an der Unendlichkeit der Vielfalt, am ewig erscheinenden Entdeckenkönnen. Angesichts des Konzepts ist es durchaus möglich, dass dies im Dienste der Nachhaltigkeit geschieht, dass also von den Besteller*innen in Zukunft die zuvor ohnehin konsumierten nicht-nachhaltigen Produkte durch nachhaltige ersetzen werden, aber dazu muss man sich die Waren im Einzelnen anschauen.
Krass finde ich allerdings von vornherein, dass man die Boxen als Jahresabonnement bestellen und jeden Monat eine Box erhalten, das Überraschungsboxenöffnen also als festes Ritual in sein Leben integrieren kann. Der einzige Grund, der mir dieses Prinzip erträglich erscheinen lassen könnte, ist die ziemlich sichere Tatsache, dass man jeden Monat jemanden kennt, der Geburtstag hat und dem*der man das weiterverschenken könnte. Würde ich zwar nie tun, weil Geschenke ja auch zu den Schenkenden passen müssen, aber so erklären sich vielleicht die Geschenke der einzigen Hippie, die ich kenne – und sehr mag –, an mich?
Für Menschen mit ernsthafter Beschäftigung muss es außerhalb der Vorstellungskraft liegen, freiwillig einmal im Monat mit „Bauchkribbeln“ auf die Boxen zu warten, also zu Hause anwesend zu sein, wenn sie geliefert werden, oder sie extra bei der Post abzuholen, wenn man nicht zu Hause war. Letzteres war bei mir der Fall, was mich insofern genervt hat, als die Box nicht ganz leicht war.
Selbstversuch: Zunächst war eine ausgewogene Reaktion noch möglich, denn das erste Produkt, das ich gesehen habe, war eine Öko-Zahnpasta in einem Glasbehälter. Warum nicht? Immerhin braucht man Zahnpasta immer, und sie riecht und schmeckt angenehm. Ich habe also den Erwerb der nächsten Tube Zahnpasta gespart. Allerdings frage ich mich, ob es nicht unhygienisch ist, diesen Holzspatel einen gewissen Zeitraum zu verwenden, um die Paste herauszunehmen. Nun weiß ich andererseits, dass das intuitive Hygieneempfinden manchmal nicht mit den Tatsachen übereinstimmt – angeblich sind Holzbretter in der Küche ja auch hygienischer als Plastikbretter – und habe diese Zahnpasta daher schon verwendet.
Ich werde sie aber nie wieder kaufen, weil ich zum einen überhaupt keinen Nerv habe, um den Kauf einer Zahnpasta Aufhebens zu machen, also in ein Öko-Geschäft zu gehen oder sie Online zu bestellen, und ich zum anderen keine Lust habe, auf meinen Reisen einen Glasbehälter und einen Spatel mit mir rumzuschleppen. Wenn man viel reist, packt man schließlich, wie für einen Segeltörn, für den sogar die Zahnbürste abgesägt wird, um durchs Weglassen des fürs Zähneputzen nicht essentiellen Stils 0,5 Gramm zu sparen. Man berichtete mir das jedenfalls mal über das Sportsegeln. Da auch der Transport des Spatels in der Kosmetiktasche Fragen aufwirft, empfiehlt sich ein Extra-Reiseset für die Zahnpflege, wenn man die gelieferte Paste verwendet.
Verwenden werde ich eine Nachtcreme, eine Tomatensuppe, einen Beutel Salz, ein Glas Kokosfett und die Ohrstäbchen aus Bambus. Letztere aber nur, weil ich ja jetzt so viele neue Kosmetikprodukte mit Glitzer habe, die man damit auftragen kann, denn sonst weiß man schließlich, dass Ohrstäbchen der Ohrgesundheit nicht immer zuträglich sind, sondern dass man Ohren auch freundlicher putzen kann. Keine Ohrstäbchen wären also ökologisch korrekter als Ohrstäbchen aus Bambus.
Was das Kokosfett betrifft, so habe ich Freunde gefragt, ob der Geschmack beim Erhitzen verschwindet und man damit auch ein Tiroler Gröschtl zubereiten kann, oder ob es nur für ein asiatisches Fischgericht taugt, das Kokosgeschmack verträgt. Gefragt habe ich deshalb, weil ich sowieso beides nicht zubereiten kann und im Begriff war, das Kokosfett an selbige Freunde zu verschenken. Ich wurde dann aber unterrichtet, dass es sich bei meinem Kokosfett um eine Body Lotion handelt, und bin hinsichtlich dieser Anwendung frenetisch begeistert von dem Produkt. Ich werde in Zukunft Kokosfett verwenden. Aber die Wahrheit ist – es ist wirklich wahr und nicht eingebaut, um eine mögliche Ironie des Nachhaltigkeitsprojektes herauszustellen –, dass ich zuvor überhaupt keine Body Lotion verwendet habe. Meine Ökobilanz wird sich also in Zukunft verschlechtern. In wenigen Tagen findet auf der Trendbox-Homepage ein Unboxing der August-Box statt. Dann stellt sich vielleicht heraus, dass es doch Bratfett war.
Den wiederverwendbaren Becher für Kaffee halte ich im Sinne der Öko-Erziehung nicht für intelligent ausgewählt – abgesehen von der Tatsache, dass er in letzter Zeit zu Recht oder zu Unrecht (?) ein bisschen in Verruf geraten ist –, denn der gehört zu den ersten Produkten, die man ohnehin schon besitzt, wenn man nur eine Sekunde über Umweltfragen nachgedacht hat und gerne im Gehen Kaffee trinkt. Also einfacher gesagt: Den habe ja sogar ich bereits. Die Farbmischung aus Altpapierton und knalligem Türkis halte ich auch nicht für gelungen. Ich meine: Zu welcher Kleidung soll das passen? Denken Trendboxen-Abonnent*innen nicht über ihr Aussehen nach? Ist es nicht beleidigend, den Nutzer*innen so offensichtlich zu unterstellen, sie hätten kein Stilempfinden? Ist das nun für Öko-Hippies oder für 80er Jahre-Popper gemacht? Und: Kann man beides in ästhetischer Hinsicht gleichzeitig sein? Was aber wirklich nicht zu Ende gedacht ist, ist die Tatsache, dass die Mundöffnung keinen Verschluss hat. Aus Erfahrung weiß ich, dass das nicht lange gut geht und neue Kleidung oder einen Gang in die Reinigung erfordert.
Der Karton, der eigentlich böser Verpackungsmüll ist, soll ja auch nachhaltig sein, also auch noch für was gut sein, also wiederverwertet werden. Meine erste Idee wäre ja, ihn aufzubewahren und gegebenenfalls weiter zu verschicken. Aber meine Fantasie ist offensichtlich viel zu begrenzt. Dem Karton ist nämlich eine Anleitung beigegeben, wie man ihn in einen Blumentopf verwandeln kann. Was soll ich dazu sagen? Die Vorstellung, Zeit fürs Basteln zu investieren, extra Blumen zu kaufen – ist das ökologisch? –, um den Karton zweckzuentfremden und erst nach ein paar Monaten wegzuwerfen, wenn er vermutlich durchgeweicht ist, um aber bis dahin Topfpflanzen in einem Pappkarton in der Wohnung stehen zu haben, raubt mir den Atem – – – vor Begeisterung natürlich.
Ich habe mir aus Stilgründen vorgenommen, nicht ironisch oder maliziös zu sein, und es ist mir fast gelungen. So soll es weitergehen, auch wenn es zunehmend schwerfällt: Es finden sich im Paket – neben hier Unerwähntem – auch noch zwei Bambusschüsseln und ein Holzkettchen. Das Holzkettchen passt zu Menschen, die sich Pappkartonblumenbehälter basteln. Und ich kann beim besten Willen nicht behaupten, dass man auf beides verzichten sollte, wenn man wirklich ökologisch leben will, denn der Drang zu und das Recht auf überflüssige Ästhetisierung besteht auch bei dieser Ästhetik. Wenn ich eine Kette tragen müsste, würde ich mich allerdings dann doch für die pink-lilafarbene Plastikkette aus dem Restpostenpaket entscheiden.
Was die Bambusschüsseln betrifft, so weiß ich ganz ehrlich nicht, wofür man sie verwenden soll. Zum Haarefärben eignen sie sich sicherlich nicht. Das Wasserstoffperoxid frisst sich da bestimmt durch, oder der Geruch sickert in die rauen Fasern ein und hängt wochenlang im Bad. Ist das Geschirr? Und wenn Geschirr, ist es haltbar? Spülmaschinenfest? Und wenn nicht haltbar, ist es ökologisch? Und wenn nicht spülmaschinenfest, ist es nützlich? Vom Nutzwert abgesehen: Ich möchte eine Wohnung nicht mal als Besucherin betreten, zu deren Einrichtung diese Schalen ästhetisch passen. [Das Folgende wurde aus Gründen der Selbstzensur gelöscht.]
Abzugeben wären folgende Produkte. Ich würde mich sehr freuen, von potenziellen Abnehmer*innen ein Bild vom Verwendungszusammenhang der Schüsseln zu erhalten. Man kann damit bestimmt lustige Sachen anstellen, die mir ob der Reizüberflutung durch die vielen Pakete nicht eingefallen sind.
Schluss
Insgesamt kann man im Sinne Ullrichs davon ausgehen, dass spätestens in der Pop-Moderne die Konsumwelt „zu einer großen Fürsorgemaßnahme für das Individuum geworden“[15] ist, das sich aus seinen Konsumpraktiken und seiner Konsumbiographie konstituiert. Die Überraschungsboxen funktionieren anders. In dieser Konsumnische wählt der*die Konsument*in ja nicht, sondern gibt sich der Kontingenz hin. Da man nach Erhalt der Boxen geradezu gezwungen ist, eine Verbindung zwischen dem Gelieferten und sich selbst zu suchen und herzustellen, handelt es sich um einen gegenwartsbezogenen Identitätscheck. Dagegen generiert man durch das bewusste Wählen und Kaufen von Produkten eine Selbst-Fiktion, die in die Zukunft reicht – oder in den Konjunktiv.[16]
Der Prozess des Bestellens und Öffnens von Überraschungspaketen stellt eine inszenierte, kalkulierte Überraschung dar, und zwar vor allem eine Überraschung über die eigenen Reaktionen, die reflexiv erlebt werden. Überraschungspakete erlebt man im Modus der Selbstbeobachtung. Wird man nämlich wirklich überrascht, überwiegt in den meisten Fällen wohl eher der Eindruck des Objektes und der des Fremdbeobachtetwerdens.
Die Überraschungslieferungen stehen für Konsum um des Konsums willen, für das Bestellen um des Bestellens willen, Auspacken um des Auspackens willen. Dabei inszenieren wir zunächst einmal das Prinzip des Geschenks für uns selbst, also wir inszenieren für uns selbst und das Geschenk ist für uns selbst. Dass wir bezahlt haben, ist längst vergessen, und dann können wir wie an Weihnachten oder zum Geburtstag ein Päckchen auspacken – mit dem oben genannten Unterschied. So viel zur freundlichen Deutung dieser Praktik.
Die Überraschungslieferungen stehen für Konsum um des Konsums willen, für das Bestellen um des Bestellens willen, Auspacken um des Auspackens willen. Dabei halten wir Konsumrituale am Laufen, die wir allzu gut kennen und gewohnt sind, für sie wir damit eine sinnlose Erweiterungsform gefunden haben; wir halten sie also am Leerlaufen. Diese Pakete sind nicht nur Ausdruck dafür, dass man nichts mehr braucht, sondern dafür dass nun wirklich alles willkommen ist, solange es kommt. So viel zur unfreundlichen Deutung dieser Praktik.
Anmerkungen
[1] https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/kofferversteigerung-selbstversuch-unser-autor-jagd-nach-koffer-gold-11964498.html
[2] Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert Konsumkultur? Frankfurt 2014, S. 45-46.
[3] Ullrich 2014, S. 47.
[4] Ullrich 2014, S. 48-58.
[5] https://www.amazon.de/MIK-funshopping-Überraschungspaket-RESTPOSTEN-Artikel/dp/B071X9146M/ref=cm_cr_arp_d_bdcrb_top?ie=UTF8
[6] Ullrich konstatiert dies prinzipiell für das Habenwollen, das dann in einer Kultur hinzukommen kann, wenn das Habenmüssen, die Befriedigung notwendiger Bedürfnisse gesichert ist (Ulrich 2014, S. 13).
[7] Ullrich 2014, S. 35.
[8] https://www.amazon.de/gp/product/B07RSWWHZ5/ref=ppx_yo_dt_b_asin_title_o00_s00?ie=UTF8&psc=1
[9] Ullrich 2014, S. 65.
[10] Ullrich 2014, S. 89.
[11] Ullrich 2014, S. 102.
[12] Ullrich 2014, S. 205.
[13] https://trendraider.de/ueber-uns/
[14] https://trendraider.de/trendbox/
[15] Ullrich 2014, S. 28.
[16] S. Ullrich oben.
Maren Lickhardt ist Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.