5. Ist das Müll oder kann das Kunst werden? Eine AufGabe für Schüler*innen in Lübeck

Die Künstlerin und Kunstpädagogin Anna zur Nieden öffnet ihren Unterricht für den Austausch von Schülerinnen und Schülern mit Studierenden. Die Studierenden Annabelle Lixfeld, Soziale Arbeit und Sebastian Kutrieb, Kunst, erarbeiten zusammen einen Material- und Mailartimpuls für eine sechste Klasse. Sie entwickelten ein spielerisches Setting, das die Klasse zu einem performativen Upcycling-Projekt und einer kritischen Reflexion von ökologischen Fragen animieren sollte. Raum und Körper fassten sie dafür weiter und nahmen den Umgang mit Verbrauchsgegenständen, die räumliche Vernetzung in einer globalisierten Welt und deren körperlichen Konsequenzen in den Blick. Was passiert mit den Dingen, die wir kaufen, verbrauchen und wegwerfen? Wo landen sie? Was machen sie mit anderen Körpern, Meerestieren beispielsweise? Die körperlich-räumliche Wechselwirkung unseres konsumorientierten Materialhandelns thematisieren die beiden Studierenden im Setting eines Piratenspiels. In der Lübecker Schule strandete eine Frachtsendung mit Müll an, nebst Brief und Schatzkarte der „Pirat*innen der Gerechtigkeit“. Einst selbst umweltmissachtende Seeräuber, berichten sie nun geläutert und alarmiert von einer Umweltkatastrophe. Die Schülerinnen und Schüler sind aufgerufen die gestrandete Müllfracht zu finden und den „Abfall“ zu nutzen um in ihrem „Lübecker Heimathafen“ den Dingen eine neue Funktion zu geben. Die Schulklasse gestaltet mit dem „Abfall“ den Schulhof in eine Szenerie zur See um und greift das „Seeunglück“, von dem die „Pirat*innen“ berichteten, in einer Performance auf. In einer Flaschenpost für die Siegener Studierenden berichteten die Schülerinnen und Schüler von ihrer Rettung der „bedrohten Lagune“.

Annette Hasselbeck


Kunst des Handelns II. Körper–Raum–Bewegung: Eine Mission für umweltbewusste Piraten!

Dank der Studierenden der Universität Siegen, die unter der Leitung von Annette Hasselbeck an dem Seminar „Körper-Raum-Bewegung II“ teilnahmen, erhielt ich eines Tages ein großes Paket, das bereits etwas mitgenommen aussah und auf dem von außen „Fracht“ vermerkt war. Überraschenderweise enthielt diese „Fracht“ jedoch lediglich Materialien wie leere Einwegflaschen, Reste von farbiger Folie, alte Tücher, zerrissene Rettungsplanen und Schnüre – also Müll.

Kurze Zeit später kam weitere Nachricht von „Umweltpirat*innen“ aus Siegen, die ein ähnliches Frachterunglück wie jenes im Juni 2021 vor Sri Lanka erlebt hatten. Sie schilderten in ihrem Brief ihre Situation: Ihre Lagune war verschmutzt und so sendeten sie einen Hilferuf ab, damit weitere Seemannsleute sie darin unterstützen, aus dem Müll sinnvolle Dinge für den Hafen zu kreieren und diesen zu verschönern.

Eine Schatzkarte, auf der der Standpunkt des Müllpakets und zusätzliche Unwegbarkeiten im Gelände eingetragen waren, diente den „Seeleuten“ der 6. Klasse als Orientierung.

Die Klasse hatte sich zuvor mit Upcycling beschäftigt und nähte aus alten T-Shirts eigene Taschen. Diejenigen, die ihre Tasche bereits fertig gestellt hatten, erhielten den geheimnisvollen Brief und die Karte. Sie fanden die Fracht unter einem Baum in der Nähe des Kunstraumes und an einem Reck auf dem Schulhof.

Nach und nach stießen weitere Seeleute hinzu, so dass schließlich eine Gruppe von zehn Seeleuten den Hof, also den Heimathafen, mit den Materialien gestalteten.

Die Schüler*innen waren durch den geheimnisvollen Brief sofort motiviert und interessiert
 und haben den Aspekt der Nachhaltigkeit weitergedacht. Auf dem Schulhof waren sie ungestört, um ihre eigene Auslegung der Mission umzusetzen und einen Bereich des Hofes räumlich umzudeuten und zu inszenieren. So erhielt dieser Ort für sie einen neuen Handlungsrahmen.
Das Materialpaket hat insgesamt eine besondere und geheimnisvolle Atmosphäre erzeugt. Das Reck war nicht mehr wieder zu erkennen und wurde zu einem Flattertor, maritime Zeichen machten den Bereich als Hafen erkennbar. Ein unbeteiligter Kollege fühlte sich spontan inspiriert, durch diesen Vorhang zu springen und ihn so zu bespielen.

Die Gruppe der Umweltpirat*innen stellte schließlich ihre Ideen und Erfahrungen mit den Fundstücken sowie die Umweltproblematik der restlichen Klasse vor. In der Folgestunde werden aus den verbleibenden Materialien Upcycling-Ideen für Alltagsgegenstände entwickelt.
 
Diesem Impuls für unseren Unterricht ging eine Lehrlernerfahrung der Studierenden der Universität Siegen voraus, die Theorien des alltäglichen Handelns von Michel de Certeau in eigenen künstlerischen Arbeiten auf ihre Umsetzbarkeit für den Unterricht überprüft haben.

So wurde eine narrative Ausgangssituation anhand der haptischen Materialien lebendig transportiert und war ein schlüssiger Gestaltungsanlass für die Schüler*innen.

In diesem Rahmen wurde der Frage nachgegangen, welche intellektuellen und handwerklichen Impulse Kunstpädagogik liefern kann. Hier eröffnet sie eigene Dialoge mit dem künstlerischen Zugriff auf ein Thema. Künstlerisches Handeln erhöht so das Repertoire, um auf die Welt zu reagieren, sich selbst herauszubilden und gesellschaftlich zu verorten.

Ermöglicht man den Heranwachsenden eine Mitsprache beim gestalterischen Tun, so können sich hieraus, wie in dieser Inszenierung, vielfältige Aktivitäten ergeben. Dies bedeutet, dass die Lehrkraft Impulse setzt, um den Lernenden die große Freiheit für den künstlerischen Prozess einzuräumen. Dabei wird die fachliche Expertise der Lernenden gefördert und eigene produktive Erfahrungen ermöglicht. Einer partnerschaftlichen Kommunikation auf Augenhöhe, wie von dem populären Pädagogen Jesper Juul gefordert, wird so Raum gegeben.

Anna zur Nieden