Gastvortragsreihe guest lecture series

Einführung

Begleitend zu dem Seminar „Kunst des Handelns: Körper-Raum-Bewegung“ findet eine Gastvortragsreihe mit Nachwuchswissenschaftler*innen, Künstler*innen, Kurator*innen, Kunstvermittler*innen und -publizist*innen statt.

Die sinnliche (produktive) Wahrnehmung von Kunst in physischen und digitalen Räumen wird aus den Perspektiven verschiedener Akteur*innen beleuchtet. Die Vortragenden zeigen die künstlerische Produktion von Räumen und diskutieren die Rollenwechsel, die Produzent*innen, Vermittler*innen und Rezipient*innen in partizipativen Räumen der Kunst vollziehen. Im Rückgriff auf de Certeaus „Kunst des Handelns“ (1988) fragen wir, wie die Rezipient*innen mit den für sie gestalteten Räumen umgehen. Welche Bedeutung haben die Angebote zur Partizipation in der künstlerischen und kuratorischen Raumproduktion für die Kunst und die Kunstpädagogik?

Donnerstag 12 Uhr c.t., finden jeweils die Live-Vorträge und die anschließenden Diskussionen statt. Einige Vorträge werden im Vorfeld als Video bereitgestellt.

Die Links zu den Live-Vorträgen und zur Zoom-Sitzung (Vortrag und Diskussion bzw. Diskussion zum Videovortrag) donnerstags um 12 Uhr c.t. erhalten Sie nach Anmeldung per Mail.

Konzeption und Organisation: Annette Hasselbeck, Kunstpädagogik

Kontakt: hasselbeck@kunst.uni-siegen.de

English version:

Digital guest lectures „The Art of Practice: Body – space – motion“

Digital guest lectures by young academics, artists, curators and art mediators will accompany the seminar „Kunst des Handelns: Körper – Raum – Bewegung.“

The sensual (productive) perception of art in physical and digital spaces is illuminated from various perspectives. The speakers will show the artistic production of spaces and discuss how the producers, mediators and users of participatory spaces of art switch roles. Drawing on de Certeau’s „The Practice of Everyday Life“ (first published 1980, with an english translation in 1984) we will discuss how users interact with the space which was designed for them. How can opening participation in the artistic and curatorial production of space impact art and art education?

The lectures with accompanying discussions will be held live on Thursdays at 12 p.m. Some of the lectures will be made available as a video beforehand.

Please register in advance via email, after which Zoom links to the lectures will be sent to you.

Conception and organisation: Annette Hasselbeck, art education.

Contact: hasselbeck@kunst.uni-siegen.de


12.11. 

Doing art – Ästhetische Praxis als kognitiv-körperlicher Interaktions- und Reflexionsprozess

Nikola Dicke

Lecture & Performance zum Thema: kunstpädagogische oder künstlerisch partizipative Handlungsanweisungen zum Beziehungsdreieck von Körper-Raum-Bewegung.

Nikola Dicke ist tätig als Kunstdidaktikerin und Künstlerin. Künstlerisch arbeitet sie ortsbezogen zu Raum, Licht und Zeichnung. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück in der Kunstpädagogik und promovierte über die ästhetische Reflexivität im Wechselspiel von künstlerischer Produktion und Rezeption.


19.11.

Überdimensionalität. Die Adaption des kuratierten Raums

Jenny Starick

Welche Formen des kuratierten Raums müssen in ihrer Beziehung zueinander diskutiert werden? Inwiefern können Abstraktionsebenen von der konkreten hin zur digitalen Welt ‚aufgehoben‘ werden? Müssen konkrete Adaptionen der Räume gedacht werden, um die bewusste Wahrnehmung einer virtuellen Repräsentation zu verräumlichen?

Ziel ist es aufzuzeigen, wie wir uns in den durch die Digitalität geprägten Räumen bewegen, dass die Wechselwirkung zwischen Raum und Wahrnehmung immanent ist sowie das „Kuratieren“ als kulturelles Werkzeug verstanden werden kann. Die Vernetzung – gedacht in verschiedenen Formen des raumbildenden In-Beziehung-setzen – transportiert das dialogische, prozesshafte, sprunghafte Modell des Denkens und Kommunizierens in die programmierte Welt.

Exzerpt:

Welche Formen des kuratierten Raums müssen in ihrer Beziehung zueinander diskutiert werden? Inwiefern können Abstraktionsebenen von der konkreten hin zur digitalen Welt ‚aufgehoben‘ werden? Müssen konkrete Adaptionen der Räume gedacht werden, um die bewusste Wahrnehmung einer virtuellen Repräsentation zu verräumlichen?

Kuratierte Räume existieren in drei Formen: dem architektonischen Raum, dem Raum eines Buches sowie digitalen Räumen. Wahrnehmungsphilosophisch kann man diese Räume ebenso in eine Dreigliederung aufschlüsseln. Der in seinen Dimensionen konnotierte architektonische Raum ermöglicht eine instantane Wahrnehmung – mensch sieht ihn in seiner Ganzheit, blickt in diesen hinein, um Aspekte genauer zu betrachten und reflektiert im Schauen das Wahrgenommene. Der Buchraum hingegen wird als linear beschrieben: der ästhetische Raum ergibt sich durch das Nacheinander von Seiten und baut sich so in seiner eigenen Zeitlichkeit auf. Als Raum im Raum, architektonisch strukturiert durch das Weiß, verändert sich die Wahrnehmung. Das reflektierte Schauen entwickelt sich erst in der Linearität der Bedeutungszusammenhänge. Der digitale Raum wird als Möglichkeitsraum angesehen, welcher in seiner Grundform kuratorischen Prinzipen folgt, aber das Moment der Vernetzung in den Vordergrund stellt: Vernetzung von User*innen (das „globale Dorf“ nach McLuhan) sowie Vernetzung von Inhalten und Daten.

Basierend auf der Mediengenealogie von Vilém Flusser, kurz der unabdingbare Fortschritt der kulturellen Evolution vom Konkreten zum Abstrakten, lässt sich der Umgang mit dem digitalen Raum als Überwindung der Nulldimensionalität hin zur Überdimensionalität beschreiben. Also ein Versuch der User*innen, im Umgang mit der computergenerierten Virtualität, das Interface als Mediation zwischen Mensch und Nulldimensionalität bewusst nutzbar und erfahrbar zu machen – indem die projizierte Fläche des technischen Bildes durch kuratorische Mittel verräumlicht wird. In der beispielhaften Analyse ergeben sich ineinander verwobene Aspekte der Verräumlichung im digitalen Raum: eine theoretische, konzeptionelle Struktur in der virtuellen Geste des Kuratierens; eine grafische Strategie mit dem Hauptaugenmerk auf dem Layout der Website; sowie die ästhetische Verräumlichung in der subjektiven Geste der Bezug-Setzung und bewussten Thematisierung. Über die konzeptionelle, theoretische Verstrebung, hin zur „Herumwirklichkeit“ des Weißraums bis zur Vernetzungsstruktur als intersubjektive Virtualität entsteht der digitale Raum aus dem Gestus des Layering, der Vernetzung und als Ergebnis sozialer Interaktion. Die Theorie der Überdimensionalität ist als ‚dimensional turn‘ begreifbar, indem die hier vorgestellten Übersetzungsmomente der Räume eine neue Methode der Handhabung von Wahrnehmungsveränderung und medialer Anpassung veranschaulichen.

Ziel des Vortrags war es aufzuzeigen, wie wir uns in den durch die Digitalität geprägten Räumen bewegen, dass die Wechselwirkung zwischen Raum und Wahrnehmung immanent ist sowie das ‚Kuratieren‘ als kulturelles Werkzeug verstanden werden kann. Die Vernetzung – gedacht in verschiedenen Formen des raumbildenden In-Beziehung-setzen – transportiert das dialogische, prozesshafte, sprunghafte Modell des Denkens und Kommunizierens in die programmierte Welt und beeinflusst wiederum alle Verräumlichungsprozesse.

In der Diskussion wurde weiterhin aufgezeigt, dass der Körper in den gedachten Verräumlichungen in den Hintergrund zu treten scheint, aber jedoch in der Rückkoppelung an den architektonischen Raum der Körper selbst als Vernetzungsmoment in seiner Bewegung durch den Raum gefasst werden kann. Das Moment des Layering lässt sich ebenso aus der klassischen Malerei abstrahieren und zeigt damit beispielhaft auf, inwiefern die als Werkzeug verstandenen Mittel sich entwickeln, gegenseitig beeinflussen und die Wahrnehmung immer in ihrer Bezug-Setzung gelesen werden muss. Wichtig ist das Bewusstsein um den Umgang mit den verschiedenen, kuratorisch gedachten Räumen, welche eine Übersetzungsleistung einfordern – also einen Umgang mit dem einen speziellen Raum, ohne in reine Repräsentation zu verfallen.

Jenny Starick (Kunst- und Medientheoretikerin)

 Screenshot von Jenny Starick, Fotos © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, 2020


26.11.

Vorbereitung ist alles? Raum, Raumsetting und Kunstpädagogik 

Ina Scheffler

Der Raum ist untrennbar mit Kunstpädagogik verbunden. Neben der Dialektik der schulischen und außerschulischen Lernorte zeigt sich dies vor allem in der Gestaltung der Orte, an denen wir lernen. Mehr oder weniger didaktisiert zeigen ihre Gestaltungen persönliche, ideengeschichtliche, politische, ästhetische sowie regionale Spezifika. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen helfen theoretische Bezüge wie zu Foucault oder Le Favre, den Raum in größere politische und gesellschaftliche Kontexte zu kontextualisieren. Hier ist besonders der Raum, in dem Kunstunterricht stattfindet, ein Sonderfall, da ideengeschichtliche  und politische  Ausrichtungen diesen bis heute bestimmen. Der Begriff der Werkstatt sowie die Frage nach Bestuhlung öffnen den Blick auf viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung, sowohl der eigenen Lehre, als auch der eigenen Lehrräume.

Ina Scheffler ist Kunstpädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Siegen. Sie wurde an der Kunstakademie Düsseldorf über Schularchitektur aus der kunstpädagogischen Perspektive promoviert und hatte Vertretungsprofessuren für Kunstdidaktik an der Kunsthochschule Mainz und für Kulturelle Bildung an der Universität Siegen inne.


03.12.

Künstlerisch-edukative Projekte als Zwischenraum für Aushandlungen und Interaktionen

Silke Ballath

Tischgesellschaft von Katharina Stahlhoven, Silke Ballath & den Akteur*innen der Ruth-Coen-Schule, Foto Peter Wehkamp, 2018

 

Urbane Botanik von 7 Schulen für die Grüne Tafel, Foto Victoria Tomaschenko 

Im Rahmen künstlerisch-edukativer Projekte treten mindestens zwei Positionen miteinander in Beziehung. Wann verwischen dabei die Grenzen zwischen den Körpern? Und wie geraten (ihre) Standpunkte in Bewegung? Entlang einiger Praxisbeispiele aus dem Programm Kulturagenten für kreative Schulen wird diesen Fragen nachgegangen.

Silke Ballath ist Kulturwissenschaftlerin, Kulturagentin und Kunstvermittlerin sowie Projektleitung des Künstler*innenkollektivs sideviews und schreibt seit 2014 ihre Dissertation bei Prof. Dr. Christine Heil und bei Prof. Dr. Nora Sternfeld. In der Promotion liegt ihr Fokus auf der Zusammenarbeit von Lehrer*innen und Künstler*innen im Kontext Schule.

Exzerpt:

Im Rahmen künstlerisch-edukativer Projekte treten mindestens zwei Positionen miteinander in Beziehung. Wann verwischen dabei die Grenzen zwischen den Körpern? Und wie geraten (ihre) Standpunkte in Bewegung?

Ich verstehe künstlerisch-edukative Projekte als Praxis, die eine selbstreflexive, konfliktuelle und situierte Haltung in den Fokus stellen, um Machtverhältnisse zu erkennen, zu benennen und gegebenenfalls. zu verändern. Bezugnehmend auf eine engaged pedagogy der amerikanischen Autorin, Professorin, Feministin und Aktivistin feministischer und antirassistischer Ansätze bell hooks, die jeden Klassenraum unterschiedlich wahrnimmt, Strategien ständig wechselt, neu erfindet und re-konzeptualisiert. Um jeder Situation neu begegnen zu können, wird die Arbeit in künstlerisch-edukativen Projekten von mir als Zwischenraum für Aushandlungen und Interaktionen beschrieben. Mit hooks ist Lehren ein performativer Akt: Eine Möglichkeit für Veränderung, Erfindungen und spontane Shifts, die das Besondere in jedem Klassenraum ermöglichen. Es geht ihr darum, dass jede*r aktiver Teil eines Lernprozesses werden kann, ausgehend von ihren und seinen Geschichten und Erfahrungen. Daran anschließen möchte ich mit Donna Haraway, die von Standpunkten in Bewegung spricht und damit das Verwischen von Grenzen und der Lust am Spiel mit Veränderbarkeit als Resultat und Voraussetzung allen Erkennens meint. Körper (Menschen und Dinge) spielen in ihren Überlegungen eine wesentliche Rolle. Sie versteht sie als Ablagerungsorte von Interaktionen und Beziehungen. Einerseits bedeutet dies, dass Körper miteinander verbunden sind und kollektiv produziert und konstruiert werden. Andererseits geht daraus auch hervor, dass sie veränderbare und hybride Konstrukte sind. Jede Position beschreibt einen Standpunkt, eine bestimmte Sichtweise und eine Perspektive. Jede Interaktion kann eine Bewegung verursachen. Mich interessieren an künstlerisch-edukativen Projektpraxen die Bedingungen und die Möglichkeiten miteinander in Beziehung zu treten. Und daran anschließend: wann geraten die Standpunkte in Bewegung?

Haraway spricht von einer „Verknüpfung partialer Sichtweisen“, die sich in ihrem Konzept des „situierten Wissens“ als „kollektive Subjektposition“ verbinden. Sie geht explizit von einer inneren Differenz aus und das heißt, Standpunkte sollen in Bewegung versetzt werden. Das Verbinden verschiedener Standpunkte betrachtet sie als Möglichkeit, „ein Netz zu weben, das die machtförmig organisierten Positionierungen zu transformieren vermag, ohne gleichzeitig alle Differenzen in einem zentralen Standpunkt oder in einer Zentralperspektive aufzulösen.“ In diesem Sinne übersetze ich das Zwischen (den Bindestrich zwischen künstlerisch und edukativ, die Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Lehrpersonen oder zwischen Kulturinstitution und Schule) mit Beziehung. Beziehungen verstanden als bewegliche Linien und Überschneidungen von Bedeutungen, Körpern und Positionen. Die Beziehungen sind das Netz und die Linien, die die Standpunkte miteinander verbinden. Die Interaktionen produzieren diese Beziehungen zwischen Menschen und Dingen sowie zwischen Menschen untereinander. In den Interaktionen entstehen Resonanzen, die Haraway als Knotenpunkte in Feldern und Wendepunkten beschreibt. Ihr geht es darum, Verantwortung zu übernehmen: für Differenzen, für Praktiken, für Positionen und für die Überlappungen oder Schichtungen, die aus den Interaktionen heraus entstehen. Denn jeder Körper ist Träger*in von Wissen und produziert Bedeutungen, die uns Macht verleihen. Die Verknüpfung partialer Sichtweisen verbindet die Standpunkte und Körper in kollektiven Subjektpositionen. Die Standpunkte geraten dadurch in Bewegung. Standpunkte in Bewegung werden im Konzept des situierten Wissens als Verantwortungsübernahme beschreibbar, für bewegliche durchlässige, unabgeschlossene und unvollständige Verortungen und Konstruktionen.

Ein Merkmal für eine künstlerisch-edukative Projektpraxis ist daher, die Anerkennung von Differenz. Dieses Merkmal sollte meines Erachtens schon in der Projektplanung ernst genommen werden. Es ist ausschlaggebend dafür, wie ein Prozess verläuft. Selbst wenn, während des Prozesses Unstimmigkeiten und Unwegsamkeiten auftreten oder Differenzen verhandelt werden müssen, ist es wichtig sie anzuerkennen, denn es bedeutet, dass Standpunkte beginnen sich zu bewegen und nicht statisch bleiben.

Haraway spricht von dem Verwischen von Grenzen und der Lust am Spiel mit Veränderbarkeit als Resultat und Voraussetzung allen Erkennens. Sie entwickelte in den 80er Jahren die Figur des Cyborgs als Wesen der Science-Fiction mit Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Cyborgs sind hybride Figuren, die sie entwarf, um sichtbar zu machen, dass Grenzen und das Abstecken von Rollenverhältnissen nicht „einfach“ verändert werden. Mit der Figur des Cyborgs suchte sie nach neuen Formen und Figuren, um Verständnisse, Verhältnisse und Grenzziehungen sichtbar und dekonstruierbar zu machen. Vor allem aber wollte sie eine Metapher aufmachen, um die Grenzlinien des Alltags neu zu ziehen. Das heißt, es geht ihr darum temporäre Netzwerke zu eröffnen, um bestehende Identitäten, Beziehungen, Räume und Geschichten zu bewegen. Gerade in der schulischen Praxis existieren Konstruktionen, Positionen und Kontexte, die mittels künstlerisch-edukativer Praxen verschieb-, befrag- und erlebbar werden können.

hooks Konzept der engaged pedagogy greift diesen Gedanken ebenfalls auf. Sie schlägt vor, Strategien aus dem Prozess heraus zu modifizieren und weiterzuentwickeln, um jeder Situation neu zu begegnen. Der performative Akt stellt einen Zwischenraum her, wenn alle Beteiligten Vertrauen in den Prozess entwickeln, so dass Erwartungen und Widersprüche gleichermaßen ernst genommen werden können. Im Spiel mit künstlerisch-edukativen Praxen können beispielsweise Grenzen und Themen angesprochen und ausgehandelt werden, die möglicherweise in einem regulären Setting anders aufgefasst oder angenommen werden würden. Es geht darum, voneinander zu lernen. Und miteinander zu lernen. Damit Standpunkte, Grenzziehungen und bestehende Verhältnisse zur Disposition gestellt werden können, müssen Widersprüche und Irritationen Teil der Zusammenarbeit werden. Eine Veränderung bestehender Zugehörigkeitskontexte und Positionen beinhaltet daher für alle Beteiligten, erlernte Praktiken und handlungsrelevante Verständnisse eines Regelkorpus im Sinne Gayatri C. Spivaks zu verlernen.

Spivak macht mit dem Konzept des Verlernens von Privilegien darauf aufmerksam, dass bestehenden Konzepten, Begriffen, Praxen u.a. hegemoniale Strukturen eingeschrieben sind. Sie zeigt auf, dass Privilegien mit jeder Interaktion zwischen Körpern, Räumen, Dingen und Sprache verbunden sind. Ihre Konzept-Metapher des Hineinwebens hebt hervor, dass die gewobene Text-ilie als ein zerrissenes kulturelles Gewebe betrachtet werden muss, das aus dem dominanten Webstuhl entfernt wurde. Daraus resultiert, dass bestehende, hegemoniale Diskurse gewebt worden sind, ohne das „zerrissene kulturelle Gewebe“ einzubinden oder die Textur zu erneuern. Die Umkehrung macht deutlich, dass der hegemoniale Diskurs zwangsläufig nur das reproduziert, was in ihn eingewebt worden ist. Das Verlernen von Privilegien könnte mit der Implikation des Hinzufügens als Prozess verstanden werden, Kultur und in diesem Fall künstlerisch-edukative Projekte als konflikthafte Praxis anzuerkennen, um Raum für die Artikulation verschiedener Perspektiven und Marginalisierungen, jenseits hegemonialer Selbstverständnisse zu schaffen. Ein Instrument, das die Lust am Verschieben, Irritieren und sich Widersprechen fördert und darüber eine Möglichkeit eröffnet, verschiedene Positionen und Standpunkte in die vorhandene Textur einzuweben.

Silke Ballath, Kulturwissenschaftlerin und Kunstvermittlerin

CV

Silke Ballath ist Kulturwissenschaftlerin, Kulturagentin und Kunstvermittlerin sowie Projektleitung des Künstler*innenkollektivs sideviews. Sie ist seit 2007 im Feld der kritischen Kunstvermittlung tätig. Im Kontext institutioneller Settings wie z.B. documenta 12, Kunstverein Wolfsburg, Kulturagenten für kreative Schulen, kontextschule u.a. interessiert sie der Aufbau einer künstlerisch-edukativen Praxis. Sie beschäftigt der wissenschaftliche Diskurs sowie das Praxisfeld um/mit einer kritischen Kunstvermittlung und das Verhältnis zwischen theoretischen-praktischen Wissensformen. Seit 2011 arbeitet sie als Kulturagentin für kreative Schulen in Berlin, war von 2014-16 Co-Moderatorin der KontextSchule und hat verschiedene Lehraufträge gegeben (Uni Hildesheim/ Duisburg-Essen/ Freiburg/ zu Köln , Kunsthochschule Weißensee Berlin). Darüber hinaus berät sie Schulen in Bezug auf eine kulturelle Profilierung und schreibt seit 2014 ihre Dissertation bei Prof. Dr. Christine Heil und bei Prof. Dr. Nora Sternfeld. In der Promotion liegt ihr Fokus auf der Zusammenarbeit von Lehrer*innen und Künstler*innen im Kontext Schule.

Literatur

Ballath, Silke (2020): Hey Siri! Was ist ein Kurator? – Eine Museumsforschung ohne Museum. In: Kulturelle Bildung Online. Link: https://www.kubi-online.de/artikel/hey-siri-was-kurator-museumsforschung-ohne-museum

Ballath, Silke (2016): Ein (Zwischen)Raum für die Möglichkeit des Unmöglichen. Die Erforschung des Modells eines Transformationsraums. Kubi-Online. Link: https://www.kubi-online.de/artikel/zwischenraum-moeglichkeit-des-unmoeglichen-erforschung-des-modells-eines

Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a. M. und New York: Campus.

hooks, bell (1994): Teaching to Transgress. Education as a Practice of Freedom. New York: Routledge.

Spivak, Gayatri Chakravorty (1990): Criticism, Feminism, and The Institution. In: The Post-Colonial Critic. Interviews, Strategies, Dialogues. New York: Routledge.

Spivak, Gayatri Chakravorty (2008): Ein Gespräch über Subalternität. In: Spivak, Gayatri Chakravorti (2008): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant.


10.12.

Zur Bildung des Politischen durch künstlerische Partizipation – Joseph Beuys, Zentrum für politische Schönheit, Banu Cennetoglu

Raimar Stange  

Raimar Stange spricht zu der Didaktik politischer Kunst. Dabei legt er besonderes Augenmerk auf die Verortung von politischer Kunst, die sich nicht zufällig, oftmals im frei begehbaren öffentlichen Raum ereignet. Als künstlerische Beispiele dienen Arbeiten von Joseph Beuys und dem Zentrum für politische Schönheit.

Raimar Stange ist freier Publizist und Kurator. Er schreibt unter anderem für Kunstforum, Flash Art, springerin, Monopol und kuratiert Ausstellungen im Haus am Lützowplatz, Berlin (2019), im L 40 | Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (2020)  und im Kunst Haus Wien (2015/16). Schwerpunkt seiner kuratorischen und publizistischen Arbeit ist politische, machtkritische Kunst.

Exzerpt:

explizit politische kunst wird immer wieder als „didaktisch“ beschimpft. beschimpft, weil sie als didaktische formulierung ihre zweckfrei und freiheit, ihre „autonomie“ einbüßen würde. Die „autonomie der kunst“ nun, und mit ihr der primat von form und „interesselosen wohlgefallen“ (immanuel kant), gilt immer noch vielen als zentrales moment der kunst. doch schon peter bürger betonte in seinem buch “die theorie der avantgarde“ treffend: „autonomie der kunst ist eine kategorie der bürgerlichen gesellschaft. sie erlaubt, die herauslösung der kunst aus lebenspraktischen bezügen zu beschreiben … diese abgehobenheit transformiert sich dann in die vorstellung von der totalen unabhängigkeit der kunst“. doch nicht nur das zweckhafte stört an politischer kunst, sondern auch, dass ihre didaktik als „agitation“ eine autoritäre form der erziehung wäre. z. b. die kunst von joseph beuys und dem zentrum für politische zentrum dagegen zeigt, dass politische kunst, die sich nicht von der „lebenspraxis herauslöst“, trotz ihrer expliziten botschaften weder ihre freiheit verliert, noch ihre erziehung, oder „lehre“, wie es beuys nennt, eine autoritäre ist. dass diese explizit politische kunst meist im öffentlichen raum und nicht im „white cube“ (brian o’doherty) der kunstinstitutionen sich ereignet, und ihre rezeption oftmals (kollektive) bewegung erfordert, zeigt dass sie sich bewusst von real-existierenden standards der hehren kunst abgewandt hat. In diesem sinne formulierte peter bürger schon über die „praxis“ der avantgarde anfang des 20. jahrhunderts: „die historischen avantgardebewegungen negieren die für die autonome kunst wesentlichen bestimmungen: die abgehobenheit der kunst von der lebenspraxis, die individuelle produktion und die davon getrennte individuelle rezeption“.

Raimar Stange

Zentrum für politische Schönheit, Aktionsplakat, Foto Raimar Stange


17.12.

Machen und machen lassen. Skulpturales Handeln als Erkundung der komplizierten Verbindungen von Körpern, Räumen und Materialien.

Susanne Henning

In skulpturalen Prozessen, die sich architektonischen Fragestellungen widmen, kann eine Erkundung der leiblichen Beziehung zur gebauten Umwelt im Mittelpunkt stehen. Aus dieser Perspektive bildet das eigene körperliche Erleben die Basis einer erst in der Wahrnehmung zustande kommenden Belebung von architektonischen Räumen, Baukörpern und Materialien. Eine Alternative zu dieser anthropozentrischen Sicht und damit eine andere Grundlage für skulpturales Handeln wird unter Einbezug von Ideen aus dem Kontext Neuer Materialismen erkennbar.  Beiden Seiten kommt aus den hier eingenommenen Perspektiven, denen im Vortrag und der dazugehörigen Übung nachgegangen werden soll, die Rolle von Akteuren zu, die sich in einem dynamischen Prozess gegenseitig verwandeln.

Susanne Henning ist Architektin und Kunstdidaktikerin. Seit 2019 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Kunstdidaktik an der Kunstakademie Düsseldorf. In ihrer Promotion erforschte sie die Wechselwirkung von Raum und Körper im Kontext von Skulptur und Architektur.