WORKSHOP: 13. & 14. Juli 2017 (Kommentar)

CINEMA ODYSSEY – Studierende und Dozierende diskutieren über die Zukunft des Kinos

Im Rahmen eines zweitägigen Workshops unter dem Titel CINEMA ODYSSEY haben sich Studierende der Universität Siegen aus den Fächern Medien-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft mit der Zukunft des Kinos beschäftigt. Im Vordergrund standen dabei vor allem die interdisziplinäre Auseinandersetzung und der Austausch der verschiedenen Fachbereiche miteinander. Das Projekt als fester Bestandteil des Masterstudiengangs „Medien & Gesellschaft“ wurde wiederholt in der bereits zehnjährigen Geschichte dieses interdisziplinären Studienangebots fakultätsübergreifend und mit einem gemeinschaftlichen Themenschwerpunkt durchgeführt. Nie zuvor stand dabei allerdings der Film beziehungsweise das Kino als Thema im Mittelpunkt der studentischen Projektarbeiten. Im Rahmen von drei Seminaren wurden verschiedene Perspektiven zum Thema Kino eingenommen, Analysen durchgeführt und zukunftsfähige Konzepte erarbeitet, die dann in einem Workshop zur Disposition gestellt sowie durch konstruktive Diskussionen ergänzt und miteinander verknüpft wurden.

Zum einen wurden bestehende Kinobetriebe in den Fokus genommen. Diese stehen in der heutigen Zeit aufgrund sinkender Zuschauerzahlen und wachsender, alternativer Zugänge zu Unterhaltungsangeboten wie zum Beispiel Streaming-Plattformen zunehmend unter Druck. Auf Basis empirischer Untersuchungen, wie Experten- und Fokusgruppeninterviews, entstanden konkrete Empfehlungen und Konzepte für Kinobetreiber zur attraktiveren Gestaltung der Spielstätten sowie effektiveren Kommunikations- und Marketingmaßnahmen, um langfristig ihren Erfolg in der Branche zu sichern. Des Weiteren erarbeiteten drei Teilgruppen Kinodispositive aus historischer Sicht. Sie identifizierten für das jeweilige Kinomodell spezifische Erfolgsfaktoren und versuchten diese im Rahmen eines modernen, zukunftsorientierten Kino-Konzepts wiederzubeleben. So entstanden Neu-Interpretationen des Varieté-, Laden- und Saalkinos, angepasst an die gesellschaftlichen, medialen und technologischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Außerdem konzentrierten sich weitere Gruppen konkret auf die durch diverse Bewegtbild-Angebote vermittelten Inhalte und ihre Bezüge zu aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen wie Migration und Flucht. Dabei waren nicht nur Kino-Filme Ausgangspunkt ihrer Analysen, sondern ebenfalls Fernsehproduktionen sowie vor allem Videos und die entstehende Anschlusskommunikation auf der Plattform YouTube.

Die Präsentationen der Projekt-Gruppen, die angeschlossenen Diskussionen und die insgesamt interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zukunft des Kinos haben einige durchaus fruchtbare Erkenntnisse und Ansatzpunkte für weitere Überlegungen hervorgebracht. Zunächst wurde deutlich, welche unterschiedlichen Begriffsverständnisse den jeweiligen Forschungen und Konzeptionen zugrunde liegen. Konsens bei allen Teilnehmenden fand die Idee eines erweiterten Kino-Begriffs. Wer das Kino betrachtet, muss über den abgedunkelten Saal mit samtbezogenen Sesseln hinausdenken. Und auch der Ort des Kinos verschiebt sich: Filme können nicht mehr nur in einem Raum, sondern auf mehreren Etagen, aber auch open-air oder sogar auf mobilen Endgeräten sowohl simultan als auch zeitlich versetzt verfolgt werden. Wer seinen Film in der Vergangenheit tausenden Menschen zugänglich machen wollte, musste auf eine erfolgreiche Vermarktung durch Filmverleiher und Kinobetreiber setzen. Nun erreichen auch Spielfilme im Fernsehen und Internet, auf Streaming-Plattformen oder sozialen Netzwerken, ähnlich viele Zuschauer. Darauf müssen Filmemacher, Filmverleiher und Kinobetreiber eingehen, wenn sie die Kinolandschaft von Morgen mitgestalten wollen.

Zudem bleibt festzuhalten, dass es wohl nicht das eine Kino der Zukunft geben wird, sondern vielfältige Konzepte nebeneinander existieren können, wie auch schon bei der Betrachtung der Kino-Geschichte deutlich geworden ist. Setzen die unterschiedlichen Modelle ihren Fokus jeweils auf andere mediale Inhalte oder Zielgruppen, können sie auch ohne Kannibalisierungseffekte parallel bestehen. Viel schwieriger erschienen dagegen Ansätze, die ein „Kino für alles und alle“, das heißt für sämtliche Formen der Unterhaltung sowie alle gesellschaftlichen und demografischen Gruppen, zu realisieren versuchten. Die zielgruppengerechte Ansprache und Erfüllung der Ansprüche oder Bedürfnisse werden dann zur zentralen Aufgabe. Viele Projektgruppen betonten auch den (schon in den Anfängen des Kinos elementaren) Eventcharakter als konstitutives Merkmal für das Kino-Erlebnis der Zukunft. Die Film-Rezeption ist somit nur Teil eines großen Ganzen, ergänzt um gastronomische Angebote, Möglichkeiten zur sozialen Interaktion mit anderen Besuchern oder eine weiterführende Auseinandersetzung mit filmbezogenen Inhalten, etwa im Rahmen von Ausstellungen. Auch eine Mobilisierung des Kinos in Anlehnung an die alten Wanderkinos und damit verbunden ein stärkerer Fokus auf Aspekte wie Kultur, Bildung und Inhalte mit regionalem Bezug fand als Kontrast zum eher massenkompatiblen, popkulturellen Standard-Kino Anklang. Zudem wurden Möglichkeiten zur erweiterten Kommunikation – etwa durch second- oder third-screen-Angebote – rund um die eigentliche Filmrezeption diskutiert, um die Potenziale der im Umfeld sozialer Netzwerke zu beobachtenden Phänomene von Anschlusskommunikation, wie zum Beispiel regem Meinungs- und Erfahrungsaustausch oder dem Verknüpfen mit gesellschaftlich aktuellen Debatten, auch im Zusammenhang mit Kino zu nutzen. Insgesamt wurden zwar diverse technische Neuerungen wie auch Augmented Reality als wichtige Erfolgsfaktoren für das zukünftige Kino eingestuft, jedoch herrschte in der Diskussion Einigkeit darüber, dass Technik allein nicht das Potenzial besitzt, das Fortbestehen des Mediums Kino im harten Wettbewerb mit anderen medialen Angeboten und Freizeitaktivitäten zu sichern. Neben dem Preis-Leistungsverhältnis sind vor allem auch die zukünftigen Inhalte selbst von großer Relevanz.

Hier zeigte sich ein weiterer Berührungspunkt vieler der ausgearbeiteten Konzepte und auch der verschiedenen Disziplinen. In Hinblick auf den hohen Stellenwert von qualitativ wertvollem und zielgruppengerechtem Inhalt sowie zunächst überhaupt dessen fachkundiger Auswahl ergibt sich ein deutlicher Bedarf an kompetentem Fachpersonal. Dieses neuartige Berufsbild scheint folglich im Umfeld des Kinos an Bedeutung zu gewinnen. Nötig werden somit qualifizierte ProgrammkuratorInnen, zum Beispiel studierte FilmwissenschaftlerInnen, die anlassgerechte Inhalte überhaupt auswählen und zusammenstellen können.

Die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema CINEMA ODYSSEY: Kino der Zukunft – Zukunft des Kinos hat gezeigt, dass es bei der interdisziplinären Arbeit durchaus Schwierigkeiten im Zusammenspiel der einzelnen Disziplinen geben kann. So liegen den Forschungen teils verschiedene Begriffsverständnisse zugrunde und die Produktion von Erkenntnissen läuft unterschiedlich ab. Schlussfolgerungen und Ergebnisse werden damit maßgeblich von Methoden und Vorannahmen bestimmt. Trotzdem ist es essenziell, die einzelnen Disziplinen und Ansätze nicht als völlig konträre Positionen zu verstehen, sondern die überwiegenden Vorteile einer interdisziplinären Zusammenarbeit herauszustellen. Die verschiedenen Zugänge bieten einander eine gute Ergänzung und helfen beispielsweise, Interdependenzen zwischen technologischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen aufzuzeigen. Die Zusammenarbeit von Medien-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft hat sich in diesem Fall als durchaus fruchtbare Verbindung erwiesen und soll Anstoß für weitere Überlegungen sein.