Alte Bismarckschule in Weidenau

Schein & Sein

Auf den ersten Blick könnte das Gebäude in der Bismarckstraße mit den vielen großen Fenstern und dem repräsentativen Haupteingang immer noch eine Schule beherbergen. Die Beschilderung neben den Säulen des Eingangs zeigt jedoch, dass sich in dem Gebäude das Deutsche Rote Kreuz befindet. Der zweite Blick kann sich nicht von der angrenzenden rauhen und fensterlosen Fläche lösen – ein Bunker bildet einen Teil des langgestrekten Bauvolumens. Es ist eine besondere Atmosphäre, die dieses denkmalgeschützte Gebäude umgibt. Hier verschmelzen drei Bauphasen sichtbar in der Straßenfassade zu einer Gesamtansicht. Sofort sucht man die Nahtstellen – denn eigentlich wirkt das Bauvolumen trotz unterschiedlicher Bauweisen in sich stimmig. Der Bunker gibt vor etwas Geheimnisvolles zu sein. Schließlich hat er einen separaten Eingang. Anfangs hat er sich dem historischen Schulgebäude in seiner Ausrichtung angepasst um seinerseits auf die später folgende Schulerweiterung (Mittelteil) zu wirken und schließlich eine Symbiose mit beiden Gebäudeteilen einzugehen. Er ist auffällig und doch unauffällig. Einst sollte der Bunker den Menschen in Weidenau unauffälligen Schutz vor Bombenangriffen bieten. Heute dagegen, obgleich er keine Alltagsnutzung für das DRK beinhaltet, bietet er unaufdringlich die Möglichkeit zur Erinnerung, zum Nachdenken über Geschichte und die Frage, welche identitätsstiftende Rolle er für die Stadt Siegen beisteuern darf.

Hofansicht, links der historische Bestandsbau mit den zwei schieferverkleideten Giebeln, mittig der Ergänzungsbereich aus den 1950er Jahren, rechts der Bunker, Flörke 2021

Cansu Akin und Precilia Nluta

Eine Ortsbesichtigung im Comic-Format…

Hier eine Ortsbesichtigung im Comic-Format

 

Nähere Informationen zum Gebäude

Die Kreisverwaltung des Deutschen Roten Kreuz (DRK) befindet sich in einem ehemaligen Schulgebäude in der Bismarckstraße. Das Gebäude mit angrenzendem Hochbunker, steht heute unter Denkmalschutz. Die Schule wurde um 1900 errichtet, im Volksmund wurde sie auch Flurschule genannt.[1] Vermutlich ist sie anfangs eine Grundschule gewesen. Aufgrund von vorbereitenden Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung zum Zweiten Weltkrieg wurde 1944 ein Hoch- und Tiefbunker an die Schule angegliedert. In dem Bunker haben ungefähr 204 Personen Schutz gefunden.

In Folge von Kriegszerstörungen sind im Jahre 1951 erste Erweiterungs-entwürfe der Bismarckschule entstanden. Die Erweiterung der Schule fand in Form eines Zwischenbaus statt, der die Lücke zwischen dem Hochbunker mit auskragendem Tiefbunker und der bestehenden Schule zu einem Riegel schloss.[2] Laut Baubeschreibung[3] wurden die Geschossdecken als Eisenbetondecken ausgeführt. Die Dachkonstruktion war als Holzkonstruktion mit Schalung und Schieferdeckung angedacht. Die Innenräume sollten mit Fenstern und Türen aus Nagelholz ausgestattet werden. Projektbeteiligte am Erweiterungsbau waren unter anderem der Architekt Franz Dornseifer und Bauingenieur Völmecke. Am Samstag den 14.11.1953 wurde der Erweiterungsbau feierlich eingeweiht. In einem Zeitungsartikel anlässlich der Festveranstaltung hieß es: „Die Bismarckschule, die im Kriege Unterkunft des Sicherheitsdienstes, nach dem Kriege beschädigt und verwahrlost und voller Schutt, dann provisorisch und mit wenigen Mitteln – nur einmal soll es von Bauamt einen einzigen Packen Nägel gegeben haben – wieder für den Unterricht hergerichtet und jetzt endlich – nachdem die anderen Weidenauer Schulen alle schon einmal dran waren – so fein aufgebaut wurde.“[4] Durch den Artikel wird deutlich, wie dringend notwendig der Erweiterungsbau (aufgrund der Kriegszerstörungen) in den Nachkriegsjahren gewesen ist.

Typisch für Schulbauten aus der Zeit um 1900 ist auch die Schularchitektur des historischen Gebäudeteils der Bismarckschule. Sie ist massiv errichtet, streng gegliedert und weist repräsentative Gestaltungsmerkmale aber auch regionale Besonderheiten auf. Das Bauvolumen des zweiflügligen Eckgebäudes hat einen zweigeschossigen Aufbau mit abschließendem Satteldach. Über dem hoch anstehenden und mit grob behauenen Natursteinen gemauerten Sockelgeschoss folgt ein verputztes Erdgeschoss. Das Obergeschoss ist teilweise mit Schiefer verkleidet (zur Straße Am Ufer und im vorderen etwas vorspringenden Bereich der Bismarckstraße). Die übrige Fassade des Gebäudes war verputzt. Die Gestaltung des späteren Anbaus wurde an den Baubestand angepasst. Dadurch wurde der Schulbau bis zum Bunker um acht achsen verlängert. Auf diese Wiese entstand eine strenge Gliederung, die trotz der vielen Fenster das Gebäude sehr massiv und gedrungen wirken lässt. Der Haupteingang der Schule zur Bismarckstraße war bauzeitlich mit einem auf mehreren Säulen ruhenden Vordach repräsentativ gestaltet worden.

Von ca. Anfang 2000 bis ungefähr 2009 befand sich in dem Gebäude eine Volkshochschule und eine Herder Bibliothek. 2009 hat das Rote Kreuz das Gebäude mit Bunker von der Stadt Siegen gekauft. Seitdem gehört es dem DRK-Kreisverband Siegen-Wittgenstein e.V.. Das Gebäude wurde für die Nutzungsansprüche des Roten Kreuzes als Bestandsbau umgebaut und zusätzlich im Hofbereich durch einen Anbau erweitert. Der historische Bestand und der als Anbau neu errichtete Gebäudeteil heben sich in Baukonstruktion und Gestaltung deutlich voneinander ab. Der Neubau durfte nur zweigeschossig mit Flachdach ausgeführt werden, d.h. er musste niedriger in der Höhe bleiben um den denkmalgeschützten Altbau nicht zu verdecken. Der Anbau schließt entlang der Straße Am Ufer an den Altbau an. Die Außenwand des Bestandsgebäudes wurde bis auf einen Durchbruch für die innere Erschließung zwischen beiden Gebäudeteilen, nicht angetastet. Zu den Veränderungen im Innenbereich der alten Schule gehört ein neuer Aufzug zur Sicherung der Barrierefreiheit. Elemente, wie das Treppenhaus sowie die alten Holztüren konnten erhalten bleiben und an anderen Stellen finden sich auch noch alte Fliesen. Der Neubau fungiert vor allem als Funktionsbau und beinhaltet Sanitäranlagen und Büros. Die Besonderheit des gesamten Bauwerks macht die spannende Verbindung seiner aus unterschiedlichen Zeitphasen stammenden Gebäudeteile aus: historischer Schulbau, Bunker, Schulerweiterung als „Lückenfüller“ und Anbau des DRK im Hofbereich.

[1] Die Bismarckstraße hieß vormals Flurstraße; die Schule erhielt ihren Namen entsprechend der Straßenbenennung. Zum Gebrauch des Namens Flurschule siehe auch: Siwiarchiv online, Eintrag vom 5.3.2018, online unter: https://www.siwiarchiv.de/lehrer-zwischen-1933-und-1945/, Zugriff: 09.09.2021.

[2] Pläne dazu lagern im Stadtarchiv Siegen, Best. 151 / Amt Weidenau, Nr. Nr. 958.

[3] Stadtarchiv Siegen, Best. 151 / Amt Weidenau, Nr. Nr. 958, Baubeschreibung vom 24.10.1951.

[4] Westfalenpost: Bismarckschüler als Dankbare Gastgeber, ohne Autor und Datum.