Abstracts

Elisabeth von Samsonow (Wien)

Mensch Gott Maschine Tier. Strukturen totemistischer Objektbesetzung

 

Mein Beitrag legt die Parallelen zwischen der Reihe der Lebewesen und der Apparaturen auseinander, wobei vorausgesetzt wird, dass eine hochgradige Anschlusswilligkeit und Hypnogeneität nach dem Muster der präödipalen Verfassung für eine radikal medialisierte Welt gilt. Die permanente Übersetzung des magischen in das technische Operationsmodell gilt  nach G.Simondon vor allem dann, wenn genau diese Suche nach Ergänzung oder Verschmelzung – in Bezug auf Ort, Milieu, „companion species“ individuals (Haraway) etc – hochaktiv ist. Meine These wäre die, dass gerade eine hochtechnisierte Welt einen Rückschluss auf die Präsenz der infantil-magischen Positionalität zulässt. In diesem Sinne könnte man die Zivilisationsgeschichte in wesentlichen Punkten ihrer Konstruktion einer Korrektur unterziehen.


Katja Rothe  (Berlin)

Sensomotorische Lebendigkeiten – Zwischen Technik und Körperwahrnehmung

 

Auf die Frage, was Lebendigkeit sei, antwortet Hartmut Rosa unter Rückbezug auf Max Weber in einem Interview in der Zeit 2015, das Lebendige sei das Gegenteil der „mechanisierte[n] Versteinerung“. Es sei eine „Beziehungsform“, ein „Austauschverhältnis“, welches über das „Instrumentelle und Kausale hinausgeh[e]“.1 2018 spitzt Rosa zu: das Lebendigkeit sei das Gegenteil der „Aneignung“, der „Beherrschung, Kontrolle und Verfügbarkeit“, Haltungen, mit denen man z.B. „technischen Kompetenzen“ erwirbt. Lebendigkeit dagegen sei die „Anverwandlung“, die das „erfahrende Subjet wie die begegnende Welt im Sinne einer Selbst- Transformation in ein sich eröffnendes Gemeinsames hin“ verändere.2

Gleichwohl Rosa betont, man könnte sich auch mit Techniken austauschen, folgt er grundsätzlich einer Gegenüberstellung von Technik

und Lebendigkeit, die bereits in der Vitalismus- Mechanismus-Auseinandersetzung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkmächtig war. Der Vortrag versucht dagegen, anhand der Entwicklung des körpertherapeutischen Konzeptes der Achtsamkeit durch die Gymnastikerin Elsa Gindler und dessen Einfluss auf psychoanalytischen Ansätze (Wilhelm Reich, Fritz Perls, Otto Fenichel und Donald Winnicott) die Seite der Praktiken und Techniken des Denkens einer „sensomotorischen Lebendigkeit“ (Winnicott) nachzuzeichnen. Ebenso wie um 1900 Lebendigkeit in einen Technikdiskurs nicht nur als Gegenentwurf eingebunden war, sondern als Praxis der Selbstbildung eines medialisierten Subjektes fungierte, begegenet uns heute das Konzept der Achtsamkeit. Hartmut Rosa grenzt es hart von seiner Theorie der Resonanz als „individuelle Strategie zur Stressbewältigung“3 im Randbereich des Esoterischen ab und befürchtet wissenschaftliche Diskreditierung für diejenigen, die sich damit beschäftigen. Diese starke Abgrenzung ist aufschlussreich und soll abschließend kritisch aus wissenschaftshistorischer Perspektive diskutiert werden.


Julia Bee (Weimar)

„Lebendige Erfahrung – sensorische Ethnographie und relationaler Animismus“

 

In dem Vortrag möchte ich über Szenen der Verlebendigung sprechen und dabei besonders die Rolle von Erfahrung betonen. Diese sind als relational zu verstehen, das heißt Lebendigkeit ist eine Weise der Wahrnehmung, die relational zwischen Subjekt und Objekt erzeugt wird. Animismus wurde in der Anthropologie lange als Abgrenzung sogenannter vormoderner Kulturen und Gruppen verwendet. In den letzten Jahren wurden zahlreicher Versuche unternommen, Animismus zu rehabilitieren oder sogar strategisch einzusetzen (Bird-David, Taussig, Latour). Erfahrung von Lebendigkeit steht dabei im Vordergrund.

Das Sensory Ethnography Lab in Harvard produziert Filme, die über verteilte Handlungsmacht nachdenken und nicht Gruppen, sondern Milieus erforschen. Mit synästhetischen Medientechnologien werden Interaktionen technischer Medien und Milieus erzeugt. Im Zentrum steht auch hier die Frage der Erfahrung. Hier kommt es zu einer Verschiebung von der Verlebendigung zur Frage der lebendigen Erfahrung. Diese ist aber nicht als unmittelbar zu verstehen. Die Filme Foreign Parts und Single Stream aus dem SEL experimentieren mit medialisierter Erfahrung, die ökologisch gedacht ist, gleichzeitig konstruiert und real. William James pragmatistischer Erfahrungsbegriff lässt sich dabei als präphänomenologische Perspektive anführen, in welcher sich Subjekte und Objekte nur übergangsweise als Pole der Erfahrung ausmachen lassen. Wenn Erfahrung nicht mehr auf menschliche Subjekte zentriert ist, hat dies auch Folgen für das Denken von Lebendigkeit. Leben ist nicht mehr zwangsläufig essentiell zu verstehen, sondern ebenfalls als relational und aus verschiedenen Akteuren heraus konstruiert. Statt also die Objektperspektive gegenüber der Subjektperspektive aufzuwerten, werden im Vortrag eher Perspektiven aufgezeigt, die Verlebendigung als Prozess beschreiben, aus dem Subjekt und Objekt hervorgehen, anstatt ihm vorauszugehen.


Wenzel Mracek (Graz)

DatenWesen

Data Bodies oder artifizielle Existenzen bewegen sich gegenwärtig in virtuellen wie in realen Räumen. Medien- und Wirtschaftskonzerne sammeln und analysieren Daten von Internetusern und konstruieren daraus (Schein-)Identitäten; umfassende Überwachungssysteme liefern Daten chinesischer Bürger, die Aufschluss über ihr Sozialverhalten geben sollen. Auf Basis von Big Data generiert Big Brother im Grunde Avatare, die realen Personen zugeordnet werden. Datenkörper werden gebildet, die ökonomischen wie politischen Absichten dienlich sein sollen.

Vergleichsweise zweckfrei entstehen künstliche Existenzen unter (vormals) fiktiven Umständen in der Literatur und der bildenden Kunst, wenn etwa in William Gibsons Idoru (1996) – wie in Arbeiten des Künstlerkollektivs Critical Art Ensemble – Muster aus weltweiten Datenfeldern gelesen werden und vergleichbare Charaktere als Avatare in den Arbeiten von Ed Atkins oder Lynn Hershman Leeson agieren.

Die Frage, ob der Mensch – abseits gegenwärtiger Technologie – nicht ohnehin schon immer versucht hat, sich zu kopieren, um zwangsläufig in Gesellschaften zu einem „künstlichen“ zu werden, geht auf Jean-Jacques Rousseau zurück. Der sozialisierte Mensch habe gelernt, sich mit den Augen der anderen zu sehen und entwickelte sich solcherart nach seinem Äußeren und seinem Verhalten von einem „natürlichen“ zu einem Homme artificiel.


Mirjam Schaub (Halle)

Der Zombie als Interface. Zum zivilen Gebrauch des Kontrafaktischen

 

Das Problem des phänomenalen Bewusstseins, seiner Genese und der Fähigkeit als Interface zwischen Mensch und Welt zu fungieren, ist Gegenstand konkurrierender wissenschaftlicher Bemühungen:  Dabei kehrt eine Figur wieder, die zur Abgrenzung wie zur Erprobung desselben immer neue Widergänger gebiert: den Zombie, wie er (1) in den Gedanken- und Zwillingswelt-Experimenten der Philosophy of Mind auftritt, als ernstzunehmendes Gegengewicht zu materialistischen Sichtweisen, während er (2) in seiner lächerlichen Massierung in Hollywoodfilmen vor einer psychoanalytisch informierten Kulturphilosophie als ‘unausrottbares’ Symptom, ja Manifestation der Rückkehr des von der Zivilisation Verdrängten erscheint. Die schiere Vorstellbarkeit des Zombies gerät damit wahlweise zum Argument, zum Symptom oder Menetekel. Denn eine physikalistische Neurowissenschaft erklärt die Diskrepanz zwischen phänomenalem Freiheitsbewusstsein und gehirnphysiologischem Determinismus gerne mit dem Verweis, dass wir uns allein dank unseres mentalen interfaces darüber täuschen könnten, was wir in Wirklichkeit seien: nämlich gehirn- und nicht bewusstseinsgesteuerte Zombies. Für manche NeurowissenschaftlerInnen ist Bewusstsein damit so überflüssig wie für den Cineasten der Zombie (als ein Wesen ohne Bewusstsein) unerlässlich. Wie brauchen Zombies und gebrauchen sie, so die These, gerade weil sie dem Kontrafaktischen und dennoch Vorstellungswirksamen zuzurechnen sind. Unbelastet von der Frage, ob wir von der Inexistenz, der Läppischheit oder der Menschen-Gemachtheit des Zombies überzeugt sind, bleibt der Gebrauch des Kontrafaktischen und Abjekten selbst aufschlussreich für unserer kulturelle Identität wie für unser wissenschaftliches Selbstverständnis.


Anna Tuschling (Bochum)

Übertragung – ein Mechanismus der Verlebendigung?

 

Der Technik wird stets aufs Neue eine kommende Lebendigkeit nachgesagt – zumal in Zeiten wieder geweckter Begeisterung für Künstliche Intelligenz. Androide Roboter wie Sophia, aber auch filmische Bearbeitungen des Turingtests wie EX MACHINA und HER deuten einmal mehr die Epoche technischer Akteure mit affektivem und bewusstem Eigenleben an.

Anstelle nach dem Grad an Lebendigkeit gegenwärtiger technischer Systeme zu fragen, kehrt der Beitrag den Blick an dieser Stelle um und untersucht Strategien und Mechanismen der Verlebendigung von Seiten der Betrachter. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem objektbeziehungstheoretischen Konzept der Ü̈bertragung, das medienwissenschaftlich reflektiert werden soll.


Daniela Hahn (Zürich)

Surrogate. Fiktionen idealer Partnerschaft

 

Mein Vortrag geht von zwei seriellen Arbeiten der US-amerikanischen Fotografin Jamie Diamond aus – »Forever Mothers« (2012-2018) und »Nine Months of Reborning« (2014) –, in denen sie sich mit der Möglichkeit eines intimen, emotional aufgeladenen Verhältnisses zwischen Frauen und hyperrealistischen, handgemachten Baby-Puppen auseinandersetzt. Die Fotografien entstanden in einem längeren Arbeitsprozess mit einer Gruppe von Künstlerinnen, deren Praktiken des Herstellens von und Interagierens mit diesen Puppen sie begleitete und beobachtete. Anhand dieser Arbeiten möchte ich zum einen den Surrogat-Status der Objekte untersuchen und welcher Begriff von Lebendigkeit in diesem Prozess des Ersetzens eines Menschen durch ein unbelebtes Objekt in emotionalen Beziehungen ins Spiel gebracht wird. Zum anderen werfen Diamonds Serien die Frage nach den emotionalen Dimensionen und fiktional-performativen Strategien in Interaktionen zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem auf, der ich mit Blick auf theoretische Verhandlungen der Verbundenheit von Mensch und den ihn umgebenden Objekten nachgehen möchte.


Friedrich Weltzin (Hannover)

Vom Bratenwender zum Türschließer. Selbsttätigkeit als Kriterium von Lebendigkeit

 

In seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ von 1788 beschreibt Immanuel Kant die „Freiheit des Bratenwenders“ der, „wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet“, als eine nur scheinbar, als Automatismus. Romantische Denker arbeiten sich an diesem Motiv der Gegensetzung von Technik und Lebendigkeit ab. Sie legen Denkmodelle vor, die Natur und Technologie nicht kategorisch unterscheiden. Solche Argumente haben in posthumanistischen Diskursen wieder Konjunktur. Bruno Latours „Sociology of a Door-Closer“ von 1988, genau 200 Jahre später, steht für eine solche Perspektive ein.

In meinem Beitrag möchte ich einen historischen Bogen spannen, indem ich exemplarische Argumente aus dem romantischen Kontext mit aktuellen Begrifflichkeiten vergleiche.


Christiane Heibach (Regensburg)

Neue Sinne – andere Lebensformen? Über Wahrnehmungs-Design

 

Lebendigkeit und Sinnlichkeit sind kaum voneinander zu trennen – das haben die Debatten über Gesamtleiblichkeit und Embodiment in den letzten Jahrzehnten gezeigt. In diesem Kontext wird nicht nur über die Rolle der menschlichen Sinne und über Formen der Wahrnehmung diskutiert, die nicht unter die klassische Differenzierung der fünf Sinnesmodalitäten Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken fallen, wie beispielsweise das synästhetische Spüren. Tatsächlich geht es auch um die Erschaffung künstlicher ‚Lebensformen‘ und die schon zu den Hochzeiten der Kybernetik diskutierte Frage, ob die Orientierung am Paradigma der menschlichen Sinne nicht in eine Sackgasse führt, weil sie verhindert, dass neue Formen spezifisch anorganischer Sensorik entwickelt werden. Aber welche Formen könnten das sein? Sind wir dann überhaupt in der Lage, diese als Sinne zu klassifizieren? Und schließlich: Was sagt die künstliche Sensorik über unser Verständnis von Leben und Lebendigkeit aus? Diese Fragen sollen an Beispielen ‚alternativer‘ Sensorik diskutiert werden.


Bernhard J. Dotzler(Regensburg)

Logik des Lebenden

Zur KI-Debatte im Wiederholungszwang

Begreift man »humanoid robots« (einschließlich der Umkehrung: s. Abb.) als den Inbegriff erfolgreich implementierter (und inkorporierter) KI, ist vorab zu erinnern: Verheißen war die Menschmaschine, gekommen ist der Medienschein – einst mit Villiers de l’Isle-Adams Eve Future nicht anders als noch mit TRANSCENDENCE und EX MACHINA. Nichtsdestoweniger ist allenthalben zu lesen, ein Durchbruch bei der Erschaffung des künstlichen Menschen stehe nun endlich unmittelbar bevor – bei entsprechender neuer Heftigkeit der wieder entflammten Dispute um Wesen und Wahrheit wie um das Wohl und Wehe maschineller Intelligenz. Aber welche Befunde sind neu? Oder dreht die Debatte sich vielleicht nur im Kreis? Und wenn, welche Symptome treten dadurch hervor? Welche Verdrängungen, Verdichtungen, Verschiebungen? Um was – nicht – zu verraten?


Peter Matussek (Siegen)

Prometheische und Pygmalionische Scham. Auch eine Geschichte der Animationstechnik

 

Die Schamreaktion ist in den Urgeschichten der Animation von Artefakten das entscheidende Symptom gelungener Beseelung. Am Leitfaden unterschiedlicher Arten und Ausprägungen dieses Symptoms entwickelt der Vortrag eine Historische Anthropologie der Animationstechnik und stellt eine typologische Matrix zur Diskussion, die Schwächen früherer Ansätze (Halbach, Mori) überwindet.