5.10.2010

Jugend zwischen Identität und Krise

Bei einer Exkursion im Sommersemster 2010 nach Berlin, konnten wir, fünf deutsche und fünf dänische Studierende, die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in Berlin/ Kreuzberg ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Wir besuchten das Kulturzentrum der Bosniaken, das Kreuzberg- Museum, die Jens- Nydahl- Grundschule und ließen uns von einem Kreuzberger durch sein Viertel, inklusive der ältesten Moschee Kreuzbergs, führen. Auf den Erkundungen und in Gesprächen mit Verantwortlichen und Anwohnern, zeigte sich, dass die Integration von Jugendlichen kein Thema ist, dass sich auf Kinder mit Migrationshintergrund oder auf Religion beschränken lässt.

Integration, Jugendkultur, Heimat – Begriffe, die wir aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten konnten und die uns gezeigt haben, wie unterschiedlich mit Problemen, aber auch Erfolgen umgegangen wird. So bekamen wir z.B. während unseres Kreuzberg- Rundgangs auch zu hören, dass wir – womit die deutsche Gesellschaft gemeint war – uns doch nicht so viele Sorgen machen sollten. Es sind gerade einmal zwei Generationen vergangen, seit sich Gastarbeiter in Deutschland niederließen. Und die Integration funktioniert. Gastarbeiterkinder finden zwar immer noch weniger häufig den Zugang zu deutschen Universitäten, aber diejenigen, die es schaffen, versuchen, genau wie Deutsche, ihren Lebensstandard zu verbessern. Dies geschieht z.B. indem sie aus ihrem alten Kiez in einen anderen Stadtteil ziehen oder aber ihre Kinder wiederum nicht mehr in die Stadtteilschule schicken, sondern in einer besseren Gegend nach geeigneten Bildungsstätten suchen.

Der folgende Beitrag ist eine Zusammenfassung der Eindrücke, die die Autorin auf besagter Exkursion in Berlin sammeln konnte, sowie Erfahrungen die sie bei ihrer Arbeit mit Jugendlichen bei Seminaren zur Förderung von Berufs- und sozialer Kompetenz gesammelt hat.

Türke, Bosniake, Deutscher? Ja, wer weiß das schon so genau. Wenn Jugendliche sich selbst finden müssen, weil sie nicht länger alles was die Eltern sagen für sich übernehmen, wenn sie die Welt kennen lernen möchten – auf eigene Faust und ohne Rockzipfel: in dieser Zeit der Selbstfindung, sucht ein Jugendlicher vor allem nach seiner Identität. Seine Wurzeln, gut sichtbar in den Eltern und bei weiteren Verwandten können Jugendlichen zeigen, woher sie kommen. Wohin die Reise sie aber in Zukunft bringen wird, zeigt sich wohl eher im weiteren sozialen Umfeld: die direkte Nachbarschaft, Freunde, der Kiez, die Gesellschaft.

Was aber, wenn diese Faktoren zu unterschiedlich sind, um sie „unter einen Hut“ zu bekommen?

Viele Jugendlichen in deutschen Großstädten würden sich nicht als „Deutsche“ bezeichnen. Das heißt nicht, dass sie in Deutschland nicht ihre Heimat sehen oder einen anderen Pass hätten. Vielmehr können sie sich nicht mit dem „deutsch sein“ identifizieren. Aber auch andere nationale Identitäten sind für sie nicht einfach zu übernehmen. Auch wenn sie sagen, sie seien Türken oder Bosniaken, sind sie in diesen Ländern eher „die Deutschen“.

Was ist der Ausweg aus diesem vielfach beschriebenen Dilemma?

Gerade die dritte Generation sucht mittlerweile nach eigenen Identitäten fernab der streng- religiösen Ansichten ihrer Eltern, aber auch fernab der deutschen Leitkultur. Sie versuchen sich ein eigenes Weltbild zu konstruieren, dass viele Nuancen kennt. Zwar bezeichnen sich die Jugendlichen als gläubig, aber eben nicht in einem strengen, orthodoxen Sinn, sondern angepasst auf ihre jeweilige Lebenswelt. Daraus entstehen neue Subkulturen, bspw. der Pop- Islam, wie von Julia Gerlach beschrieben.

Und diese Lebenswelt besteht eben nicht, wie vielfach befürchtet, ausschließlich aus dem eigenen Milieu, das noch immer so strukturiert ist wie vor 10 Jahren im bergigen, abgeschiedenen Anatolien. Jugendliche leben in Deutschland, gehen hier zur Schule und sprechen deutsch. Sie werden von deutschen Medien informiert, lernen nach dem deutschen Lehrplan und kommen auch – mal mehr, mal weniger – mit deutschen Schülern in Kontakt. Sie sehen sich nicht als Deutsche. Aber als Berliner oder als Dortmunder. Gibt es also kein Problem, dass gelöst werden müsste?

Doch. Das Problem ist allerdings ein gesamtgesellschaftliches, das sich nicht auf Jugendliche mit Migrationshintergrund oder einem bestimmten Glauben reduzieren lässt. Auch „bio- deutsche“ Jugendliche versuchen eine Identität zu finden, die es ihnen ermöglicht, einen Platz innerhalb der Gesellschaft zu finden.

Wie sieht an dieser Stelle die Hilfestellung der Gesellschaft aus? Die Integration besteht zumeist darin, für Jugendliche einen Ausbildungsplatz zu finden. Mit einer Ausbildung sollen sie einen Beitrag für die Leistungsgesellschaft leisten und damit ihre Identität finden. Hierzu werden sie nicht nur in der Schule vorbereitet, in der die Leistung bereits ab der 1. Klasse, spätestens nach der 2. Klasse schon bewertet wird und die Kinder sich an die Benotung gewöhnen. Später werden sie an verschiedenen Schulen an unterschiedliche Modelle von Bildung herangeführt. Seit der Umstellung auf Bachelor/ Master könnte man auch versucht sein zu sagen: sie werden an unterschiedliche Modelle der Ausbildung herangeführt. Dies alles folgt einem Ziel: junge Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Besonders deutlich wird dies vielleicht nicht bei den GymnasialschülerInnen, sondern bei den vielen SchülerInnen, die auf ein Berufskolleg gehen. Diese Jugendlichen haben keinen Ausbildungsplatz gefunden und sollen während ein oder zwei Jahren auf das Berufsleben vorbereitet werden. Dazu gibt es vielfältige Förderung: Besuche bei der Agentur für Arbeit, im BIZ, Seminare zum Bewerbungstraining und diverse Praktika.

Da weder Zeit und Geld ausreichend zur Verfügung stehen, wird meist nur darauf Wert gelegt, dass Jugendliche sich für einen Beruf entscheiden, nicht aber, dass soziale Kompetenzen gefördert werden. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn Lehrer der Idee verfallen, dass Jugendliche sich eigentlich nicht aussuchen sollten, was sie werden, sondern sie zu einer bestimmten Ausbildung „zwingen“. Mit der schönen Begründung, dass es ja so viele Berufe mittlerweile gäbe und man es den armen Kindern etwas einfacher machen sollte.

So lässt sich keine Identität stiften, so bringt man lediglich neue Arbeitskräfte auf den Markt. Aber dies gilt vor allem für die schulische/ staatiche Seite. Andere Projekte, wie beispielsweise die StreetUniverCity in Berlin, versuchen Jugendlichen auch einen anderen Aspekt des Lebens näher zu bringen: Hobby und Ausbildung lassen sich vereinen! Wo liegen deine Kompetenzen, was macht dir Spaß, worin bist du gut? Die Antworten auf diese Fragen benötigen bei vielen Jugendliche Zeit, denn sie setzen sich nicht jeden Tag damit auseinander oder befürchten, dass ihre Hobbies, ihr freizeitliches Tun abwertend betrachtet und nicht „für voll“ genommen wird. In einer Gesellschaft, in der nur der direkte Output zählt, ist das vielleicht auch nicht unbegründet. Die Zeit, um Jugendliche zum nachdenken zu bewegen und sich selbst finden zu lassen, fehlt im deutschen Schulsystem. Es steht nicht auf dem Lehrplan, es findet keine dementsprechende Ausbildung an den Universitäten für Lehrkräfte statt. Und vor dieser Problematik stehen nicht nur für Jugendliche mit Migrationshintergrund, sondern auch „Bio- Deutsche“.

Studentische Arbeitsgruppe, gemeinsame Arbeit

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